Eine geplante Festschrift zum 65. von Dr. Mauser – Blumenstrauss oder Exkulpation?
Es wäre so schön gewesen: hätte Dr. Siegfried Mauser im Frühjahr 2017 seinen Berufungsprozess gegen die ihn sexueller Übergriffe beschuldigenden Frauen gewonnen oder spätestens das OLG Bayern ihn im Herbst 2018 freigesprochen, wäre die zu seinem 65. Geburtstag im November 2019 in der zweiten Jahreshälfte 2019 erscheinen sollende Festschrift „Musik verstehen – Musik interpretieren. Festschrift für Siegfried Mauser zum 65. Geburtstag.“ ein Triumph der Rehabilitation geworden. Wird sie jetzt vielleicht eine Art „Exkulpation durch Applaus“, wie es gerade Placido Domingo trotz inzwischen 20 ihn beschuldigenden Frauen widerfährt? Den Zusammenhang mit Placido Domingo stellten die Mausers allerdings selbst her, als seine Gattin den Domingo-Kommentar von Maria Ossowski auf deren Facebook-Seite das eigene Schicksal und das ihres Mannes bedauernd kommentierte [Update: das Profil auf FB von Frau Mauser gibt es derzeit nicht mehr aufzufinden, seit 10.10.19, daher ist auch der Kommentar nicht mehr auffindbar. Allerdings stellen längst andere Kommentatoren Verbindungen zwischen den Fällen her – so erwähnt z.B. Rainer Pöllmann in seinem Kommentar zum finalen BGH-Mauser-Urteil die exkulpierende standing ovations für Domingo auf den Festspielen 2019].
Die Festschrift, die im Verlag Königshausen und Neumann erscheinen soll, wird durch Dieter Borchmeyer, Susanne Popp und Wolfram Steinbeck herausgegeben. Die Verbindung des ersten der drei Namen, der Borchmeyers, ist mit den Versuchen verbunden, Mauser aussergerichtlich von Schuld freizusprechen. Wir erinnern uns: als 2016 das erste Urteil des Amtsgerichts München Mauser zu 15 Monaten wegen eines sexuellen Übergriffs an der Cembalistin und Professorin Christine Schornsheim, deren Namen wir seit der ARD-Doku kennen, verurteilte, schrieb Borchmeyer wie z.B. auch Hans Magnus Enzensberger einen empörten Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung.
2018 wollte Borchmeyer ein Konzert mit Mauser in der Großen Aula der Uni Heidelberg veranstalten, dass er auf massiven Protest hin absagen musste. Der Protest entstand nach dem letztinstanzlichen Urteil des OLG Bayern. Heribert Vogt paraphrasiert Borchmeyer in der Rhein-Neckar-Zeitung vom 16.11.18 (Ein Testfall für Toleranz) wie folgt: „Zu der komplexen Gemengelage gehört außerdem… die zumindest…theoretische Möglichkeit, dass der Mann unschuldig ist.“ Vorsichtig interpretiert könnte das bedeuten, dass Borchmeyer auch nach dem OLG Revisionsurteil an der Sichtweise der Justiz und der Schuld Mausers in der Sache des gerichtlich abschliessend ermittelten sexuellen Übergriffs zweifelt.
Das stünde im Widerspruch zu einem interessanten Satz aus seinem o.g. Leserbrief: „Gewiss, läge wirklich ein kriminelles Fehlverhalten vor, wie es ihm das Amtsgericht München zur Last legt, würde das auch durch seine bedeutende Lebensleistung schwerlich aufgewogen.“ Nimmt man ihn hierin beim Wort und betrachtet die Festschrift als einen Meilenstein in der Bewertung der Lebensleistung Mausers, würde man mit dem Veröffentlichen solch einer Festschrift sehr vorsichtig sein. Zumal zu einem Zeitpunkt, wo das Urteil des zweiten Falles des Prozesses vor dem LG München 2017/2018 diesen September seine immerhin öffentliche Revisionsverhandlung vor dem BGH in Karlsruhe haben wird.
Natürlich dauert die Vorbereitung einer solchen Festschrift so um die 2 Jahre. So war aber auch Anfang 2017 noch nicht abzusehen, wie die Revision des damaligen Berufungsurteils ausgehen wird und es stand der zweite Fall vor dem LG. Eigentlich wäre auch damals Vorsicht angesagt gewesen, nähme man den o.g. Satz wirklich ernst. Doch Borchmeyer wie auch eine der Autorinnen der Festschrift, Nike Wagner, verbindet der Furor, für ihren Freund Siegfried Mauser trotz bestehenden Urteilen prominenteste Auftritte zu vermitteln: sie musste 2018 sein Engagement beim Bonner Beethovenfest absagen wie später auch Borchmeyer eben in Heidelberg. Auf dem Konzert- und Gesprächspodium in Bonn wäre ebenfalls Susanne Popp vom Reger-Institut gesessen.
Susanne Popp ist übrigens auch eine der Autorinnen der Festschrift. Auf der Homepage ihres Reger-Institutes führt sie Mauser immer noch als Kuratoriumsmitglied, dessen Amt allerdings dort ruhen würde. Verheddert sich Borchmeyer zwischen seinen Leserbrief-Worten und seinem Lebensleistung-Ehren, so schien in seinem SZ-Leserbrief Michael Krüger an der Funktionsfähigkeit der Justiz zu zweifeln: „Das Urteil…ist eine Blamage für die Justiz…“. Er steuert ein Gedicht zur Festschrift bei.
Auch Komponisten steuern Kompositionen bei, die dort wohl abgedruckt sein werden: Aribert Reimann ein „Albumblatt für Sigi für Klavier“, dessen Handschrift wohl das Deckblatt der Festschrift mit einer Buchstaben-des-Namens-zu-Tonhöhen Linie ziert. Von Manfred Trojahn erscheint das Lied „O Mort“, das er für Mauser und die Liederwerkstatt des Bad Kissinger Musiksommers erstellen durfte. Wolfgang Rihm steuert „Solitudo (Intermezzo für Sigi)“ bei. Von Peter Michael Hamel sollen drei Klavierlieder dabei sein und Helmut Lachenmann gewährt den Abdruck von „My Melodies für acht Hörner und Orchester, 1. Ausschrift, S. 13“. Jörg Widmann ist mit einem Textbeitrag dabei. Und da Mauser im Sternzeichen des Skorpion geboren wurde, wird von Wilfried Hiller das Stück „Skorpion“ abgedruckt.
Nach einigen Beiträgen von bekannteren und weniger bekannten Musikwissenschaftlern sollen das Buch Dieter Rexroth, Jörn P. Hiekel und Jürg Stenzl abschliessen. Als letzte Beiträge sind Texte eines wissenschaftlichen und eines philosophischen Schwergewichts vorgesehen. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz präsentiert seine Pläne für die Musikethnologie im Humboldt-Forum im neuen alten Berliner Schloss. Daran zeigt sich übrigens der leicht veraltete Stand der Festschrift: seit März 2018 ist bekannt, dass Lars-Christan Koch Direktor der dortigen Musikethnologie wird, so dass er mehr dazu als Musikwissenschaftler denn Parzinger als Archäologe zu sagen hätte. Die Wurzeln der Festschrift müssen also im Jahre 2017 liegen.
Bevor ich den letzten Beitrag erwähne: ist den 35 Gastautorinnen und Gastautoren bewusst, woran sie sich da beteiligen? Wenn von drei Herausgebern zwei Borchmeyer und Popp sind, ist deren Absicht mutmasslich nicht nur die wissenschaftliche und künstlerische Ehrung des umfangreichen Lebenswerkes Mausers, wenn man ihr weiteres Engagement für den Beschuldigten und Verurteilten in der Person des Sexualstraftäters Mauser als Musiker in Betracht zieht. Will man wirklich zum Unternehmen „Exkulpation durch Festschrift“ gehören, wozu dieses Buch leider zu werden droht, sollte es nach der wie auch immer ausgehenden BGH-Revision erscheinen? Wie gesagt, es gibt da ja noch die rechtskräftige erste Verurteilung, die, denkt man an die Leserbriefe oder die Äußerungen Nike Wagners, sowieso keiner von diesen Personen je ernst zu nehmen schien.
Um mit dem Autor Peter Sloterdijk und seinem doppeldeutigen Titel, dem letzten Beitrag der Festschrift, zu sprechen: „Von der Kunst zur Wahrheit“ als Weg oder „Von der Kunst zur Wahrheit“ zu finden? Die Wahrheit zumindest im Sinne juristischer letztinstanzlicher Ermittlung und Urteilsfindung wird jetzt im September offenbar werden. Oder schlägt hier einfach nur komplett das „Netzwerk Mauser“ um sich? Apropos: als wolle man die Wirkmacht der Sloterdijkschen Worte als frischen Wind durch die Nase ziehen, tritt Mauser wohl noch vor dem Prozess mit ihm gemeinsam im Blaibacher Konzerthaus im Bayerischen Wald auf. Möge es der allseitigen Erkenntnis helfen.
Komponist*in
@Alexander: Eine Festschrift ist per definitionem nicht zur Thematisierung oder gar Aufarbeitung von justiziablem Verhalten des/der Gefeierten geeignet, denke ich mal. Der Verlag hätte aber entscheiden können, sie angesichts der Tatsache, dass es sich bei dem Gefeierten um einen mehrfach rechtskräftig verurteilten Sexualstraftäter handelt, einfach nicht zu veröffentlichen.
Es kann natürlich auch sein, dass alle oder einige der Beiträge bereits vor Bekanntwerden von Mausers Straftaten feststanden und der Verlag seitdem nicht nochmals bei den BeiträgerInnen nachgefragt hat. Vielleicht kommen ja noch ein paar nachträgliche Distanzierungen, warten wir’s ab.
Sollte dem aber nicht so sein, war allen Beteiligten sehr wohl bewusst, „woran sie sich da beteiligen“, wie so so schön sagst, denn die Verfahren gegen Mauser waren ja nicht gerade Geheimprozesse.
In diesem Fall ist verstörenderweise davon auszugehen, dass es all den von dir aufgezählten HonoratiorInnen EGAL ist, dass Mauser ein mehrfach rechtskräftig verurteilter Sexualstraftäter ist. Sie trennen das ab und feiern ihn trotzdem. Könnte ich nicht.
Danke, Stefan. Habe im Text als Nachtrag meine Quellen-Recherche eingefügt. Über 30 Beiträge der 38 bzw. 39 Texte/Kunstwerke scheinen Originalversionen für die Festschrift oder Neufassungen bestehender Texte zu sein, letzteres lässt sich für 5 Beiträge konkreter vermuten. 3 Beiträge sind ganz klar Übernahmen aus anderen Kontexten.
@Alexander: Danke ebenfalls, sehr aufschlussreich!
Abgesehen davon muss ich meinen Kommentar präzisieren: Mit Stand heute steht „Musik verstehen – Musik interpretieren. Festschrift für Siegfried Mauser zum 65. Geburtstag“ immer noch mit „erscheint demnächst“ auf der Homepage des Verlags (https://www.verlag-koenigshausen-neumann.de/product_info.php/info/p9418_Musik-verstehen—–Musik-interpretieren–Festschrift-f–r-Siegfried-Mauser-zum-65–Geburtstag–ca–468-Seiten–ca–78-00—-.html). Königshausen & Neumann hat also weiterhin die Option, das Buch zumindest in dieser Form nicht zu publizieren.
@alle: Eine weitere Präzisierung meines ersten Kommentars: Mauser wurde lt. Stand heute der deutschsprachigen Wikipedia erst in einem Verfahren rechtskräftig verurteilt, das „mehrfach“ ist also zu streichen.
Lieber Stefan, ich bin nicht grundsätzlich gegen eine Publikation dieser Festschrift. Allerdings der Zeitpunkt ist gerade arg merkwürdig, wenn man die Geschichte der abgesagten Konzerte in Betracht zieht, wie sie die Justiz relativierend durch ihre Organisatoren, die auch bei der Festschrift wichtige Rollen einnehmen, verteidigt wurden. Und Danke für das korrigieren.
Bei #metoo gibt es immer wieder die Kritik, dass die Existenz von mächtigen Männern mittlerweile durch bloße Anschuldigungen von Frauen zerstört werden würde.
Ich beobachte aber auch die Tendenz der Gleichgültigkeit: öffentlich gewordene Vorfälle oder aber selbst Verurteilungen (wo man nicht mehr mit Rechtsstaatlichkeit und Unschuldsvermutung argumentieren kann) führen nicht unbedingt zum Machtverlust.
Klar ist das deutsche Strafrechtssystem auf Resozialisierung ausgelegt und auch ein Verurteilter bekommt in Deutschland eine zweite Chance. Ein gutes Lebensumfeld soll präventiv gegen Rückfall wirken.
Um mit der Argumentation eine Festschrift zu rechtfertigen, müssten die Herausgeber und die Gratulanten ihrerseits sich ganz konsequent gegen sexuellen Machtmissbrauch aussprechen, sonst wäre es kein Umfeld, welches der Resozialisierung dient.
Bei einer Festschrift zum Geburtstag kann man ja nicht mal damit argumentieren, dass die Kunst und der Künstler zu trennen seien.
Liebe/r k., ja! Gerade der Herausgeber Borchmeyer schrieb wie bereits oben zitiert: „Gewiss, läge wirklich ein kriminelles Fehlverhalten vor, wie es ihm das Amtsgericht München zur Last legt, würde das auch durch seine bedeutende Lebensleistung schwerlich aufgewogen.“ Nun, damit wäre ein Disclaimer der Herausgeber sich von jeglicher Form sexueller Gewalt zu distanzieren, angebracht. Aber wie Sie es auch erkennen und benennen – man hat den Eindruck, dass schlichtweg die Ergebnisse der Urteile, des rechtskräftigen und der noch schwebenden, etliche Personen des Musik- und Wissenschaftslebens nicht interessieren.
Ist das Konzerthaus Blaibach ein Selbstbedienungsladen des Intendanten Thomas E. Bauer ? Wenn er unbedingt ein gemeinsames Konzert mit seinem Lehrer Siegfried Mauser veranstalten möchte, sollte er einen privaten Saal mieten. Ein öffentlich subventioniertes Konzerthaus sollte nicht einem verurteilten Sexualstraftäter zur Verfügung stehen. Welcher Bürger möchte, sein Steuergeld verwendet sehen, für eine Gage dieses Pianisten. Zum Glück sind in der Klavierwelt keinerlei Verluste zu erkennen, ohne den Herrn Mauser.
Nun, denke, dass Blaibach doch ein guter Ort wäre, um an seiner Resozialisierung zu arbeiten. Das Konzerthaus hat ja ein schönes Programm, liegt etwas ab vom Schuss. Sieht man die Nähe zum Verhandlungstermin der Revision, fragt man sich allerdings: reicht da nicht ein einfacherer Schauspieler als der prominente Philosoph? Andererseits ist es ja auch gut, wenn ein denkender Freund mit dabei: da gibt’s eben doch die Möglichkeit zur Erkenntnis. Na ja, jedenfalls ist es – wie o.g. – ein angemessenes Podium der Resozialisierung wie z.B. Konzerte im Wendland. Dann kann man sich in 1-2 Jahren wieder auf die Podien hinauf spielen. Aber nicht gleich direkt aus’m Gerichtssaal auf die große Bühne. Das führte zum Protest in Bonn und Heidelberg.
Guter Punkt.
Das Problem dabei für Betroffene ist meiner Meinung nach, dass sie meistens nicht einordnen können, wer auf welcher Seite steht. Das ist auch ein Grund fürs lange Schweigen. Die Angst ist, dass wenn man sich einer falschen Person, einem falschen Kollegen anvertraut, das fatale Folgen haben kann.
Würde der Freund des Täters gegen das Opfer arbeiten, oder würde er – auch wenn er Freund des Täters ist – auch zu dem Opfer stehen?
Auch deshalb ist es wichtig, dass die „Resozialisierungshelfer“ ihren eigenen Standpunkt deutlich machen und unmissverständlich artikulieren: nämlich, dass sie NICHT deshalb den Täter engagieren, weil sie von seinem Unschuld überzeugt sind und glauben, dass ihm durch die Anschuldigungen Unrecht geschehen ist.
Überhaupt – bisher lag bei #metoo der Fokus auf die Person des Täters bzw. des Beschuldigten selbst.
Es wäre jetzt an der Zeit, dass man auch das System dahinter, das Umfeld, thematisiert, welches einen Mauser, einen Kuhn, einen Domingo usw. erst möglich gemacht hat. Und damit meine ich nicht Dinge wie „1:1 Unterricht“. Sondern, wer hat weggeschaut oder das übergriffige Verhalten des Täters sogar aktiv gefördert, und aus welchen Gründen? Ich meine das nicht unbedingt im Sinne von Anklage („wer ist mitschuldig und gehört entlassen“), sondern im Sinne von Aufarbeitung, Aufklärung, Weichenstellung für die Zukunft. Denn nur so kann Veränderung passieren.
Unter dem Begriff Resozialisierung versteht man nach meinem Dafürhalten die Wieder-Eingliederung eines Straftäters in die Gesellschaft, der sich durch seine Straftat außerhalb der Gesellschaft gestellt hat. Siegfried Mauser jedoch hat für seine Tat nicht im Gefängnis gesessen, sondern ist immer noch frei. Anders gesagt, er befindet sich also immer noch innerhalb der Gesellschaft. Wozu ihn also resozialisieren.
Resozialisierung hat doch den Zweck, einen Straftäter vor Rückfälligkeit zu schützen. Dafür sollte er aber wahrnehmen und realisieren seine Mitmenschen geschädigt zu haben. Mauser hat keinerlei Reue für seine Tat gezeigt. Hat er sich bei den geschädigten Frauen aufrichtig entschuldigt? Stattdessen hat man den Eindruck, dass sein Netzwerk sich nur noch mit Victim blaming beschäftigt. Bereut Mauser seine Tat ernsthaft, vermeidet er von sich aus öffentliches Auftreten Zumindest solange ein Urteil nicht rechtskräftig ist.
Diese Konzertveranstaltung in Blaibach kann man als eine Art Demonstration interpretieren. Der Veranstalter des Konzertes ist Mausers Ex-Student. Einer der Mitwirkenden gehört ebenfalls zu Mausers Netzwerk. Sie alle zeigen gemeinsam und demonstrativ, dass die Rechtsverurteilung Mausers, sie keinesfalls beeindruckt. Schlimm genug, dass sie dafür auch noch die staatlich subventionierte Bühne benutzen. Und das ärgert wohl jeden Steuerzahler ausgenommen Mausers Freunde. In dieser Lage von Resozialisierung zu reden, ist durchaus unangemessen.
Ein Künstler lebt von seinem Image. Selbst ein Ausnahme-Pianist wie Pletnev hat seit seiner Thailand Geschichte viele Fans verloren. Verglichen mit Pletnev ist Mauser ein kleiner Fisch im internationalen Klavierbetrieb. Einen verurteilten Sexualstraftäter und Künstler in ein Konzerthaus einzuladen, ist im Vorfeld mit Verlust-Geschäften bedacht. Ein geschäftstüchtiger Intendant wird es sicherlich nicht tun. Sollte es ihm aber es egal sein, dann ist er kein guter Intendant.
Liebe Sonia G.Y.,
Bei einem Drogendealer, der unter seinen Kollegen und Kunden Ansehen genießt und dort das Sagen hat, also in einer Parallelwelt lebt, sagt man auch nicht, dass er resozialisiert ist. Die Resozialisierung funktioniert in dem Fall so, dass er sich aus der Szene loskommt und ein Leben mit ordentlicher Erwerbstätigkeit und ohne Drogen anfängt.
Solange Mauser sich also im Kreis von Kollegen bewegt, die sexuelle Übergriffe gut heißen bzw. bestimmte Formen von sexuellen Übergriffen nicht als sexuelle Gewalt sehen sondern als künstlerische Freizügigkeit, lebt er weiterhin in einer Parallelwelt und ist nicht resozialisiert. Resozialisierung findet dann statt, wenn er sich von der Parallelwelt loslöst und sich in eine Welt integriert, die sexuelle Übergriffe nicht gut heißt.
Gerade deshalb ist es wichtig, Stellung zu beziehen. Die Parallelwelt ist gerade in der Klassik ja nicht klein.
Ein Intendant, der einen Sexualtäter nur deswegen auslädt, weil ein „verurteilter Sexualtäter“ für ihn Verlustgeschäft bedeutet, ist für mich nicht wirklich ethisch integer sondern nur geschäftstüchtig.
Denn das bedeutet, dass solange die Kasse stimmt, was ihm egal wäre, wieviel Leid der Künstler sonst verursacht hat. Damit die Kasse stimmt, wird dann viel mit PR und Image-Kampagnen für den Künstler gearbeitet, was eine zusätzliche Demütigung für Opfer bedeutet.
Im Übrigen spielt Pletnev, ohne dass es Proteste gibt.
Es gibt einen Hacken mit Mausers Resozialisierung: Er bewegt sich weiter hin im Kreis von Kollegen und Freunden, die sich mit seiner Tat nicht kritisch auseinandersetzen. Zu Hause hat er seine Nibelungen treue Gattin, die energisch um seine Unschuld im Netz kämpft. Wo tritt Mauser hauptsächlich auf?. Es sind die Plätze, in denen seine Freunde Führungsposition innehaben. Andere Konzerthäuser haben wohl kein großes Interesse an dem Pianisten. Also, Mauser wird durch sein Umfeld blockiert, „sich von der Parallelwelt loszulösen.“
Ich persönlich finde es schon bemerkenswert, wenn Intendanten oder Musikdirektoren, die einen Möchte-Gerne-Bariton wie Domingo nur wegen seiner Berühmtheit einladen. Derart aufgestellte Musiktheater und Festspiele besuche ich schon lange nicht mehr. In meinem vorigen Kommentar beabsichtigte ich in keine Weise, dass ein Intendant nur gewinnbringende Künstler einladen sollte. Sondern, dass Intendanten mit Steuergeld nicht leichtfertig umgehen sollten, indem Sexualstraftäter eingeladen werden. Es gibt so viele guten Musiker ohne Engagements. Zu den Aufgaben eines Intendanten zählt auch die Suche nach Talenten.
Gegen Pletnev wurde nicht mal prozessiert. Um Protest Aktionen zu veranstalten, braucht man doch einen konkreten Hinweis. Nach dem Vorfall hielt Pletnev sich ziemlich lange Zeit fern von Podien. Seine Zurückhaltung hat ihm vielleicht geholfen für ein Comback. Sein Image Schaden aber bleibt.
Vielen Dank für den wichtigen Beitrag und die nüchterne Analyse.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-prozess-musikhochschule-siegfried-mauser-bundesgerichtshof-bgh-1.4604483
„Denn die Bundesanwaltschaft ist der Meinung, der 64-jährige Musiker hätte auch wegen Vergewaltigung verurteilt werden müssen. (…) Den Einsatz von Gewalt hatten die Richter zwar bejaht, waren aber nicht davon überzeugt, dass damit ein „entgegenstehender Wille“ der Frau überwunden worden wäre.“
Interessant ist es tatsächlich, dass Anzeigen wegen ‚Vergewaltigungen‘ früher tatsächlich auch mit genau dieser Begründung eingestellt wurden. Ja, ‚Gewalt‘ wurde angewandt, und Nein, die Frau hat es nicht gewollt, aber der entgegenstehende Wille der Frau war dem Beschuldigten nicht bewußt gewesen.
Was passiert eigentlich dann jetzt mit alldenjenigen, die mit dieser Begründung seinerzeit nicht verurteilt worden waren (und als Unschuldige weiterhin konzertieren, unterrichten usw.)? Es ist dasselbe Gesetz. Die Rechtssprechung war nur anders.
Sollte man da nicht auch bei anderen genauer hinschauen, zumindest branchenintern?