Deutsche Grammophon goes “Avantgarde“
Was ist nur los mit der Deutschen Grammophon (kurz: DG), der altehrwürdigen Plattenfirma mit dem gelben Banner. Ein Name, der fast automatisch für Qualität in jeder Hinsicht der Musikkonservenherstellung stand. 1972 fusionierte man mit der Polygram, 1998 ging man in der Universal Music Group auf – und für den einen oder anderen auch unter. Da gab es damals die recht gewagten, anspruchsvollen Aufnahmen unter dem Titel „debut“. Legendär waren die dicken Kassetten mit mehreren Platten unter dem Titel Avantgarde, wo Stockhausen, Ligeti, Kagel und Co greifbar waren, aber auch weniger bekannte Aufnahmen wie von Lucas Foss zu finden waren.
Aber nun? Man muss sagen: Das ist lange vorbei. Und nicht nur das Medium Schallplatte gemeint. Es scheinen nun andere Schwerpunkte gesetzt zu werden, marktgerechte. Dass man kein Verein von musikalischen Samaritern ist, ist bei so einem Unternehmen der Musikindustrie nicht verwunderlich. Man will ja verdienen und nicht verpleiten. Gleichwohl darf man sich um die Ausrichtung Sorgen machen.
Neo-Plastik
Die neue Komplizenschaft mit dem Markt drückt sich darin aus, dass man versucht, ähnlich wie beim Label Edel mit den „Neuen Meistern“, einer frommen Avantgarde die Rillen zu schenken. Unter dem Stichwort Neo-Klassik macht man damit offensichtlich sogar Kasse. Kein Name neben Ludovico Einaudi steht dafür so deutlich wie Max Richter, den man hier als „Komponisten“ zu installieren versucht. In einer Pressemeldung der Grammophon liest man daher:
„Max Richters Werk verkörpert die Strenge klassischer Tradition ebenso wie die Experimentierlust zeitgenössischer Electronica. »Musik existiert jenseits von Grenzen«, sagt er und schreibt intelligente Kompositionen, die in ihrer Ehrlichkeit entwaffnen und trotz ihrer Raffinesse zugänglich bleiben.“
Man weiß gar nicht, wo man zuerst weinen muss. Bei der Kombination von Tradition und Experimentierlust oder bei der entwaffnenden Ehrlichkeit oder der Zugänglichkeit trotz Raffinesse. Richter soll so zur ästhetisch eierlegenden Wollmilchsau stilisiert werden. Ein Botschafter der großen und publikumswirksamen Musik. Und man schreibt weiter: „Aufgrund seiner wegweisenden Soloalben ist Richter seit Langem eine feste Größe der Avantgarde.“
Und die Avantgarde weiß davon wenig. Vielleicht meint man aber auch die Avantgarde des Musikmarktes. Oder doch sogar mehr? „The Line of Best Fit“ wird in der Pressemeldung der Deutschen Grammophon zitiert mit den Worten: »Max Richter ist wahrhaft ein musikalisches Genie unserer Zeit.« Wahrhaft wahnhaft, liebe Kolleginnen aus England.
So freut man sich aktuell bei der Deutschen Grammophon darüber und bringt es als Eilmeldung, dass eben dieser Richter sein achtstündiges Werk „Sleep“ an der Chinesischen Mauer gespielt werden soll. „Für die Konzertbesucher werden Betten aufgestellt, in denen sie während des Konzerts schlafen können.“ Nächster Schritt? Mit der Rakete auf den Mars? Mit dem Implantat im Gehirn in die Ewigkeit. Schlafet ein, ihr Schwestern und Brüder. Richters Musik ist die einzige Musik, die man selbst vom Sirius aus mit bloßen Ohren hören kann.
Hyper-Hype
Eine andere Meldung der Deutschen Grammophon verkündet freudig: „Deutsche Grammophon nimmt den preisgekrönten Komponisten Dustin O’Halloran unter Vertrag.“ Auch so ein Kandidat für die DG-Avantgarde, dessen Werke für Klavier uns Streicher der Präsident der DG, Dr. Clemens Trautmann, als hypnotisch bezeichnet und er sich freut, „in enger Partnerschaft mit ihm [dem Komponisten] neue Wege zu erkunden.“
Nicht lange um den lauwarmen Brei herumgeredet. Diese Avantgarde ist das musikalische Paralleluniversum zu derjenigen der Autowelt: Eine SUV-Avantgarde. Der Tonfall der Promotion für diese Musik gleicht bis in Details derjenigen, die man aus der Autowerbung kennt.
„Am Steuer des DS 3 CROSSBACK ziehen Sie automatisch die Aufmerksamkeit auf sich. Mit seiner geschwungenen Silhouette und seinen großen Rädern unterstreicht dieser kompakte Premium-SUV seinen ausdrucksstarken und avantgardistischen Stil.“ … „Als ideale Verbindung aus Eleganz, Komfort und Technologie zeichnet sich unser kompakter Premium-SUV DS 3 CROSSBACK durch eine markante Silhouette aus, die durch moderne und raffinierte Details betont wird.“ [Quelle: Internet]
Was uns im Falle dieser Musik fehlt, ist ein Manifest. So wie es Marinetti einmal verfasst hat. Denn die Avantgarde gibt es nicht ohne Manifest.
Moneyfest – Neue Meister
Der Ballermann der Musik – Klangkübel.
Es lebe die Stromlinie.
Wir sind die Avantgarde des Plusquamperfekt.Wir sind Klassik-Kings und die Zukunfts-Kongs mit den drei Moll-Akkorden,
Die wir aus tiefstem Herzen (er)brechen.
Moll ist toll.
Nieder mit der Klangkotze aus Darmstadt.Wir sind die Chirurgen der Einfalt.
Unsere musikalische Poetik ist der Allradantrieb der musikalischen Zukunft.
Einfallslosigkeit ist unser Seelengrund und zeugt von der Tiefe unserer Empfindung.Wir machen Kasse,
Wir sind Klasse.
Wir sind unüberhörbar,
Wir sind das musikalische Weltall und die Quarks der Musikkultur.Das Quarketing ist unser DING. Es schläft der Wahnsinn in allen Dingen.
Zusätzlich zu den Standard-Klanglackierungen sind für das Avantgarde-Paket besondere Farbtöne wie „violan“ oder „amazonitgrün“ lieferbar.
Siehe auch:
seit 1997 chefökonom der kritischen masse und netzbabysitter der nmz.