Herr der Sprache
Entschuldigung, dass ich mich heute gleich mehrfach mit so „Alltagsthemen“ melde!
Ein Letztes für heute!
Es ist ja schon klargeworden, in was für einer Zeit wir leben. Wir haben es tatsächlich zugelassen, dass vor ungefähr 20 Jahren Bildung komplett anheimgegeben wurde. Die Liebe zur Bildung, zum Wissen – vielleicht auch die Möglichkeiten von guten Journalismus (der eben bezahlt werden will). Stattdessen schauen unsere Jugendlichen tatsächlich dabei zu, wie sich Hackfressen in Dubai Tierversuchs-Kosmetik-Pampe ins Gesicht „baken“ (so nennen die das!), derweil aber auch wirklich nichts Sinnvolles aus diesen aufgespritzt-billigbockwurst-umrandeten Sprachlöchern bollert. Letztes Wochenende zeigte mir eine Verwandte eine ehemalige Freundin von ihr, die in einer Instagram-Story aus ihrem (offenbar eigentlich sehr traurigen) Leben erzählte. In Bildern, natürlich. Da ist alles in einem Zimmer ganz „mädchenhaft“ eingerichtet. In weiß-rosanem Ikea-Schein der Komplett-Verblödung. Man suhlt sich 24/7 in einem Wellness-Hotel des Obergrauens. Sorgt sich (angeblich) um sich, käst sich die Mauken mit Aloe-Vera-Paste ein, lässt sich von Billigkräften massieren – und tut dann zum Tagesabschluss noch so, als würde man ein Buch lesen. (Ich wiederhole: ein Buch). Blöd nur, dass die Besagte in dem entsprechenden „Insta“-Video das Buch falsch herum hält.
Mit der Total-Aufgabe von Bildung geht natürlich einher, dass Sprache komplett egal geworden ist. Auch in „unserer“ Musikszene (die ja abscheulicher nicht sein könnte als aktuell) darf jede und jeder über sich und andere behaupten, was sie oder er will. „Mit ihrem strahlenden Sopran gehört sie zu den gefragtesten Künstlerinnen ihrer Generation.“ (Blöd nur: Ich habe „ihren“ Namen noch nie gehört. Aber okay, mich – als „gefragtester“ Bad-Blog-Autor nach Moritz Eggert und Alexander Strauch – fragt halt auch niemand.)
Eigentlich bin ich der Ansicht, dass Sprache fast alles vermag. Manchmal grüble ich minutenlang über eine Formulierung, nur, weil ich ein bestimmtes Gefühl, eine Erinnerung oder dergleich in Worten für mich möglichst adäquat ausdrücken will. Das ist eigentlich sehr normal. Früher war das Ziel und Praxis von vielen. Aber irgendwie komme ich mir selbst zunehmend einsam vor – in einer (westlichen) Welt voller Komplett-Trottel, die für ihr Nichts-Können auch noch ausgiebig gefeiert werden müssen.
Ich muss jetzt aber auch los. Ich will noch ein bisschen detoxen im Gym …
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.