Mal loslassen bei neuer Musik – ein paar Gedanken zu einem Pausengespräch von Merkel und Schöneberger
Das Wichtigste bei der Elbphiharmonie-Eröffnung war – die ich bis zum geht nicht mehr ausdrücke wie eine Zitrone – , nein, nicht die Musik und nicht die aufgeregte Moderation von Barbara Schöneberger, sondern das auf den ersten Eindruck hin typische Promi-Geplänkel im Pausengespräch von Frau Schöneberger mit der Kanzlerin Angela Merkel (hier ca. von 1:14:43 bis 1:19:00).
Total begeistert war die Kanzlerin nicht. Aber was sie zu ihrer Wahrnehmung der Stücke von Rolf Liebermann (Furioso) B.A. Zimmermann (Photoptosis) und Olivier Messiaen (Finale der Turangalîla-Sinfonie) etwas hölzern von sich gab, war dann doch eine kleine Liebeserklärung an neue Stücke, auf die Frage, ob sie mal vom Alltag loslassen könne: „Ich kann auch schon abschalten, aber gerade diese wuchtigen moderneren Stücke lassen einen mal zuhören und aufnehmen. Das braucht ja jeder Mensch auch.“ Zuvor freut sie sich noch auf die Uraufführung des „Herrn Rihm“ (Reminiszenz / Triptychon und Spruch in memoriam Hans Henny Jahnn).
Das mag einstudiert sein, um alle mütterlich ein wenig zu beglücken. Aber sie sprach durchaus Privates an, was die etwas eingeschlafene Initiative „Das Ganze Werk“ hoch erfreuen dürfte: „Wenn ich hier mal privat herkomme, wäre es schon einmal schön, nicht nur einzelne Sätze, sondern ganze Werke zu hören.“
Das ist alles nicht musikwissenschaftlich hochtrabend. Aber es wirkt doch sehr ehrlich im Kontext, wo sie ihrer großen Freude auf den nach der Pause folgenden Wagner (Parsifal-Vorspiel) Ausdruck verleiht. Oder ihr wohl ganz persönlich ein wenig Mozart fehlte. Das darf man nicht als offizielle Kritik einer Königin verstehen.
Es zeigt vielmehr, dass es nicht nur einen russischen Staatspräsidenten namens Putin mit Vorliebe und Kenntnis der klassischen Musik gibt, sondern sein deutsches Gegengewicht – wozu manche zwar das Gegenteil sagen würden, aber sie ist es, wenn auch etwas geschwächt – , das in Merkels Person sehr wohl um die Bedeutung von klassischer, aber eben auch neu komponierter Musik weiß. Das hat sie sogar vielen Kulturpolitikern voraus, bei denen Musik mit ACDC endet.
Ein einfacher, aber schöner Satz: „Kunst brauchen die Menschen schon, um weiterzudenken“. Und doch ist sie ganz märkische Migrantin in der Großstadt, was sie zu einem typisch Berliner Gestus verleitet: „Wir sind doch hier in der Großtstadt und nicht auf dem Dorf!“ Zuvor betont sie, dass man sich vielleicht doch in 50, 100 Jahren noch über die neue Hamburger Philharmonie freuen wird.
Ganz stolz spricht sie „am elften ersten Zwotausendsiebzehn aus“. Da mag man ihr Vergesslichkeit gegenüber den verzehnfachten Baukosten vorwerfen oder Ferne zu den kulturellen Problemen der Provinz nachsagen. Aber haben nicht auch Großstädte wie Stuttgart/Freiburg oder Berlin selbst immer wieder die ähnlichen Probleme wie das ganze Land? Also gemach, gemach mit voreiligen Schlüssen.
Sie hebt relativ am Anfang zudem hevor, dass das ein anspruchsvolles Programm sei und sie auf zwei verschiedenen, akustisch sehr guten Plätzen gesessen sei. Da wird man sagen, dass man doch nicht so toll hören würde, wobei man eben auf Plätzen hinter dem Orchester immer Vokalsolisten sehr schlecht hört, egal ob in der Berliner Philharmonie, im dortigen Konzerthaus, in der Bamberger oder Münchner Philharmonie, wenn in der mal die Chorplätze für Publikum geöffnet werden.
Und das Programm: ja, kein Pomp and Circumstances, kein Wagnerscher Kaisermarsch (den Huldigungsmarsch für Ludwig II., den hätte ich mir als knackige Liebeserklärung schon vorstellen können), kein Richard Strauss. Dafür Mendelssohn, Brahms und Beethoven sowie Alte Musik. Ein Rundumschlag von Thomas Hengelbrock und dem NDR Elbphilharmonie Sinfonieorchester durch die Epochen bis heute. Und es war kein Sammelsurium, wenn der TV-Eindruck nicht täuscht, es war eben anspruchsvoll, wie die Kanzlerin eben bemerkte.
Vielleicht ist das genau ihre Crux, um auf einer Metaebene zu enden: sie ist wohl für manchen Bundesbürger zu anspruchsvoll, verlangt zu große Herzen und zu viel Begeisterung für Arbeit und Europa, ohne das so richtig auszustrahlen. Aber hier war sie ganz ehrlich und sprach meist das Richtige zu musikalischen Dingen, obwohl sie keine Fachfrau ist. Allerdings sind erfahrene Hörer wie sie letztlich dank ihrer Ohren weniger fachfremd als man meinen möchte.
Verfolgt sie nur einen Teil ihrer Regierungsarbeit mit der gleichen Offenheit für das Anspruchvolle, dann ist sie gar nicht so schlecht. Wenn da eben nicht immer nur die Politik der Trippelschritte wäre. Aber ganz gleich wie sie verfährt, ob mit Verve oder Stille: recht macht sie’s vielen nicht mehr. Vielleicht sollte man an seinen Ansprüchen arbeiten: nicht nur welche haben, sondern anspruchsvolle. Oder mal wieder selbst bei anstrengender neuer Musik trotz all der fachinternen Hörweisen loslassen und nur zuhören.
Und das Allerwichtigste: Olaf Scholz spielt Oboe, auf die Frage, was denn ihr bekannte Politiker so an musikalischen Interessen hätten.
Komponist*in
Auf Muttis Schoß? Ich finde, ein bisschen mehr kritische Distanz wäre unter journalistischen Gesichtpunkten auch möglich.