Skylla und Charibdis

Skylla und Charibdis

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„Liegt Skylla links Charybdis rechts bereit
was kann dem armen Erdenbürger glücken
der falsche Weg ist Meilen breit
der rechte schmäler als ein Messerrücken.“

(Ludwig Fulda)

 

Muss Kultur politisch sein? Sicher nicht. Befindet sich Kultur momentan in einer politischen Situation? Ganz sicher ja.

Das ist das Dilemma, in dem wir uns im Moment befinden: da Kunst Politikum ist, kann man als Künstlerin die Politik nur dann ignorieren, wenn man sich in ein Wolkenkuckucksheim zurückzieht und die Wirklichkeit ignoriert. Gefahren für die Freiheit der Kunst lauern aber auf beiden Seiten des politischen Spektrums.

Auf der rechten Seite haben wir die, die Kunst entweder abschaffen (durch massive Kürzungen im Kulturbetrieb) oder zu einer Sache der nationalen Identität machen wollen. Man muss nur das Parteiprogramm der AfD lesen, um zu wissen, was der Kultur blühen würde, käme die AfD an die Macht. Wollen wir wirklich „völkische“ Kunst? Keinen Bildungsauftrag? Keine Öffentlich-Rechtlichen-Medien? Das wäre für die Kultur in Deutschland eine Katastrophe.

Kunst kann zwar individuelle Stile entwickeln, die vielleicht mit einer bestimmten Region assoziiert werden, am Ende des Tages sind es aber Individuen, die Kunst machen, nicht Länder. Kunst dagegen wildert am Rand, überwindet Grenzen, assimiliert, eignet sich an oder vermischt und paart sich hemmungslos – ein Horrorszenario für Nationalisten. Wenn Kunst nichts ist als Ausdruck einer „Nation“, dann entsteht sie entweder unter einer Diktatur oder betreibt Etikettenschwindel. Es gibt nichts Erbärmlicheres und Uninteressanteres als „Staatskunst“, sonst würden wir nicht K-Pop aus Süd-, sondern aus Nordkorea hören.

Ein Claude Debussy z.B. war zwar einerseits leidenschaftlicher Franzose und schrieb dezidiert „französische“ Musik. Seine musikalischen Haupteinflüsse waren aber außereuropäische Musiken wie Jazz oder Gamelang-Musik und seine große Neugier reichte bis hin zu japanischen Holzschnitten und amerikanischen Horrorgeschichten.

Auch ein Richard Wagner kam nicht allein aus einem diffusen „germanischen“ Gefühl heraus zu seinen Werken – sein Opernstil entwickelte sich mühsam durch einerseits Kopieren wie Gegenrede zu den vorherrschenden Opernstilen seiner Zeit. Ohne italienische Oper hätte es den „Ring“ nie gegeben, so viel ist klar, denn ein Gegenentwurf kann nur dann entstehen, wenn man andere Stile kennt und auch künstlerisch durchdrungen hat.

Wer also heute als Künstler oder Künstlerin die AfD wählt, will sich selbst abschaffen. Das wäre vielleicht noch psychologisch ergründbar, aber noch schlimmer sind die Zukurzgekommenen, die sich opportunistisch rächen wollen, sich dies aber selbst nicht eingestehen. Um zu sehen, wie das aussieht, muss man gar nicht Nazideutschland und Goebbels bemühen, ein Blick ins aktuelle Nachbarland Italien reicht vollkommen.

Aber auch auf der linken Seite droht Gefahr. Der Widerstand gegen politische Korrektheit und Wokeness wird zwar oft von abgehalfterten Gestalten geführt, die dumpf auf ihrem Recht, „das muss man noch sagen dürfen“ (und damit eigentlich nur ihren alltäglichen Rassismus und Menschenhass vor Reglementierung schützen wollen). Das sollte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es bei der gewachsenen Achtsamkeit gegenüber allem Möglichen immer wieder zu einem übers Ziel hinausschießenden Fanatismus kommt, der der anderen Seite in nichts nachsteht und ihr exaktes Spiegelbild darstellt.

Dass wir achtsamer geworden sind, ist grundsätzlich eine positive Entwicklung. Zur Überwindung von zum Beispiel Rassismus brauchte es aber nicht nur z.B. eine mutige Frau wie Rosa Parks, sondern auch Filme, Theaterstücke und Opern, die Rassismus auf die eine oder andere Weise anprangerten. In der Kunst können wir Empathie für Leid und menschliche Schicksale erzeugen wie in keinem anderen Medium, aber dies geht meistens nicht ohne „Triggern“ oder Mittel der Provokation. Wenn alles nur noch „nett“ und „safe“ ist, niemanden mehr aufregt, historisch schön bereinigt ist, ohne Ecken und Kanten – dann verliert die Kunst nicht nur ihre Zähne, sondern auch ihre Eier.

Als Tod Browning 1932 im gleichnamigen Film Zirkus-„Freaks“ zu Helden machte, während die „Normalen“ die Scheusale waren, war es ein ungeheurer Skandal. Der Film wurde verboten, zensiert und unterdrückt. Heute gilt dieser Film als ein Meilenstein auf dem Weg zur heutigen Inklusion – Menschen mit Behinderungen in einem Kuriositätenkabinett zu präsentieren fänden wir heute abscheulich, damals war es aber die Norm. Und das wird gnadenlos in diesem Film gezeigt. Das ist schockierend wie faszinierend zugleich, aber gerade das Ungeschönte daran erzeugt die Eindringlichkeit. Obwohl das Thema Inklusion nach wie vor aktuell ist, wäre der Film heute aber kaum vorstellbar, zu groß wäre die Angst, missverstanden zu werden oder irgendjemanden zu „triggern“.

Genau deswegen ist es wichtig, dass wir die Vergangenheit nicht umschreiben. Genau deswegen ist es wichtig, dass wir nicht alles canceln, was irgendwie provozieren, triggern oder aufregen könnte, denn eine Kunst ohne Provokationen und Schockmomente ist auf Dauer genauso unerträglich wie die oben beschriebene „Staatskunst“. Kultur ist ein wilder Raum, in dem die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen und Diskriminierungen ein immer wieder aktuelles Thema ist. Wenn Kunst lebendig sein will, darf sie sich daher keinen Zwängen unterwerfen, sie wird dann gezähmt und uninteressant. Kunst tut gut daran, sich nicht willfährig zum Sklaven irgendeiner – auch der bestgemeinten – Agenda zu machen. Sie muss sich die Freiheit bewahren, der Gesellschaft auch dann den Spiegel vorzuhalten, wenn das Gespiegelte nicht dem entspricht, was die Gesellschaft sich wünscht.

„Zeige Deine Wunde“ verlangte schon Joseph Beuys, und es ist die Aufgabe von Kunst, genau dies zu tun. Kultur ist der öffentliche Raum, in dem gesellschaftliche Konflikte verhandelt werden müssen, dafür ist sie da. Schon die ersten antiken Theaterstücke waren Spiegelbild der damaligen politischen Situation und zeigen die Sorgen und Ängste der damaligen Menschen. Nicht jeder dieser Subtexte wird heute verstanden, aber wir spüren, dass es Themen darin gibt, die uns heute noch berühren.

Die offen vorgetragene Kritik von seitens der Rechten, Kultur sei „links versifft“, ist schlicht und einfach Blödsinn. Es gibt in unserer nach wie vor ziemlich freien Kultur immer die Möglichkeit, Räume auszuloten und auch schwierige und provozierende Fragen zu stellen. So konnte zum Beispiel ausgerechnet 1977, auf dem Höhepunkt der Hippie-Bewegung, ein Hans-Jürgen Syberberg einen Film wie „Hitler – ein Film aus Deutschland“ drehen, der es sich zur schwierigen Aufgabe macht, nicht nur den Schrecken, sondern auch die Faszination des Dritten Reichs zu ergründen. Das war damals hochumstritten, aber es war eben auch möglich und ist es auch heute (ein Theater-Nachfolger von Syberberg war zum Beispiel Einar Schleef, dem wir vor kurzem im Blog einen Artikel widmeten.). Beiden Künstlern kann man definitiv attestieren, dass sie weder einer rechten noch linken Agenda folgten, sie stellten sich aber mutig schwierigen Themen.

Es ist wunderbar, dass Kultur einen „middle ground“ darstellt, in dem solche Themen verhandelt werden können. Dass kann auch bedeuten, dass ganz unterschiedliche politische Ansichten in ein überzeugendes Kunstwerk münden können. Ein wunderbares Beispiel in der Filmgeschichte ist zum Beispiel die Originalversion von „Invasion of the Bodysnatchers“. Der Drehbuchautor Daniel Mainwaring war eher links und unterstützte Autoren, die in der McCarthy-Ära Berufsverbot bekamen und verfolgt wurden. Der Regisseur Don Siegel wiederum gilt eher als rechts und drehte später Filme mit Clint Eastwood („Dirty Harry“) und John Wayne. Gerade durch diesen scheinbaren Gegensatz entstand ein Film, der sowohl wie eine Allegorie gegen Faschismus als auch Kommunismus gelesen werden kann. Gerade diese Interpretationsoffenheit und vielfache Lesbarkeit macht große Kunstwerke aus, der Film wirkt nach wie vor hochaktuell, weil er es sich nicht einfach macht und keine einseitige Interpretation bevorzugt.

Ich rekapituliere: Kultur ist im Moment ein „Battleground“, der von zwei Seiten vereinnahmt werden will. Auf der einen Seite Skylla, auf der anderen Charibdis. Die einen wollen Kultur größtenteils abschaffen oder sie populistisch instrumentalisieren, die anderen wollen sie kastrieren und ihr die Zähne ziehen, auf dass sie möglichst niemanden „beleidigt“.

Beides ist unerträglich, und wir Kunstschaffende tun gut daran, uns weder auf die eine noch die andere Seite zu schlagen.

Die polarisierten Konflikte der Gesellschaft müssen aber auch in unseren Werken Raum bekommen, ansonsten sind wir das, was der Kunst nie passieren darf: langweilig.

 

Moritz Eggert

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