Authentisch und Identitär – Neue Musik zwischen Patriotismus und Aufklärung
Das Politische steht seit den letzten fünf Jahren wieder verstärkt im Zentrum der Neuen Musik. Den Ruf nach mehr Gehalt erhob Mahnkopf schon 1998. Vergleicht man zentrale Begriffe von damals und heute mit Forderungen der „Identitären Bewegung“, fragt man sich, ob nicht dringendst andere Terminologien in der Neuen Musik gefordert wären. Denn wie die Neue Musik begreifen sich die Identitären als Avantgarde. Folgt man den bisherigen Neue-Musik-Diskursen, dann passiert zwar eine Infragestellung bisheriger Chiffren, aber vor allem durch Selbstironie, nicht durch Aufbruch. Das ist insofern problematisch, als dass eine kritische Betrachtung der Materialästhetik jenseits von selfmade-digital-kostengünstige Ersatzmöglichkeiten für institutionell-analog-teure Elektronik nicht stattfindet.
Auch 2016: Problem der Materialästhetik
Und somit kaum Aussagen anhand nur des Materials möglich sind, wie vorwärtsgewandt oder regressiv, identitär, ja, rechtsextrem das Werk und sein Komponist ist. Im Gegenteil: wer mit erweiterten Spieltechniken, atonalen Intervallen, Mikrotönen, performativen Elementen und Elektronik, angereichert mit Pop- oder Traditionsbezügen, etc. hantiert, gilt als hegelianisch aufgeklärt oder zumindest belehrt und politisch liberal bis linksradikal versteht.
Dazu ist ein Herausfinden des Gehalts vonnöten. Dieser wird aber oft hinter esoterischen oder quasi-unpolitischen Texten und Titeln verschleiert. Bestenfalls kennt man die persönliche Weltanschauung des Komponisten, ansonsten erklärt man ihm zum Sonderling oder Troll oder entdeckt ihn als genialen Ironiker, was wunderbar ins aktuelle Bild der jetzigen Szene passt: offene Selbstreflexion der Neuen Musik ist einer verschleiernden Selbstironie gewichen. Wenn man die aktuellen Narrative der Szene kennt, macht dies Spass und ist leicht zu dechiffrieren. So geschah es zuletzt z.B. bei der Ernst-von-Siemens-Musikpreisverleihung in München, wo in den Filmen zu den Preisträgern, bei aller Ernsthaftigkeit ihrer Musik, der Hauptpreisträger Per Norgard mit seinem Hinterherlauschen und klanglich positiven Bewerten von Strassengeräuschen als liebenswürdiger Grossstadtkauz sowie der Förderpreisträger Gordon Kampe als junggebliebener Soundlausbub herüberkamen. Zu Kampe steuerte Michael Rebhahn eine liebevolle wie ungewöhnlich ernsthafte Laudatio bei, was man von ihm als das Selbstironische im Sprechen über Neue Musik überspitzende nicht unbedingt erwartet hätte. Das versteht sich hier weniger als eine Kritik an der Person als am vorherrschenden „Sprech“. Allerdings kommt diese Laudatio nicht zu einem ästhetischen, philosophischen oder gar politischen Sinnschluss. Es verbleibt bei einem ethischen, der natürlich zutrifft, was ich in Kenntnis von Kampe und seiner Musik bestätigen kann, der eigentlich auf jedes halbwegs aufrichtig und handwerklich einigermassen konsequente Werk zuträfe: Ehrlichkeit. Also im grossen und ganzen wiederum: Authentizität über allem!
Abgleich ähnlicher Begriffer der musikalischen und sogenannten patriotischen Avantgarde
Ob Zweite Moderne oder Ausstiegsmoderne, ein Zitat Claus-Steffen Mahnkopfs umreisst trefflich die Anforderungen an Neue Musik im 21. Jahrhundert, wobei vorausgeschickt sei, dass ich Mahnkopf nicht in das identitäre Eck stellen möchte. Dennoch muss angesichts seiner Wortwahl 1998 und der der heutigen Identitären gefragt werden, ob der jetzige Diskurs zur aufgeklärten Neuen Musik des 21. Jahrhunderts und seine Methoden mit diesen Begrifflichkeiten weitergeführt werden kann oder diese mehr verschleiern als verdeutlichen: „Es geht darum, eine Musik zu erfinden, die ohne Regression eine Expressivität entbindet, die ein authentischer Ausdruck des heutigen, zugegebenermaßen hochneurotischen, multiplen und komplexitätsüberforderten Menschen ist; eine Expressivität, die in Dichte und Energie, aber auch in ihrer Ambivalenz eine Vitalität erlebbar macht, die dem Subjekt ermöglicht, aufzubegehren gegen Entfremdung und Fremdbestimmung. Wir sind auf eine Musik angewiesen, die sensibilisiert, die mit Wahrheit, nicht mit Kompromissen aufwartet (…): eine Musik, die 20. Jahrhundert ist und doch das 19. Jahrhundert, unser kulturelles Erbe und Menschenbild, bewahrt.“ (Claus-Steffen Mahnkopf, „Neue Musik am Beginn der Zweiten Moderne“ in: Merkur 594/595 (1998)).
Dieser Mahnkopf enthält im weiteren einige Begriffe, die ich im weiteren Verlauf mit einem Text eines Protagonisten der sogenannten „Identitären Bewegung“ spiegeln möchte, in welchem Martin Sellner die politische Haltung seiner Bewegung anhand eines Essays über Georg Lukacs‘ „Die Zerstörung der Vernunft“ darlegt, um sich von „alten Rechten“ abzusetzen. Das Interessante daran ist, dass Forderungen einer eher linken Neuen Musik gar nicht so weit von Kampfbegriffen einer rechten Politszene entfernt sind. Die Identitäre Bewegung wird z.B. von Götz Kubitschek, in dessen Sezessions-Blog Sellners Text erschien, eigentlich als „interessante, großstädtisch virulente Protestbewegung“ bezeichnet, wobei er 2013 noch beklagt, dass sie in Deutschland kein Gesicht habe, was ihr österreichischer Ableger mit Sellner auf jeden Fall hat. Diese Bewegung entstand zuerst in Frankreich als „Génération Identitaire“ und schwappte auf andere europäische Länder über.
Sie versteht sich national wie europäisch: In Österreich propagiert sie „den Erhalt der ethnokulturellen Identität“ als einziges Ziel, um im Falle Österreichs dieses für die Österreicher und als europäisches Land zu erhalten, „damit wir unser Erbe in die Zukunft tragen können“. Am postmodernen Multikulturalismus arbeitet man sich unentwegt ab, Vielfalt wird als „eine Welt der tausend Völker, Traditionen und Kulturen“ bezeichnet, aber nicht in vereinten, sondern getrennten Gesellschaften, was ja paradoxerweise wieder wie „multikulturell“ klingt, allerdings von der lokalen, zeitgenössischen Lebenswirklichkeit auf eine Ideologie der Staaten und Nationen im Sinne des 19. Jahrhunderts retransferiert. So wird vor allem das Fluchtjahr 2015 in Verbindung mit den Terroranschlägen in Paris und Brüssel als das Menetekel der europäischen Demokratien gesehen. Hintergrund dessen sei ein „grosser Austausch“ der autochthonen Bevölkerung durch Migration wie eben die Flüchtlinge, was so klingt, als erlebte Europa eine „Invasion of the Body Snatchers“ und das Aufbegehren der „Identitären Bewegung“ der letzte Schrei der letzten Ureuropäer wie am Ende des gleichnamigen Sci-Fi-Horrorfilms.
Das wird alles relativ intellektualistisch verbrämt. Denn im Gegensatz zu Pegida, der ein diffuses Gefühl von „Überfremdung“ und „Islamisierung“ insbesondere von deutschen Regionen mit nicht einmal 1% muslimischen Bevölkerungsanteil zur Dauer-Demo genügte, verstehen sich „Identitäre“ explizit als rechte Avantgarde. Allerdings kommen sie selbst meist nicht über dumpfen popkulturellen Ikonoklasmus nicht hinaus, wie sie es mit ihrem der Comicverfilmung „300“ schwarzen Lambda zeigen oder Playlists zwischen Neo-Folk und kritischen Deutschrap a la Antilopengang, ausgerechnet der Formation, die sich gegen Angriffe aus der deutschen Anti-Lügenpresse a la KenFm wehren musste. Dass aus „Linken“ Inspiration gewonnen werden kann, um vielleicht auch Querfront-gefährdete wankelmütige Liberale und Linke für die Identitären zu gewinnen, bringt uns zu dem o.g. Sezessions-Blog-Text zurück.
Verkürzt lässt Sellner Lukacs sagen, dass mit Hegel und Marxismus der Höhepunkt der Aufklärung erreicht sei, alles Denkerisch darauf folgende die Zerstörung der Vernunft gleichlautend zum Buchtitel sei und sinngemäß in sentimentale Ablenkung, Mystik, Irrationalismus, Wahnsinn und Grausamkeit abgleite. Prinzipiell träfe dies auch die rechten Patrioten, insbesondere der Vorwurf des Irrationalismus. Denn dieser hindere jene erfolgreich an den Grundfesten der heutigen multikulturellen Realität zu schütteln, also „dem herrschenden Denkgebäude den entscheidenden Schlag zu versetzen“.
Mahnkopf wollte 1998 der Postmoderne nicht den entscheidenden Schlag versetzen. Er konstatierte ihrer musikalischen Erscheinungsform sogar Pluralität, Vielfalt, Heterogenität, Differentialität, etc., wenn auch unerfüllt, in die Welt gesetzt zu haben. Das soll nun eine Zweite Moderne einlösen, gerichtet „gegen postmoderne Irrationalität, aber auch gegen die wie selbstverständlich unterstellten ‚idealistischen‘ geschichtsphilosophischen Annahmen einer Ersten Moderne“. Erstaunlich ist, wie das 17 Jahre später beim identitären Sellner klingt: „Wir befinden uns nämlich wirklich in einer Zeit der Götzendämmerung; der Troß des westlichen Universalismus trottet müde, ausgedorrt und hoffnungslos auf der Straße des Fortschritts dahin. Er löst sich langsam auf und taumelnd, tänzelnd säumen ihn postmoderne Aussteiger, die den Kitzel des „verbotenen Irrationalen“ am Waldrand kosten, sich aber nicht ganz von der universalistischen Menschheitsmoral lösen wollen.“
Wie ich oben anführte, wird Vielfalt seitens der Identitären nicht multikulturell in einer, sondern in voneinander abgeschotteten Gesellschaften definiert. Umso merkwürdiger wirkt diese Aussage Sellners: „Unsere Aufgabe ist es heute, (…) alternative Konzepte von Ethik, Sinn und Geschichte zu entwickeln, die den Egalitarismus widerlegen und der Pluralität der Welt entsprechen.“ Ähnlich soll die Musik des 21. Jahrhunderts laut Mahnkopf sein: „Pluralität, Vielfalt, Heterogenität, Differentialität, (…) all das ist musikalisch sehr wohl möglich geworden: durch komplexe Polyphonie, intrikate Rhythmik, dissoziative Morphologie, Viertel- und Achteltönigkeit(…).“ Nur gut, dass die patriotische Avantgarde nicht über diese komplexistische Materialästhetik verfügt.
Fatal gleich klingen bei Sellner wie Mahnkopf die letzten Worte. Der Identitäre: „Wir brauchen eine Generation an freien Radikalen, die keinen effektvollen „Ausbruch“ aus der abendländischen Kultur und Geistesgeschichte inszenieren, sondern sie weitererzählen will.“ Mahnkopf: „…eine Musik, die 20. Jahrhundert ist und doch das 19. Jahrhundert, unser kulturelles Erbe und Menschenbild, bewahrt.“ Höchste Zeit, neue Begriffe für die Musik von heute zu finden.
Fragmente von politischer Kunst der Neuen Musik und Horror-Kunst der Identitären
Bei Rebhahn hatten wir als Fazit seiner Kampe-Laudatio „Ehrlichkeit“, mit Mahnkopf sind wir „auf eine Musik angewiesen, die sensibilisiert, die mit Wahrheit, nicht mit Kompromissen aufwartet.“ Der Identitäre stellt kompromisslos fest: „Die Metaerzählung, auserwählter Träger einer Wahrheitsmission zu sein, ist in den cultural, linguistic, narrativ und sonstigen „turns“ der neueren Geistesgeschichte so gründlich gerupft worden, dass wenig von ihr übrig geblieben ist.“ Damit dreht er sich natürlich selbst im Kreise, denn er sucht sehr wohl nach einer neuen Wahrheit, wie oben beschrieben, der „Große Austausch“. Kompromisslos sind Identitäre auch in ihren Aktionen: sie stürmten in Österreich eine Aufführung des Jelinek-Stückes „Die Schutzbefohlenen“, mit Flüchtlingen als Darstellern, im Audimax der Universität Wien, entfalteten ein Plakat mit der Aufschrift „Heuchler“ und verspritzten Kunstblut, um damit angeblich recht brutal nach ihrer Darstellung an die Pariser und Brüsseler Terroranschläge zu erinnern, was eine unfreiwillige, unfreundliche Vitalität erzeugte im Gegensatz zur theoretischen Mahnkopfs (Teil 1, Teil 2). Oder sie besetzten das Dach des Burgtheaters. der wie beim Kreidlerschen „Fusionsinstrument“-Protest gegen die Fusion der SWR-Orchester, warfen sie a la Weisse Rose an ostdeutschen Unis Flugblätter von den Rängen. Allerdings brachte dies ihnen nicht nur Berichte in ZDF Aspekte ein, sondern bescherte ihnen auch von Land zu Land eine Beobachtung durch Verfassungsschützer. Alles recht plumper Agitprop, doch wirksamer als bisher jegliche musikalische Avantgarde 2016.
Die Gehaltsfrage
Eigentlich müsste ich jetzt Komponisten outen, die z.B. ganz offen in sozialen Medien identitäre Inhalte verlinken (Privat kann man bei mir danach anfragen). Was auffällt, dass es durchaus Persönlichkeiten sind, die häufig gespielt werden oder sich an Diskussionen und Chats immer wieder beteiligen. Nicht immer haben sie einen russischen, russisch-deutschen oder südosteuropäischen Hintergrund. Liegt ein solcher vor, sind sie noch am leichtesten zu identifizieren, egal ob es um Schamanismus, Bilderberger, Merkelkritik oder Chemtrails geht. Diese Verschwörungstheorien teilen sie aber auch mit Persönlichkeiten, ohne diese eben genannten Migrationshintergründe. In den sozialen Medien rufen sie vereinzelt sehr wohl zu einem „Aufbruch“, einer „Revolution“ auf. In ihren Werken und Werktiteln gefährden sie bisher noch nicht ihren Ruf in der Neuen Musik Szene. Sie sind dezidiert keine komplexistischen Komponisten. Aber wie Mahnkopf anführte, kommen in ihren Partituren doch „komplexe Polyphonie, intrikate Rhythmik, dissoziative Morphologie, Viertel- und Achteltönigkeit“, etc. vor. Nur ihre Werktitel oder Stücktexte lassen Rückschlüsse auf Esoterisches zu. Der Gehalt an Ehrlichkeit und Wahrheit ist nicht nachhaltig zu dechiffrieren.
Es geht mir nicht darum, als Gesinnungspolizei aufzutreten. Vielmehr wäre es aber dennoch eine gute Herausforderung, wenn die Neue Musik Szene sich mit diesem Phänomen selbstkritisch auseinandersetzen würde, nicht nur selbstgefällig Witze oder Empörung dazu generiert. Ohne jetzt Identitäres Gedankengut unterstellen zu wollen, der Schritt von Rihm und Widmann zu Sloterdijk ist sehr klein. Bis vor ganz wenigen Wochen hat sich Sloterdijk zudem nicht von Marc Jongen distanziert, produziert immer noch ähnliche Sentenzen über den Untergang des Abendlands wie es dann die Jongen-Freunde der Sezession sowie der Identitären Bewegung tun, die angesichts der hohen Wahlergebnisse für die AfD nicht Untergang sondern Morgenluft wittern. Mit relativistischer Ironie, scheiternder Gehaltsanalyse oder wahrhaftiger Materialästhetik wird man nicht weiterkommen. Es geht darum, sich an grössere Inhalte als nur autoreflexives Abtasten oder inneres Dramolett zu wagen. Das versuchen noch die übriggebliebenen „Neuen Einfachen“, jeder weiß, wer gemeint sein könnte. Allerdings nicht um aufzuklären, sondern um zu gefallen. Da letztlich auch die Materialästhetik und die Mahnkopfschen Anforderungen nur was taugen, wenn ein linksradikaler Komplexist sie einsetzt, sollte das Inhaltliche krasser, ja, vielleicht mit noch mehr Agitprop denn je bei gleichzeitiger handwerklicher Kontingenz in Musik und Performance im Mittelpunkt stehen, von ihm aus auf das Material, und nicht umgekehrt, geschlossen werden.
Komponist*in
@Alexander: Danke für diesen aufschlussreichen Beitrag. Das Thema „(krypto-)identitäre KunstmusikkomponistInnen“ wird uns wohl leider in den nächsten Jahren noch ausgiebiger beschäftigen. Andererseits: Gut zu wissen, wer der Feind ist und wie er sich mitunter tarnt…
Ich geh ja momentan schon wieder auf Abstand zur „Neue Musik Szene“ weil mir alles so fürchterlich bürgerlich und teilw. heuchlerisch vorkommt (oder zumindest führt kaum jemand die Diskussionen, auf die ich warte) – aber dass es identitäre Komponisten gäbe, auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen. Erschreckt mich ein wenig. Aber gut, mit ein wenig besser kalibriertem Pessimismus hätte ich es mir denken können.
Die Idee, dass man aus der Gestaltung eines Werks ganz abstrakt sowas wie Gesinning, politisch oder otherwise, ablesen könnte, ist sowieso völlig absurd.
Nicht zuletzt darum lege ich auch Wert darauf zu hören, was ein Komponist *über* seine Werke sagt und vor allem, warum er eigentlich überhaupt komponiert.
Hallo Knopfspiel, schön mal wieder einen Kommentar zu lesen! Dass Material nix über Gesinnung preisgibt, das dürfte ja Konsens sein. Dennoch versteht sich die Neue Musik traditionell als kritisch, darin überwiegend liberal bis links. Oder zumindest weitestgehend der Aufklärung verhaftet. Seit aufkommen der Neuen Rechten ist aber unklar, was aufgeklärt als Seins-/Wissenszustand bedeutet: denn links wie rechts halten sich für aufgeklärt, ja, gerade wer „endlich sagen darf, dass…“, dass er an Freimaurerverschwörung und Geo-Engineering glaubt, hält sich für einen Wahrheitsträger, wie der Mahnkopf-Text ja Adepten der darin umrissenen 2. Moderne, auch materialästhetisch gezeichneten Wege, auch als Wahrheitsträger einer kritisch-aufgeklärten, linksliberalen Kunst beschreibt. In seiner Beschreibung der Postmoderne 1998 trifft er übrigens genau die jetzige Neue-Musik-Welt: „Die postmoderne Musikszene ist ein Jahrmarkt nicht etwa der Eitelkeiten, sondern der Selbstgefälligkeiten, die nicht davor zurückschrecken, sich mit der eigenen Begrenztheit narzisstisch zu identifizieren.“ Ja, er gehört da inzwischen als Professor selbst dazu bzw. lässt sich in Teilnahme an ihren Auseinandersetzungen genau von dieser in Beschlag nehmen.
Worin er sich irrte, damals wie heute: „Und kennt man ein wenig die Szene und deren Wortführer, dann muss man gar nicht, wie einstmals die Ideologiekritik, einen exklusiven Zugang zur Wahrheit beanspruchen; es sollte die aufklärerische Leistung des schlichten Benennens bereits ausreichen.“ Reicht eben nicht aus. Nicht dass mehr Ideologie gefordert sei, aber in anti-aufklärerischen Kreisen, was er ganz zart der Postmoderne auch unterstellte, in diesen heutigen anti-was-auch-immer-von-links-oder-aus-der-Mitte-derGesellschaft-kommt Kreisen, da geht es sehr wohl ideologisch oder wahrheitssuchend, ideologiesuchend zu. Da modernisiert sich das ganze Auftreten der bisherigen Kampfsportgruppenwelt per Adaption von Aktionsformen und Performancemitteln der linksliberalen bzw. aufgeklärten Kunst wie Politikszene. Da werden sehr wirkungsvoll soziale Medien, Elektronik eingesetzt, um alternativ von Institutionen sich etablieren zu können. Genau das wäre ja auch ein Kritikpunkt an Diesseitigkeit und Neo-Konzeptualismus: Einsatz von Medien sollen den Gehalt der Musik wieder in den Vordergrund stellen, aber man schränkt sich inhaltlich meist auf Selbstbeschau der Musikwelt ein, erneuert Präsentationsformen bzw. baut verstärkt wissenschaftlich Erklärendes, oft in Form von Selbstironie, im Performativen, propagiert und führt einen vereinfachten Zugang an Mittel der Institutionen durch, wie eben Musikelektronik. Das verändert aber letztlich weder kaum den Sprech, wie es eben erforderlich ist, wenn Irrationale diesen adaptieren. Man verändert nicht das Material, erweitert es mit Popularbezügen, die aber letztlich doch der Morphologie der Neuen Musik angepasst werden oder so subkutan sind, dass es eben typisches Neue Musik Material/Methode im Umgang damit ist. Und die Neorechten verändern sich genau in diesem Sinne ebenfalls, adaptieren linke Morphologie, so dass man sie als Rechtsradikale nicht erkennen kann, ja, sie setzen sich verlautbarend von Rechtsradikalen ab.
Also wenn man politisch Kunst betreiben will, muss man sich was anderes einfallen lassen. Ggf. adaptiert man eben deren offenen Agitprop, was nicht jede Person kann, wenn man Bühnenangst hat. Oder wirft mit politischen Inhalten mal so richtig fett um sich. Oder arbeitet sich doch mal wieder am Material ab, erweitert es klitzeklein – sehr schwierig, eher utopisch. Oder verbindet Inhalt, Agitprop und Material. Oder macht es ganz anders. Was aber anders gehen kann: die Begrifflichkeit der Texte über Musik: weniger Weihrauch, Beschwörung des Neuen UND Alten.
Eines ist ja beruhigend: sofern das Performative und Erklärende der Komponisten in deren Stücke eingearbeitet ist bzw. entsprechende Texte vertont sind, dann muss man gar nicht so viel über sein Werk sagen. Je irrationaler, traditionsverhaftet ein Werk, da kommt man wohl nicht umhin, Erklärung mitzuliefern.