Hat der Klassikbetrieb Mut, sich von Putins Netzwerken fernzuhalten?
Jetzt sind alle überrascht, inklusive mir, dass es tatsächlich zum Angriff Russlands auf die Ukraine kommt. Wer jetzt wieder mit Geschichte kommt, die in keinen Verträgen schriftlich fixiert ist und 30 Jahre her, der bedient sich nur Putins Geschichtsstunde, um die Ukraine zu delegitimieren und den Angriff zu legitimieren. Daher ist jetzt entschiedenes, diplomatisches Handeln gefragt. Auch in Sachen Sponsoring und Auftreten von Putin-Fans. Das betrifft Baltic Sea Philharmonic und Nord Stream 2 AG/Gazprom. Das betrifft Valery Gergiev und seine Privatsachen, aka Nähe zu Putin.
Das Orchester Baltic Sea Philharmonic ist im Eigentlichen ein schönes Projekt und verbindet die nordischen Nationen, die sich sonst bisher fundamental über die Nord Stream 2 Pipeline stritten. Bekanntermaßen waren auch Staaten wie Polen, Ukraine oder auch die baltischen Länder und andere EU-Partner nie froh über das russisch-deutsche Projekt. Jetzt greifen voll die US-Sanktionen gegen die Nord Stream 2 AG. Nun hat Deutschland die Inbetriebnahme der Pipeline erst einmal gestoppt. Die AG ist in der Schweiz registriert, der staatliche, Putin-nahe Konzern Gazprom ist der Hauptanteilseigner.
Die Nord Stream 2 AG wird aktuell noch als Hauptsponsor der Baltic Sea Philharmonic geführt. Das Orchester plant im März Konzerte in Antwerpen, Danzig und Berlin. In Belgien und Polen wird zurecht nicht mehr vermittelbar sein, dass diese AG der Hauptfinanzier ist. Letztlich dürfte das einen auch in den Fokus der US-Sanktionen rücken und den Handlungsspielraum noch mehr einschränken. Daher wäre es nun an der Zeit, die AG am besten gestern als übermorgen aus den Büchern zu tilgen. Deshalb wäre es hervorragend, das Land Mecklenburg Vorpommern und die Bundeskulturstaatsministerin, letztere ist die zweitwichtigste Förderin des Orchesters, übernehmen provisorisch heute noch das Hauptsponsoring. Bisher schweigen sich die Kulturnachrichten dazu aus. Bitte, Ministerpräsidentin Schwesig und Ministerin Roth: übernehmen Sie!
Die Tage stellt sich hier in München die Frage, inwiefern Valery Gergiev überhaupt noch in dieser Zeit geeignet ist, weiterhin die Münchner Philharmoniker zu leiten. Es sollten ja Annäherungen zwischen ihm und der LGBTQI-Szene stattfinden. Das Orchester und die Stadt taten das mit schönen Aktivitäten. Gergiev bisher nicht, der für sein Schweigen zu Anti-LGBTQI-Gesetzen seines Freundes Putin in London und München und international heftig kritisiert wurde. Unvergessen auch Gergievs Bei-Fuss-Stehen in den Momenten, als Russland Süd-Ossetien oder Palmyra in Syrien „frei“ bombte, dort auf Bitten oder Befehl des Putin-Regimes sofort Konzerte gab, in Palmyra mit dem Cellisten und Putin-Freund, der hinter dessen Finanz-Netzwerken mutmasslich stehen soll.
Jetzt prescht der Bürgermeister der Stadt Mailand, Beppe Sala, vor und setzt dem Teatro La Scala und Gergiev die Friedenspfeife auf die Brust: entweder Putin-Freund Gergiev ergreift Partei und Solidarität für die ukrainischen Opfer Putins oder er wird für Mitte März sofort ausgeladen. Das ist hart und nicht nett. Das unterscheidet nicht mehr zwischen Auftritt als Künstler und Privatmann. Wobei, läßt sich das so genau hier trennen? Ohne Putins Einfluss hätte das St. Petersburger Marinskij-Theater nie den nationalen Einfluss mit Partnertheatern bis Wladiwostok unter der Leitung von Gergiev, hätte dieser nicht ein inzwischen sehr, sehr hohes Vermögen Rheingold-artig anhäufen können.
Jetzt ist alles anders. Mit dem Einmarsch und Bombardement sowie auch ersten zivilen Opfern weit von den sogenannten „Volksrepubliken“ im Donbass entfernt, mitten in der Ukraine z.B. in Uman, ist das kein Geplänkel mehr um sowieso schon erfolgte Tarn-Einmärsche. Oder geht es nicht mehr um Konflikte hinter Bergen am Rande Europas. Jetzt werden Partnerstädte deutscher und europäischer Städte, Städte die mit Kyiv, Charkiw oder Lwiw aussehen wie Paris, Brüssel oder Berlin, nicht nur zur altslawischen, sondern genauso zur mitteleuropäischen Kultur gehören, in Mitleidenschaft gezogen, mitten ins Herz Europas geschossen. Es wurden so z.B. von Münchner LGBTQI*-Chören Kontakte zu ukrainischen Partnerchören geknüpft, was ein Beitrag ist, Bürgerrechte in der Ukraine wie hierzulande erfolgreicher von Jahr zu Jahr zu verankern, was Putin diesen betroffenen Bürger:innen in Russland vorenthält, hier ein Asylgrund ist. Das torpediert man selbst, wenn man andererseits Putin-Freunden nicht deutliche Worte gegen Putins Angriff auf die Ukraine abringen kann. Deshalb ist es auch am Klassikbetrieb, da reinen Tisch zu machen und dem Beispiel von Beppe Sala zu folgen: entweder ein „Niet“ zu Putins ultimativer Grenzüberschreitung oder die Isarphilharmonie ist für Gergiev bald Geschichte. Oder man verdreht sich in den deutschen Kulturstädten so wie sich gerade Mecklenburg-Vorpommern bereits länger in Sachen Sponsoring und Nord Stream 2 AG verdrehte.
Ach ja, auch Schalke 04 mit Gazprom als Hauptsponsor hat da ein Problem, die Bundesliga mit ihren Gazprom-Werbebanderolen. Da könnte die Klassik ja mal vorangehen, mit Beppe Sala gesprochen: „Valery Gergiev condanni l’invasione russa in Ucraina o non dirigerà più la Dama di picche“ – „Valery Gergiev verdammen Sie die russische Invasion der Ukraine oder dirigieren sie nicht Pique Dame“. Das erinnert mich an mein Stück „So what – Putin & Tschaikowsky“, das darauf beruht, dass Putin sich um Tschaikowskys Homosexualität windet und die mit „so what – nijeschtscho“ beiseite wischte, worin ausgerechnet ein Pique Dame Zitat am Ende aufscheint. Daher: So what, Valery, stelle Dich auf die Seite der Opfer der Putin-Aggression oder geh’ uns aus der Musik-Sonne!
Komponist*in