Lieber Herr Habeck, 2021 nicht den alten E-/U-gegeneinander-ausspielen-Popanz bedienen
Lieber Herr Habeck, die Tage stieß ich auf Ihr Interview mit dem Rolling Stone. Da stand was von E und U aufheben. Nun, man kann sich immer Gedanken über Neues machen. Dann las ich die Vollversion auf Amazona. Neee, „üppiger“ als Andere kommt derzeit gerade niemand durch die Corona-Krise unter uns Komponist_innen, egal ob U, E, F oder W oder oder. In jeder Sparte klaffen dicke, fette, fiese, schwarze Löcher, unterschiedlich. Alle, die irgendwie auf Live-Events von Konzert bis Kinofestival angewiesen sind, sind gerupft.
Sie sagen ja auch Vieles gescheites. Aber irgendwie wirkt es doch, dass Sie z.B. staatlich, kommunal getragene Theater, Orchester und Konzertsäle als überproportional finanziell ausgestattet gegenüber den anderen Musiksparten betrachten. Nur so am Rande: denken wir an die Großveranstaltungen in Arenen, Olympiahallen, dann sind dort ebenfalls immer wieder Millionen öffentlicher Gelder in Bau und Unterhalt investiert.
Schauen wir auf die Förderung der freien Szenen, dann mag der Eindruck entstehen, dass „Klassik“ doch schon mit den großen Häusern gut wegkommt. Schauen wir genauer hin, auf die Förderung der zeitgenössischen Musik, des Jazz, der Elektronik, der Popmusik, der Songwriter, usf., dann ist die Auflistung eben chronologisch betrachtet mit der zeitgenössischen Musik die ältere Fördertradition, die des Pops eine der jüngeren. Ich verstehe Sie so, dass Ihnen lieb wäre, die anderen Genres erhalten zu Lasten, Ungunsten, Kürzen der zeitgenössischen Musik mehr Geld?
Ich hoffe, Sie denken das nicht.
Was uns helfen wird, um aus dieser Krise zu kommen, dass man einerseits insgesamt die Budgets der Kultur zuerst mindestens erhält oder als eine Art Umwegturbo für die beteiligten Individuen sogar erhöht. Man darf nicht die eine Musik gegen die andere ausspielen. Denn jedes Genre hat wiederum seine spezifischen Ansprüche an Produktion, Interpretation, Komposition, Improvisation, Besetzung, Publikum, Spielstätte.
In der freien Szene ist das Alles ähnlich bescheiden, aber eben zielgenau mit im Vergleich zu großen Projekten sehr effektiv vergleichsweise wenig Geld zu fördern, das aber eben unbedingt in seiner Kleinheit und Kleinteiligkeit besser ausgestattet, also erhöht werden muss. Dann erleben wir vielleicht eine Art Renaissance, oder weniger pathetisch, einen Neustart.
Wie wir zudem als Musiker_innen und musikalische Urheber_innen mit den Begriffen umgehen wollen, das überlassen Sie bitte uns. In der Begriffsfindung hat die Politik nichts verloren, auch kein Buchautor als Politiker. Wir sehen selbst, dass wir über 100 Jahre alte Begriffe und auch Inhalte neu beleben müssen. Wir sehen aber auch, dass sie sich bewährt haben, gerade jetzt durch eine gewisse Langsamkeit der Urhebermaschinerie auch auffangen können, wenn jetzt 2021 noch in einem gewissen Masse 2019 nachschwappen wird.
2020 aber mit seiner konzertlosen Zeit wird 2021 und im Nachschwappen 2022 jede einzelne Person in jedem Musikgenre in den Tantiemen aus Urheberrechten und anderen Rechten dramatisch treffen, derweil der Konzertbetrieb insgesamt sogar wieder anlaufen mag und Interpret_innen, Musiker_innen langsam wieder Fahrt aufnehmen können.
Die Masse der sogenannten E-Komponist_innen ist 2021 genauso hart getroffen, wie viele Andere bereits 2020. Sie mögen sich nicht an vielen Corona-Hilfen in der Art wie Andere beteiligt haben, eben, das Nachschwappen aus 2019 war für alle Komponierenden erst einmal ein Rettungsanker. Die meisten unter uns patchworken genauso wie jede andere Sparte: komponieren, unterrichten, konzertieren, dirigieren, fortbilden, erwachsenebilden, managementartiges, verwalterisches – Sie finden sogar Taxifahrende, Corona-Patienten-Pflegende.
Die Vorstellung, dass es meinen Kolleg_innen und Freund_innen, egal wie erfolgreich oder berufsanfangend oder alt, „üppig“ ginge, ist blanker Hohn. Es geht ihnen vielleicht etwas anders als Songwritern, die tatsächlich nur von komponieren, produzieren und v.a. auftreten leben – denen halfen insbesondere zuerst nicht die staatlichen Modelle, nein, Viele rettete schlichtweg das durch die GEMA solidarisch aufgelegte Rettungspaket, das in einer der beiden Varianten auch 2021 wieder aufgelegt wird.
Würden Sie sich dagegen z.B. zielgenau für eine autorenfreundliche und die User gerechte Umsetzung der Urheberrechtsnovelle im Juni einsetzen, für eine labelferne, aber künstlernahe Verwertungsgesellschaft für die Online-Rechte von Leistungsschutzrechten für z.B. Interpret_innen und Musiker_innen, würden Sie wahrlich gutes bewirken. Oder wenn Sie die Kulturinitiative 21 und ihre Forderungen nach einer gerechten, dennoch pauschalen Kompensation seit Start der Corona-Auftrittseinschränkungen unterstützen würden, dann wäre das für Sie sehr ehrenvoll.
So aber ist es leider ein wenig ehrenrührig, wenn Sie uns Musiker_innen, Komponist_innen gegeneinander in Position bringen. Es muss allen gleichermassen großzügig das Budget erhöht werden, jedem Bereich zudem zielgenau, nicht auf Kosten der anderen. Wir sind zwar alle gleich, aber dies in unseren fantastischen musikalischen Unterschieden, die das Musikleben unseres Landes und Europas so befruchten. Und wie wir unsere Bezeichnungen und Verteilungen fortentwickeln werden, das überlassen Sie lieber mal uns.
Komponist*in
Es ist ein Jammer, das der einzige Kuturschaffende in der ersten Reihe der Politik immer wieder durch eine merkwürdige Duckmäuserei auffällt. Der ist ja nun wirklich ein intelligenter Mensch, aber er wählt immer den einfacheren Weg. Als es um die Urheberrechtsnovelle ging, hat er das getan, und jetzt tut er es wieder. Wir dürfen nicht vergessen, das sich die Grünen, und auch Habeck, mit aller Macht und Uploadfilter-Schwurbelei gegen die Urheberechtsrichtlinie gestellt haben. Dort hätte er – an der Seite von Helga Trüpel – sich mal wirklich für die Kulturschaffenden einsetzen können. Das hätte aber parteiinternen Gegenwind bedeutet, und den scheut er. Er hat sich wie immer vor allem bemüht, gut auszusehen. Von ihm ist nichts zu erwarten.