Keine anständig honorierten Profi-Konzertchöre in Österreich?
Auf der Facebook Seite von „Die traurigsten & unverschämtesten Künstlergagen/art but fair“ sieht man brandaktuell, wie niedrig hochkarätige, weltberühmte österreichische Konzertchöre entlohnt werden wie dort beispielhaft der wundervolle Arnold Schönberg Chor (ASC): für 10 Proben und Auftritte für Konzerte und Musiktheater erhalten Mitglieder des Ensembles 225 €. Da der ASC auch unter dem austriakischen Fantasietitel Hauschor des Theaters an der Wien firmiert, könnte man eigentlich die ca. 34 € der Wiener Staatsoper für Extrachoristen ansetzen. So kämen für ca. 25 Stunden Weltklassearbeit bescheidene 340 € zustande.
Wie sieht’s generell in Österreich mit Profi-Konzertchören aus, dem Land der Musik, wo in 1000 Einwohner-Dörfern schon einmal 7 Gesangsenembles existieren? Laut einem Ö1-Artikel vom 08.04.2017 gibt es keine: Es geht niemandem ab, es fehlt nicht – und doch ist es das größte musikalische Manko, das wir in Österreich haben: ein professioneller Konzertchor. Von den deutschen Rundfunk- und Profigesangsensembles ausserhalb von Opernhäusern muss man gar nicht erst reden. Selbst die winzigen Niederlande haben mindestens einen professionellen Konzertchor.
Österreich hat allerdings in Wien den global bekannten Musikverein und weitere Konzertsäle. Dazu die Wiener Philharmoniker und Symphoniker, das RSO des ORF. In Salzburg existieren die profitablen Festspiele sowie das Mozarteum-Orchester, das auch das Orchester des dortigen Landestheater ist. In den weiteren Landesteilen finden sich das Grazer Philharmonische Orchester, das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck, das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich und u.a. das Symphonieorchester Vorarlberg die z.T. auch die Orchester der dortigen Opernhäuser sind.
Man findet bis ca. 1992 den ORF-Chor, seit Anno dazumal aber nichts mehr dergleichen. Der Radio Wien Chor ist ein Laienchor, „eine Gemeinschaft aus dem ORF Landesstudio Wien, die sich mittwochs zum Singen trifft.“
Neben dem Arnold Schönberg Chor gibt es für großformatige Konzertereignisse in Wien noch den Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, ebenfalls ein Laienchor. Nur die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor besteht schon dem Namen nach vorwiegend aus Profis, laut Darstellung auf Wikipedia wie der Staatsopernchor analog oft um Extrachoristen aufgestockt. Laut dem o.g. Text gibt es noch die Herren der Hofmusikkapelle, wobei deren Sänger dort nebenberuflich mitwirken.
Tu felix Austria und Deine hochbegabten nebenberuflichen Singenden und Laiensänger! Nach den Selbstdarstellungen der Chöre wie eben dem Singverein und dem Arnold Schönberg Chor liest sich deren Chorwesen wie das der deutschen Profi-Rundfunkchöre. Die Bezahlung erfolgt aber nach Aufwandsentschädigungen für Laien oder Extrachöre.
Denkt man an die Pläne der deutschen FDP für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, soll zwar deren Kulturauftrag gestärkt werden, auf der Produktionsseite aber bis zu 60% der beauftragten Beiträge zum Kulturauftrag outgesourct werden (s. hier unter 2.2, Vorsicht, downladbares PDF: „Mindestens 60 Prozent des Programms jeder Anstalt werden von privaten Produktionsstudios, freien Produzenten etc. eingeworben. Die Anstalten selbst haben jenseits ihrer eigenen Produktionskapazitäten keine Beteiligungen an Produktionsbetrieben.“). Das könnte auch die Chöre und selbst die Orchester der Anstalten je nach Lesart betreffen und diese als billiger agierende Institutionen aus dem Funkhaus als Externe ausgegründet werden.
Da würde dann das Management und die musikalische Leitung wie bei den hochkarätigen Laienchören Österreichs exzellent honoriert werden, der Rest der Mitarbeitenden aber schlechter als jetzt bzw. als musikalisches, austauschbares Prekariat oder Nebenberufler behandelt werden. Das droht uns auch, wenn man an die Ideen zur Minimierung oder Abschaffung von Rundfunkgebühren denkt, in der Schweiz letzthin zur Volksabstimmung gebracht und noch einmal glimpflich abgewendet.
Um so wichtiger und wertvoller wäre es, z.B. eben den Arnold Schönberg Chor zumindest für einen Kern der Sängerinnen und Sänger zu einem Rundfunkchor oder staatlichen oder Wiener Landeschor umzuwandeln. Oder einen anderen Chor. Oder einen dementsprechend neu zu gründenden Chor ins Auge zu fassen.
Es kann nicht sein, dass man sich als das tollste Musikland aufführt, mit kommerziellen Hochkultur-Konzerten höchsten Ruhm einfährt und behauptet, sich auf der ganzen Welt hoch beachtete Großprojekte und Festivals leistet, die Choristen wie Profis castet und in ihrer Freizeit wie Profis drillt, auf der Leitungsebene sich professionelle Bezahlung leistet und den Rest der musikalisch Tätigen so niedrig als möglich abspeist.
Das mag zwar durch Audio- und Videoaufzeichnungen und deren Honorare und Leistungsrechte vielleicht ein wenig versüßt werden. Aber eigentlich müsste zuerst einmal der sängerisch professionelle Grundstock stimmen. Aktuell befindet sich die Profichorszene Österreichs also in der Kupferzeit. Macht man so weiter wie bisher katapultiert man sich dann allerdings in die Altsteinzeit. Und damit ist zu rechnen: Musikweltmeister und Weiterherumwurschtelweltmeister in einem. Oh, Du trauriges Musikland Österreich!
Komponist*in
Letztendlich ist es auch nicht nur ein Problem des niedrigen Honorars, was ausgebildeten Sängern und Sängerinnen mitunter dazu zwingt, nebenbei einen nicht-musikalischen Brotberuf auszuüben (insbesondere wenn sie keine qualitativen Abstriche in der künstlerischen Arbeit machen wollen) oder nach der Ausbildung die Musik nur noch als Hobby zu betreiben.
In einem Berufssektor, wo Prekarität normal ist, kann es auch leichter zum Machtmissbrauch kommen.
https://www.profil.at/gesellschaft/staatsopernchor-vorwuerfe-diskriminierung-belaestigung-10802153
Grundsätzlich ist es ja auch nicht verkehrt, wenn professionelle Musiker auch mal aus Eigenantrieb und aus künstlerischen Gründen ohne Rücksicht auf Finanzierbarkeit ein Konzertprojekt auf die Beine stellen. Zumal die Beantragung der Fördergelder oder die Sponsorensuche auch Kraft und Zeit kosten kann. Der Arnold Schönberg Chor hat auch mal so angefangen und hat über die Jahre Beachtliches geleistet, was jedenfalls Anerkennung verdient.
Nur ist es ein Systemproblem, wenn der Musikbetrieb eines ganzen Landes dauerhaft auf „ehrenamtlichen“ Tätigkeiten gebaut ist.
Denn das führt zu Ausbeutung und das ist eine gefährliche Entwicklung. Es ist ja nicht so, als ob der Intendant des Theaters an der Wien auch für eine Hungergage arbeitet, um das Theater zu retten. Gerade in Wien, der Hauptstadt der klassischen Musik, würde man meinen, dass die Wertschätzung für Musiker vorhanden ist.
Der Arnold Schönberg Chor musiziert mit dem Concentus Musicus Wien, Wiener Symphoniker, ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Bertrand de Billy oder Constantin Trinks. Es singen Kulman, W. Güra, F. Boesch.
Diese Auswahl ist beliebig.
Glauben Sie denn, dass diese genannten Künstler sich dabei „ehrenamtlich“ engagieren?
Da gibt es eine Wertschätzung, die in der Höhe der Gage zu erkennen ist, aber für den Chor nicht.
Warum?
Über Gagen spricht man nicht, doch jetzt scheint es ja offen bekannt zu sein, wenn es denn wirklich so ist,
was ein Chorist im Schönberg Chor verdient.
Ich frage mich, was denkt ein de Billy, ein Herr Trinks dann?
Einem in der Presse gelobten Klangkörper den Einsatz zu geben, der vermutlich eine Hungergage bekommt.
Warum verlangt das Management des Arnold Schönberg Chor keine höhere Gage?