Kunst und Moral. Oder: wie anständig muss man als Künstler sein?

 

Darf Kunst alles?

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Ich denke schon.

Darf ein Künstler alles? Muss es einem egal sein, was ein Künstler so zu Lebzeiten treibt? Dürfen die alles?

Vor wenigen Tagen wurde – unter großem Medienecho – Siegfried Mauser in zweiter Instanz wegen sexueller Nötigung verurteilt. Wer diesen komplexen und meist falsch kolportierten Fall wirklich verstehen will, dem lege ich sehr den hervorragenden und sachkundigen Artikel von Patrick Bahners ans Herz, der am Freitag in der FAZ (Feuilleton) erschien, und hier als zahlungspflichtiger Artikel zu finden ist. Bezeichnend an dem Artikel allerdings ist, dass hier überhaupt so viel erklärt werden muss.

In dem Artikel wendet sich Bahners nämlich auch an die vielen prominenten Künstler, die sich nach dem ersten Prozess meist sehr despektierlich über die klagenden Frauen äußerten, darunter natürlich auch Enzensberger mit seinen vielfach zitierten „verstoßenen Frauen als tückischen Tellerminen“. Auch ein Peter Sloterdijk beklagte nach dem ersten Prozess, dass wir uns angeblich einer neuen Phase der sexuellen Repression annähern würden, ähnliches hörte man auch von Michael Krüger, der die von ihm geleitete Bayerische Akademie der Schönen Künste als komplett „solidarisch“ zu Siegfried Mauser bezeichnete, dabei allerdings dezent vergaß, auch deren Mitglieder zu fragen. Fußnote: Nachdem sich der Unmut einiger Mitglieder regte – darunter auch von mir – bezeichnet er sie inzwischen wenigstens als zu „99%“ solidarisch zu Mauser, was wohl als Fortschritt verstanden werden muss.

Immer wieder wurde auf die großen Leistungen Mausers hingewiesen, und dass es doch gar nicht anginge, dass man so jemanden anzeige. Hierbei steht immer unausgesprochen im Raum, dass man als Künstler irgendwie „über den Dingen“ steht, und dass für einen „Künstler“ keine Gesetze gelten. Woher kommt diese seltsame Annahme? Zum funktionierenden sozialen Zusammenleben einer größerer Gruppe von Menschen gehört das Befolgen bestimmter Regeln, die auf Rücksichtnahme und Respekt gegenüber anderen Menschen fußen. Der Künstler hat zwar durchaus – hierbei dem Hofnarr verwandt – das Recht, diese Rücksicht zumindest virtuell auszureizen, durch verbale, visuelle oder auch akustische Provokationen, aber das berechtigt ihn keineswegs dazu, tatsächliche Verbrechen zu begehen. Wenn alle Menschen vor dem Gesetz gleich sein sollen, sollten sich alle auch gleich gut benehmen, zumindest in der Theorie.

Nun zur angeblich sexuellen Repression. Gibt es diese überhaupt? Ist unsere Zeit so spießig, dass Körperkontakte verpönt sind, Zärtlichkeiten nur noch heimlich stattfinden und alle unglaublich verklemmt sind? Man muss gar nicht subjektiv werden, es gibt sehr objektive Anzeichen, dass dem nicht so ist. Was sich aber durchaus verändert hat, ist das Bewusstsein gegenüber Ungerechtigkeiten und der Anwendung von psychischer oder physischer Gewalt.

Sexualität ist  in unserem Kulturraum quasi allgegenwärtig. 10-Jährige bekommen ihre Aufklärung über youporn, allerdings sind ihre Eltern meistens schneller und reden auch nicht lange um den heißen Brei herum. Hinz und Kunz lassen uns detailliert und exhibitionistisch in zahllosen Medien an ihren sexuellen Vorlieben teilhaben. Stand-Up Comedians reißen derbe Kalauer über alle Aspekte der menschlichen Zweisamkeit, Nacktheit in Film und Fernsehen wird nicht als problematisch oder „shocking“ empfunden, bei „Big Brother“ gab es (wer erinnert sich?) sogar schon Blow Jobs und einiges mehr. Natürlich ist mir bewusst, dass das alles noch nicht das Paradies ist (vielleicht ist auch diese aufgezwungene Freizügigkeit unparadiesisch), es gibt nach wie vor Diskriminierung und Ausgrenzung, aber wohl kaum jemand würde die Uhr gerne wieder in die 50er Jahre zurückdrehen, als das  das sexuell Anregendste was man zu hören bekam ein Kalauer von Heinz Erhardt war (nichts gegen Heinz Erhardt übrigens).

Die öffentliche Präsenz von Sexualität ist aber nur Ausdruck eines insgesamt im Vergleich zu früher doch wesentlich toleranteren Lebensstils. Schwule und Lesben können öffentlich zärtlich zueinander sein, ohne dass es gleich einen Aufstand gibt, sie können Hotelzimmer mieten, heiraten, Kinder groß ziehen und sogar gleichzeitig Schlagersänger sein. All dies war in den 70er Jahren zum Beispiel nicht möglich, in denen Mauser (nach seinen eigenen Worten im Prozess) als „Hippie“ durch einem „libertinären“ Lebensstil geprägt worden sei (wobei man sich schon fragt, wie libertinär dieser Lebensstil im Straubing der 70er gelebt werden konnte). Auch in den Kommentaren von Krüger, Enzensberger und Sloterdijk schwang eine gewisse Nostalgie nach den „guten alten Zeiten“ mit, als man noch frei seine Sexualität zum Ausdruck bringen konnte, oder vielmehr: einfach mal ungefragt an den Busen ran durfte, ohne dass die Tussi sich gleich aufregte.

Aber halt: über welche Sexualität reden wir hier überhaupt? Über Sexualität an sich, oder über die Sexualität der Herren Enzensberger etc.? Wenn man nämlich genau nachschaut, geht es ganz gewiss nicht um die freie Sexualität von jedermann/jederfrau, sondern nur um die Sexualität von ganz bestimmten Männern, meistens Machtpersonen, die es gewohnt sind, ihre eigene Vorstellung von Sexualität auszuleben, ohne dass ihnen da jemand in die Quere kommt. Nach der freien Sexualität von Studentinnen, Mitarbeiterinnen, Sekretärinnen wird übrigens eher selten gefragt. Was wenig überrascht, denn würden sie diese ausleben, wären sie sofort „Schlampen“, und damit noch viel mehr Freiwild für die „libertinären“ alten Herren.

Es geht hier also keineswegs um Sex, es geht um Macht. Denn natürlich sollte es jedem klar sein, dass die eigene Freiheit da aufhört, wo die Freiheit des anderen anfängt. Niemand kann ja etwas gegen einen „libertinären“ Lebensstil einwenden, denn es sollten sich heutzutage eigentlich leicht genügend Menschen finden lassen, die diesem Lebensstil ebenso frönen und mit denen man sich dafür zusammenfinden kann. Das Problem beginnt da, wo ich meinen eigenen „libertinären“ Lebensstil anderen aufdränge, oder sie ungefragt dazu verführen will. Wer keinen Zungenkuss bei einem rein beruflichen Gespräch erwartet, wird davon schockiert sein, so viel sollte klar sein. Wer vorhat eine musikalische Probe mit Gitarre zu spielen, erwartet nicht unbedingt vom damaligen Chef der Hochschule bedrängt zu werden.

All dies ist aber in der Musikhochschule München passiert, was man kaum glauben mag. Und überhaupt: die Musikhochschule München. Von Patrick Bahners wie auch dem Mauser-Prozessrichter Koppenleitner wurde sie scharf ins Gericht genommen. Hätte die Musikhochschule nicht vieles von dem, was z.B. Mauser trieb, verhindern können/sollen/müssen? Ich fürchte, die Frage ist sehr berechtigt. Es konnte bei ihm kein Unrechtsbewusstsein für solche Handlungen entstehen, weil sie voll vom Betrieb getragen wurden.

Auch bei der Urteilsverkündigung fiel auf, dass die Musikhochschule keinerlei Vertreter geschickt hatte. Das dünkt merkwürdig, hatte doch Mauser – durchaus auch mit Verdiensten – das Haus 12 Jahre geleitet. Aber nein, weder Frauenbeauftragte noch Hochschulleitung waren anwesend. Im Vorfeld des Prozesses waren Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung angekündigt worden, es gab eine anonyme Befragung sämtlicher Studenten sowie des Hochschulpersonals zum Thema. Als bisher erstes Ergebnis der Studie wurde veröffentlicht, dass die Studenten nun über die internen Anlaufstellen bei Problemen sexueller Belästigung bestens informiert sind. Man sollte natürlich weiterhin hoffen, dass Veränderungen möglich sein werden, und dass der natürliche Widerstand eines großen Verwaltungsapparates zunehmend überwunden werden kann. München ist ganz sicher nicht die einzige Musikhochschule, die dieses Problem hat. Überhaupt: Veränderung!

Woher könnte Veränderung in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste kommen? Gäbe es dort keine Generalsekräterin und Mitarbeiterinnen würde man dort kaum Frauen zu Gesicht bekommen, schon gar nicht in der Musikabteilung. Es gibt weibliche Mitglieder von Prominenz, die haben aber anscheinend relativ wenig Lust, an den halbjährlichen Herrenkränzchen teilzunehmen. Denn diese Herrenrunden sind – zumindest offiziell, wofür ich mich als ebenfalls alter Herr in Grund und Boden schäme – zu „99% solidarisch“ mit einer Haltung, die man auch einfach mit „man wird ja mal noch grapschen dürfen“ umschreiben könnte.

„Das wird man ja noch mal sagen dürfen“ und „da wird man ja wohl noch grapschen dürfen“ sind übrigens gar nicht so weit voneinander entfernt. Beide Haltungen liegen einem Trugschluss auf. Die eine, dass die eigene Meinungsfreiheit wichtiger ist als die Wahrheit, und die andere, dass die eigene Geilheit wichtiger ist als der grundsätzliche Anstand anderen Menschen gegenüber.

Womit wir wieder beim Thema wären. Dürfen Künstler alles?

Nein.

Nur in der Kunst.

Moritz Eggert

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2 Antworten

  1. Guntram Erbe sagt:

    @Moritz, ja, ich stimme Deinen Ausführungen zu, aber wie gehe ich jetzt als einer, der Ludus tonalis im Studium selbst durchbuchstabiert hat, z. B. mit Mausers Einspielung um. Höre ich die nicht mehr an oder kommt mir beim Zuhören in Zukunft immer der Klaps auf den Po ins Ohr oder Heftigeres? Und was mache ich, wenn Mauser seine Strafe annimmt und sich anschließend moralisch mausert? Würde ich dann mit ihm vierhändig spielen? Und hoffen, dass er mir nicht auf die Finger klopft, wenn ich danebengreife?

    Diese teils flappsigen Fragen meine ich durchaus ernst. Und mir kommen noch mehr Fragen in den Sinn, zumal zu Enzensberger, Sloterdijk, Krüger und Cie.

    Beste Grüße

  2. Moritz Eggert sagt:

    @Guntram: diese Fragen haben wir hier schon oft diskutiert, ohne definitives Ergebnis, denn jede kategorische Haltung (1) Kunst ist IMMER von Künstler zu trennen oder 2) Kunst ist NIE vom Künstler zu trennen) scheitert an ihrer eigenen Konsequenz, weil auch das Leben nicht in ja/nein einteilbar ist-
    Am Ende haben wir es hier mit einem lebenden Künstler zu tun, den zumindest ich persönlich nicht als Person von seinen Handlungen disassoziieren kann. Deswegen ja: ich hätte keine Lust, mir ein Konzert von ihm anzuschauen. Aber wenn das jemand möchte, dann kann er das natürlich tun, ohne das daran etwas Falsches ist, denn Klavierspielen und sexuelle Belästigung sind zwei verschiedene Dinge. Aber komplett verdrängen ist natürlich schwer – ich denke bei Karajan auch immer erst einmal an seinen NSDAP-Ausweis und bei Bernstein an seine Aktivitäten mit jungen Knaben. Dennoch kann ich nicht verkennen, dass es sich um Künstler von Rang handelte. Letztlich muss wohl jeder für sich selber entscheiden, wie er mit einem solchen Wissen umgeht, fürchte ich. Richten sollten nicht wir, sondern das Gesetz.