Sexuelle Ausbeutung an Musikhochschulen ist kein Kavaliersdelikt. Sie ist ein Verbrechen.
Mein Impulsreferat, gehalten anlässlich der Veranstaltung „Machtmissbrauch und sexuelle Diskriminierung in der Musikausbildung“ der Musikhochschule Leipzig am 22.6.2018:
„Sexuelle Ausbeutung an Musikhochschulen ist kein Kavaliersdelikt. Sie ist ein Verbrechen, genauso wie Zwangsprostitution ein Verbrechen ist, weil sie die Würde der Menschen mißachtet.
Grapschen ist nicht etwas, dass zu den Annehmlichkeiten einer Position wie einer „Professur“ z.B. gehört. Wer grapscht, setzt sich leichtfertig über Grenzen hinweg, die es aus gutem Grund gibt, nämlich uns als Individuen zu schützen und intakt zu lassen.
Ein großer Künstler zu sein ist keine Entschuldigung dafür, Studentinnen oder Studenten an die Wäsche zu gehen oder sie zu vergewaltigen. Es ist mir scheißegal ob Richard Wagner heimlich Frauenkleider trug oder Gesualdo seine Frau umbringen ließ – wenn Du heute als Künstler einem anderen Menschen etwas antust, bist Du nichts weiter als ein Arschloch, und selbst Deine größte Kunst wäre keine Entschuldigung dafür, denn das eine ist das eine, und das andere ist das andere.
Studentinnen und Studenten einer Musikhochschule sind kein Frischfleisch, das nur wie Vieh darauf wartet, den sexuellen Beschaffungs- und Allmachtsphantasien alter Säcke immer wieder Material zu liefern. Sie sind selbstbestimmte Individuen, die nicht manipuliert, verführt oder missbraucht werden dürfen, da wir als Lehrkräfte für sie verantwortlich sind, und wir sie zu selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Künstlern erziehen wollen. Wir müssen sie fördern und unterstützen, nicht ausbeuten und benutzen.
Es ist nicht unsere Aufgabe, Studenten zu einem angeblich besseren Sexualleben – nämlich dem, das wir ihnen aufzwingen – zu erziehen, weil sie ein Recht auf ihre eigenen Bedürfnisse haben. Wir dürfen Studenten nicht zum Ziel von lebensverändernden Manipulationen machen, weil uns ihr Innenleben nichts angeht. Wir dürfen sie nicht mit Pornos zu Dingen verführen, die sie nicht wollen, und wir dürfen sie nicht als Sexsklaven benutzen und sie auf unseren Wunsch prostituieren. Wir dürfen sie nicht einschüchtern, gegeneinander ausspielen oder bedrohen, und auch nicht mit Vergünstigungen bestechen. Wir dürfen sie nicht schlagen. Wir dürfen sie nicht in Räume einsperren, das Licht ausschalten und sie dann vergewaltigen.
Wir dürfen Bewerberinnen für eine Stelle nicht innerhalb von 2 Minuten nachdem sie unser Büro betreten haben, zum Analsex zwingen. Wir dürfen heterosexuelle Studenten oder Lehrkräfte nicht dazu nötigen. mit uns eine homosexuelle Beziehung einzugehen, und wir dürfen homosexuelle Studenten oder Lehrkräfte nicht dazu nötigen, das Umgekehrte zu tun.
All das, was ich beschrieben habe, so absurd es zum Teil klingt, ist tatsächlich an Musikhochschulen passiert. Oder es passiert aktuell. Es sind die schlimmsten Auswüchse einer Szene, die wie kaum eine andere Menschen eine Art Allmacht über das Schicksal anderer Menschen gibt – als Vorgesetzte, Jurypräsidenten eines Musikwettbewerbes oder als „Maestro“ mehrerer angesehener Orchester.
Es ist eine ganz einfache Sache: wer nicht in der Lage ist, mit Macht umzugehen, dem sollte man diese Macht nicht geben. Wir sehen in der Weltpolitik zahllose Beispiele von Menschen, die sich mit aller Gewalt an ihre Macht klammern und diese nicht abgeben wollen, meistens zum Schaden ihrer Länder. In der klassischen Musik dagegen verteilen wir wesentlich dauerhaftere Macht mittels Ämtern und Posten, und wir sorgen dafür, dass diese Macht nicht abnimmt, sondern beständig wächst. Und es gibt keinerlei Gegenmacht, die von außen kontrolliert, ob die Machthabenden vielleicht diese Macht nicht verdienen.
Wir müssen uns klar machen, dass hier im Namen von hehren Idealen der völkerverständigenden Kraft von Musik, im Namen von Bach, Mozart und Beethoven menschliche Biografien geschändet oder komplett zerstört wurden, durch notgeile Klavierlehrer, pädophile Knabenchorleiter und monströse Maestri, die nicht nur unendlich viel Leid erzeugt haben, sondern auch den Ruf der wesentlich zahlreicheren Klavierlehrer, Knabenchorleiter und Dirigenten dauerhaft schädigen, die ihren Beruf verantwortungsbewusst und voller Idealismus und Wohlwollen ausüben.
Sexuelle Gewalt gibt es in allen Teilen unserer Gesellschaft, aber nirgendwo wird sie so gut gedeckt und kleingeredet wie in der klassischen Musik. Hinter uns liegen Jahrzehnte, in denen alle, die sich trauten eine solche Belästigung tatsächlich anzuzeigen oder öffentlich zu machen, behandelt wurden wie der letzte Dreck. Ihnen wurde nicht geglaubt, sie wurden eingeschüchtert, ihr Leid kleingeredet oder sie selber zu angeblich Schuldigen gemacht. Ihnen wurde alles Mögliche unterstellt, während man den Tätern stets Unterstützung gab oder schlimmstenfalls einen meist besseren Job an einer anderen Hochschule, falls es mal zu viel Ärger gab. Und wenn die Opfer aus lauter Scham oder aufgrund einer zutiefst beschädigten Psyche erst einmal schwiegen und sich erst nach Jahren der inneren Qual dazu entschieden, ihre Geschichte öffentlich zu machen, wurde auch dies ihnen zum Nachteil ausgelegt.
All dies kann und muss sich ändern, und der Moment ist jetzt. Wir müssen es tun, aus Respekt vor unserem wunderbaren Metier, aber auch vor allem aus Respekt gegenüber den vielen Opfern, für die die moralische Wende von #metoo viel zu spät kommt. Wir müssen ihre Geschichten hören und ihre Verletzung verstehen. Wir brauchen mehr Respekt voreinander, Gegenmächte, die die Machtgierigen kontrollieren und in Schach halten, mehr Selbstbewusstsein und Solidarität der Studenten, und mehr Konsequenzen für Täter, die durch Wiederholung eindeutig bewiesen haben, dass man sie nie wieder – und damit meine ich wirklich nie wieder – auf Schutzbefohlene loslassen kann. Wie viele Levines hätten verhindert werden können, wenn man schon von früh an klare Grenzen gezogen hätte? Stattdessen wurden diese Täter ständig bestätigt, von Systemen die ihnen ständig vorgaukelten, dass ihr Handeln „okay“ ist, weil sie sich dieses „okay“ immer wieder aufs Neue mit Gefälligkeiten erkaufen konnten, die ihnen durch ihre Macht zur Verfügung standen.
Was wir nicht brauchen ist Hexenjagd, Paranoia, Angst vor Nähe, Angst vor Emotion und Leidenschaft in der Musik. Denn der Kampf gegen die mißgeleitete Leidenschaft muss selbstverständlich…ebenfalls leidenschaftlich sein. Leidenschaftlicher und solidarischer. Ich freue mich auf eine interessante Diskussion.
Moritz Eggert
Wie der Umgang mit dem Thema aussehen kann, bewies die Leipziger Veranstaltung vorbildlich. Der Studierendenrat und das mentoringArts-Programm der HMT hatten lange im voraus eingeladen, der Saal war übervoll, sodass viele stehen mussten. Die Berliner Rapperin sookee sprach über Sexismus, die Mezzosopranistin Wallis Giunta über eigene Erfahrungen, der Kanzler der Leipziger Musikhochschule, Oliver Grimm, über die rechtlichen Aspekte des Themas, die Slam Poetin Nhi Le moderierte. Anschließend beteiligten sich Studentinnen und Studenten, Lehrkräfte und Gäste an einem mehrstündigen Workshop zum Erarbeiten von Richtlinien zum Umgang mit der Problematik.
Die Münchener Musikhochschule hat dagegen außer einer Ankündigung zu besserer „Compliance-Kultur“ und hartnäckigem Schweigen über alarmierende eigene Umfrageergebnisse rein gar nichts getan, um sich der Thematik zu stellen. Nach wie vor gibt es weder eine Entschuldigung oder irgendeine Form des Mitgefühls mit Opfern, noch den Versuch, einen Dialog zu beginnen, mit Opfern, Studentinnen und Studenten, Lehrkräften.
Ich schäme mich für die Musikhochschule München.
Komponist
Lieber Moritz, Dein Text passt unmittelbar zu unserer Initiative, die Betroffenen zum Gespräch anzuregen:
https://www.dasharfenduo.de/wordpress/politisch-philosophisches/aufruf-schickt-uns-eure-erfahrungsberichte-metoo-musikhochschule/
Wir würden uns freuen, wenn uns Betroffene ihre Berichte schicken, die wir dann mit aller geboteten Diskretion anonym veröffentlichen möchten.
Wir hoffen, damit einen Anstoß zu geben, das Schweigen zu brechen!
Dein Harfenduo Laura Oetzel & Daniel Mattelé
Besten Dank für Ihr mutiges Engagement gegen sexuelle Missbrauch in der Musikhochschule München. Bitte machen Sie weiter so.
Als Gegenmaßnahme haben Sie in Ihrem Interview mit dem Deutschlandfunk vorgeschlagen: „Man muss nur die Strukturen ändern, dass, wenn etwas passiert, dass dann wirklich nichts vertuscht und unter den Tisch gekehrt wird, sondern dass es klare Ansprechpartner gibt.“
Ich stimme Ihnen voll zu. Allerdings habe ich meine Zweifel, ob die Änderung der Strukturen allein, tatsächlich eine Abschreckungswirkung haben wird. Ein Verbrecher begeht seine Tat aus Überzeugung, dass seine Tat nie aufgedeckt wird. Wer Zweifel hat, ob seine Tat doch irgendwann ans Tages Licht kommt und er dann dafür bestraft wird, begeht wohl kein Verbrechen. Ein Lehrender-Triebtäter fühlt sich absolut sicher im geschlossenen und schallisolierten Unterrichtsraum, wo es außer ihm und seinem Opfer, kein Zeuge gibt. Man muss ihn vorher abschrecken, bevor er aktiv wird. Im Nachhinein ist es immer zu spät, insbesondere dann, wenn es sich um Vergewaltigung handelt. In der Umfrage der Münchner Musikhochschule soll es auch Vergewaltigungsfälle geben haben. Was könnte effektiver als eine Kamera Überwachung im Unterrichtsraum als präventive Maßnahme sein? Dass Sie, Herr Eggert, dagegen sind, ist in Ihrem obengenannten Interview zu lesen. Sicherheit hat aber ihren Preis. Ich persönlich finde, dass eine Kameraüberwachung nicht so sehr störend sein würde. Es ist Gewohnheitssache.
Wenn man auf Kameraüberwachung komplett verzichten möchte, gibt es noch eine Alternative: Einrichtung eines dünnen Trennvorhangs im Unterrichtsraum. Der Vorhang trennt die studierende Person von der Lehrenden. Die beiden Partien können zwar miteinander kommunizieren, aber es besteht keine Möglichkeit zum Körperkontakt, ohne den Vorhang zu zerreißen. Wer es trotzdem tut, entlarvt sich als Sexualtäter.
Wie kann man aber eine mögliche Straftat im Büroraum des Präsidenten verhindern? Im Fall des Ex-Präsidenten war sein Büro, der Tatort. Für eine Kameraüberwachung ist der Raum viel zu privat. Wie wäre es, ein Bewerbungsgespräch im Vorlesungsraum in Anwesenheit einer dritten Person stattfinden zu lassen? Wegen der Größe des Raums wird das Gespräch wohl nicht ans Ohr der 3. Person gelangen können.
Es mag sein, dass meine Vorschläge etwas überzogen klingen, aber mir ist es todernst. Wir alle müssen zusammen nachdenken und Lösungen finden, um Sexualtäter aus der Musik Hochschule zu verbannen.