Jugend- und Amateurorchester – meine schlimmsten Erlebnisse
Jugend- und Amateurorchester – meine schlimmsten Erlebnisse
Es sind nun bald 35 Jahre her, dass ich in Münchner Jugendorchestern als jugendlicher Cellist mitwirkte. Motor dessen war eine exotisch-toxische Mischung aus Würmtal-Anthroposophie, Alte-Musik-Orthodoxie, Alt-68er und Körndlfresser:innen. Im Bereich zwischen Starnberg, München-Pasing und Fürstenfeldbruck feierten darin manche schräge Vögelmänner und Vögeldamen herrliche Urständ. Ich wollte irgendwann dem Jugendorchester eines netten und sehr guten spanischen Dirigenten beitreten. Doch war das damals noch zu früh. So landete ich in einer Neugründung eines anderen Celibidache-Jüngers. Wie er hieß? Ich nenne ihn mal Celtis zu Andernach. Zuerst war das eine frische Runde aus begeisterten Jugendlichen und Eltern. Doch schon sehr bald gab es Anzeichen einer ersten Erstarrung. In der Cello-Gruppe wirkten sehr elanvolle Leute mit. Doch die Konzertmeisterin-Position hielt beständig ein doch schon älteres Mädchen, deutlich Ü18, das sich vor allem durch strenggläubige Treue zum Leiter mit ihren strenggeflochtenen beinlangen Haaren auszeichnete – manche Person von den hinteren Pulten spielt heute als Solist oder in A-Orchestern. Rückblickend zeigt dies, dass es hier v.a. um Ideologie des „Maestro“ Andernach ging, nicht um Können oder Förderung auch der Begabtesten. Es ging um Hierarchie.
Glücklicherweise interessierte mich das gar nicht, wobei ich schon auch ein fieser Mitspielender war: ich unterhielt mich mit meinem Nachbarn und witzelte sogar ständig mitten im Spielen. Die reine Lehre des Abkadenzierens war oftmals auch zu öde und irgendein Blödsinn immer wichtiger. Herr zu Andernach explodierte darüber manchmal, doch konnte er nicht viel auszusetzen finden, wir waren eine starke Truppe. Er hatte irgendwann die Idee, dass alle Celli im Karneval der Tiere den Schwan zusammen spielen sollten. Vielleicht wollte er nett sein. Wir spielten ihn dann manchmal in Quinten und Terzen wie Tritoni versetzt, so dass eine wunderbare Mixtur entstand. Das gefiel ihm gar nicht und es gab wieder Wutausbrüche. Das Ende nahte so unaufhaltsam. Immerhin schweißte uns das zusammen und das todesmutige Quartett der Cellogruppe ging dann auf der Fußgängerzone musizieren. Trotz öffentlichen Übens, wie gesagt, wir waren frech, faul und respektlos, klang es so gut, dass wir durchaus 300 bis 400 Mark an manchen Wochenenden mit unserem Quinten-Schwan und anderem kassierten. Das Ende… Die Würmtal-Anthroposophen als Förderer dieses Orchesterprojekts verfrachteten uns irgendwann nicht in die üblichen Übestätten wie Agatharied oder Burg Schwaneck.
Sie „ermöglichten“ uns einen Aufenthalt in Haus „Friedensreich“ einer Theosophen-Sekte zwischen Herrsching und Starnberg – natürlich heißt dieser Ort anders. Wir Jugendliche kamen uns bereits beim Abendessen zu Beginn des Wochenendes wie auf Besuch im christlichen Altersheim vor. Wir mussten uns an den Händen nehmen und „Wir danken“ gemeinsam sagen. Das Flechtwerk-Mädel ging hier voll auf und war in ihrem Element, predigte uns etwas über all die Kerndl zum Frühstück, wo wir nach Wurst und Nutella fragten. Wir Cello-Jungs seilten uns ab und spielten dann abends vor allem Strip-Poker, ja, ohne Mädels. Das sickerte an die Ohren des Dirigenten durch. Es gab mal wieder einen Wutausbruch, die Cello-Gruppe von uns Jungens verließen dann baldmöglichst dieses Jugendorchester.
Es verschlug mich dann zeitweise nach Fürstenfeldbruck. Dort hatte sich ein Chor und ein Orchester dem Barock verschrieben, damals noch ganz romantisch Karli-Richter-haft. Der Dirigent, den ich mal Hansi Brückenmüller nenne, hielt sich wohl auch für eine Reinkarnation Bachs. Oder Richters. Der Chor war riesengroß. Nicht ganz so groß wie das british beef des Londoner Gay Men Chorus, wo ich mal um die Tragfähigkeit Parise Boulevard-Holzbühnen bei sage und schreibe knapp 200 gym-grestählten bangen durfte. Aber immer noch riesengroß. Es war die größte Quintenschleuder im Münchner Westen, wenn es an Koloraturen ging. Und Hansi B. drosch auf den Chor ein wie der Mühlenmeister in Krabat auf manche Mähre, natürlich nur bildlich. So litt vieles und wurde auch mit Wutausbrüchen nicht besser. Aber leider auch nicht mit Proben. Das Orchester wiederum hing an den ersten Pulten, an diesen seit Jahrzehnten dabei, ganz besonders an den karierten Hemdsärmeln und ausgefransten Wolljäckchen des „Chefs“. Auch hier konnte man sich wunderbar im Spiel mit dem Nachbarn unterhalten, da sagte niemand mehr was. Wir waren als Jugendliche wohl auch sowas wie „Hoffnung“ für den Weiterbestand. Nun, es besteht sogar ziemlich gebessert heute noch. In jenem Mitspieljahr näherte sich dann der Höhepunkt, eine Aufführung von Bachs h-Moll-Messe.
Das Laienstreichermeer und der semiprofessionelle Oboen-, Fagotte- und Flötenfels waberten ganz anständig, aber durchvibriert auf der letzten 32tel-Note. Endlich dann 3 Trompeten, Solohorn und Pauken zur Aufführung. Auch meine damalige Würmtal-Cellolehrerin. Sie sprach danach 4 Wochen kein nettes Wort mehr mit mir. Dazu später. Denn es passierte das schlimmste Orchestereinsatzerlebnis, das ich je hatte. Der riesengroße Chor litt an seiner Größe und sank im Cruzifixus beständig. Das bekamen die Treuepunkte-Pulte des Dirigenten vorne mit. Und gaben den Ukas aus: „alles einen Halbton tiefer“. Also Des-Dur statt D-Dur. Das bekamen aber nicht alle mit. Bei uns kam „Es-Dur“ an. So kam es zu einem „Et resurrexit“ in Es-, D- und Des-Dur. Die Blechbläser blieben bei D, klar, was soll auch das Laiengeschwätz der Treuepunkte-Fraktion und Lippenlesenden des Maestros?
Es war schlimm. Und ich dachte, dass dies der Hauptgrund für die rabiate Reaktion meiner Lehrerin war. Aber nein, da war sie längstens gegangen. Das schlimme 32tel-Dauervibrato, das war der Grund. So stieg ich dann aus dem Orchester aus und büßte mit leere Saiten-Streichen die nächsten vier Wochenstunden.
Komponist*in