Austritte aus der „Neuen Musik“: Cynthie van Eijden

Gerade heute musste ich wieder an die holländische Komponistin Cynthie van Eijden denken. Ich übe gerade ihr Lied „Tandaradei“ nach einem Text von Wilhelm Deinert, für ein Konzert in München.

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Dieses Lied schrieb Cynthie für ein ADevantgarde-Projekt vor vielen, vielen Jahren: „Neue Dichter Lieben Münchener Edition“. Ich kannte Cynthie vorher gar nicht, sie war mir aber von einem anderen Rihm-Schüler empfohlen worden, so fragten wir sie an.

Ich finde ihr Lied eines der schönsten des Projektes – es ist ganz unkonventionell, ohne dabei polternd daher zu kommen. Die Gesangsstimme ist gesanglich und mit großem melodischen Gespür behandelt, das Klavier setzt sparsame Akzente und ist durchgehend ebenfalls melodisch geführt, auf ungewöhnliche und originelle Weise, beständig im Bass singend. Die Textbehandlung ist subtil und intelligent, das Lied schlägt einen großen Bogen, ohne dass sich je etwas wiederholt, alles ist in beständigem Fluss und Variation.

Mir fiel auf, dass dieses wunderbare Lied heute – im Zeitalter der allgemeinen Melodiearmut in sowohl Mainstream-Popmusik wie auch Neoklassik-Genudel – noch frischer wirkt als damals, wo man es noch eher in einem neo-expressiven Rihm-Kontext verstand und daher vielleicht auch unterschätzte.

Ich fragte mich ob Cynthie noch heute solche Stücke komponierte. Was war aus ihr geworden? Wir hatten einen netten Kontakt in den Folgejahren nach den Münchener „Dichter Lieben“ gehabt. Sie hatte ein sehr schönes Folgeprojekt mit „Dichterlieben“ in Amsterdam angeregt, mit holländischen Komponisten, bei dem ich als Pianist mitwirkte. Ich wohnte bei ihr und ihrem Freund. Schon damals sagte sie, dass sie mit dem Gedanken spielte, sich anstatt mit dem Komponieren mit Gärtnerei zu beschäftigen. Sie meinte das sehr ernst, überhaupt war sie ein ernster und tiefgründiger Typ, alles andere als oberflächlich oder nach schnellem Erfolg strebend.

Also schaute ich nach, was aus ihr geworden war, wie man es eben manchmal heute tut und googelte ihrem Namen.

Im Internet war immerhin eine Website zu finden, darauf ein kurzer Text:

„Till about 2010 her compositions were influenced by the musical ideals of the new-music-scene. In her present work she abandoned all such influences and chose to create music in which features like personal expression, recognizable melodies and consonant sound are being developed in a new way. “

Auf dem Bild: ganz anders. Ich hätte sie kaum erkannt, selbstbewusst, mit offenen Gesichtszügen. Früher sah sie nicht so aus, keineswegs verhuscht, aber wesentlich schüchterner und ein bisschen wie eine „Neue Musik Komponistin“, was auf jeden Fall besser ist als der typische „Neue Musik Komponist“. Ein Imagewechsel also im Vergleich zu früher.

Auf der Website: ein paar Sounddateien auf Soundcloud, auf youtube ein paar Videos. Ich bin fast schockiert, als ich die Stücke höre. Das hat nichts mehr mit der Musik zu tun, die ich von ihr kenne, und von der ich gerne noch mehr gehört und gespielt hätte. Sie schreibt jetzt kleine, gefällige Stücke, ein bisschen „neoklassisch“, modal, lieblich. Keineswegs schlecht, aber irgendetwas fehlt. Vielleicht der „new way“, von dem sie in obigem Text spricht. Den hatte sie in „Tandaradei“ definitiv, aber das ist natürlich meine persönliche Meinung. Aber seltsam, warum denkt sie, dass „personal expression“, „recognizable melody“ und „consonant sound“ in der Neuen Musik nicht möglich sind? All dies hatte nämlich ihr Lied „Tandaradei“, und zwar im Übermaß.

Was man noch findet: Eine Art Goldberg-Variation für Ensemble. Ein Geigenstück mit Percussion, mit verwackelter Kamera gefilmt. Das wars. Wo sind die ganzen Stücke von früher, vor 2010? Sie will anscheinend nichts davon im Internet haben.

Dann nur noch Cynthie selber, sehr schön klassische Stücke auf dem Klavier spielend. Sie macht das ganz in sich ruhend, mit guter Technik und fließenden organischen Bewegungen. Sie wirkt keineswegs unglücklich.
Auf der Website der Kölner Musikhochschule ist sie als „Dozentin“ für mehrere Fächer gelistet. Ich wünsche mir, dass es ihr gut geht, dass sie zufrieden ist.

Aus der Neuen Musik ist sie wohl „ausgetreten“, wie so viele. Nun muss man sich fragen, ob es „Neue Musik“ überhaupt noch wirklich gibt und ob man da austreten kann. Aber was man immer kann, ist: seinem inneren Drang zu folgen und das aufzuschreiben, was einem Freude macht. Daran ist nichts Falsches, es kann aber sein, dass das dann auch nicht sehr spannend ist. Dieses Risiko gibt es immer.

Cynthie machte wohl das was wir alle machen eben einfach keinen Spaß mehr, und sie ist da irgendwie raus, ohne mit dem Musikmachen aufzuhören. Was hat sie frustriert, was hat sie genervt, was hat sie zu diesem Schritt bewogen? Wurde sie gemobbt? Von Kollegen genervt? Von Kritikern beschimpft?

Über all dies denke ich nach, während ich ihr wunderbares Lied spiele, „Tandaradei“. Auch der Sänger (Peter Schöne) findet es toll. Er hat Recht.

Vielleicht werde ich sie das nächste mal einiges fragen, wenn ich sie wieder sehe.

Moritz Eggert

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2 Antworten

  1. Das ist das erste Mal, dass ich die Musik von Cynthie van Ejden höre. Ich habe eben ein bisschen von dem gehört, was auf ihre Webseite steht. Die Geschichte die Du erzählst ist aber krass. Ich selber als Komponist fühle ich mich oft als „Konservativer“ (sogar in dem schlechten Sinne). Jetzt, dass ich van Ejde höre, muss ich mich wieder neu in der imaginären Tafel der „musikalische Einstellung“ (ähnlich wie die „politische Einstellung“) posizionieren. Auch wenn Andere sagen, es sei nicht richtig, sich mit anderen Komponisten ständig zu vergleichen, höre ich gerne an, was meine Kollegen so machen, wovon sie leben, und lese gerne, was so alles sie interessiert. Die Geschichte, von der Du schreibst, hat mich tief bewegt. Ich hatte mich nie gefragt, ob es so was gibt, wie von der Neuen Musik auszutreten. Ich dachte es war klar, dass jeder macht was er will: mit oder ohne Geräusche, mit oder ohne Melodie, mit oder ohne Puls, mit oder ohne Tonalität.
    Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, ob meine Musik als Neue Musik bezeichnet werden kann, und es ist mir nur egal, wenn das keine direkte Konsequenz in einem Festival für Neue Musik hätte (wer kann sich freuen, dass die eigene Musik nicht gespielt wird?). Ich hätte nie gedacht, dass so eine Klassifizierung wichtig für manche Komponisten war, die „Kunstmusik“ machen wollten, und dass indem ein Komponist diese Bezeichnung ablehnt, muss er oder sie plötzlich ganz anders komponieren, als wäre die Tonalität das Merkmal dessen, was nicht Neue Musik ist! Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Tonalität als System standardmäßig besser sein muss, als die eigene musikalische Sprache, sei sie tonal oder nicht!

  2. Moritz Eggert sagt:

    es freut mich, dass Dir der Artikel gefallen hat! Das Ganze ist ein weites Feld natürlich, und die Frage ist natürlich überhaupt nicht, ob man ein guter oder schlechter Komponist ist, sondern ob man in einer bestimmten Szene als solcher wahrgenommen wird. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, aus einer Szene „herauszufallen“, freiwillig oder unfreiwillig, und das kann uch etwas Befreiendes sein. Für viele ist aber die finanzielle Sicherheit, die mit einer gewissen Anerkennung einhergeht sehr wichtig – was nicht unverständlich ist, aber natürlich nichts zu guter Kunst macht..–