Vergewaltigungsmythen und Dieter Wedel

Während sich einige Schauspieler:innen nicht entblöden, bei einer Aktion wie „allesdichtmachen“ nicht mehr ganz dicht um den Applaus von Alice Weidel und Attila Hildmann zu buhlen, kämpfen andere tapfer gegen Vorurteile, die als Feigenblatt zur Begründung von sexuellen Straftaten herhalten sollen.

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Ganz aktuell: Vor kurzem lud das Verteidigerteam von Dieter Wedel – der wegen Vergewaltigung angeklagt ist und dem von vielen weiteren Betroffenen sexuelle Straftaten vorgeworfen werden – den SPIEGEL zu sich in die Kanzlei, um wieder einmal zu zeigen, wie wenig manche Juristen von kreativen Berufen verstehen.  Nicht nur, dass einem als Verteidiger im Fall Wedel das erstaunlichste Stehaufmännchen in der Politik, nämlich der ehemalige AIDS-Kreuzritter Peter Gauweiler, wiederbegegnet (immerhin war er einer der besten Gründe, die CSU in den späten 80er Jahren NICHT zu wählen), dessen letzte Mandanten übrigens das Land Katar (wegen irgendwelchen Fußball-WM-Geschichten) und die hochvertrauenswürdige Wirecard AG waren, nein, es werden in diesem Interview auch die üblichen Klischees über Schauspieler:innen verbreitet. Die wollen das nämlich so, wie man hört – selbst Schuld, wenn man diesen Beruf ergreift, man kann dann nämlich „Schwierigkeiten haben, Grenzüberschreitungen richtig einzuschätzen“.

Was das wirklich heißt, sieht so aus: wenn man zum Beispiel als junge Schauspielerin alleine mit einem berühmten Regisseur wie Wedel oder Harvey Weinstein in einem Raum ist, weil dieser einen vielleicht zu einem geschäftlichen Termin gebeten hat – selbst Schuld, Baby, dass der über dich herfällt! Hast Du Dummerchen denn nicht gewusst, dass der arme Mann einfach nur „Grenzen überschreiten wollte“? Der kann gar nichts dafür! DU bist Schuld, weil Du nicht aufgepasst hast!

Leider laufen die Weinsteins dieser Welt nicht mit einem Schild herum auf dem steht: „Achtung, heute könnte ich Grenzen überschreiten, bitte fernhalten“, sondern suchen aktiv und zum Teil mit großer krimineller Energie die Nähe von Menschen, die sie als Ziel von sexuellem Machtmissbrauch ausgemacht haben. Wie diese Mechanismen funktionieren, ist allseits bekannt, dass immer wieder Karriereversprechungen und ähnliche Angebote gemacht werden, bevor es zu den Übergriffen kommt, auch. Wenn einem ein Betrüger ein unseriöses Angebot macht, kann man das strafrechtlich verfolgen, wenn einen aber ein berühmter Regisseur mit dem nicht in geringstem ernst gemeinten Versprechen einer Hauptrolle ins Bett locken will, tatsächlich nicht, das ist das Problem. Aber ist man schuld, wenn man auf so einen Trick erst einmal hereinfällt? Nach Ansicht der Verteidiger Wedels schon.

Dass mit diesem altbekannten Framing – hier allzu durchsichtig ins Spiel gebracht, um die Klägerin zu diskreditieren – wieder einmal die Opfer zu Mittätern gemacht werden sollen, ist nicht nur unsäglich sondern schlicht und einfach falsch.

Dies erweckte zu Recht den Zorn des Blogs „Pro Quote Bühne“ (treffendes Zitat auf der Website: „Feminismus ist die radikale Ansicht, dass Frauen Menschen sind“) und resultierte in einem sehr gut formulierten offenen Brief, der schon von zahllosen namhaften Menschen aus der Branche unterschrieben wurde. „Das Betreten eines Zimmers ist keine Einwilligung in sexuelle Handlungen“ ist nur einer der vielen guten Sätze dieses Briefes, der hier zu finden ist. Dass man das überhaupt noch sagen muss, ist ohnehin erstaunlich.

Nach wie vor leben wir in einer Welt, in der einer Frau, die auf der Straße ausgeraubt wurde, sofort Glauben geschenkt wird und automatisch bemitleidet wird, wogegen eine Frau, die vergewaltigt wurde, erst einmal mühsam beweisen muss, dass sie das tatsächlich nicht wollte, denn sie hatte ja sicher nur „Schwierigkeiten, Grenzüberschreitungen richtig einzuschätzen“. Vor allem in einem so „unseriösen“ Beruf wie Schauspielerin womöglich. Kotz.

Der Brief kann nach wie vor unterschrieben werden.

Auf dass die Wedels und Weinsteins dieser Welt ein bisschen mehr Gegenwind bekommen.

Moritz Eggert

https://www.instagram.com/proquotebuehne/

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6 Antworten

  1. Karola sagt:

    Lieber Moritz, vielen Dank! Der Link zum Brief funktioniert leider nicht. Liebe Grüße!

  2. Andrim Emini sagt:

    Danke lieber Moritz! Lieben Gruß und bleib munter.

  3. k. sagt:

    Mich macht am meisten betroffen, dass der Opferanwalt im Fall Dieter Wedel der Verteidiger von Siegfried Mauser war.

    Und er argumentiert genau umgekehrt, je nachdem ob er als Opferanwalt oder Verteidiger auftritt. Wie heuchlerisch ist das denn.

    Wenn die Anwälte selber an ihre Argumentation glauben würden, könnte man inhaltlich gegenargumentieren. So ist es nur Taktik.

    • k. sagt:

      Schwierig wird es, wenn die Betroffene in so einem Prozess zu einer reinen Spielfigur in Machtkämpfen zwischen Juristen wird – letztendlich geht es dann nicht mehr um eine Aufarbeitung des Geschehens sondern nur ums „Gewinnen“ (juristisch) und „sich in der Öffentlichkeit beliebt machen und gut da stehen“ (PR) der Kanzleien – und um die Egos der Anwälte, Gutachter, Beteiligten aus den Medien.

      Das ist quasi ein zweiter Missbrauch und mit ein Grund, warum so viele Opfer nicht anzeigen, gerade wenn die Täter prominent sind.

  4. k. sagt:

    Juristisch wird es hier das Problem geben, dass man wohl auch die Rechtslage und die gesellschaftlichen Norm zum Tatzeitpunkt berücksichtigen muss. Unabhängig davon, kann es heute nicht mehr sein, dass das Betreten eines Zimmers Einwilligung zum Sex ist. Das gilt selbst im privaten Kontext nicht mehr und im beruflichen Kontext erst recht nicht.

    Eigentlich müssten sich gerade Männer dagegen wehren, pauschal unter Generalverdacht gestellt zu werden, nur Sex im Kopf zu haben, wenn sie eine Kollegin zu einer Probe, zu einem Vorstellungespräch, zu einer Business Lunch, zu einem Meeting o.ä. einlädt.

    Denn wenn ich (als Frau) diesbezüglich vorsichtig sein muss, wenn ein Kollege mich einlädt, dann müsste ich ihm erstmal unterstellen, dass er vielleicht nicht wirklich mit mir proben oder ein Projekt besprechen will, sondern eigentlich Sex mit mir will.

    Natürlich gibt es Situationen, wo es tatsächlich so ist, und dann muss ich vorsichtig sein, aus Eigenschutz (solche Situationen beschränken sich im Übrigen nicht nur auf Machtmissbrauchssituationen – junge Klavierlehrerinnen und Gesangslehrerinnen können ein Lied davon singen, was manche angebliche Unterrichtsinteressenten wirklich wollen, und dann ist es wichtig, dass sie die Grenzen ziehen, zumal sie in dieser Situation die Professionellen sind.)

    Es wäre aber wirklich traurig, wenn es nur noch Angst gäbe – weil Männer Angst hätten, sexuelles Interesse unterstellt zu bekommen, wenn sie Kolleginnen zwecks Zusammenarbeit anfragen, und weil Frauen Angst hätten, sexuelle Einwilligung unterstellt zu bekommen, wenn sie der Zusammenarbeit zustimmen. Wir sind jetzt weiter in Sachen Gleichberechtigung im Beruf.