Professioneller Sexismus eines Dirigenten gegen Dirigentinnen: Mariss Jansons
Wow, die deutsche Klassikpresse ist mal wieder total on the top: Mariss Jansons habe die Goldmedaille der Royal Philharmonic Society in London für sein Dirigieren erhalten. Eine „rotten tomato“ hätte man ihm allerdings für „for me seeing a woman on the podium… well, let’s just say it’s not my cup of tea.“ (sinngemäß: „Eine Frau auf dem Podest zu sehen, das ist nicht meine Kragenweite“) , ein Satz, wie in Stein gemeisselt, im Interview mit „The Telegraph“ anlässlich der goldweichen Medaille, obendrauf mitgeben müssen. Ja, das mag die Ehrlichkeit eines alten Mannes sein. Sässe er in Wolldecken gehüllt in einer Seniorenresidenz wäre das so hinnehmbar.
Als Berufstätiger in einer weltbedeutenden Leitungsposition beim BR-Sinfonieorchester hätte er das unterlassen sollen. Er, der ein Motor für den neuen Konzertsaal in München sein will, ein Zukunftsprojekt, entschuldigt sich weinerlich mit „I grew up in a different world“. Der Residenzsenior mag so denken, der Chefdirigent, im zeitgenössischen Jet-Set unterwegs, mit allen Realitäten der Gegenwart konfrontiert, sollte da offener, weltgewandter oder schlichtweg kollegial sein.
Und was ist hier nun los? Medaillenweihrauch ohne Ende, kein Wort gegen diesen professionellen Sexismus. Man lässt es einfach durchgehen und hofft, dass das Londoner Preis-Plaketterl das Renommee des BRSO-Chefs und mit ihm die fragwürdige Konzertsaalentscheidung vergoldet, platiniert. Ois easy, passt scho. Ich hoffe, dass ihm seine Kolleginnen so mit ihren Taktstöcken piksen, dass er ohne Ehrenrunde direkt im Hier und Jetzt ankommt. Hat er in seinem symphonischen Dasein nicht bemerkt, dass z.B. als Assistentin Petrenkos Oksana Lyniv Wundertaten vollbrachte, die sie zur Chefdirigentin in Graz beförderten? Oder dass die feine Susanna Mälkki auch schon einmal sein Orchester leitete? Oder dass gerade in seiner von ihm vergessenen Jugendzeit im Ostblock bereits viel selbstverständlicher Dirigentinnen studierten und ihren Beruf ausübten als hier im Westen?
O mei. Wenn das mit dem „In-die-Gegenwart-piksen“ nicht funzt, ja, dann hüllt ihn in Decken und ab in den Seniorenpark, wo man jeden Unsinn als Einwohner von sich geben darf – aber wehe, die Nachtschwester bekommt das mit! Weder seine Herkunft noch sein Alter berechtigen ihn dazu im 21. Jahrhundert sowas Dummes von sich zu geben. Wenn man den Halbsatz „seeing a woman on the podium“ generalisiert: liebe Instrumentalistinnen und Sängerinnen, lasst ihn mit verknöcherten Herren und Leerstellen auf den Positionen von Frauenstimmen allein auftreten, boykottiert schlichtweg diesen Blödsinn und lasst der Altherrenriege nicht alles durchgehen. Und wenn Euch Eurer Agent dazu nötigt, pikst auch diesen kräftig in den Allerwertesten!
[UPDATE] Auf seine Aussagen in „The Telegraph“ gibt Mariss Jansons folgendes Statement bekannt:“Ich gehöre einer Generation an, in der das Dirigieren praktisch ausschließlich Männern vorbehalten war. Auch heute noch wird der Dirigentenberuf von viel mehr Männern als Frauen ausgeübt. Es aber war undiplomatisch, überflüssig und kontraproduktiv, zum Ausdruck zu bringen, dass für mich Frauen am Dirigentenpult – noch – ungewohnt sind. Jede meiner Kolleginnen und jede junge Frau, die Dirigentin werden möchte, kann sich meiner Unterstützung gewiss sein. Wir verfolgen ein gemeinsames Ziel: Menschen für das zu begeistern, was wir lieben – die Musik.“
Kurzer Kommentar: Damit ist die Sache eigentlich durch. Schade nur, dass Herrn Jansons in seinem ausgesprochen langen Dirigentenleben seine auch bereits sehr lange wirkenden Dirigentinnen-Kolleginnen nicht oder nur kaum auffielen. Wie gesagt: im Ostblock gab es im 20. Jhd. im Orchesterdirigieren kontinuierlich auf jeden Fall mehr weibliche Studierende und Berufstätige als hier z.B. bei uns selbst in den 90ern oder den Nullerjahren. Ich hoffe, er gratuliert irgendwann noch Joana Mallwitz und Oksana Lyniv zu ihren wohlverdienten, tollen und herausragenden Positionen.
Komponist*in
DANKE und JAWOLL!
Bitte und gerne!