Ruhm und Enttäuschung

Ruhm und Enttäuschung

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In der populären Psychologie spricht man vom „Hauptdarstellersyndrom“, wenn es um Menschen geht, die der Meinung sind, dass sie stets das Zentrum ihres eigenen Films sind. Wenn dieses Selbstbild durch Misserfolge im wirklichen Leben gestört wird, erleiden diese Menschen tiefe narzisstische Kränkungen.

Ich halte Künstlerinnen und Künstler für potenziell gefährdet, diesem Syndrom anheim zu fallen, und kenne viele, die in irgendeiner Form mit der Selbstwahrnehmung ihres „Ruhms“ hadern. Sie sind nicht dort, wo sie mal sein wollten. Aber wer ist das schon?

Menschen, die an Verschwörungen glauben, haben meist eine ähnliche Kränkung erlebt. Sie empfinden sich oft in irgendeiner Weise „zu kurz gekommen“. Wenn sie dann im Gegensatz zu den „Schlafschafen“ die angebliche „Wahrheit“ erkennen, sind sie wieder „Hauptdarsteller“ ihres eigenen Films, was eine Form von tröstendem Selbstbetrug sein kann. Jede Jana aus Kassel sehnt sich danach, eine Heldin wie Sophie Scholl zu sein (solange sie nicht dafür leiden muss, natürlich). Auch eingebildete Wichtigkeit kann trösten.

Nicht ohne Grund bedienen Populisten die dumpfe Unzufriedenheit, die jeder Bevölkerung – auch der sattesten – innewohnt. Selbst in einem reichen Land wie dem unseren sind die meisten Menschen genauso unzufrieden wie in einem armen Land, vor allem dann, wenn die Diskrepanz zwischen ihrem einst imaginierten und tatsächlichen Leben besonders groß ist.

Da dies ein weit verbreitetes Leid ist, das so gut wie jeder Mensch kennt, wimmelt es im Netz von Lebensberatern, die ein „besseres“ Leben versprechen, wenn man „sein eigenes Potenzial entfaltet“. Jeder und jede kann angeblich ein Star sein, alle können reich werden, Führungspositionen erreichen, wenn sie nur genug „an sich glauben“ oder teure Kurse bei Scientology oder anderen Sekten besuchen. Das ist auch das Versprechen vieler, die sich als Motivations-Coaches an Künstlerinnen und Künstler wenden: „Du kannst es schaffen, wenn Du es nur willst“. Aber kann man das wirklich?

Wir definieren Erfolg immer in Konkurrenz zu anderen. Wir sind nicht zufrieden, schnell zu laufen, wenn ein anderer scheinbar spielend schneller läuft. Wir sind nicht zufrieden mit unserem Ruhm, wenn andere berühmter sind. Aber warum machen wir unser Glück von Dingen abhängig, die wir gar nicht kontrollieren können?

Wenn wir so gut wie wir können trainieren und jemand anderes dennoch schneller läuft, ist das wirklich unser Versagen? Oder hat es vielleicht mit physischer Disposition zu tun, Genen, vielleicht auch einfach Tagesform? Aber wenn wir die Schuld immer den Umständen geben, trainieren wir dann noch gut?

Hier kommen wir an den Punkt, an dem es interessant wird. Wenn wir uns als Künstler aus Neid auf eine erfolgreichere Person sagen, dass diese ja einfach nur „mehr Glück“ gehabt hat, bleiben wir weiterhin Hauptdarsteller in unserem Film. Wir sind dann weiterhin die eigentlich „Guten“, die halt eben gerade eine ungerechte „Tragödie“ erleben, und nur deswegen nicht den Ruhm bekommen, den sie verdienen. Auch der tragische Held ist immer noch Held.

Gleichzeitig ist ein solches Denken auch nur eine Variante einer „Verschwörungstheorie“ und macht uns faul und bequem – da die „Umstände“ schuld sind, ist es ja anscheinend egal, ob wir uns Mühe geben, oder nicht, also kann man es gleich sein lassen. Sich als ungerecht behandelter Pechvogel zu fühlen, lädt zur Trägheit ein und lähmt die für das Kunstschaffen notwendige Selbstkritik.

Ja – Ruhm hat sehr viel auch mit Zufall und glücklichen Umständen zu tun. Viele weltberühmten Schauspielerinnen haben das entscheidende Casting vielleicht nur deswegen gewonnen, weil ihre möglichen Konkurrentinnen an diesem Tag schlecht drauf waren. Der Olympiasieger war vielleicht nur der Beste seiner Kategorie, weil sein größter Gegner sich am Tag vorher den Magen verdorben hat.

Aber langfristige Karrieren bauen nicht auf dem einen Zufall auf. Auf Dauer spielt eigenes Können und Fähigkeiten eine sehr wichtige Rolle. Und dieser Spielraum währt ein Leben lang. In diesem Spielraum können wir alle – so gut es geht – agieren und alles geben. Alles zu geben macht glücklich, Halbherzigkeit oder Selbstbetrug dagegen nicht. Es gibt nur leider keine Sicherheit, was die Ergebnisse angeht.

Es ist eine Tatsache, dass nicht alle Menschen die „Berühmtesten“ oder die „Besten“ sein können. Aber es gibt für mich keinerlei Hierarchie zwischen Menschen, die das, was sie machen, mit absoluter Hingabe machen, denn für mich sind alle diese Menschen die „Besten“. Selbstverwirklichung ist immer sinnvoll: sich immer und in jedem Moment zu fragen, was man selbst tun kann, anstatt über die Umstände zu schimpfen. Das gilt auch, wenn die Umstände ungerecht sind, der Erfolg trotz großen Talents nicht kommt, usw. Man kann immer etwas tun, wenn man sich gewahr ist, dass Scheitern nicht bedeutet, dass man umsonst tätig war.

Keinen nach außen hin sichtbaren Erfolg zu haben, heißt nicht, dass man grundsätzlich den falschen Weg eingeschlagen hat. Das mag folgendes Beispiel verdeutlichen: Wenn ich in einer Wüste bin, suche ich mit einer gewissen Dringlichkeit Wasser, denn es ist nicht einfach verfügbar. Es kann vorkommen, dass ich auf der Suche nach Wasser verdurste. Aber Wasser zu suchen ist meine einzige Überlebenschance. Würde ich nicht nach Wasser suchen, verdurste ich auf jeden Fall.

Nun machen sich zwei Personen auf den Weg: Die eine Person findet mit viel Glück eine Oase, die andere findet sie nicht. Beide hatten das richtige Ziel: Wasser zu finden. Die Strategie, Wasser zu suchen, war nie falsch. Auch die Person, die verdurstet ist, hat nicht falsch gehandelt oder ist „gescheitert“, sie hat bis zuletzt das einzig Sinnvolle getan: Wasser zu suchen. Mehr konnte sie nicht tun, der Rest ist Schicksal.

Diese Allegorie kann man auf alle möglichen Bereiche des Lebens anwenden. Leider ist dies das Prinzip des Lebens: unendlich viele Möglichkeiten ins Spiel zu bringen, damit es vielleicht eine von diesen Möglichkeiten zur Realisierung bringt. Es gibt Millionen von Spermien, damit möglichst sichergestellt ist, dass sich eines zur Eizelle durchkämpft. Die erfolgreichsten Komponistinnen und Komponisten sind nur dort, wo sie sind, weil es eine ungleich größere Zahl von nicht ganz so erfolgreichen Kolleginnen und Kollegen gibt. Ruhm überhaupt definiert sich nur im Kontrast zu nicht vorhandenem Ruhm – es braucht also den Misserfolg, damit es Ruhm überhaupt gibt.

Es bringt aber nichts, sich über Misserfolg zu grämen, wenn man so viel tat, wie man konnte. Ein mögliches Ziel ist es immer, den eigenen Spielraum so gut es geht zu nutzen, ohne sich vom Ergebnis dieser Bemühungen abhängig zu machen. Sich also als Künstler nach Vermögen und vorhandenem Talent zu „verwirklichen“, ohne die Ergebnisse dieser Selbstverwirklichung ständig mit den Ergebnissen anderer zu vergleichen. Denn mehr als mit dem gegebenen Talent und den Umständen zu arbeiten, kann man ohnehin nicht tun. Das ist, was man hat. Manche verschwenden das, was sie geschenkt bekommen, andere holen das Maximum heraus, egal, wie wenig sie bekommen haben. Letztere sind für mich das Vorbild.

Wer ist der größere Sportler – der durchtrainierte Triathlet, der mit diszipliniertem Training einen Ironman in Bestzeit bewältigt, oder der Athlet mit Down-Syndrom, der den Ironman mit ebenso diszipliniertem Training im Rahmen seiner Möglichkeiten in wesentlich langsamerer Zeit läuft aber einfach schafft, trotz seiner Behinderung? Beide haben ihr „Potenzial“ erreicht, keine Frage. Beiden gebührt derselbe Applaus. Für mich sind beide Leistungen gleichermaßen beeindruckend, denn sie erforderten exakt die gleiche Hingabe. Und diese Hingabe ist das, worum es eigentlich geht.

Wir tendieren dazu, diejenigen, die im Rampenlicht stehen, mit viel zu viel Aufmerksamkeit zu überschütten, wogegen wir die aus der zweiten Reihe oft zu Unrecht ignorieren. Anstatt mit der eigenen Situation zu hadern, sollten wir uns fragen, ob wir zu unseren Kolleginnen und Kollegen so unterstützend sind, wie wir es uns für uns selbst wünschen. „Mer muss och jünne künne“ heißt es ja nicht zu Unrecht.

Wenn wir das Leben und die Kunst verstehen wollen – und niemand von uns wird beides je zur Gänze verstehen können, das wäre auch schrecklich – müssen wir nichts weiter tun, als den uns gereichten Kelch mit großer Hingabe bis zur Neige zu trinken. Manche Kelche sind groß, manche sind kleiner. Wichtig ist nur: dass wir trinken.

Und das ist mehr als genug.

 

Moritz Eggert

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