Beethoven und die Isolation
In dieser Zeit der sozialen Isolation vieler Menschen können wir heute einmal auf das schauen, was Jubilar Ludwig van Beethoven zum Thema Einsamkeit beizutragen hatte.
Dafür habe ich sämtliche überlieferte Briefe durchforstet und zusammengetragen, was zu dieser Zeit zu passen scheint…
„Heiligenstädter Testament“ (Beethoven an seine Brüder Kaspar Karl und Johann, Heiligenstadt bei Wien 1802)
[…] O ich kann es nicht, drum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte, doppelt wehe thut mir mein Unglück, indem ich dabei verkannt werden muß: für mich darf Erholung in menschlicher Gesellschaft, feinere Unterredungen, wechselseitige Ergießungen nicht statt haben, ganz allein fast nur so viel als es die höchste Notwendigkeit fordert, darf ich mich in Gesellschaft einlassen, wie ein Verbannter muß ich leben: nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heiße Ängstlichkeit, indem ich befürchte in Gefahr gesetzt zu werden, meine[n] Zustand merken zu laßen. […]
Brief an den Maler Alexander Macco (Wien, 2. November 1803)
[…] Überhaupt hat mir’s wehe gethan, daß ich in Wien nicht mehr mit Ihnen sein konnte, allein es gibt Perioden im menschlichen Leben, die wollen überstanden sein […].
Undatierter Brief an die geliebte Therese Malfatti, Pianistin (wahrscheinlich Wien 1810
[…] Es wäre wohl zuviel gebaut auf Sie oder meinen Werth zu hoch angesetzt, wenn ich Ihnen zuschriebe, „die Menschen sind nicht allein nur zusammen, wenn sie beisammen sind, auch der Entfernte lebt uns.“ [Beethoven zitiert damit Lotte von Schiller, Jena 1793]. Wer wollte der flüchtigen alles im Leben leicht behandelnden T.[herese] so etwas zuschreiben? […]
Brief an den Chronisten Karl August Varnhagen von Ense (Teplitz, 14. Juli 1812)
[…] Hier, lieber Barnhagen, das Packet für Wilms [gemeint ist der Komponist Johann Wilhelm Wilms]. Ich lasse ihn bitten mir die drei Theile von Goethe’s Wilhelm Meisters Lehrjahre hierher mit dem Postwagen zu schicken, da sich der vierte fehlende gefunden hat. Sollten Sie bald selbst hierher kommen, so wäre das freilich nicht nöthig, daher überlasse ich dieses Ihrer Weisheit. Von Teplitz ist nicht viel zu sagen, wenig Menschen und unter dieser kleinen Zahl nichts auszeichnendes. Daher leb‘ ich allein – allein! allein! allein! […]
Brief an Förderer und Vermieter Johann Baptist Freiherr von Pasqualati (Wien, Winter 1815)
(…) allein ich kann und darf nicht ausgehen. […]
Undatierter Brief an Freund, Förderer und Schüler Erzherzog Rudolf von Österreich (Wien, Sommer 1819)
[…] allein als genesender Patient hatte ich vergessen oder außer Acht gelassen, mich wieder früh nach Hause zu begeben […]. Jedoch wird, wie es scheint, durch heutiges zu Hause bleiben, morgen alles wieder in bester Ordnung sein […].
Brief an Johann Wolfgang von Goethe (Wien, 8. Februar 1823)
[…] Ich habe so vieles geschrieben, aber erschrieben – beinahe gar nichts. Nun aber bin ich nicht mehr allein; schon über sechs Jahre bin ich Vater eines Knaben [gemeint ist Neffe Karl] meines verstorbenen Bruders, eines hoffnungsvollen Jünglings im 16. Jahre, den Wissenschaften ganz angehörig und in den reichen Schachten der Griechheit schon ganz zuhause […].
Undatierter Brief an Sekretär Anton Schindler (Wien, wohl Frühsommer 1823)
[…] Das Wetter ist schlecht; allein bin [ich] aber nie, wenn ich auch allein bin. […]
Brief an Verleger Tobias Haslinger, Baden, Niederösterreich (6. Oktober 1824)
[…] Ich bin allein mit einer Person [gemeint ist der inzwischen 18-jährige Neffe Karl], die nicht reden nicht lesen und schreiben kann, und finde außer dem Hause hier kaum zu essen. […]
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.