„Der Elefant im Klavierzimmer“ – die neue CD von Shoko Kuroe mit Klaviermusik von Jan Müller-Wieland

Nicht oft empfehle ich auf diesen Seiten aktuelle Veröffentlichungen. Wenn ich noch zwei oder drei weitere Leben hätte, dann wäre hier jeden Tag eine Lobpreisung aktueller Erscheinungen zu lesen. Aber dafür gibt es wesentlich berufenere Kolleg:innen, die das mit Leidenschaft und Kenntnis machen, diesen überlasse ich normalerweise gerne das Feld.

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Bei Shoko Kuroes neuer CD ist das allerdings anders, denn die Entstehungsgeschichte dieser CD ist eng mit diesem Blog verbunden. Shoko ist eine hervorragende Pianistin mit japanischen Wurzeln, die in Hamburg lebt, und schon seit vielen Jahren diesen Blog (seit der Debatte um die #metoo-Vorfälle an der Münchener Musikhochschule) mit klugen Kommentaren und Einwürfen begleitet.

Jan Müller-Wieland wiederum ist mein lieber Kollege an der Münchener Musikhochschule und war einer der ganz wenigen, auf dessen moralische Integrität und Unbestechlichkeit man sich in den damaligen Jahren der vielen Gerichtsprozesse und diversen Skandale rundum verlassen konnte.

Shoko Kuroe hat nun eine CD mit Klaviermusik von Müller-Wieland aufgenommen, die eng mit dieser Geschichte verbunden ist. Wer das erste Stück auf der CD – das hochvirtuose und verrückte „Trauma und Rückgrat“ (dedicated to the #metoo movement) – anhört, wird viele Bezüge zu den Münchner Geschehnissen finden, die hier musikalisch hochintelligent verarbeitet wurden (soweit dies bei diesem schwierigen Thema möglich ist). Das ist nicht nur für Insider interessant, aber wenn man die Hintergründe kennt, sind Sätze wie „II: Flur- und Buschfunk“ und „III Schockstarre“ besonders eindringlich, da sie die Atmosphäre, die damals herrschte, in Töne fassen. Es ist vielleicht das erste Mal, dass eine Musikhochschule, Machtmissbrauch und ein Präsidentenzimmer zum Thema einer Komposition wurden.

Shoko Kuroe erweist sich als intelligente Interpretin, die plakative Übertreibungen vermeidet und sich mit viel Aufmerksamkeit und technischer Brillianz den Zwischentönen der Partitur widmet. Sie war übrigens auch diejenige, die in einer sarkastischen Aktion die Kompositionen der sogenannten „Festschrift“ der Bayerischen Akademie der Schönen Künste eingespielt hat, als Frau sich mit den Betroffenen solidarisierend, die hier keine Stimme bekamen, da sonst die Feierlichkeiten gestört gewesen wären. Dass „Trauma und Rückgrat“ kein Betroffenheitskitsch geworden ist, sondern eher eine Form von bitterer Ironie und Trotzigkeit postuliert, die an die Musik von Erik Satie gemahnt, ist eine große Qualität der Komposition von Jan Müller-Wieland.

Hieran ästhetisch anschließend und dennoch früher entstanden, sind die beiden „Capriccetti“-Zyklen, die in den Jahren 1987-2017 komponiert wurden. Hier hört man deutlich den Einfluss von Ligetis Etüden auf den jungen Studenten, aber der Meister wird nicht imitiert, sondern den Zentrifugalkräften jugendlichen Überschwangs ausgesetzt. Müller-Wielands Tonsprache ist ziemlich unverwechselbar – wild, oft in Clusterorgien schwelgend, dann wieder zerbrechlich und immer ein wenig seltsam (was ich als Kompliment meine). Auch für diese Stücke ist Shoko Kuroe eine perfekte Interpretin.

Diese CD empfehle ich also sehr gerne – nicht als Zeitdokument, sondern als Beispiel dafür, dass sich lebendige künstlerische Auseinandersetzung auch für Themen lohnt, denen normalerweise keine musikalische Aufmerksamkeit zuteil wird (obwohl sie sehr viel mit unserem musikalischen Leben zu tun haben).

 

Moritz Eggert

 

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