Harte finanzielle Realitäten für Utopia: Teodor Currentzis in Salzburg 2023

Symbolbild für das Chaos um Currentzis - feinste Eierspeise versus brutistische Würstel, hier im Cafehaus statt auf den Salzburger Festspielen

Im ersten Teil der „Indian Queen“ letzten Mittwoch in der Salzburger Felsenreitschule der diesjährigen Sommerfestspiele mit Teodor Currentzis und seinem Utopia Orchester und Chor saß eine Dame neben mir, die sich im kurzen, freundlichen Gespräch vor dem Konzertbeginn sich als ausgemachter Fan des Dirigenten zeigte und bereits viele Auftritte von ihm und seinen Ensembles miterlebt hatte. Bemerkenswert war der sinngemäße Satz, dass mit Utopia hier nun ein ganz neues Ensemble säße, da sein russisches Ensemble Musicaeterna nicht mehr eingeladen würde. Sie schien nicht registriert zu haben, dass an diesem Abend, in diesem Moment annähernd vierzig Personen auf der Bühne Mitglieder wie Gäste von Musicaeterna sitzen. Das zeigt, dass die Schweige-PR selbst bei manchen Langzeit-Fans aufzugehen scheint, dass Utopia Orchester und Chor mit Musicaeterna nichts zu tun habe. Bei den mit über 100 Personen besetzten ersten beiden Projekten von Utopia im Herbst 2022 und Frühsommer 2023 wirkten in Relation weniger Musicaeterna-Mitglieder mit.

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Symbolbild für das Chaos um Currentzis – feinste Eierspeise versus brutistische Würstel, hier im Cafehaus statt auf den Salzburger Festspielen

Mit der „Indian Queen“ frei nach Henry Purcell brauchte es nur ca. 60 Mitwirkende und dazu ausgewiesene Expert:innen der historisch informierten Aufführungspraxis. Und nachdem es eine Neuauflage einer Musicaeterna-Produktion aus den frühen Zehnerjahren ist, scheint der Rückgriff auf bewährte Mitstreiter:innen sinnvoll, ganz klar auch mit vielen neuen Gesichtern gemischt. Doch geht hier das Verschweigen von Musicaeterna als Kern von Utopia voll auf, so wie Currentzis eine zeitlang nur Utopia-Termine auf seiner Webseite nannte, nun nennt er dort auch wieder Auftritte mit dem SWR-Sinfonieorchester, aber nicht die mit Musicaeterna, wobei der Presse-Emailkontakt wiederum ganz klar auf Musicaeterna verweist.

Das mag Chaos sein, das passt aber in das Bild der Indifferenz: ein neues Orchester, laut Eigenangabe nur mit westlichen Sponsorengeldern und Eintritten finanziert. Der Hauptsponsor ist wieder die DM Privatstiftung – das ist nicht die D & M Stiftung. Hier handelt es sich um die Dietrich Mateschitz Privatstiftung, die erst am 1. August 2022 zu ihrem heutigen Namen kam. 2017 gegründet hieß sie nach Recherchen des Kurier zuerst Quo Vadis Veritas-Stiftung, um Addendum zu fördern, eine Presseplattform laut Süddeutsche Zeitung für das rechtspopulistische Spektrum. Zwar ist der Stifter nun verstorben, doch wird der „linke Anarchist“ Currentzis, wie ihn manche Freunde und Kenner einordnen, durch rechtspopulistisch gefärbtes Stiftungsgeld gefördert. Wer die anderen Stiftungen bzw. Geldgeber von Utopia sind, wird auf Currentzis’ Webseite nicht genannt als Webseite auch für das neue Ensemble.

Die erste Aufführung der „Indian Queen“ am Montag letzter Woche wurde von der Musikkritik meist begeistert besprochen, nur die FAZ, die NZZ, die Abendzeitung und Financial Times waren neutraler oder sogar sehr kritisch, die Süddeutsche Zeitung titelte gar „Der Auserwählte“. Allen Montagsberichterstattenden entging, dass der russische Botschafter aus Wien angereist war. Ausgerechnet die Kronen-Zeitung wusste zumindest von dem Gerücht und Profil24 griff das dann auf. Nach den Informationen letzterer zahlte der Botschafter die Karten auf eigene Rechnung. Switcht man nach 2019 zurück, waren die Salzburger Festspiele ganz aus dem Häuschen, einen Vertrag mit Gazprom abzuschliessen und für 2020 plante man sogar den Besuch des russischen Präsidenten. Daraus wurde Dank der Corona-Epidemie nichts mehr. Doch 2022 verteidigte man dann noch trotz des russischen Krieges gegen die Ukraine die Förderung der VAC-Stiftung des russischen Oligarchen Leonid Mikhelson für das Bartok/Orff-Projekt mit Castellucci und Currentzis, da der Oligarch auf keiner Sanktionsliste der EU stünde. Da hatte man allerdings geflissentlich übersehen, dass beim sanktionierten Ex-CEO von Sibur, eine Firma, bei der Mikhelson und Putin-Freund Gennadi Timchenko die Mehrheitsaktien hielten, auf der EU-Liste deutlich ihre Namen als sinngemäß „henchmen of Putin“, als Putins Handlanger stehen. 2020 kam Putin nicht mehr, aber 2023 sein Botschafter bzw. machte die russische Botschaft den Besuch publik und damit zu einer offiziellen Angelegenheit: nach diplomatischen Usancen ist ein offiziell Anwesender Botschafter so anzusehen, als sei das Staatsoberhaupt seines entsendenden Staates persönlich anwesend, also als sei Putin persönlich am Montag im Saal anwesend gewesen.

Direkt anlasten kann man das Teodor Currentzis, Grieche mit russischer Staatsbürgerschaft, nicht. Doch zeigt dies, wie verbunden seine künstlerische und geschäftliche Existenz noch mit Russland ist, auch wenn er derzeit Musicaeterna-Auftritte nicht auf seiner Webseite nennt. Seine Verteidiger führen immer an, dass er Russland als durch und durch korrupt bezeichnete und dass er sich öffentlich für den damals inhaftierten und mit ihm befreundeten Regisseur Kirill Serebrennikov einsetzte. Macht ihn das aber zum Gegner des russischen Regimes? Interessant ist z.B. das Statement des Musicaeterna/Dom Radio-Stipendiaten Andreas Moustoukis, ein griechischsprachiger Komponist aus Zypern, der von Currentzis immer wieder gefördert und gespielt wird: der verurteilte durch und durch entsetzt auf social media die Verhaftung von Serebrennikov, fügte aber ein „no matter how I adore Russia and I agree to its international Renaissance“ und postete Anfang Februar 2022 dann eine russische Fahne in seinem Profil. Man kann also zugleich vor allem gegen eine ungerechte Behandlung von Künstler:innen in Russland sein, andererseits aber selbst am Vorabend des sich abzeichnenden Krieges gegen die Ukraine sich solidarisch mit einem wie auch immer gearteten eigenen Begriff eines Meta-Russlands zeigen. Das ist keine Äußerung von Currentzis, ganz klar! Doch zeigt dies, wie Teile seines Umfeldes denken.

Am Vorabend der ersten Aufführung letzten Montag erhielt ich Hinweise von Leuten, die einmal mit Musicaeterna zu tun gehabt hatten, dass doch viele Musicaeterna-Mitglieder, als solche nicht benannt, mitwirken würden. Nach dem Konzert erhielt ich Einblick in die Liste der Utopia-Mitwirkenden. Dabei fiel mir ein Namen eines tiefen Blechbläsers auf, der zuvor einmal als likende Person mit etlichen anderen von Musicaeterna auf dem Vkontakte-Profil des Donbass-Lied-Tenors aufgefallen war. Der Tenor hatte dieses Lied im November 2022 vor/während der Verdi-Requiem Tournee von Musicaeterna in Deutschland veröffentlicht hatte und Anfang Mai posierte er für eine Show im Soldatenkostüm mit den Händen ein „Z“ zeigend, dem Zeichen, mit dem Russland seinen Krieg propagandistisch bewirbt, das im Westen teilweise nicht erlaubt ist. Das eben gefiel diesem Blechbläser. So ging man davon aus, dass er nun mit Utopia in Salzburg wäre. Es stellte sich aber heraus, dass man wohl die Aufregung dazu auf social media in Russland oder in Berlin bei Utopia mitgelesen hatte? Der Blechbläser zeigte sich am Montag als Besucher eines Musikclubs in St. Petersburg und forderte seine Leute auf, auch am Sonntag, einem Tag vor der in Salzburg angesetzten C-Moll Messe Mozarts, die auf alle Fälle Posaunen im Gegensatz zur „Indian Queen“ benötigt, in diesen Club zu kommen. So scheint er wohl daheim gelassen worden zu sein? Denkste! Am Samstag stellte sich nun heraus, dass er doch in Salzburg bei Utopia mitwirkt: er wurde auf einem Probenfoto gesichtet. Musste im November 2022 ein Geiger von Musicaeterna wegen Äußerungen Pro-Russland auf social media in Baden-Baden pausieren, läßt man so etwas in Salzburg 2023 nun zu?

In Perm Anfang Juli posierte Currentzis dagegen noch mit einem anderen prorussischen Trompeter von Musicaeterna, der im Oktober 2022 bei Utopia dabei war. Warum tut er das? Vielleicht hilft uns der Corriere Della Sera weiter, dem Currentzis Mitte Juli ein Interview gab. Zur Funktion von Musik befragt, gab er folgende interessante Antwort in Hinblick auf unterschiedliche Meinungen – wozu diese Meinungen divergieren könnten, sagte er nicht: „Our mission is to bring people together, make them meet, even if they have different opinions. We must also love people who have different opinions from ours. This is the message we convey through music. Not only in the current period, but always. Music is something sacred, and inside the temple of music, we are all equal, no matter what happens.“

Geht es um musikalische Meinungen, dann ist das vollkommen okay. Geht es um unterschiedliche Meinungen zum russischen Krieg gegen die Ukraine, dann ist das ziemlich unbeachtlich. Damit spricht er sein eigenes Schweigen zum Krieg aus opportunistischen Gründen, um nicht seine Projekte in Russland zu gefährden, heilig. Es stimmt: Currentzis sagte nie etwas zur russischen Aussenpolitik. Und man kann davon ausgehen, dass er innerlich Probleme mit dieser Aussenpolitik hat. Allerdings baute er sein Russlandgeschäft ausgerechnet mitten im Krieg aus: er gründete zu den bestehenden Musicaeterna-Sparten zwei weitere, er begann seine jährlichen Gazprom-Touren, die Sponsorenliste zum Diaghilevfestival 2023 ist viel länger als die für Musicaeterna und enthält noch mehr problematische Geldgeber.

Dazu kommt die PR des Schweigens, der Indifferenz, des Weglassens auf der Homepage, des Nicht-Erwähnens von Projekten, die er entweder erst mit dem SWR-Sinfonieorchester durchführt wie im Mai ein Wagner-Programm mit einer Uraufführung von Alexey Retinsky, das er exakt drei Wochen später mit Musicaeterna in Perm wiederholt, wozu der SWR oder eben seine Webseite damals nichts hergab, da die SWR und Musicaeterna-Termine heruntergenommen waren. Oder jetzt im September: zuerst ist Schostakowitschs „Babi Jar“-Sinfonie in St. Petersburg und Moskau Anfang des Monats mit Musicaeterna angesetzt und zeitweise wurde der für die SWR-Tour angekündigte problematische Bass Alexey Tikhomirov auch für die Russland-Auftritte angekündigt. Nun kündigt ihn Musicaeterna und die Homepage von Currentzis Stand heute nicht mehr an, aber immer noch der SWR-Konzertkalender.

Dafür tritt in Russland zum Musicaeterna-Männerstimmenchor der Yurlov Russian State Academic Choir und der Sveshnikov State Academic Russian Choir, beide Gastchöre leitet bei deren eigenen Auftritten Gennadi Dmytrak, der mit dem Sveshnikov State Academic Russian Choir im März 2022 in Kaliningrad dezidiert den russischen Truppen in der Ukraine sich widmete: „Das Publikum lauschte im Stehen dem Lied ,Wir brauchen einen Sieg’ von Bulat Akudzhava. Das Lied wurde zur Unterstützung der Teilnahme der russischen Armee an der Militäroperation in der Ukraine gesungen.“ Wie man es dreht und wendet: intern im eigenem Ensemble Musicaeterna prorussische Mitglieder, extern prorussische Kooperationspartner, staatseigene Banken als Sponsoren – Großprojekte sind nur so in Russland derzeit möglich. Dafür schweigt man, aber damit eben auch für das gute Gedeihen von den Mitgliedern, die im Gegensatz zum stummen Dirigenten ziemlich laut ihre prorussische Haltung kundtun, auch wenn sie damit dann nicht mehr in den Westen so häufig wie früher oder eben gar nicht mehr reisen können.

Da kann die Aufführung am Mittwoch der „Indian Queen“ noch so schön gewesen sein. Denn das Pasticchio aus dem Fragment Purcells und anderer Chorwerke des Briten, eben 2012 schon von Currentzis und Peter Sellars für das Teatro Real in Madrid produziert, damals noch von Gerard Mortier geleitet, wurde von den Sänger:innen und Musiker:innen in schönster Weise dargeboten. Stirbt in „Dido and Aeneas“ jemand, dann ist das mit Lamento, Tod und Abgesang abgehandelt. Hier kam auf ein Lamento noch ein traurigeres, dann der Tod, die Trauer der einen, der anderen, die Aussegnung, die Beerdigung, noch mehr Gedenken. Oder auf ein vierfaches Piano folgte ein fünffaches. Oder auf den seufzend durch Amira Casar vorgetragenen Text von Rosario Aguilar folgt eine noch seufzendere Passage.

Seltsam simpel mit Gran Cassa Wirbeln wirkte die musikalische Begleitung dazu – trat die ostmediterrane Lyra dazu, war es hart am Kitsch vorbei. Wenn man das Video der szenischen Madrider Version mit der hier nun konzertanten Fassung vergleicht, fehlen musikelektronische Zwischenpassagen, die ansprechender als das Gewirbel wären. Zwar gestaltete Sellars eine eigene, minimalistische, ausdrucksvolle und wirkungsvolle Personenregie und Beleuchtung ohne Bühnenbild für diese Konzertaufführungen. Doch stand auch hierbei vor allem Currentzis selbst im Mittelpunkt: weil wohl Video-Monitore für die vor dem Orchester und Chor, die ein paar Meter von der Bühnenkante nach hinten versetzt sassen, agierenden Solist:innen fehlten, musste Currentzis oft schräg vom Bühnenrand dirigieren. Dabei setzte er sich effektvoll ins weiße oder rote Licht, so dass er wie ein schwarzer Vampir wirkte. Zudem stand er so nahe an den Sänger:innen, schnaufte und deklamierte leise, aber deutlich hörbar mit, dirigierte manchmal jeden Gesangstriller mit, mit den Fingern fast in der Nase der Sänger:innen, stampfte mal wieder auf, wo kein Instrument ganz krasse Akzente hatte, so dass das vielleicht manche verzauberte, aber doch zeigte, dass Currentzis im Gegensatz zu den Freiräumen der Barockmusik diese total kontrollieren wollte. Das war agogisch und dynamisch im Ergebnis faszinierend, doch hatte es auch was von Chorleitung, drittes Semester, so sehr der Chor auch exakt und leise wie kraftvoll sang.

So wie sich das Stück um die sich verzehrende Liebe der Indianer-Prinzessin zu einem brutalen Conquistador drehte, so kam das weniger als etwas altbackener Feminismus daher, als vielmehr eine Metapher auf Currentzis selbst: er brennt für Russland, das ihn ernährt und sich von ihm verwöhnen läßt wie der Spanier von der Eingeborenen. Mancher mag darin was postkoloniales sehen, wobei sich gerade Russland international so gibt, als würde man z.B. Afrika mit russischen Gratis-Getreidelieferungen vom Westen dekolonisieren. So passt man sich diesem Russland als Dirigent sogar vielmehr an als die von Putin in Sachen Getreide akut abhängigen afrikanischen Staaten. Die könnten sich lösen. Doch Currentzis kann dies warum auch immer nicht und bleibt dort gefangen wie die Indian Queen in ihrer vom Eroberer missachteten totalen Liebe? Immerhin versucht die Ukraine sich genau vor diesen Fängen Russlands zu bewahren.

Currentzis und Utopia beim Schlussapplaus zur Indian Queen

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