Salzburger Festspiele: Nicht nur Banken, auch progressive Russische Stiftungen sind fragwürdig für Kulturförderung im Westen

Screenshot der geplanten Ankündigung der Bartok-Orff Produktion mit Teodor Currentzis und musicaEterna-Chor

Die diesjährigen Salzburger Festspiele planen zwischen 26. Juli und 20. August 2022 als Doppelabend „Herzog Blaubart“ von Bela Bartok und „De Temporum Fine Comoedia“ von Carl Orff sechs Mal aufzuführen. Das wäre eines der großen Pfünde der Sommerfestspiele. Dirigieren soll der griechischstämmige, russische Teodor Currentzis. Romeo Castellucci ist als Regisseur vorgesehen, es soll das Gustav Mahler Jugendorchester spielen und neben lokalen Kräften der musicaEterna Chor von Teodor Currentzis singen. Damit ist es schon eine äußerst hybride Konstellation. Förderer des Konzertes sollen die Carl-Orff-Stiftung aus Bayern und das Moskauer GES-2 House of Culture sein. Die Beschäftigung von Currentzis und musicaEterna wird in diesem Kontext schon kritisch betrachtet, wird musicaEterna in Sankt Petersburg doch von der russischen, kremlnahen VTB Bank als Generalpartner im DOM-Radio (das historische St. Petersburger Radiohaus) gefördert. GES-2 wiederum ist die Moskauer Dependance der V-A-C Foundation des russischen Milliardärs Leonid Mikhelson. Und damit beginnen womöglich weitere Probleme über die Fragen zur VTB Bank hinaus.

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Anfang Dezember 2021 wurde das GES-2 House of Culture in Moskau eröffnet. Die alte Industriehalle wurde von Renzo Piano neu gestaltet, in lichtes, beeindruckendes Weiß getaucht und liegt nur wenige Meter vom Kreml entfernt auf der anderen Seite des Flusses Moskwa. Es soll mehr als ein Museum sein, ein Ort der Begegnung und Produktion von Künsten etlicher Sparten, von Bildender Kunst bis Musik – so gibt es auch einen für Konzerte geeigneten Saal – , um russische mit internationaler Kunst in Austausch zu bringen. Getragen wird das Projekt von der V-A-C Foundation. Diese selbst wurde 2009 durch Leonid Mikhelson gegründet. Die Stiftung soll russische zeitgenössische Kunst fördern und diese auch ins Ausland tragen. Im Bereich der Musik förderte sie 2021 zum Beispiel die Don Giovanni Produktion der Salzburger Festspiele mit Teodor Currentzis, Romeo Castellucci und musicaEterna.

Leonid Mikhelson ist der CEO von Novatek, des größten privaten Gas-Unternehmens und der reichste Mann Russlands. Um sein Unternehmen in Konkurrenz zum staatlichen Gazprom-Konzern aufbauen zu können, ist sein engster Geschäftspartner der Milliardär Gennady Timchenko, ein enger Freund des russischen Präsidenten Vladimir Putin, der bekanntlich am 24. Februar seinen Angriffskrieg auf die Ukraine begann. Bereits im Zuge der Krim-Annexion wurde 2014 Novatek mit „sektoralen Sanktionen“ durch die USA belegt, die US-Bürger:innen Transaktionen mit dieser Firma, Rosneft und Banken erschwerten bzw. verboten haben. Timchenko schied 2021 aus dem Vorstand von Novatek aus. Dennoch ist er nach wie vor einer der größten Anteilseigner von Novatek. Übrigens hält auch Gazprom laut der englischen Wikipedia Anteile an Novatek.

Die EU und die USA verhängten noch keine Sanktionen gegen die Person Leonid Mikhelson. Kritische Stimmen führen das darauf zurück, dass der Bereich fossiler Brennstoffe derzeit noch zu wichtig für z.B. die EU-Wirtschaft wie auch Deutschland sei, um hier zu sanktionieren. Für ein internationales Festival wie die Salzburger Festspiele dürfte es allerdings schon relevanter sein: Großbritannien und Kanada haben Anfang April 2022 Leonid Mikhelson sanktioniert. Wenn man zahlende Gäste aus diesen beiden Staaten erwartet, könnte es interessant werden. Doch zurück zu Mikhelson.

Ist seine Stiftung trotz der Verwicklung ihres Stifters Mikhelson in die russische, sanktionierte Wirtschaft ein Regime kritisches Unterfangen? Als der Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, rang sich die V-A-C Foundation im Gegensatz zum Beispiel zur Aksenov Familiy Foundation (AFF) zu keinem Statement durch. AFF verurteilte den Krieg auf Instagram und verband das mit Bildern eines im von Russland bombardierten festsitzenden ukrainsichen Bildenden Künstler. Nichts dergleichen seitens V-A-C. Hier sprach man nur von einer Tragödie und man schloss die Dependance Zattere in Venedig bzw. stellte das dortige Jahresprogramm 2022 ein. Und steht immer noch als geplanter Förderer auf den Seiten der Salzburger Festspiele.

Laut Deutscher Welle wurde die Eröffnung im Dezember 2021 bejubelt. Der anwesende Galerist Marat Gelman sagte, „Putin und seine Regierung träumen davon, dass sie die Politik einfrieren und gleichzeitig die Wirtschaft oder die Kunst weiterentwickeln können. Das sieht aus wie Schizophrenie.“ Kurz zuvor hatte Mikhelson Putin das GES-2 höchstselbst gezeigt und Putin spielte wohl auch ein paar Töne auf dem Flügel des Hauses.

Mikhelson gilt nicht als enger Freund Putins wie Timchenko. Allerdings gehörte er zu dem engen Kreis der russischen Wirtschaft, der noch am Tag des Angriffskrieges durch Putin in den Kreml eingeladen wurde und dem inzwischen von Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofes wegen Kriegsverbrechen betroffenen Präsidenten mit anderen Wirtschaftsmagnaten zu den Themen Krieg und die davon betroffene russische Ökonomie zuhörte. Interessant ist zudem, dass Putins Ex-Schwiegersohn Kirill Shamalov, ehemaliger Gatte der Putin-Tochter Katerina Tikhonova, leitend im Vorstand der sibirischen Gas-Dienstleistungsfirma Sibur sitzt, die wiederum seit Oktober 2021 zu 31% Mikhelson gehört und Timchenko seitdem zu 14,45%, zuvor je zu 34 und 17 Prozent – die EU bestand wohl wegen eines weiteren Firmenerwerbs auf diese Reduktion, da es deren Bereich betraf. Der andere Schwiegersohn Putins, Yevgeny Nagorny, Mann der Putin-Tochter Maria Vorontsova ist seinerseits laut englischer Wikipedia Angestellter von Mikhelsons Novatek.

Als der Angriffskrieg begann sass Mikhelson bei Putin. Derweil kündigte der italienische Kurator seiner V-A-C Foundation, Francesco Manacorda. Dem Guardian sagte dieser: „Nach der Invasion fragten eine Menge Leute die Institution (gemeint ist die Foundation) nach einen prominenteren Standpunkt, wie andere Institutionen schrieben offene Briefe an GES-2 und andere Museen, dass sie etwas sagen sollten.“ Aber man sagte nichts. Manacorda: „Es wäre eine Bedrohung ihrer eigenen Existenz“, die der Stiftung. Wäre es dann nicht konsequenter die Stiftung komplett selbst zu schliessen wie letzte verbliebene kritische Presseorgane ihre Dienste wie Doshd und Novaja Gazeta einstellten? Bildende Künstler dagegen waren konsequent: Evgeny Antufinev zog seine Werke aus dem GES-2 zurück und sagte seinerseits dem Guardian: „Es ist nicht die Zeit für zeitgenössische Kunst, wenn Menschen sterben und Blut vergossen wird. Wir können nicht so tun, als ginge das Leben normal weiter.“

Der Stifter wird sanktioniert, der Kurator kündigt, Bildende Künstler ziehen ihre Werke zurück. Und was macht die Musikwelt? Sie sieht GES-2 aka V-A-C Foundation immer noch als Sponsor vor. Und der Pianist des durch Polizisten unterbrochenen Silvestrov-Konzertes Alexei Lyubimow gibt dort am 15.04.2022 ein Mozart- und Chopin-Konzert auf einem Érard-Flügel, extra aus Brüssel angereist. Derweil die Bildende Kunst sich zurückzieht, macht die Musikwelt weiter.

Das wäre die harte Bewertung. Die Frage ist natürlich: was für eine Bedeutung hat es, wenn eine Stiftung wie die V-A-C Foundation ihr Haus nicht schließt und weiterhin möglichst ausstellt, vermittelt und Konzerte sowie Lesungen, Filmabende veranstaltet? Das mag für manche wichtig sein. Allerdings ist sie das Kind eines Mannes, Leonid Mikhelson, der im Wirtschaftssystem Putins weiterhin dicht integriert ist. Ohne sein Geld gäbe es nicht die Stiftung. Selbst Konzerte über den Komponistenverband wären vielleicht unabhängiger, wenn dieser von neutralen Personen geleitet wird, als wenn das eine wohl künstlerisch progressive Stiftung tut, die aber am nationalen Geldhahn der Regime-Wirtschaft hängt, solange Stifter wie dessen Unternehmen mit dem Regime verflochten sind und nun peu à peu durch das Ausland sanktioniert werden.

Wie steht Currentzis dazu? Selbst das in Sachen zögerliche Konzerthaus Wien sowie die ihm beispringende Elbphilharmonie erkennen, dass die Finanzierung durch die VTB Bank auf Dauer beendet werden muss, und zwar komplett, wenn Currentzis und musicaEterna weiterhin im Westen Konzerte geben wollen. Die Probleme mit der V-A-C Foundation werden immer deutlicher, besonders, wenn man Wert darauf legt, auch Gäste aus Großbritannien und Kanada einzuladen und diese nicht brüskieren möchte. Man liest dazu aber auch immer wieder, dass man bisher keine Bereitschaft erkannte, dass musicaEterna nach Westeuropa übersiedeln wollte. Wie sieht es mit Currentzis selbst aus? Ein Klassikpodcast aus Russland berichtete noch vor dem Kriegsbeginn, dass Currentzis eine Wohnung in St. Petersburg erwarb und auf dem selben Stock die für Bildende Künstler vorgesehene Wohnung mit der seinen verbinden wollte. Das ist also auch ein Symbol für die günstigen Produktionsbedingungen, die man in Russland und St. Petersburg vorfindet, wenn Kultur letztlich durch regimenahe Finanziers gefördert wird, von der Wohnung bis zum Probenort, vom Heimspiel bis zum Gastspiel in den prominentesten Sälen Westeuropas und auf den traditionellsten und wichtigsten Festspielen.

Und auch ein Symbol wie die Bildende Kunst Freiräume aufgrund des Krieges aufgibt, förmlich darum bittet, die Musik aber dranbleibt, von der Sensibilität der Bildenden Kunst keine Notiz nimmt und so Propaganda-Material auch im indirekten Wege eines Regimes wie des Putins bleibt. Wie spricht der ukrainische Botschafter in Österreich, auch wenn man aus dem symbolisch-mimetischen Handeln von musicaEterna ausgehen kann, dass sie nicht den Angriffskrieg unterstützt, aber mit dem Schweigen sich doch zumindest im Westen verstrickt: „Currentzis und sein Orchester und Chor sind ein Teil dieses Systems. Die werden von russischem Geld und mit staatlichen Subventionen unterstützt. Herr Currentzis hat sich in keiner Weise vom russischen Regime und dessen furchtbaren Kriegshandlungen distanziert und wird nach wie vor von der staatlichen VTB Bank finanziert, die auf der Sanktionsliste der Europäischen Union steht.“ Liebe Kooperationspartner wie die Festspiele selbst, die lokalen Chöre, die Carl-Orff-Stiftung und das Gustav-Mahler-Jugendorchester? Können Sie nicht Currentzis bei der Findung neuer Sponsoren und bei einem Umzug nach Westeuropa unterstützen oder es ihm und den Seinen nahelegen oder im Falle des Falles nochmals gut nachdenken, ob man nicht wie Serge Dorny agiert und die Sache verschiebt?

Screenshot der geplanten Ankündigung der Bartok-Orff Produktion mit Teodor Currentzis und musicaEterna-Chor

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Eine Antwort

  1. Jan Eustergerling sagt:

    Ich finde den Tenor und die Stossrichtung dieses Artikels (und weiterter des Autors) ziemlich fragwürdig. Das erinnert mich frappierend an die unselige BDS-Bewegung. Die sagt ja auch: alles und jeder, der auch nur mit Israel zu tun hat, dort Auftritt oder sich nicht maximal von der israelischen Politik (und noch besser dem Staat an sich) distanziert, ist mithin mitschuldig an der Situation der Palästinenser in den besetzen Gebieten. Genau so wird hier mit Russland verfahren. Zwar kann der Autor trotz größter Mühe keine verdammenswerte Mittäterschaft von Mikhelson darstellen, aber der blosse Kontakt zu einem Unterstützer Putins reicht schon aus. Kontaktschuld ist aber ein zwielichter Vorwurf und all zu schnell erhoben.
    Solange die Kultur den Krieg nicht feiert oder schmückt, sollten und müssen kulturelle Räume erhalten werden. Und zwar egal, woher das Geld dazu kommt. Die Kultur muss immer die Brücke sein, auch in der Krise. Es ist der Austausch und die Gegenseitige Versicherung, keine Monster zu sein. Kultur und Kunst in der Krise ist – pathetisch gesprochen – die letzte Brücke des Humanismus. Sie darf und sollte nicht eingerissen werden.

    Kein Konzert, keine Ausstellung unterstützt einen Krieg. Das ist ein Irrtum. Denn jede Kunst erfordert Feinsinn, und das ist der Gegensatz zur rohen Gewalt. Die kulturhistorischen Verweise auf solches Ansinnen, Kultur als Waffe oder Kriegsfront zu missbrauchen, erspare ich mir. Es hat nie funktioniert.