(Neue) Musik schweigt – Literatur erklärt Solidarität mit Jüd:innen und allen Leidenden und kritisiert eigenen Betrieb

Es ist so unglaublich ängstlich und verdruckst und zudem vor allem ärgerlich, dass der Musikbetrieb, abgesehen von einem sehr kurzen Statement des Musikrats mit GVL, GEMA, Forum Musikwirtschaft, zwei weiteren Musikrat-Texten und vereinzelten Äußerungen und Veranstaltungen von Akademien schweigt. Zu Beginn des russischen Ukraineüberfallkriegs gab es Sonderveranstaltungen ohne Ende. Blickt man z.B. in die Neue Musik, da herrscht eisernes Schweigen. Die GNM sagt nichts. Die Donaueschinger Musiktage sagen nichts. Die Tonkünstlerverbände mit ihren Neue Musik Reihen sagen nichts. Das Ensemble Modern oder Musikfabrik als big player sagen nichts. Die Verlage sagen nichts. Die Rundfunkredakteure sagen nichts. Der Musikfonds, weitere Stiftungen sagen nichts. Komponist:innen von Rang sagen nichts, der Komponist:innenverband bisher auch nichts.

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3Sat/Kulturzeit und Tagesschau kritisieren eine Demo am gestrigen Samstag in Berlin, wo auch PFLP-nahe Teilnehmer dabei sind. Und man hat das Gefühl, dass da dann Berliner Komponist:innen dabei sind bzw. mitorganisierende, BDS-nahe Vereine unterstützen. Blättert man durch den social media Wald, relativieren sich Kolleg:innen die Dinge zurecht, beschweigen den Hamas-Terror, sind (wie immer) ganz laut israelkritisch. Oder ganz stumm. Obwohl man sehr wohl sich solidarisch mit jüdischen Kunstschaffenden und jüdischen Menschen in Deutschland, der Welt und Israel zeigen kann, Mitgefühl mit allen Leidenden und sehr wohl die auch in Israel umstrittene Netanjahu-Koalition kritisieren kann. Und wie man eigentlich (meiner Meinung nach) auch die palästinensische Seite für Gewaltverherrlichung, Mord und in weiten Teilen der Verweigerung des Existenzrechtes Israels kritisieren kann.

Jede:r kann da seine eigenen Akzente setzen und auch fundamental das anders sehen als ich. Aber warum sind gerade die Protagonist:innen der Neuen Musik zu „Lippen zugenäht“ ganz im Gegensatz zu den Schriftsteller:innen? Sind wir schon so BDS-durchsetzt? Ich habe vor ein paar Jahren die Kunstfreiheit in Sachen eines BDS-nahen Musikprojektes bekräftigt. Solange etwas definitiv nicht antisemitisch ist, würde ich das vielleicht im Einzelfall wieder tun. Allerdings tue ich mich derzeit damit sehr, sehr schwer, um offen und ehrlich zu sein. Mir geht es hier jetzt auch nicht um ein Durchdeklinieren diverser, konfrontativer Haltungen.

Nochmals: warum sind die Schriftsteller:innen so deutlich und wir Neue Musik Leute nicht? Jelinek, Müller, Krausser, Kazim, Gomringer, Timm, Dörrie, Kracht, Berg, Ditfurth, etc. – so unterschiedlich und doch ganz klar: Solidarität mit Jüd:innen, Israel:innen, aber auch leidenden Palästinser:innen. Oder glauben wir Komponist:innen, Musiker:innen irgendeine höhere Weisheit als unsere literarische Kollegenschaft zu besitzen? Wenn Jelinek und Müller hier unterzeichnen, wo sind dann Lachenmann, Rihm, Neuwirth, Mundry, Widmann? Die Bayerische Akademie der Schönen Künste macht eine Solidaritätsveranstaltung, die Berliner Akademie der Künste gab ein Statement, die Hamburger Akademie auch. Doch das gilt übergreifend und wird auch v.a. von der Literatur angetrieben worden sein. Die Wirkung von Akademien ist zudem sehr Szene-bezogen, direkte Äußerungen der Künstler:innen sind kräftiger, zumal wenn man die Prominenz der Literatur hier sieht im Gegensatz zur „Klappe zu“ der lebenden Musikszene. Bekommen wir da etwas hin? Oder sind wir bereits so aus der Mitte der Gesellschaft verschwunden – in Wahrnehmung wie eigenem Artikulieren und Denken in Bezug auf Nahost? Denkt mal nach und handelt vor allem! Prominenz bitte nach vorne!

Beste Grüße

Alexander Strauch

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Komponist*in

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2 Antworten

  1. k. sagt:

    Da ist was dran.

    Mir ergeht es so:

    Dass die Hamas verurteilt gehören, dass Juden auf aller Welt sicher und frei leben können sollten – ich denke, da braucht man nicht diskutieren. Und natürlich sollen die Geiseln befreit werden.

    Die Schwierigkeit mit offenen Briefen, Statements, Appelen ist Folgende: zu oft werden solche Statements nach dem Motto „wer A sagt, muss auch B sagen“ gelesen. Dabei sind bei dieser Debatte so viele Ebenen vermischt: geht es um den den Hamas-Israel-Krieg oder um den Nahost-Konflikt, geht es um Hamas oder Palästinenser oder Araber oder Muslime, geht es um Israelis in Israel, um Juden in Israel oder geht es um Juden in Deutschland?

    Ist der Antisemitismus in Deutschland wirklich nur „importiert“ (bei allem Entsetzen über Pro-Islamisten-Demos in Deutschland, die wenig mit Palästinensern zu tun haben, auch wenn sie behaupten, dass sie sich mit Palästinensern solidarisieren), die Lösung wirklich Abschiebung von Ausländern und Ausbürgerungen von Migranten (Ausländer und Migranten sind nicht alle Terroristen oder Sozialhilfeempfänger?), wie von manchen Ecken gefordert (und das hat mit Bekämpfung von Antisemitismus auch wenig zu tun haben, auch wenn sie sagen, dass sie sich mit Juden solidarisieren)?

    Es sind derzeit so viele Leute auf ganz unterschiedlicher Art und Weise von solchen Debatten direkt betroffen. Bei vielen werden auch alte Wunden aufgerissen. Und sie haben Existenzangst, um sich selbst. Die Zunahme von Extremismus, Populismus und völkischem Denken auf der ganzen Welt trägt nicht zum Frieden bei.

    Ich muss sagen, dass ich es deshalb sehr schwer finde, die nötige Differenzierung so zu formulieren, dass sie nicht als Hamas-Relativierung missverstanden wird. Und ich finde es auch sehr schwer, alle Ebenen so zu unterbringen, dass sie nicht als „Bothsidism“ missverstanden wird.

    Und ich freue mich über ein Lächeln des regionalen Obstbauers auf dem Wochenmarkt.

    Nie wieder ist jetzt.

    Momentan sehe ich für mich in der Gesellschaft zuviel Regression durch Entrüstung und Empörung, was leider auch medial und im Netz aufgeheizt und instrumentalisiert wird. Vieles ist nur Hauen und Stechen, verbal und körperlich. Und für mich als Musikerin bedeutet das momentan (die Lage ändert sich derzeit ja schnell), dass ich mit Musik versuche, die Aufgeregtheit der Menschen etwas zu beruhigen, dass sie mehr mit sich selbst in Kontakt kommen, damit sie die Mitmenschen mit Empathie begegnen können.

    Musik ist eine Sprache, die sich an die Bedürfnisse und Gefühle der Menschen richtet. Und das Bedürfnis, in Sicherheit und Freiheit zu leben, haben eigentlich alle.

    Das mag naiv sein, das ist mir derzeit ganz wichtig.

  2. D. sagt:

    Große Teile der Kulturwelt – nicht nur der Bereich „neue Musik“, ebenso Theater, Kunst usw – pflegen seit vielen Jahren ein Mindset, das stark von postkolonialischen, dekonstruktivistischen Diskursen der politisch Linken geprägt ist. Man könnte es mal ganz platt auf die Formel herunterbrechen: der Westen ist der Böse (der kapitalistismus sowieso), er unterdrückt die ganze Welt und ist irgendwie Verursacher aller Probleme. Und so wie der antisemitismus der „Kommunismus der dummen Kerls“ ist (August Bebel) ist er heute definitiv auch die „postkolonialismus- Kritik der dummen Kerl:innen“ . Auch er/ sie/ sonstige des woken Flügels versagen komplett, sonst hört man in diesem Milieu die Flöhe husten, die mehr als offen sichtbaren Aggressionen gegen jegliches jüdisches lassen die herzlich kalt. Was soll man sagen? Ich glaube, dass gerade politisch- gesellschaftlich mehrere Paradigmenwechsel stattfinden, dass die dekonstruktivistische Kunst- Methode ohnehin längst von der Zeit überholt wurde. (Gottseidank). Auch wenn das hier vielleicht wenig zur Sache tut. Die westliche Welt muss sich widerstandsfähig machen gegen die Verlockungen des autoritären, des religiösen fundsmentslismus, der Anmaßung von geföhrlichen Gewaltherrschafts- Ansprüchen in andern Teilen der Welt. Dass der antisemitismus nicht tot zu kriegen ist, ist klar. Dass die linken, hxperbewussten, künstlerischen, ihn nicht erkennen (wollen), verwundert nicht allzu sehr, denn 1) sie waren selbst nie frei davon 2) sie schmoren im eigenen Saft und haben sich über Jahre vielfach nur eitel mit postmodernen brechungen von brechungen beschäftigt, aber kaum mit der Realität, man glaubte letzteres nur 3) man ist stark beeinflusst von gewissen ikonischen Vordenkern, die sich aber wohl auch ganz schön geirrt haben (die man wohl aber auch nur halb verstanden hat, ich meine zb J. Butler, N. Chomsky, E. Said). Die übliche postkoloniale Betrachtung von Nahost scheitert doch schon an der banalen Tatsache , dass Israel/ Palästina eben ewige Zeiten NICHT Kolonie des Westens war (wie zb Afrika) sondern vom osmanischen Reich, respektive Türkei. Aber bei Herrn erdogan die Hörsäle zu stürmen macht nicht annähernd so viel Spaß wie in Harvard oder Berlin. Verwirrung überall, und je mehr „Uni“ oder sonstwas schlaues draufsteht, desto größerer Unsinn ist derzeit von dort zu erwarten, sorry for that. Letztlich ist es aber auch ein bisschen so, wie in dem Text anklingt: diese Kulturszene dokumentiert damit im Grunde ihre eigene Irrelevanz, wenn sie es nicht schafft zu formulieren, was die relevante Politik hier dankenswerter weise vorgemacht hat.