Donaueschingen 2016 – Programmheftmysterien, Kastaniengefahr im Flüchtlingsheim, Aus ist’s, Nix gibt’s
Der wahre Gral: das Programmheft der Musiktage 2016. Seit Sonntag früh kenne ich die Mysterien meiner Edition, die ich am Freitag sogar in Plastik (und das im Ökoländle!) eingeschweisst erhielt. Das Konzert des Ensemble Recherche wird ab Seite 134 erläutert. Nach Seite 137 springt es allerdings direkt auf Seite 154, zum Abschlusskonzert. Übrigens, lieber Moritz Eggert, man vergass nicht nur Dich im Programmheft zu erwähnen, selbst die exponierte Gesangssolisten Juliet Fraser fehlte im Abschnitt zum Klangforum Wienkonzert. Liebe Musiktage, da könnte Ihr wirklich ganz einfach besser werden!
Die Werktexte von Wieland Hoban und Peter Ablinger springen unvermittelt auf Haas und Bedrossian – Martin Smolka und Patricia Alessandrinis Werke werden unterschlagen. Dabei hätte gerade Lecons de Ténèbres von Alessandrini erklärende Worte verdient. Zwar zeigte es nur „the state of art“, was man von Masterstudierenden erwarten würde, doch entwickelte es ab der zweiten Hälfte in seiner zehnminütigen Dauer einen kleinen Zauber im Abtasten zartester Tonhöhen und erweiterter Spieltechniken und der leicht nachhallenden, ätherischen Live-Elektronik, den Hobans „Urdarbrunnr“ für 4 verstimmte Harfen und Ensemble immerhin zu Anfang verströmte, als die Harfenistinnen lose Bogenhaare durch die Basssaiten ihrer Instrumente zogen. Ablingers „Die schönsten Schlager der 60er und 70er Jahre für acht Instrumente waren immerhin witzig in den letztlich doch immer ähnlich klingenden Sätzen als Anordnungen von doch nicht erkennbaren Schlagern und Songschemaderivaten und der Vergeblichkeit, wirklich handfeste Notwendigkeiten für einen eigenen, neuen Satz zu erzeugen. Tendierte man vor 5 Jahren dazu Oboe und Cello zu tabuisieren, sollte man dies nach Smolkas „a yell with misprints“ für Gongs anordnen.
Das Ircam-Quartett-Konzert ließ ich zugunsten von Hannes Seidls „Good Morning Deutschland“ Installation im Flüchtlingsheim am Friedhof als Radioprogramm von Flüchtlingen für Flüchtlinge ausfallen. Nach Registrierung und strengster Einweisung durch die Security, nur den freigegebenen Bereich des Heims, einer ehemaligen französischen Kaserne, zu betreten und ja keine Fotos zu schiessen, bewegte man sich leicht eingeschüchtert zum ehemaligen Offizierskasino. Dessen vorgelagerte, offen verglaste Wachstube diente als von aussen einsehbares Sendestudio. Das Programm von Good Morning Deutschland umfasst vor allem Lieder in den Sprachen der Flüchtlinge und Wortbeiträge, heute in Deutsch und Arabisch. Zu Gast war Christina Kubisch, die ihre Hörspielkunst im halbstündigen Slot vorstellte.
Viel verstand man draussen nicht, da die Sprecher unterschiedlich laut verstärkt wurden. Sie erzählte von ihren elektromagnetischen Messungen in verschiedenen Städten unterschiedlicher Kontinente, so dass man in den unverständlichen Fetzen meinte, dass trotz der Sicherheitsmassnahmen jemand der Fraktion Aluhut im Flüchtlingsheim Eingang gefunden hätte. Ausserdem wunderte man sich, was daran nun Installation sei. Wer jedoch feiner hinhörte und hinsah, erlebte den fast liebevollen Umgang mancher afrikanischer Flüchtlinge mit dem Sicherheitsdienst, wurde nett gegrüsst, konnte dem lässigen Fussballspiel im Sonnenschein folgen oder sich eben auf die Sendung konzentrieren. Das Gefährlichste waren übrigens die Kastanien, die auf die Sitzenden herab platschten. Sonst alles easy.
Zuletzt dann eines der kürzesten Abschlusskonzerte der Musiktage mit dem SWR Sinfonieorchester unter Alejo Perez. Zuerst als Ersatz für Marco Stroppas unvollendetes Auftragswerk Elliot Carters „A Symphony for Three Orchestras“ aus dem Jahre 1976. Natürlich gute Musik jener Zeit, aber doch sehr old-fashioned, nichts für ein Uraufführungsfestival. Wenn die Auswahl auf eine lebende Person der Jetztzeit gefallen wäre, hätte sich das interessanter angefühlt. Das folgende Stück „Twist“ von „Franck Bedrossian“ fuhr hart drein, irgendwo zwischen Schedl und Wertmüller mit IRCAM-Verstärkung, seltsam topfig die Einzelinstrumente verstärkend.
Zum Abschluss dann das Posaunenkonzert von Georg Friedrich Haas, interpretiert von Mike Svoboda, der in seinen Spielpausen über dem flächigen Klang eine Mimik einnahm, als schnippte er noch Bedrossians Twist nach. Der Mollklang zu Beginn wirkte wie die Mollvariante des Lohengrinvorspiels in Dur beziehungsweise der finnische Sibelius-Tuonela-Schwan im Wittelsbachischen Staffelsee, dazu eine absinkende Linie gegen Ende wie im letzten Satz von Tschaikowskys Pathétique. Quasi-Wagner/Sibelius und Quasi-Tschaikowsky wirkten wie zwei die Wand herunterfliessende aufgeschlagene Eier, die in einem Posaunentrichter enden sollten und doch kein Spiegelei ergaben. Instrumentiert wie eine hochromantische Orchestrationshausaufgabe, und als solche doch noch nicht ganz eingelöst.
Nach dem Musiktageendapplaus, wo leider nicht alle Komponisten auf die Bühne gebeten wurden wie in den TV-Showfinales des SWR, vermisste man sehrend die Bekanntgabe des Orchesterpreises. Die eine Hälfte des Orchesters und des Publikums schwirrte schnell ab, die andere genoss endlich die abendliche Stille im Donaukaff, dass sich ganz provinziell gab und einerseits um 5 vor acht noch Speisekarten verteilte und dann 5 nach acht behauptete, man sei nun zu spät für die warme Küche. So noch in die Linde, wo die Blogkollegen von „mit allem und viel scharf“ am Nachbartisch parlierten? Keine Ahnung. Die erkannten mich wohl im Nadelstreifenanzug nicht, wo ich ja immer das grüne T-Shirt mit der gälischen Badboyaufschrift als Beitragsbild poste. Also, ja, ich war es, gerne hättet Ihr Eure Hände in meine Wunde, nur welche, legen können. Dann eben vielleicht 2017!
Die Musiktage 2017 werden vom 20.-22.10. steigen, angekündigt ist Musik von Serge Baghdassarian und Boris Baltschun, Eivin Buene, George Crumb, Chaja Czernowin, Bill Dietz, Andreas Dohmen, Hanna Eimermacher, Márton Illés, Dmitri Kourlandski, Bernhard Lang, Thomas Meadowcroft, Misato Mochizuki, Ole Henrik Moe, Emmanuel Nunes, Marianthi Papalexandri-Alexandri, Marina Rosenfeld, James Saunders, Alexander Schubert, Martin Schüttler, Jagoda Szmytka, Chiyoko Szlavnics, Øyvind Torvund und Francesca Verunelli. Also im Grossen und Ganzen eine Fortsetzung der Dramaturgie Armin Köhlers.
Komponist*in