Wie geht es den Komponist:innen in der Corona-Zeit? Eine Umfrage des DKV
Gerade eben haben wir im Deutschen Komponistenverband eine Umfrage abgeschlossen, die uns ein recht differenziertes Bild von Komponistinnen und Komponisten in der momentanen Situation gibt. Im Moment gibt es viele Umfragen, die die Situation von soloselbsttändigen Musikerinnen und Musikern beleuchten, aber dies ist die erste, die speziell über die Situation von Komponierenden Auskunft gibt. Nebenbei erfuhren wir auch einiges über die aktuelle Zusammensetzung des Verbandes.
Hier die Ergebnisse:
Frage 1: Welchem Landesverband gehören Sie an?
Die Verteilung hier entspricht ziemlich genau den Mengenverhältnissen unserer Mitgliederstruktur, bei denen die Landesverbände Berlin, Bayern, NRW, Norddeutschland und Baden-Württemberg die einzigen sind, die in den dreistelligen Bereich gehen. Da die Entsprechung hier groß ist, kann die Umfrage also tatsächlich als repräsentativ für den ganzen Verband angesehen werden.
Frage 2: Welches Geschlecht haben Sie?
Auch hier entspricht die Verteilung (10,41% Frauen, 0,90% divers) grob der tatsächlichen Geschlechterverteilung im Verband, und zeigt uns, dass wir hier nach wie vor einen langen Weg zu gehen haben. Aus meiner Perspektive als Hochschullehrer kann ich sagen, dass sich leider nach wie vor sehr wenige junge Studentinnen aus Deutschland an unseren Musikhochschulen bewerben, obwohl es zahllose Förderprogramme für junge Komponistinnen gibt. Die Frauenanteile aus Regionen wie Asien, Osteuropa oder Lateinamerika liegen dagegen deutlich höher (und reichen oft an 50% heran). Woran das liegt, kann lange diskutiert werden – meine persönliche Vermutung ist, dass im z.B. Schulunterricht gerade wegen unserer lang zurückreichenden Geschichte der „klassischen“ abendländischen Musik vor allem männliche Rollenbilder präsentiert werden, wogegen die genannten Regionen wegen ihrer jüngeren Musikgeschichte hier nicht so stark festgelegt sind. Das wird sich hoffentlich ändern, je mehr erfolgreiche Komponistinnen es gibt, die als Vorbilder wahrgenommen werden. Wir freuen uns auf jeden Fall immer über neue Mitglieder jeglichen Geschlechts!
Frage 3: Wie alt sind Sie?
Keine Überraschung ist hier, dass wir ein recht „alter“ Verband sind, und dass Jugendarbeit ein großes und wichtiges Thema für die Zukunft ist. Mir ist es immer sehr wichtig, dass alle Altersgruppen in unserem Verband gleich ernst genommen werden.
Wir sind sehr stolz auf die Expertise und die Verdienste unserer Mitglieder in den höheren Jahrgängen. Gleichzeitig sollte es uns allen klar sein, dass der Verband nur dann eine Zukunft hat, wenn wir uns nicht deutlich verjüngen. Nach wie vor erreichen wir viele junge Kolleginnen oder Kollegen nicht. In den letzten Monaten gab es viele erfreuliche Neuzugänge, es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Trend fortsetzt. Es liegt aber an uns allen, hier weiterhin aktiv zu sein, vielleicht auch direkt neue Mitglieder zu werben. Ich selbst erinnere mich noch gut, wie mich ältere und von mir sehr respektierte Kollegen, die für mich in meiner Studienzeit Mentoren waren, für den DKV begeisterten. Wäre das nicht geschehen, hätte ich vielleicht nie vom DKV gehört. Die persönliche Ansprache ist und bleibt sehr wichtig – trotz sozialer Medien und neuer Vermittlungsmöglichkeiten.
Frage 4: Haben Sie im Jahr 2020 Coronahilfen beantragt? (Als „Coronahilfen“ gelten alle staatlichen wie privaten Initiativen, die selbstständige Künstler*innen in der Pandemie unterstützen sollen, zum Beispiel „Soforthilfe Corona“ und Frage 5: Haben Sie im Jahr 2020 Coronahilfen erhalten?
Kommen wir nun zum eigentlichen Thema, der Situation in der Pandemie. Hier sehen wir eine ziemliche Gleichverteilung, knapp die Hälfte unserer Mitglieder (46,15%) hat Soforthilfen beantragt, fast alle davon (44,8%) haben diese Hilfen erhalten. Das erweckt zumindest den Eindruck, dass die Hilfen – so denn sie benötigt werden – grundsätzlich funktionieren.
Frage 6: Wie war Ihr Jahreseinkommen nur aus kompositorischer Arbeit (z.B. Kompositionsaufträge, GEMA, Tantiemen, Nutzungsrechte etc.) 2020 ohne Coronahilfen im Verhältnis zu 2019? (Angabe in Prozent: z.B. 80% zum Vorjahr)?
Hier materialisiert sich der Effekt, den viele (mich eingeschlossen) vermuteten: Dank der GEMA-Tantiemen die noch aus dem „gesunden“ Jahr 2019 stammten, hat ein erstaunlich großer Teil unserer Mitglieder keine dramatischen Einbrüche im letzten Jahr erlebt und vielleicht sogar mehr als im Vorjahr verdient (eine Nennung über 100% war nicht möglich, weil es uns nicht relevant erschien, Mehrverdiener besonders herauszustellen), bei einer weiteren großen Gruppe von Mitgliedern waren es maximal 30% an Einnahmeeinbußen. Allerdings täuscht das Bild etwas: Auf den zweiten Blick ist festzustellen, dass die Zahl derjenigen, die selbst trotz GEMA recht dramatische Einbußen erlebten, viel höher ist, als es auf den ersten Blick scheint, denn tatsächlich etwas mehr als die Hälfte unserer Mitglieder hatte Einbußen von mehr als 30%, und das ist dann schon relevant. Die Grafik zeigt auch, dass am unteren Ende des Spektrums die Zahl der Betroffenen sogar zunimmt, knapp 20% unserer Mitglieder hatten fast keine Einnahmen im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr, und das stimmt mich sehr nachdenklich.
Frage 7: Wie war Ihr Jahreseinkommen aus insgesamt freiberuflicher und selbstständiger Arbeit (konzertierender / performender und kompositorischer Tätigkeit) 2020 ohne Coronahilfen im Verhältnis zu 2019? (Angabe in Prozent: z.B. 80% zum Vorjahr)?
Auch hier ergibt sich ein ähnliches Bild, nur dass die Verteilung der Einbußen wesentlich gleichförmiger ist, wenn man andere Tätigkeiten als die kompositorischen hinzunimmt. Bemerkenswert ist aber, dass die Gruppe, die rein kompositorisch ähnlich verdient hat im Jahre 2020, nicht mehr so groß ist, wenn man die insgesamt freiberufliche Arbeit mitbetrachtet. Und es ist wenig überraschend, dass diejenigen, denen es kompositorisch schon schlechter ging, auch insgesamt noch stärker betroffen sind, wenn es um selbstständige Arbeit insgesamt geht – am unteren Rand wie auch in der Mitte sind die Balken deutlich größer.
Für mich spiegelt speziell diese Grafik auch ein ziemliches Bild der Gesellschaft wider – wir erleben im Moment, dass vor allem der Mittelstand betroffen ist und die Schere größer wird, zwischen denjenigen, die mit einer solchen Krise zurechtkommen können und denjenigen, denen dies nicht gelingt, natürlich aus den unterschiedlichsten Gründen.
Frage 8: Wie war Ihr Jahreseinkommen aus freiberuflicher und selbstständiger Arbeit 2020 plus Coronahilfen im Verhältnis zu 2019? (Angabe in Prozent: z.B. 90% zum Vorjahr)
Diese Grafik ist etwas erfreulicher, zeigt sie doch, dass die Coronahilfen größtenteils greifen, wir sehen eine sichtliche Tendenz Richtung 100%. Dennoch ist die Zahl derjenigen, die weniger im Jahre 2020 verdient haben, immer noch recht groß, und es hält sich auch hartnäckig ein Rest, dem die Coronahilfen nichts bis wenig brachte, auch wenn die Erfolgsgeschichten vielleicht in der Überzahl sind.
Frage 9: Wie war Ihr Jahreseinkommen 2020 insgesamt im Vergleich zu 2019 (also auch einschließlich anderer beruflicher Tätigkeiten, Angabe in Prozent)?
Wenn man alle beruflichen Tätigkeiten bei den Einkünften berücksichtigt, ist es den meisten unserer Mitglieder sichtlich gelungen, 2020 zu bewältigen. Hier sieht man aber allerdings eine nicht zu unterschätzende Menge von insgesamt knapp 20% unserer Mitglieder, denen es trotz z.B. Nebenjobs oder anderer Einkünfte nicht gelungen ist, mehr als die Hälfte des Vorjahreseinkommens zu generieren.
Immerhin ist die Zahl derjenigen, die das Vorjahresniveau halten konnten oder übertrafen größer (26,47%). Es zeigt sich aber, dass sichtlich auch nichtmusikalische Einkünfte von Corona betroffen waren, was natürlich nicht überrascht.
Frage 10: Wenn Sie Einkünfte als Instrumentalist / Sänger / Performer beziehen, wie hoch waren nur diese Einkünfte 2020 im Vergleich zum Vorjahr? (Angabe in Prozent)
Die dramatischste Grafik – leider wie absolut zu erwarten zeigen sich hier die massiven Ausfälle in der Livebranche. Allein 35,25% unserer Mitglieder hatten nur 0-10% Einkommen des Vorjahres, wobei dieses Einkommen wahrscheinlich auch nur in den ersten Monaten des Jahres 2020 generiert wurde. Die kurze und größtenteils massiv eingeschränkte Konzertsaison im Sommer und Herbst 2020 konnte diese Lücke also sichtlich nicht füllen, gestreamte Konzerte haben anscheinend wenig bis keine Einnahmen generiert. Es zeigt sich auch, dass nur ganz wenige unserer Mitglieder festangestellte Musiker bei zum Beispiel staatlichen Klangkörpern sind, denn diese wurden wenigstens in Kurzarbeit weiter regelmäßig bezahlt.
Frage 11: Wie zufrieden sind Sie mit der Verfügbarkeit und der Information über Coronahilfen in ihrem Bundesland?
Wie vorher gesehen kamen die Hilfsgelder zwar größtenteils an, die „Verfügbarkeit und Information“ darüber wird aber zu einem überwiegenden Teil als mittelmäßig empfunden, knapp 30% unserer Mitglieder sind sogar unzufrieden bis sehr unzufrieden mit der Informationspolitik in ihrem Bundesland. Die Gruppe der „sehr Zufriedenen“ und „Zufriedenen“ ist dagegen mit über 35% größer.
Interessant ist es in diesem Zusammenhang auch, die Zufriedenheit hinsichtlich der Informationen in den verschiedenen Landesverbänden zu betrachten. „Sehr zufrieden“ waren vor allem die Mitglieder in Berlin, Thüringen und Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Baden-Württemberg, Norddeutschland und Bayern. „Sehr unzufrieden“ mit der Informationslage waren vor allem die Kolleg*innen in Bayern, Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland und Mecklenburg-Vorpommern, wo die Verteilung mit 33,3% „sehr unzufrieden“ und 66,7% „mittelmäßig“ am dramatischsten war. Daraus lässt sich auf jeden Fall ein Handlungsbedarf ablesen.
Frage 12: Beziehen Sie aktuell Corona-Hilfsgelder (Stand März 2021)?
Der entscheidende Punkt bei dieser Frage war das Wort „aktuell“. Wie wir vorher gesehen haben bezogen ja viele unserer Mitglieder im Jahr 2020 Coronahilfen, im März 2021 sind das aber erstaunlicherweise nur noch 9,22%, trotz der weiterhin hochangespannten Pandemielage ohne große Änderung zur Situation in den vergangenen Monaten. Das bedeutet ganz sicher, dass weitere Coronahilfen nötig sein werden, gerade in den nächsten Monaten, um die weiterhin entstehenden Einkommenseinbußen auszugleichen.
Frage 13: Welche Genres komponieren Sie? (Mehrfachnennungen möglich)
Diese „Bonusfrage“ sollte uns ein bisschen einen Überblick über die Schwerpunkte des Outputs unserer Mitglieder geben, viele Begriffe wie „Konzertmusik“ waren bewusst E/U-neutral gewählt. „Konzertmusik“ überwiegt deutlich mit 62,61% und das ist eine wichtige Information, da dieses Genre zu 100% von Liveaufführungen abhängig ist. Ansonsten sind alle Genres erfreulich gleichmäßig vertreten (was im Sinne des Verbandes ist), Tanzmusik/Schlager, Ballettmusik, Blasmusik, Werbemusik und Musical komponieren unter 10% unserer Mitglieder, Volksmusik ist die am wenigsten zahlreich vertretene Kategorie (4,5%).
Unter den „Sonstiges“-Nennungen fällt eine häufige Nennung von Bühnenmusik und Hörspiel/Computerspielmusik auf, gerade letztere Kategorie ist im Moment sicherlich eher „im Kommen“ und wir werden vermutlich einen Zuwachs in diesen Genres erleben, so wir denn auch diese Kolleginnen und Kollegen mit unserer Mitgliederwerbung erreichen.
Frage 14: Wie ist Ihre Stimmung, wenn Sie in die nahe Zukunft (Ende 2021) blicken und an die weitere Ausübung ihrer Komponistentätigkeit denken?
Solche „Stimmungsfragen“ sind immer ein bisschen problematisch, da sie sehr vom Tagesgeschehen und der persönlichen Stimmung abhängen. Wie zu erwarten sind aber mehr als 50% unserer Mitglieder pessimistisch oder leicht pessimistisch, was ihr kompositorisches Berufsleben angeht. Die Optimistischen bis leicht Optimistischen dagegen stellen nur um die knapp 25%, etwas unter 25% sind „neutral“.
Frage 15: Worauf möchten Sie uns sonst noch aufmerksam machen?
Diese Funktion haben 65 der Teilnehmenden genutzt, wobei immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass die GEMA-Tantiemen 2020 ja noch „normal“ waren, und diese Umfrage daher noch nicht aussagekräftig ist. An dieser Stelle möchte ich daher noch einmal betonen, dass uns das absolut bewusst ist, wir aber für die nächste Umfrage in dieser Sache (die wir auf jeden Fall mit angemessenem Abstand durchführen wollen) natürlich Vergleichswerte brauchen, um eine Entwicklung darstellen zu können. Ohne diese Umfrage jetzt hätten wir diese Vergleichswerte für die Zukunft nicht.
Zu Recht wiesen viele daraufhin, dass wir auch die Möglichkeit einer „über 100%“-Einnahmenangabe hätten erstellen sollen, da es tatsächlich Mitglieder gab, die 2020 mehr verdient haben, da in bestimmten Branchen wie zum Beispiel Hörspiel oder Film weiterhin einigermaßen normal produziert wurde. Wir werden versuchen, dies das nächste Mal zu implementieren.
Viele beklagen sich über den Status von Kultur in unserer Gesellschaft und fühlen sich nicht genug beachtet, die Politik wird kritisiert, einige betonen aber auch, dass sie sich bei der Regierung bedanken möchten. Sehr häufig wird das Verhältnis Landesmusikrat zum DKV beklagt, ein für mich sehr interessanter Punkt, zudem ich gerne Konkreteres hören würde. Was genau sind da die Erwartungen, was wird bemängelt? Die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen wird eher kritisiert, man hätte gezielt heimisches Repertoire senden sollen, um die Künstlerinnen und Künstler in diesem Land zu unterstützen. Ich weiß, dass es lokal Initiativen dieser Art durchaus gab (auch erfolgreich), anscheinend wurde aber insgesamt empfunden, dass hier zu wenig geschieht.
Besondere Bonuspunkte bekommt der Kommentar, der einfach nur aus zwei Worten bestand: „Udo Jürgens“.
Fazit als Präsident des Deutschen Komponistenverbandes:
Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich bei den vielen Kolleginnen und Kollegen bedanken, die sich die Mühe gemacht haben, diese Umfrage zu beantworten, ebenso bei Antje Müller und Nastasja Futyma, die sich sehr um die Auswertung und Einrichtung bemüht haben. Für uns alle war das ein bisschen ein Experiment, aber ich denke ein sinnvolles. Was es mir zeigt: für den Verband ist es wichtig, sich „selbst“ besser kennenzulernen, um sinnvoll agieren zu können. Wir schreiben unterschiedlichste Musiken, vertreten unterschiedliche Positionen, aber wir müssen sehen, wo die Gemeinsamkeiten liegen und wo wir uns gegenseitig stärken können. Dann kann auch der Verband als Ganzes stark sein.
Daher freuen wir uns über konstruktive Vorschläge zu weiteren Umfragen und haben immer ein offenes Ohr für Eure Gedanken und Ideen.
Euer
Moritz Eggert
Komponist
Super geschriebener und informativer Artikel :-). In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen