Verdammt zur Pflicht

© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Verdammt zur Pflicht

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„Musik/Theater/Kommunen/Nordrhein-Westfalen/Deutschland/Oper/
Künftiger OB: Oper muss jetzt etwas zurückgeben

Nach einer Endlos-Sanierung sollen die Kölner Bühnen demnächst wieder
öffnen. Doch nach Meinung des frisch gewählten Oberbürgermeisters
können sie nicht einfach zur Normalität übergehen.

Köln (dpa) – Der künftige Kölner Oberbürgermeister Torsten Burmester
(SPD) fordert von der Kölner Oper, sich künftig für alle Schichten
der Stadtgesellschaft zu öffnen. «Diese Oper hat die verdammte
Pflicht und Schuldigkeit, alle einzubeziehen», sagte Burmester der
Deutschen Presse-Agentur.

Das bedeute, dass die Oper künftig eine Last mit sich herumtrage,
auch wenn sie selbst für das Sanierungsdebakel nicht verantwortlich
sei, sagte Burmester, der am Sonntag die Oberbürgermeister-Stichwahl
gewonnen hatte. Undenkbar sei es nach dieser Vorgeschichte aber, sich
künftig wie in früheren Zeiten allein auf das opernaffine
Bildungsbürgertum zu konzentrieren. «Die ganze Stadtgemeinschaft muss
sich jetzt mit der Oper versöhnen.» Und weil die ganze
Stadtgesellschaft für die Oper bezahlt habe, müsse jetzt auch die
ganze Stadtgesellschaft etwas davon haben.

Die Kölner Oper müsse … etwas an die Bürgerinnen und Bürger
zurückgeben.“

Versteht es doch, ihr seid in der verdammten Pflicht. Ihr müsst etwas zurückgeben, wir haben so viel in euch investiert. Sagt der Herr Bürgermeister.

Aber sagen die Eltern wirklich zu ihren Kindern: gebt mir etwas zurück? Wir haben so viel investiert in euch, über viele, viele Jahre, jetzt wollen wir das alles wieder zurückgezahlt bekommen? Erwarten die Eltern wirklich, dass die Kinder diesen Befehl immer perfekt nachkommen? Ist es realistisch, diesen Wunsch zu haben? Haben die Kinder bei der Geburt als Säuglinge diesem Vertrag zugestimmt? Haben sie diese Last zu tragen, obwohl sie sie gar nicht ausgesucht haben? Geht es beim Elternsein nicht vielleicht doch um anderes, als wer wem wieviel schuldig ist?

Vielleicht sagt der Fußballverein zu seinem teuer eingekauften Spieler: Du bist in der gottverdammten Pflicht, Tore zu schießen. Erzähl uns nichts von Latten, von den Schwierigkeiten im Team, von den starken Gegenspielern. Erzähl uns nicht von deinen Verletzungen, deinen psychischen Problemen. Erzähl uns nichts von irgendwelchen Ängsten. Vielleicht sagt der Fußballverein: Wir erwarten von dir, dass du immer erfüllst, wofür wir dich bezahlt haben. Schieß das Tor – das macht die Fans glücklich, das macht uns glücklich. Es ist deine gottverdammte Pflicht, in jedem Spiel ein Tor zu schießen.

Aber das funktioniert eben nicht. Wenn es beim Fußball irgendeine Garantie für irgendwas geben würde, dann wäre es kein Fußball mehr. Noch nicht einmal Gerd Müller hat in jedem Spiel ein Tor geschossen. Man kann so etwas vielleicht fordern, aber man kann es nicht zur absoluten Pflicht machen. Manchmal funktioniert es, manchmal nicht. Es ist ein Spiel, alles ist möglich. Auch das Theater ist ein Spiel: manchmal funktioniert es, manchmal nicht. Man kann es nicht erzwingen.

Wenn ihr das Opernhaus fragt, in welcher gottverdammten Pflicht es ist, dann ist es ganz bestimmt nicht die gottverdammte Pflicht, die ihr euch vorstellt. Die Oper und das Theater kennen andere Pflichten. Die Kunst und die Kultur kennen andere Pflichten.

Sie haben nur eine einzige Pflicht: uns etwas zu erzählen. Unter anderem davon, dass das Erfüllen von Pflichten einerseits sehr problematisch sein kann und andererseits nicht immer funktioniert. Sie haben die Pflicht, widerständig und frei zu sein. Sie haben die Pflicht, euch zu verspotten, wenn euch der Spott gut tut.

Die Theater und Opernhäuser haben die Pflicht, den Vorhang zu heben und auch, dass auf der Bühne etwas passiert. Ansonsten keine.

Und wenn ihr sagt, dass man gottverdammt nochmal die Wünsche des Publikums zu erfüllen hat, so unterliegt ihr einem wesentlich Irrtum. Wünsche erfüllt man sich vielleicht im Kaufhaus. Ein Theater ist aber nicht dazu da, Wünsche zu erfüllen, sondern davon zu berichten, was unsere viel zu vielen Wünsche mit uns machen. Und dass das nicht immer funktioniert. Das ist spannend, und vermag auch zu unterhalten und zu fesseln. Manchmal gibt es so richtig schöne Musik dazu. Manchmal wird es euch aber auch provozieren, und diese Möglichkeit muss es geben. Denn wenn auf der Bühne nur das passiert, was ihr euch wünscht, dann wird es sehr, sehr schnell langweilig.

Nichts im Leben folgt einem genauen Plan. Es gibt vielleicht einen Spielplan, aber der darf nicht aus Pflichtbewusstsein entstehen, sondern aus der Leidenschaft fürs Theater. Sonst wird das nichts, sonst hat es mit dem Leben nichts zu tun. Sonst ist es keine Bühnenkunst, sondern ein Scheiß.

Wenn Sie also, lieber Herr Bürgermeister, von der gottverdammten Pflicht des Opernhauses sprechen, dann ist es die gottverdammte Pflicht des Opernhauses, diese nicht zu erfüllen.

Moritz Eggert

© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

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