Wie der FDP-Vorsitzende einmal „Konzerndirektoren“ und „Konzertdirektionen“ verwechselte
Die lustige Geschichte eines Missverständnisses
Achtung: Bei diesem Artikel handelt sich allerhöchstens um die halbe Wahrheit! Dem Autor wurde die Geschichte allerdings mehr oder weniger so überliefert. Gleichsam nahm sich der Verfasser einige – allerdings auch als solche gekennzeichnete – Freiheiten. Inzwischen hat sich jedoch herausgestellt, dass Christian Lindner sehr wohl wusste, wo er war. Den Versprecher hat es aber gegeben. Und, ja, die eminente, quasi überlebenswichtige Relevanz von Konzertdirektionen in Deutschland hat er in seiner – wohl sehr eloquenten – Rede ebenfalls erwähnt. Trotzdem bleibt dieser Artikel hier so stehen. Manchmal sind auch halbe (oder viertel) Wahrheiten schön.
Wir blicken zurück: Berlin, 12. September 2016. Noch sechs Tage bis zur Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus.
Der Bundesvorsitzende der FDP und Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen Christian Lindner ist eingeladen, hier in der mit Wahlkampfplakaten zugehängten Hauptstadt bei der Verleihung des Musikpreises des Verbands der deutschen Konzertdirektionen (VDKD) zu sprechen. Für Reden haltende Ehrengäste und Schirmherren gilt aus Sicht der Veranstalter seit jeher: „Je prominenter desto besser!“ Und für Politiker, die in der heißen Phase eines entscheidenden Wahlkampfs eingeladen sind, solche Reden zu halten: „Je näher an der Wahl desto besser!“
An diesem Tag also, dem 12. September, verlieh der VDKD nicht zum ersten Mal den von ihm – dem Verband – selbst ausgelobten und mit 10.000 Euro dotierten Nachwuchspreis. Der ging – natürlich nach Entscheidung einer unabhängigen Jury – an den Schlagzeuger Alexej Gerassimez, der (hey, wie selbstlos!) selbstverständlich bei einer ordentlichen und höchst seriösen Konzertdirektion, die selbstredend Mitglied im VDKD ist, unter Vertrag steht. (Okay, das unsäglich viele Lobby-Verbände, Verlage und andere Organisationen aus dem Bereich Kultur Preise ausloben, um dann ausnahmslos Eigengewächse damit auszuzeichnen: nicht neu, dennoch, wie ich meine: künstlerisch bedenklich – aber: geschenkt!)
Soweit, so gut.
Nun begab es sich jedoch so, dass man – ich nehme an: einer seiner Mitarbeiter – Christian Lindner nicht ordentlich über den Hintergrund der Veranstaltung informiert hatte. Ich stelle mir das so vor: Christian Lindner wird vor das Veranstaltungsgebäude vorgefahren. (Am 12. September herrschten in Berlin Temperaturen von fast 32 Grad.) Lindner schwitzt. Immer dieses Anzuggetrage! Schnell rein. Die Veranstaltung hat schon begonnen. Lindner wird von einer Assistentin freundlich begrüßt. „Sie sind gleich dran!“ Lindner stürmt zum Pult.
Doch erwähnt er mit keinem Wort den Sinn und Zweck der Veranstaltung. Es geht ausschließlich um bundespolitische Themen (Lieblingsthema: Steuersenkungen), aber auch um die FDP-Visionen eines wirtschaftlich erfolgreiche(re)n Berlins und so weiter. Vermutlich auch um den Erhalt des Flughafens Tegel. Hihi.
Irgendwann dämmert es den Veranstaltern: Der FDP-Vorsitzende denkt, er sei beim „Verband der deutschen Konzerndirektoren“. Den gibt es aber gar nicht! Klingt aber so gut! Und ist ja genau Lindners Klientel, bei der es zu punkten gilt…
Lindner spricht weiter. Eine reine Wahlkampfrede! Ohne nerviges Ohne-Musik-wäre-das-Leben-ein-Irrtum- oder (noch schlimmer, weil inzwischen von jeder und jedem zu Tode penetriert) Tradition-ist-nicht-die-Anbetung-der-Asche-sondern-die-Weitergabe-des-Feuers-Zitat (wäre ja vielleicht „dem Anlass angemessen“) oder Ähnliches. Nein, nix mit Kultur (kann die FDP ja auch nicht so gut). Es geht nur um Zahlen, Finanzen – und Parolen.
Die Veranstalter schwitzen inzwischen – trotz laufender Klimaanlage. Scheinheiliger Applaus am Ende der Rede.
In der Pressemitteilung des VDKD natürlich kein Wort über das sehr sehr lustige Missverständnis. Wobei… So ein bisschen schwingt das Ganze noch in den folgenden Worten (ich zitiere aus der Pressemitteilung) mit: „Er (Anm. Christian Lindner) wies in seiner Rede darauf hin, wie wichtig entsprechende gesetzliche und steuerliche Rahmenbedingungen gerade für die Tätigkeit der privatwirtschaftlichen Konzertveranstalter und Künstleragenturen seien und plädierte für den Abbau bürokratischer Hemmnisse.“
Ich könnte schwören, dass der Verband und Lindner sich über die Einfügung der Worte „Konzertveranstalter“ und „Künstleragenturen“ im Nachhinein geeinigt haben.
Und stelle mir vor, wie es umgekehrt hätte funktionieren können. Also: Ein Politiker kommt in der Annahme, eine Rede bei einem Festakt des „Verbands deutscher Konzertdirektionen“ halten zu sollen zu einer Veranstaltung des „Verbands deutscher Konzerndirektoren“ – und keiner merkt zunächst etwas. Meine Theorie: Die Nietzsche- und Wagner-Zitate („Kinder, schafft Neues!“) würden den Herren Konzerndirektoren sicher gefallen. So ein bisschen Kultur schadet ja nie. „Mensch, endlich mal ein bisschen frischer Wind!“
Aber so war es ja viel lustiger. Schade, dass ich selbst nicht dabei war – und mich auf Fremdaussagen verlassen muss.
Danke für diese schöne (ja – und offenbar wahre!) Geschichte einer Verwechslung, die Loriot sicher gefallen hätte…
Anmerkung: Der Autor weiß nicht, ob das oben geschilderte Ereignis wirklich so stattgefunden hat. Es wurde ihm aber so (ähnlich) erzählt. Sollten in den kommenden Tagen detailliertere oder auch gegenteilige Informationen gesammelt werden können, so wird dieser Artikel entsprechend aktualisiert.
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.