Die unwissentliche CSU-Orbanisierung des Münchener Kulturlebens
Vor zwei Tagen forderte der münchnerische CSU-Stadtrats-Fraktionsvorsitzende Manuel Pretzl in Bezug auf die Kammerspiele und ihren Intendanten Matthias Lilienthal: „Eigenbetrieb Münchner Kammerspiele muss parteipolitische Neutralität wahren. 1.) Der Oberbürgermeister untersagt den Kammerspielen München die Beteiligung an der Demonstration ‚#ausgehetzt – gemeinsam gegen die Politik der Angst!‘ 2.) Gegen die Verantwortlichen werden dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen eingeleitet.“
Man muss wissen, dass aufgrund des Aufstands der CSU-Fraktion im Stadtrat Matthias Lilienthal im Frühjahr 2018 sich entschied, seinen Vertrag als Kammerspiele-Intendant nicht über 2020 hinaus zu verlängern. Die CSU warf ihm zu viel Popkultur, Politik und Performance vor, abgerundet mit einem Publikumsschwund, der nicht ungewöhnlich ist, wenn ein nach zwei Spielzeiten neuer Intendant immer noch neu zu sein scheint und Teile der Rezeption alt aussehen lässt. Höchstwahrscheinlich könnte man ästhetisch sehr gut darüber streiten. Doch die CSU drehte gleich politisch auf. Und bevor sie ihn mit ihrer Stadtratsmehrheit schassen konnte, erklärte Lilienthal seinen Abgang für 2020 selbst.
Man könnte nun sagen, dass Lilienthal und sein Team – nach Darstellung des Hauses erfolgte die Entscheidung kollektiv – mit der Rolle als Erstunterzeichner mit vielen Anderen des Demonstrationsaufrufes endlich ebenso politisch offensiv agiert, wie die CSU im Frühjahr aggressiv am Intendantenstuhl sägte. Das wurmt die Politiker. Denn die Demonstration „#ausgehetzt“ richtet sich gegen die an Niveau und Umfragewerten verlierende CSU. Gegen die CSU, deren Parteichef Horst Seehofer sich über die zufällige Zahlengleichheit von 69 abgeschobenen Afghanen zu seinem 69. Geburtstag freute. Genauso inkriminiert Seehofer Seenotretter in Richtung Menschenhändler derweil so viele aus Libyen Fliehende ertrinken wie seit langem nicht mehr. Oder der CSU-Ministerpräsident Bayerns nennt Fliehende Asyltouristen und dann wieder nicht. Wäre da nicht zu fragen, ob das Mäßigungs-/Neutralitätsverbot im öffentlichen Dienst auch nicht für deren oberste Behördenleiter gelten sollte, wie eben dem Bundesinnenminister und dem Ministerpräsidenten?
Ausgerechnet die münchnerische CSU, die sich selbst als „christlich-soziale und liberale Großstadtpartei“ tituliert, deren Chef Josef Schmid, auch Bürgermeister, zusammen mit dem SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter die CSD-Demonstration letztes Wochenende anführte, also ein gezeigter Ausbund an CSU-Liberalitas-Bavariae, deren führende Großstadtfraktionsmitglieder wie Offman, Quaas, Vogelsgesang oder Menges mal offener, mal zurückhaltender mit dem Gerieren der Parteiführung über Kreuz liegen, ausgerechnet jene Großstadt-CSU führt ihren Kleinkrieg gegen Matthias Lilienthal weiter, weil er und sein Team genau die Politik der CSU-Führung anprangern, die sie selbst offen kritisieren. Die Abendzeitung zitiert Richard Quaas, der sich selbst stark für Flüchtlinge einsetzt, wie er gegen Lilienthal formuliert, der seiner Meinung „im andauernden Berliner linken Theaterchaos“ sozialisiert sei und „ein besserer Politkommissar“ wäre, „der glaubt mit Berliner Schnoddrigkeit die Münchner“ zu beglücken.
Den Oberammergauer Passionsspieleleiter Christian Stückl, der gerade seinen Vertrag als Volkstheaterintendant verlängerte und mit dem Volkstheater auch zu den Erstunterzeichnern der Demonstrationsaufrufenden gehört, bestrafte man nur mit Fernbleiben des o.g. Josef Schmid. Man hat den Eindruck, als sei hier die böseste CSU-Anti-Macht am Werke. Dabei gehört auch die mit der sogenannten Großstadt-CSU, eben der angeblichen liberalen CSU im Gegensatz zur Landes- und Bundes-CSU, die Stadt regierende SPD Münchens zu den Erstunterzeichnern. Oder die Grünen, die queeren Rainbow Refugees, der Kreisjugendring, kirchliche Organisationen oder die berühmte Lichterkette sind Erstunterzeichner. Klar, auch die in Bayern zwergenhaften MLPD-Hardcore-Sozis oder die Linke sind dabei, aber ein g’stand’ner Bayer muss lange in seiner Schnupftabakdose nach diesen kramen, wenn er sich über diese aufregen wollte.
Klar, formaljuristisch müssen sich Beschäftigte und Einrichtungen des öffentlichen Dienstes zurückhalten. Nur zeigen damit wiederum Herr Pretzl und seine ihn verteidigenden Großsstadt-CSU-Freunde, dass sie Theater nicht verstanden haben. Demnach müsste die CSU im Stadtrat jede provokantere Inszenierung zur Abstimmung stellen. Denn es ist eben die Aufgabe eines Theaters oder auch eines Festivals oder selbst eines Orchesters jederzeit soziale Fragestellungen, wozu auch politische Lagen gehören, künstlerisch zu hinterfragen, künstlerisch, sozial und somit auch politisch das Publikum zu wecken. Das muss nicht allein mit Brecht und seinen Nachfolgern geschehen.
Aber deren Mittel sind in zeitgenössischer Transformierung ein wichtiges Ausdrucksmittel heutiger Künstlerschaft. Und im Sinne dieser handelt das Kollektiv der Kammerspiele und seines Intendanten, wenn es „wehret den Anfängen“ der rechtskonservativen Ultrarechtswerdung mit anderen ausruft. Ja, ausgerechnet in der Münchner CSU formiert sich gerade eine „Union der Mitte“, die unbedingt die CSU mit der gemäßigten CDU versöhnen will, ausgerechnet die Großstadt-CSU ist in weiten Teilen überhaupt nicht vom Wording bis zum Hofieren Victor Orbans der Parteichefs d’accord.
Und diese sich noch liberal nennende Münchner CSU benimmt sich wie die Fidesz, als deren Kulturpolitiker ab 2010 den Dirigenten Adam Fischer aus dem Lande ekelten, dem Opernintendanten Balasz Kovalik ähnlich mit Geld- und Auslastungsfragen sowie pseudo-ästhetischer Erregung wie die hiesige CSU Lilienthal kamen und den politisch unbequemen Leiter Robert Alföldi des Nationalschauspieltheaters das Amt nicht mehr verlängerten. Es ist davon auszugehen, dass die städtischen CSU-Kultur-Politiker nicht so denken wie Fidesz-Kulturpolitik handelt. Aber angesichts all der unchristlichen Aktionen der bayerischen Partei mit dem C für christlich ruft Jesus im sich verdüsternden weiß-blauen Himmel öfters als bei seiner Kreuzigung „sie wissen nicht, was sie tun!“
Wie gesagt, man kann Lilienthal garantiert künstlerisch kritisieren, man kann der Vertragsverlängerungszeremonie von Stückl fernbleiben. Und man kann sich gegenüber Kulturschaffenden ins Dienstrecht flüchten. Aber wie hier versenkt man dann die Freiheit der Kunst und der mit ihr verquickten Meinungsfreiheit. Ob Lilienthal samt Team oder Stückl als Privatpersonen zur Demonstration aufgerufen hätten, auch dann hätte man sie als Vertreter ihrer Institution in der Öffentlichkeit wahrgenommen.
Das hätte der CSU wohl auch nicht gefallen. Aber so ruft sie gegenüber ihrem Lieblingshasssubjekt Lilienthal nach Maulkorb und Massregelung. Oberbürgermeister Reiter nahm den Antrag zur Prüfung an, machte der CSU aber wenig Hoffnung. Auch der Kulturreferent Küppers stellte sich hinter seine Theaterchefs. Martin Kusej vom staatlichen Residenztheater verfasste eine Solidaritätsadresse, die Kulturpolitiker der Mitte von Grünen und SPD stehen zu den Intendanten.
So wird eine Rückkehr zum „blonden Fallbeil“ verhindert, als Edmund Stoiber als Kanzleichef von Franz Josef Strauss Kabarettisten anzeigen ließ oder der BR sich aus der ARD bei CSU-kritischen Themen manchmal ausklinkte. Die populistisch aufgepeppten Titulierungen Lilienthals zum „Politkommissar“, der Schreiantrag gleichsam nach knebelnden Fusseisen und Beinketten bringen ein Klima gegen Theatermacher in die Bundesrepublik zurück, das in den 70ern Claus Peymann in Stuttgart widerfuhr. Natürlich ist das heute gemäßigter. Aber dafür schreit man Zeter und Mordio bei viel kleineren kritischen Solidarisierungen, vor allem wohl, wenn Kritik prominenter, CSU-ungeliebter Künstler gegen die momentan gefährlich bleiern werdende, sich in Form des Bundesinnenministers und CSU-Vorsitzenden an die mit der FPÖ kuschelnde ÖVP, die Fidesz sowie Protagonisten der Lega Nord annähernde CSU im Raume steht, auch wenn man selbst Teile dieser Kritik unterschreiben würde, man sich unbewusst selbst orbanisiert, wo man doch als Teil der Großstadt-CSU-Elite auch Orban sehr weit entfernt steht.
Die Frage ist, ob die Busse am selbstverschuldeten Großstadt-Populismus mit 10 Vaterunsern und Ave Mariae erledigt sein wird. Oder ob man sein Verhalten und Wording nochmals testen sollte. Eigentlich könnte man auch bei jener Demonstration, im Zweifelsfalle als Privatmänner mit CSU-Parteibuch, mitgehen wie man es als Offizielle beim CSD tat. Denn viele der am CSD demonstrierenden queeren Verbände werden auch bei #ausgehetzt dabei sein. Oder Verbände, mit denen man in der Flüchtlingsintegrationsarbeit zusammenarbeitet. Noch ruft Jesus das „sie wissen nicht, was sie tun“. 2019 ruft er dann vielleicht: Bigotterie!
Komponist*in