Agentur und Lektorat
Ich glaube, ich gehöre zu dieser Sorte von Mensch, der mit dem Alter immer milder und friedlicher wird. Ich möchte nämlich nicht als älterer Herr irgendwann schimpfend und grollend mit meinem Rollator auf der Veranda sitzen und Leute beschimpfen, die zu dicht an meiner Hecke vorbeispazieren.
Trotzdem grüble ich manchmal darüber nach, warum manche Dinge so sind, wie sie sind. Also: innerhalb der Musikwelt. Und ich denke darüber nach, wie man trotzdem ein Menschenfreund bleiben kann. Und wo Wohlwollen, Toleranz und Freundlichkeit aufzuhören hat.
Ich habe beruflich viel mit Musik-Agenturen zu tun. Also mit Leuten, die Musikerinnen und Musiker vertreten. Und viele von denen machen hervorragende Arbeit. Letztes Jahr ist es mir allerdings einmal etwas passiert, das einen wiederum grübeln lässt: „Du hattest diese eine Aufgabe. Was war so schwer daran, einfach diese eine Aufgabe korrekt zu erfüllen?“ Auf einem Musikfestival hatte ich die Agentur gefragt, wie lang denn die Vorstellung sei, die ich mir anzuschauen hatte. Ein Mitarbeiter versicherte mir, dass ich auf jeden Fall noch meinen letzten ICE zurück nach Hause bekommen würde. Es gab bei der Aufführung irgendeine technische Herausforderung. Also bat ich sehr freundlich darum, zu erfragen, ob diese Änderung im Ablauf sich auf die Aufführungsdauer auswirken würde. Doch statt den Dirigenten zu fragen, wie lange die Aufführung nun gehen würde, unterhielt sich der besagte Agentur-Mitarbeiter mit dem besagten Dirigenten über … Ja, weiß ich nicht. Vermutlich über Händel oder Mozart. Keine Ahnung. Jedenfalls lachte man in der Pause über irgendetwas. So viel konnte ich von Ferne beobachten. Und, nein, so versicherte man mir dann nochmals, den letzten ICE zu erwischen, das sei auf jeden Fall gesichert. Nun ja. War es nicht. Ich musste eine Nacht extra in dieser Stadt bleiben. Und freilich: Das ist nicht die größte Katastrophe. Nur habe ich mit Agenturen schon viele andere Erfahrungen gemacht, bei denen Probleme und Herausforderungen im Grunde völlig unnötig neu erzeugt wurden. Auch habe ich noch nie (!) eine fehlerfreie Künstlerinnen- oder Künstler-Biographie von einer Agentur bekommen. Noch nie. Gut, man soll ja auch kein Rechtschreib-Shaming mehr betreiben. Entschuldigung also.
Ähnliches widerfuhr mir vor einiger Zeit in Zusammenarbeit mit einer Lektorin. Lektorinnen und Lektoren sind ja in der Regel mindestens auch dazu da, Fehler in Texten zu finden, anzustreichen, um hernach Verbesserungsvorschläge zu machen. Die besagte Lektorin aber gefiel sich darin, meine (nicht so schlechten) Texte nicht nur inkompetent zu kommentieren, sondern beispielsweise alle (!) Anführungsstriche herauszukürzen. Vorher hatte sie – so viel sei ihr zugutegehalten – irgendwo mal angemerkt, dass sie ja der Meinung sei, Anführungsstriche würden „den Textfluss unterbrechen“. Nun ja.
In jedem Fall strich die besagte Kollegin alle Anführungszeichen – auch an solchen Stellen, an denen beispielsweise politisch tendenziöse Begrifflichkeiten verwendet wurden. Also Begriffe, die unbedingt zwei Anführungszeichen benötigen. Weil ich sonst in den Verdacht gekommen wäre, ich würde dieses oder jenes ernsthaft so meinen (und auch noch schreiben!). Dabei blieb es aber nicht. Die Lektorin „korrigierte“ noch ganz andere Sachen. Vor allem auch inhaltlich. Sie strich ganze Absätze, so, dass die folgenden Sätze völlig stumpf und sinnentleert in der Gegend herumstanden. Da es sich um einen sehr umfangreichen Text handelte, war ich nicht so amused. Wie man sich denken kann. Nein, es war haarsträubend. Und es hat den Arbeitsprozess um etwa 50 Stunden insgesamt (ich übertreibe nicht) verlängert.
Und deshalb: Augen auf bei der Berufswahl!
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.