Amerikanisches Tagebuch, 2.Tag

Diesen Sommer verbrachte ich im August 2 Wochen in den USA, diesem seltsamen Land der Widersprüche, Abgründe und dennoch immer wieder auch Hoffnung. Der Grund: Musik. Ich besuchte sowohl die Musikfestivals in Tanglewood als auch in Staunton, Virginia, nur eine halbe Stunde von Charlottesville entfernt. Diese Aufzeichnungen sind eine Fortsetzung meines Komponistentagebuchs, Tag für Tag aufgezeichnet, nun schon in der Vergangenheit, aber nicht sehr weit entfernt von der Gegenwart.

Tag 2

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Tanglewood

 

Mitten im Wald, nahe der kleinen Ortschaft Lenox, befindet sich ein riesiges Areal, das „Tanglewood Music Center“. Hier begründete der Dirigent und Kontrabassist Koussevitzky eines der wichtigsten klassischen Musikfestivals der USA, das bis heute tausende von Menschen im heißen und manchmal auch regenfeuchten neuenglischen Sommer anzieht. Wichtiger Bestandteil des Festivals sind die sogenannten „Fellows“, ausgewählte Stipendiaten – zu 99% aus US-amerikanischen Hochschulen – die als Instrumentalisten zusammen mit dem Boston Symphony Orchestra das Festivalorchester bilden. Eine weitere Unterabteilung der Fellows sind die „Composition Fellows“, um die 7 ausgewählte Komponisten, die auf Wunsch von Koussevitzky – der modernen Musik zugeneigt als Förderer von Komponisten wie Stravinsky und Messiaen – einen Sonderstatus genießen und die gesamte Festivalzeit (ca. 6 Wochen) Kompositionsunterricht und die Gelegenheit zu Aufführungen bekommen.
Das Festival ist unterteilt in eine Art Vorprogramm, das mehrere Tage Konzerte mit gediegenen Pop-Künstlern wie Sting bietet, um erst einmal Geld für die ganze Chose zusammenzubekommen. Dann folgen haufenweise klassische Sinfoniekonzerte, Kammermusik-Recitals, Liederabende zuhauf, meistens mit großen Lautsprechern auf die große Picknickwiese übertragen. Und ganz am Ende gibt es ein nach europäischen Maßstäben kleines Neue-Musik-Festival, das früher wesentlich größer war und heute auf eine Reihe von Kammerkonzerten zusammengeschrumpft ist. Oder anders gesagt: Früher gab es „Gruppen“ von Stockhausen, heute gibt es Streichquartette.
Auch ich war mal ein solcher Fellow – lange ist’s her (24 Jahre um genau zu sein), und es war eine gleichwohl schöne wie auch gelegentlich frustrierende Zeit, was damit zusammenhängt, dass man als Nicht-Amerikaner durchaus Schwierigkeiten hat, sich in der sehr hermetischen und erstaunlich kleinen amerikanische Musikwelt zu behaupten. Dasselbe sagen aber sicherlich auch Ausländer über die deutsche Musikszene.
Wie auch immer: eine kleine Aufführung meines „Croatoan II“ führt mich nach vielen Jahren wieder hierher, eine seltsame Reise in die Vergangenheit. Eingeladen hat mich die sympathische Kathryn Bates, die Cellistin des Del Sol – String Quartets, ebenfalls ehemalige Fellow des Instituts.
Meine Eindrücke habe ich in diesem Video zusammengefasst:

Das Festival hat sich nicht viel verändert, allerdings ist das Publikum größtenteils mitgealtert. Nirgendwo trifft man so viele greise Neue-Musik-Enthusiasten – zum Teil werden die Zuhörer im Rollstuhl und mit Beatmungsgeräten (ich übertreibe nicht) über die Wiese gekarrt. Vielleicht waren sie irgendwann auch einmal Alumni, und sicherlich haben sie auch mehrmals den Grandseigneur der amerikanischen Musik – Elliott Carter – erlebt, der auch noch im hohem Alter von über 100 Jahren hier noch regelmäßig mit seiner Frau und seinem Beatmungsgerät zu Gast war.
Mir unvergesslich sind hier meine Begegnungen mit Komponisten wie Oliver Knussen oder Ralph Shapey, Instrumentationsseminare mit John Williams (die ich allerdings schwänzte, um die Stimmen für meine UA fertigzubekommen), Auftritte von Simon Rattle und Zubin Mehta, herumlungern am See, endlose Gespräche mit den anderen Fellows in der Küche von Seranak, der ehemaligen Koussevitzky-Villa, in der die Komponisten damals noch untergebracht waren. Nicht immer waren wir erwünscht – ich erinnere mich, dass Oliver Knussen uns Studenten einmal in einem Regenguß mit dem Auto am Vordereingang absetzte, wo wir sofort wieder abgewiesen wurden, weil eine Sponsorenparty im Gange war und man den Sponsoren den Anblick von möglicherweise lebendigen Komponisten ersparen wollte. Heute müssen die Studenten daher zusammen mit den Instrumental-Fellows in der „Miss Hall School“ leben, einer Art riesigem „Dorm“ mit zweifelhafter Wohnlichkeit. Aber das soll sich bald ändern, denn auf dem riesigen Gelände (siehe Video) soll ein neuer „Dorm“ gebaut werden. Aber wehe es regnet und es sind Sponsoren in der Nähe!

Auf diesem Klo saß Koussevitzky

Klimaanlagen

Ich habe es schon oft beschrieben, aber der Hang der Amerikaner zu einem perversen Missbrauch von Klimaanlagen bleibt für mich faszinierend. Ist das Wetter mild, lieblich, geradezu angenehm warm und weht ein sanftes laues Lüftchen, herrscht also eine geradezu perfekte Temperatur, nicht zu heiß und nicht zu kalt…dann kann man davon ausgehen, dass in den USA in jedem Raum die Klimaanlage voll aufgedreht ist und arktische Temperaturen herrschen.
Man kommt also – keineswegs verschwitzt und ohne an Hitzschlag zu leiden – in irgendeinem Gebäude an und betritt plötzlich eine Eisfront, die an die nördlichsten Gefilde von Sibirien oder den Eisplaneten Hoth gemahnt. Sofort muss man sich also in alles Mögliche einhüllen um nicht grausam zu erfrieren. Und das ist nicht nur in Gebäuden so – auch die Autos verwandeln sich durch die vermaledeiten Klimaanlagen in kleine Kühlschränke, in denen man ohne ersichtlichem Grund an die Grenzen seiner körperlichen Belastung gebracht wird. Klar – man kann nach Besuchen eines mehrwöchigen Programmierkurses tatsächlich lernen, die Klimaanlagen so zu bedienen, dass wieder normale Temperaturen herrschen. Das geht aber nur zu dem skurrilen Preis eines vollkommen sinnlosen Energieaufwandes – eine Menge Energie wird dann dafür gebraucht, die Temperatur drinnen auf denselben Level zu bringen WIE SIE DRAUSSEN OHNEHIN HERRSCHT!
Liebe Amerikaner, ich frage euch: macht das tatsächlich Sinn? Kein Wunder, dass ihr so viele fossile Brennstoffe und Atomkraftwerke braucht – jede Durchschnittsfamilie besitzt drei Autos und ein großes (meistens nicht abgedichtetes) Haus, in denen diese Teufelsapparate täglich rund um die Uhr vollkommen sinnlos laufen! Würdet ihr einfach den Kram abschalten, hättet ihr sofort ein Energieplus von mindestens 50%. Heizungen reichen doch vollkommen aus, selbst in Afrika und in der Sahara kommen die Menschen meist ohne Klimaanlagen aus, da es ohnehin viel besser ist, sich an die Hitze zu gewöhnen anstatt ständig dramatische Temperaturunterschiede zu erleben.
Denkt mal drüber nach: im Winter soll man heizen, im Sommer…einfach das Fenster aufmachen! Es ist tatsächlich meistens warm genug, und wenn es mal zu heiß wird, einfach Mal ein bisschen Sport machen und unter die kalte Dusche gehen. Ihr werdet sehen, es wird euch gleich viel besser gehen!

Moritz Eggert

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