Wo sind die Jüngeren? Ein Aufruf an die Berliner und Münchner Akademien der Künste

Ich erinnere mich noch, wie erfrischend es war, als 2005 der damals 32 Jahre junge Jörg Widmann zum Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ernannt wurde, genauso 2004 der anno dazumal 33 Jahre junge Matthias Pintscher. Da bewies die Akademie Lust am Jungen. Die Berliner Akademie der Künste ließ sich mit Enno Poppe etwas mehr Zeit, als er 2008 mit 38 Jahren ihr Mitglied wurde. 2009 wurde mit bereits 41 Jahren die jüngste Komponistin Mitglied der Berliner Akademie: Rebecca Saunders.

Werbung

In den letzten Jahren nahm man in München z.B. Manos Tsangaris (2017 mit 61 Jahren), Mark Andre (2012 mit 48 Jahren) und Tobias PM Schneid (2015 mit 52 Jahren) auf. Die letzte mutige Entscheidung für eine Komponistin als ordentliches Mitglied war 2007 Isabel Mundry mit damals 44 Jahren. Als korrespondierende Mitglieder führt man 2017 neuaufgenommen z.B. Kaija Saariaho und bereits länger Olga Neuwirth.

Was mich in Berlin wundert, dass man bisher Charlotte Seither als eine der renommiertesten Berliner Komponistinnen nicht aufgenommen hat. Mir ist bewusst, dass freiwerdende Plätze nicht regelmäßig vorhanden sind. Mahnend steht aber mir z.B. das Beispiel Peter Kiesewetter vor Augen, den man in München erst schwerst erkrankt 2004 in die Reihen der Akademie aufnahm. Wenig später trat er gar nicht mehr öffentlich in Erscheinung. Das war viel zu spät!

Mein Einstieg war ja der mit einer Zeit, als man die Traute an den Tag legte, Personen unter 40, ja 35 Jahre in den Akademien aufzunehmen. Dazu kommt die Frage, warum selbst unter den Neuaufnahmen immer noch so wenig selbst hocharrivierte Komponistinnen zu finden sind. Oder selbst weibliche Interpretinnen. In der Filmsektion ist z.B. Edgar Reitz aufgenommen, warum in der Musikabteilung nicht Salome Kammer? Warum ist Barbara Hannigan nicht korrespondierendes Mitglied? Oder die zwischen Südtirol und München lebende Manuela Kerer?

Mir ist klar, dass Widmann, Pintscher und Poppe bereits zu ihrer Aufnahme renommiert waren. Warum übersah man aber bisher z.B. Klaus K. Hübler, ein ähnlicher Fall wie Kiesewetter, mitunter der radikalste Komponist Südostdeutschlands. Ein radikaler Nordbayerns, Walter Zimmermann, ist nur in Berlin als Mitglied geführt. Und was ist mit Kollegen wie Minas Borboudakis oder Helga Pogatschar?

Wenn Berlin z.B. bisher Maximilian Marcoll, Sergej Newski, Gordon Kampe, Leopold Hurt, Martin Schüttler und Johannes Kreidler übersah, könnte sich die heimliche Hauptstadt einige dieser picken? Nachdem mit Mundry und Eggert die Kompositionsprofessoren an der Münchner Musikhochschule Mitglied sind, wäre es doch wunderbar, Jan Müller-Wieland aufzunehmen, der seit der ersten Biennale München eng verbunden ist. Der hochangesehene Komponist und Violinist Nicolaus Richter de Vroe könnte längst auch beiden Akademien angehören. Der junge Komponist und Dirigent Johannes X. Schachtner wäre zumindest für München akademiereif.

Gewagt, aber auch verdient wären Mitgliedschaften der hoch individuellen Volker Nickel und Klaus Schedl, zumindest als korrespondierende Mitglieder wären sie Diamanten für die Bayerische Akademie der Schönen Künste. Bernhard Lang, Nikolaus A. Huber und Matthias Spahlinger vermisst man schmerzlich. Oder denken wir an „Macher“: Winrich Hopp oder, nachdem nicht dezidiert von natürlichen oder juristischen Persönlichkeiten die Rede ist, könnte die um das weibliche Schaffen hochverdiente musica femina zum Mitglied gekürt werden. Oder aus Frankfurt das Archiv Frau und Musik. Oder die Unerhörte Musik in Berlin, ja, gleich direkt Rainer Rubbert und Martin Daske.

In München wiederum als natürliche Person Meret Forster oder die Ermöglicherinnen von so viel Musik in Süddeutschland wie Brigitte von Welser oder Gabriele Forberg. Oder Frank Kämpfer, Theo Geissler, Stefan Fricke, Christine Fischer oder Gerhard Baum. Es fehlt die Alte Musik! Ivor Bolton, Christoph Hammer oder auch ProfessorInnen der Musikhochschule wären hier wunderbar. Ganz zu schweigen von gehobener U-Musik (Wecker**, Tocotronic, FM Einheit**, Gebrüder Teichmann**, etc.) und Filmmusik (Böttcher, Schneider, etc.), auf die Berlin wie München so stolz sind. Wie wäre es ganz exotisch mit Gloria Gray**?

Man sieht, dass es wohl viel zu viele Namen und verdiente Persönlichkeiten gibt als Plätze in den Akademien. Ein mutiger, junger, weiblicher, diverser, gender- und genresprengender Ansatz wäre eine fantastische Erweiterung. Berlin hat 68 Mitglieder, München ca. 40. Würde München über seinen Schatten springen und würde es mit einem Male die ca. 25 hier aufgezählten Personen aus all den unterschiedlichen Bereichen aufnehmen, würde der Akademie-Süden kreativer brummen als der Nordosten. Kämen dazu noch MusikerInnen aus dem Nahen Osten, KünstlerInnen der persischen und arabischen, fernöstlichen Klassik, wäre man moderner als alle Akademien Deutschlands es bisher sind.

Zu den mit ** bezeichneten Persönlichkeiten: Manche Idee ist bewusst exotisch gewählt. Eine behutsame Öffnung zu Jüngeren und auch mal ganz bisschen andere Genres oder zarte neue Spartenabteilungen wäre fein. Und selbst sowas wie der ggf. manchen verstörende Vorschlag Gloria Gray würde ein wichtiges Gegengewicht zu z.B. manchen sehr konservativen Literaturabteilungsmitglied setzen. Wie Konstantin Wecker arbeitet sie in Vorbereitung ihrer Programme mit sehr guten, klassisch ausgebildeten, renommierten Leuten zusammen – würde man sich ein wenig umhören, könnte man gute Referenzen aus der eigenen E-Musikabteilung einholen können.

Liste(n) auswählen:
Unsere Newsletter informieren Sie über Neuigkeiten im Badblog Of Musick. Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzbestimmungen.
Komponist*in

Komponist*in