Abdriftendes bei „Aufstehen für die Kunst“

Aufstehen für die Kunst wirft mit seinem Auftreten und Handlungen wieder ein paar Probleme auf. Auf dem Facebook-Auftritt (UPDATE: man löschte das Posting inzwischen, Stand 04.05.21) bemüßigt man sich das Medium „Reitschuster“ zu posten. UPDATE 2 s. am Ende

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Am 22.04.2021 postete man um 17:30 Uhr einen Artikel mit dem Titel „Kulturtod ohne Trauernde“, erschienen bei „Reitschuster“, auf dem Facebook-Auftritt der Initiative Aufstehen für die Kunst. Autoren des Artikels sind Johanna und Frank Wahlig. Im Text ist auch die Rede von den Klagen der Initiative. Ansonsten verquirlt der Text das Ende von Stefan Mickisch mit Empörung über „Staatsknete“ und „Konfettigeld“, Mittel die Bundesfinanzminister Scholz für Ausfälle von kleineren Kulturveranstaltungen ab Mitte 2021 in Aussicht stellte und Feststellungen, dass Live-Auftritte zwingend notwendig seien: „Wir brauchen Publikum“ wird eine Musikerin zitiert. Einerseits ein Text wie viele.

Andererseits ist die Wahl des Mediums für diesen Text das Problem: „Reitschuster“. Der Chef des Blogs, Boris Reitschuster, nennt sein Medium neutral und ideologiefrei. Allerdings zieht sich durch seine Berichterstattung wie ein roter Faden nicht nur Kritik an Facetten der Maßnahmen zur Bekämpfung von Corona, sondern Fundamentalkritik an mehr oder minder allen Maßnahmen. Faktenchecker wie correctiv oder volksverpetzer betrachten das äußerst kritisch. Zudem berichtet Reitschuster regelmäßig direkt und ausführlich von Demonstrationen der Querdenker-Bewegung. Sprich, das Medium wird demzufolge auch vor allem in Kreisen solcher Denkenden oder solchem Denken Nahestehender gelesen.

Wenn Aufstehen für die Kunst eine seriöse Initiative sein möchte, die ein breites Spektrum an Musiker:innen unterschiedlichster Haltungen ansprechen möchte und neben den Klagen wie ein Verband ein ernstzunehmender Gesprächspartner für die Kulturpolitik sein möchte, fragt man sich, was die PR-Abteilung dabei geritten hat, abdriftende Medien auf Social Media zu teilen: denn was man dort an Medium und Inhalt teilt, findet dann auch seine politische Entsprechung im Liken, Kommentieren und Teilen. Im Falle von „Reitschuster“ ist das dann eher in den politischen, extremen Randzonen.

Wie wäre es eigentlich hiermit: sich endlich mal öffentlich als Klassikstars hinstellen, für das Absenken der Zahlen unter die Inzidenz 100 und damit eine weiter sinkende und stabile Lage werben und im Gegenzug von der Kulturpolitik stark einfordern, dann bei genau dieser Lage nach 14 Tagen erste verantwortungsvolle, klein belegte Öffnungen zuzulassen? Der bayerische Kunstminister Sibler spricht ja genau davon. Daher sollte man ihm hier beim Worte nehmen. Stattdessen aber kommt man immer noch mit den bayerischen Studien, die aber bayerische Gerichte ablehnten.

Wenn man der Politik Unklarheit vorwirft, so ist man selbst nicht in der Lage einen klaren Deal zu formulieren: Unterstützung des signifikanten Absenkens der Zahlen, um damit die Intensivstationen zu entlasten und die nun jünger werdenden Sterbenden zu minimieren. Im Gegenzug bei sinkender und stabiler Lage unter 100 die Politik auf die in den Verordnungen festgelegten Öffnungsregeln zu verpflichten. Davon weit und breit: keine Spur. Die Musik- und Kulturszene darf es sich somit auch ein wenig selbst zuschreiben, wenn man sie in der Allgemeinheit bei solchen Handlungen und PR-Techniken nicht ernst nimmt.

UPDATE 2: Der Abschnitt zu Julia Neigel und der Demo Aufstehen für Kultur wurde herausgenommen. Die erfolgte Einordnung war nach interner Prüfung nicht haltbar. Wir entschuldigen uns bei Frau Julia Neigel und Frau Veronika Stross.

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2 Antworten

  1. Ulrich Ludat sagt:

    Hervorragender Text!

  2. k. sagt:

    Danke für den Text.

    Die Radikalisierung und die Netzwerke drumherum finde ich gefährlich – für die Kunstszene und für die Gesellschaft.

    Man hat es schon bei #allesdichtmachen gesehen: Protagonisten in oder mit Verbindung zur Querdenkerszene, und andere, die mitmachen, vielleicht weil auch andere Prominente mitmachen, ohne selber nachzudenken oder zu hinterfragen, weil sie nicht als die Spaßverderber in der Szene ausgebuht werden möchten. (Auch in der #metoo Debatte gibt es dieses Phänomen der kollektiven ‚Mittäterschaft‘ bzw. des Schweigens.)

    Die Gefährlichkeit ist, dass es hier nicht um rechts oder links geht – anders als die Neonazis geht man da z.B. nicht offen rassistisch vor. Die Waffe muss nicht zwingend das aktive Tun sein, sondern kann im aktiven Unterlassen. Man hatte es schon bei dem „Appell“ gesehen, dass die Forderungen – an sich betrachtet – nicht falsch sind: es geht um Grundrechte, offene und freie Gesellschaft, Demokratie, Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit. Das sind Werte, für die es sich lohnt, zu kämpfen. Eigentlich.

    Problematisch wird es, wenn dies als ein Kampf gegen „Propaganda“ und „Dikatur“ deklariert wird, das Netzwerk also dann letztendlich doch der Verbreitung von Querdenken dient.

    Manches Netzwerke wie 1bis19 sind offensichtlich aktivistisch. Andere wie das Manifest für offene Gesellschaft geben – schon alleine durch die Unterzeichner – ein seriöseres Außenbild. Dabei gibt es aber personelle Überschneidungen.

    Und auch gegen die Kritik wird schon vorgebeugt: man verbittet die Kontaktschuld: Jeder soll nur für sich verantwortlich und nicht für die Taten der anderen sein. Damit zieht man sich geschickt aus der Verantwortung, andere Prominente (mit denen man vielleicht noch im Beruf zusammenarbeiten will) zur Rede zu stellen, oder sich selbst zurückzuziehen.

    So schaukelt man sich hoch, und tun sich überrascht, dass der Applaus dann aus der falschen Seite kommt.

    Es gibt aber auch genug Applaus von Menschen, die tatsächlich verzweifelt sind, und auch nicht selber denken. Für die kleinen Schauspieler, die gerade ohne Job sind, hilft #allesdichtmachen Aktion nicht. Helfen würde eher die Niedriginzidenzstrategie.

    Und das ist genau so wie bei Aufstehen im Musikbereich.

    Den kleinen Musikern und Musiklehrern im DTKV BW hilft das nicht. Und diese werden vor die Wahl gestellt – stillschweigend mitmachen oder aus dem Berufsverband austreten (was schon alleine wegen des Wegfalls der Vorteile wie Versicherungen und nmz Abo nachteilig wäre) oder im Verband dagegen positionieren und eine Diskussion starten, was erstens spaltet und zweites schwer ist (weil an sich ist ja nichts gegen einen juristischen Weg einzuwenden, wir haben Rechtsstaat – und dass das Bundesgesetz dem Einzelhandel mehr Rechte eingeräumt hat, war tatsächlich übel).

    Manchmal und zunehmends macht mir dieser Tunnelblick so mancher „prominenten Kulturschaffenden“ Angst.