„Die Zeit drängt“ – ein Bericht aus Berlin

„Die Zeit drängt“ – ein Bericht aus Berlin

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„Das bestehende System ist sehr gut. Man hat nur irgendwann aufgehört innerhalb dieses Systems die Schwächen zu reformieren. Stattdessen wird ein völlig neues System gesucht…“

(Kommentar des Komponisten Johannes Hildebrandt in der Fachgruppe E-Musik des DKV)

 

E-Komponist zu sein heißt, sich wie das ewige Sorgenkind in der GEMA zu fühlen. Entweder kommen gar keine E-Komponierenden zu den Sitzungen, weil ihnen das ganze Zahlenwerk der GEMA fremd ist oder ihnen jeglicher Sinn für das Geschäftliche fehlt. Oder wir kommen doch, werden begutachtet wie ein seltsames exotischer Tier, das gerade aus dem Zoo entlaufen ist, heben schüchtern die Hand und erinnern daran, dass es vielleicht doch irgendwie wichtig ist, nicht nur an Erträge, Klickzahlen und Umsätze zu denken. Und hey, da gibt es doch so eine crazy Musik, mit der man nichts verdienen kann (das Durchschnittsalter der ordentlichen Mitglieder in der E-Musik liegt mangels Aufkommen 5 Jahre höher als das der anderen), die aber Innovation und neue Klänge oder neue Konzepte sucht und doch auch irgendwie wichtig ist.

Zwischen dem, was manche vielleicht als weltfremde Träumerei empfinden (andere wiederum als echten Wert zu begreifen in der Lage sind) und der knallharten Realität der Majors, Streams und Online-Lizenzen gibt es zweifellos einen riesigen Kontrast. Ich weiß, dass es viele tolle Kollegen aus U gibt, die diesen Kontrast zu schätzen wissen. Gerade deswegen tut alles im Moment auch so weh.

Wenn ich eines sicher weiß, dann ist es, dass seit nun mehr 30 Jahren (so lange bin ich schon bei den Sitzungen dabei) irgendwie immer gefühlt gerade die E-Musik und die kulturelle Förderung auf dem Spiel steht, weil irgendwelche ominösen Mächte von außen Druck auf die GEMA ausüben und kurz davor sind, der GEMA erfolgreich ihren Willen aufzuzwingen. Wer exakt diese Mächte sind, erfährt man nie so genau. Manchmal sind es irgendwelche berühmten Bands, die ihre Werke lieber direkt lizensieren wollen und damit die GEMA außen vor lassen. Oder es sind andere Verwertungsgesellschaften wie die PRS (gerade massiv in der Kritik von ihren eigenen Künstlern), die nicht mehr einsehen, warum die GEMA Systeme hat, die einen „Quatsch“ (?) wie „German Classics“ unterstützen. Oder es sind Sony oder Universal oder vielleicht irgendwas, das inzwischen Elon Musk gehört. Oder es sind alle zusammen, manchmal auch Kräfte von innen, denen man zuvorkommen will. „Die Zeit drängt“ sagt man auch jetzt. Man würde nur gerne besser verstehen, warum exakt jetzt und warum plötzlich alles so schnell gehen muss, wenn man noch gar nicht weiß, wo die Reise hingeht in den nächsten Jahren (allein das Thema KI ist ein riesiges Fragezeichen und vielleicht ein wesentlich drängenderes Thema).

Ich schreibe das nicht, weil ich der GEMA das alles nicht glaube. Vielleicht ist wirklich jetzt das letzte Gefecht – allein die Vorsicht gebietet, den Ernst der Lage auch so wahrzunehmen. Dennoch hat sich die Argumentation zwangsläufig über die Jahre abgenutzt.

In diesem Moment, im Jahre 2025, stehen wir vor den dramatischsten Satzungsänderungen innerhalb der GEMA in den letzten knapp 90 Jahren. Satzungsänderungen, die zum Teil diametral gegen lange treu verteidigte Prinzipien der GEMA in den letzten Jahrzehnten gehen. Und mit denen die GEMA auch sichtlich bisher nicht schlecht gefahren ist, denn sie steht nicht im Geringsten finanziell kurz vor dem Untergang und hatte in vielen Musterprozessen mehr Resilienz und Erfolg als andere Verwertungsgesellschaften. Dennoch sagt sie uns „Die Zeit drängt. Es kann nicht mehr so weitergehen“.

Nun denn, lasst uns ein Fragezeichen zulassen, auch wenn man das als naiv schelten kann. Tatsache ist, dass es viele Querverbindungen der GEMA zur Kulturszene in Deutschland gibt, und dass das Drehen an Stellschrauben Auswirkungen hat, die weit über die jährliche Abrechnung hinausgehen. Das alles zu überblicken ist vielleicht ein Thema, das zu groß selbst für den besten Aufsichtsrat der Welt wäre.

In den letzten Wochen gingen die Gemüter über diese Thematik hoch her, vor allem intern im DKV. Das ist insofern verständlich, weil es diverse Verknüpfungen des DKV mit der GEMA gibt. Aufsichtsräte sind auch Vorstandsmitglieder beim DKV und gestalten das Reformvorhaben aktiv mit, daher ist Kritik daran ein potenzielles Minenfeld. Daher mein Besuch in Berlin, 3 Tage GEMA, Vollprogramm. Klärende Gespräche. Gespräche mit der GEMA. Besuch des Deutschen Musikautor:innenpreises.

Am Mittwoch fanden wir uns als Delegation der Fachgruppe E-Musik beim Chef der GEMA (Tobias Holzmüller) persönlich ein. Unter seiner Anwesenheit wurde der aktuelle Stand der Reform präsentiert, aber auch uns Gelegenheit gegeben, Alternativen aufzuzeigen und Fragen zu stellen.

Der Termin erwies sich als konstruktiv, da eine gute Diskussionskultur herrschte. Wir zeigten, wie sehr wir uns alle in den letzten Wochen mit dem Verteilungsplan beschäftigt haben (obwohl uns nach wie vor die Möglichkeit fehlt, Zahlenbeispiele modellhaft durchzurechnen, was sehr wünschenswert wäre).

Uns war dieser Termin wichtig, um als E-Komponierende der GEMA zu zeigen, dass wir gerne beim Reformvorhaben kooperieren und uns mit eigenen Ideen einbringen wollen, aber auch eine Verschiebung für notwendig halten, um das Ganze besser zu vermitteln und mit Expertise aus der Kenntnis der E-Musik bereichern zu können. Trotz dramatischer Appelle eines Helmut Oehring („Das ist wie eine Operation am offenen Herzen, danach Patient tot“) kamen wir in diesem Punkt an diesem Abend nicht weiter. Aber der Dialog dauert an und war so auf einem guten Weg, den man ausbauen könnte, wenn gewünscht. Ich persönlich fand, dass die Zeit im Flug verging und man gerne noch länger getagt hätte. Ein hervorragend ausgearbeiteter Vorschlag des Kollegen Franz Martin Olbrisch wäre es wert gewesen.

Direkt danach beim Empfang der Akademie des DMAP. U und E traut beisammen. Gute Gespräche und eine nette und kollegiale Stimmung. Ich sitze am Tisch mit U-Kollegen, irgendwie fällt der Name Wolfgang Rihm. „Habe ich da gerade Wolfgang Rihm gehört? An den erinnere ich mich aus den Konzerten, die meine Eltern immer in ihrer Neue-Musik-Reihe präsentiert haben!“. Der Kollege erzählt von freakigen und nerdigen Konzerten mit seltsamer Musik, einmal mussten in der Provinz mit großem Aufwand ein halbes Dutzend Flügel besorgt werden, um ein Stück von Spahlinger aufzuführen. Der Kollege hat einen musikalisch anderen Weg eingeschritten, aber es ist sichtlich, dass ihm diese Erinnerung lieb ist und es ihm etwas bedeutet. Ich finde es sehr schön, dass uns das verbindet. U und E gehören eben auch zusammen, an ganz vielen Stellen inspiriert man sich gegenseitig.

Am nächsten Tag dann Großkampftag beim DMAP. Ich habe extra drei kleine Schildchen gemacht, die Diskussionen anregen sollen. Eine friedliche Aktion, die auch so aufgenommen wird und in vielen Gesprächen resultiert. Im Star-Trek-Hemd mache ich mich zum Affen und mache Selfies mit Prominenten. Charlotte Seither gelingt ein Coup, als sie Campino von den Toten Hosen zu einem leidenschaftlichen Statement für die E-Musik anregt. Leider bin ich nicht dabei, ich hätte mich gerne mit Campino fotografiert. Immerhin sang der mal Mackie Messer unter dem Dirigat meines lieben Kollegen Jan Müller-Wieland (und unter der Regie von Klaus-Maria Brandauer), ist also auch ein waschechter E-Künstler.

Mir wiederum gelingt es dem sympathischen Berliner Rapper Ski Aggu zwei kurze Videos mit Grüßen an meine Kinder abzutrotzen, was diese ungemein freut, denn sie sind große Fans. Mit dem ganzen GEMA-Kram wollte ich ihn dann nicht belästigen. Aber dafür viele andere, die sich willens vor die Kamera stellen (eine Galerie siehe unten). Unsuk Chin z.B. versteht den Ernst der Lage glänzend und findet gute Worte zum Thema bei ihrer Dankesrede für den Preis. Überhaupt: so kollegial war man unter E-Kollegen schon lange nicht mehr. Die Zeit drängt halt.

Einig sind wir uns alle: die 10% soziokulturelle Abgabe wäre doch eigentlich etwas zutiefst Erhaltenswertes, denn sie kommt wirklich allen in der GEMA zugute, auch wenn das Ausland angeblich schimpft. Das wäre doch ein gutes Ding für E und für U – eine gemeinsame Agenda. Wie oft haben wir als E in der Vergangenheit für Anträge gestimmt, die wichtig für die U-Musik waren. Es wäre daher schön, diese Tradition fortzusetzen, wenn es um E geht. Wir wollen doch einfach nur gehört werden.

Vor dreißig Jahren argumentierte der damalige GEMA-Chef Reinhold Kreile, dass der 10% SozKult-Abzug genau die Kulturszene befördere, die dann Künstlern aus dem Ausland ein Podium biete, was ja eigentlich kein schlechter Deal sei. Am Tag vorher hatte ich in der GEMA darauf hingewiesen, wie Talente aus aller Welt gerade deswegen nach Deutschland strömen, weil sie hier noch frei und mit einer gewissen Anerkennung künstlerisch tätig sein können, und dass die GEMA auch ein Teil dieser Anerkennung sei. Viele Stellschrauben, alles hängt zusammen.

Ein Höhepunkt des Abends wird dann der Auftritt von Wolf Biermann, der die Gitarre (und seine Stimme) immer noch so rocken kann wie früher. Er bringt ein schönes Schlusswort in den Abend, der trotz aller tatsächlichen Offenheit für Experiment und Avantgarde natürlich auch von Klickzahlen und den meisten Streams handelt, und von den vielfach gepriesenen Stars von Morgen, die man vielleicht teilweise am nächsten Morgen noch kennen wird, manchmal aber auch leider nicht.

Biermann spielt und singt und erzählt von den heimlich kopierten Tonbändern mit seinen Liedern, die vom Osten in den Westen geschmuggelt wurden (unter anderem übrigens von meiner Mutter, was meinen besonderen Bezug zu ihm erklärt, ich bin mit seiner Musik aufgewachsen). Und er erzählt davon, wie diese Tonbänder kopiert und nochmal kopiert wurden, und wie irgendwann das Rauschen darauf viel lauter war als die Lieder selbst. Das aber gerade dieses Rauschen das Tollste gewesen sei, da man sich als Teil einer geheimen Mehrheit wiederfand, die heimlich diese verbotenen Lieder hörte.

Biermann hat für diese kopierten Tonbänder keine einzige Tantieme gesehen, aber es wurde sehr klar, dass ihm das vollkommen egal ist. Denn am Ende des Tages geht es nicht um Tantiemen, Instagram Reels, Konzerne, flüchtigen Ruhm und wer die meisten Streams hat. Es geht um Wahrhaftigkeit. Das erkennt auch Ski Aggu, der Biermann begeistert während der Aftershow umarmt und ihm „100% Aura“ attestiert. Ein schöner Moment der generationenübergreifenden Verbindung.

Neben mir steht dann auch Cem Özdemir, der eine gute Rede auf Biermann gehalten hat. Mit freundlichem Blick schaut er auf mein in der Hand gehaltenes Schild mit dem Text „Wir sind die 10% wert“. Entweder versteht er, was bei der GEMA gerade passiert, oder er bezieht es auf die GRÜNEN. Beides ist für mich ok.

Irgendwann später finde ich mich mit einem von mir sehr geschätzten Mitglied von VERSO vor dem Ritz Carlton wieder, obwohl ich gar nicht rauche. Ich klage ihm mein Leid über die vielen Missverständnisse der letzten Tage, und dass es doch gar nicht um E gegen U oder Y gehe. „Wir sollten einfach viel reden“ sagt er. Recht hat er, und das wäre meine Hoffnung für die Wochen bis zur GEMA-Hauptversammlung im Mai in München. Wir müssen reden.

Im Taxi erinnere ich mich daran, wie skurril ich es fand, dass eine der GEMA-Mitarbeiterinnen (die uns regelmäßig den aktuellen Stand der Reform präsentiert, an deren Ende immer eine Tafel kommt, auf der die E-Musik in ein paar Jahren nicht mehr existiert), mir gerade erzählt hat, dass sie stolz darauf ist, dass ihre Tochter Fagott im Schulorchester eines bei Klassik-Liebhabern angesehenen Gymnasiums spielt.

Klassik ist halt einfach überall, selbst dort, wo sie in größter Gefahr ist oder für unwichtig erklärt wird.

Man könnte sie fast lieb haben.

 

Moritz Eggert

 

Mit Annesley Black und Unsuk Chin

Wolf Biermann in solidarischer Geste

mit Gerald Eckert

Unkorrumpierbar: Wolf Biermann

Ski Aggu – ich bin ein neuer Fan

Der Chef spricht und betont den Wert von menschengemachter Musik

mit Charlotte Seither und Rainer Rubbert

mit Micki Meuser

Kathrin Denner denkt auch mit

mit Cymin Samawatie vom Trickster Orchestra

Abgefrühstückt (Sinnbild)

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