Münchener Biennale 2016 III – der finale Rundumschlag
Das wundersamste Werk der Münchener Biennale 2017 war mit „Underline“ eine Tanz-Musik-Performance, eine perfekte Synthese von Tanz und im Tanz erzeugter Elektromusik mit Grundkurs in sozialen Hierarchien und Malewitschformen, so dass man provokant die Frage stellen muss, ob ein ausdrückliches, eigenständiges Musiktheaterfestival in München noch vonnöten ist. Wäre es nicht sinnvoller, Biennale, Dance und Spielart zu einem grossen Festival der Darstellenden Künste zusammenzufassen? Der Trägerverein Spielmotor und das Festivalteam ist sowieso mit den gleichen Personen besetzt, die Künstlerische Leitung von Spielart die Spielleitung der Biennale in Personalunion. Das würde zudem ermöglichen, die künstlerische Planung jeder Sparte abhängiger vom Willen der Kulturentscheider der Stadtpolitik und Stadtverwaltung zu machen: diese gibt vor, unterschiedlich ausformuliert, dass jede Sparte sich zu anderen Kunstformen zu öffnen habe, Grenzen fallen. Dann könnten konsequent auch die organisatorischen Grenzen und Labels fallen, wo im Hintergrund doch schon so Vieles in einer Hand ist.
Für ein eigenen Musiktheaterfestival spräche allerdings die Besonderheit seiner Produktionsweisen, so diese eine Rolle spielten: vereinfacht bedeutet dies ein Jahr Konzeptarbeit und Teamfindung, ein bis zwei Jahre Ausarbeitung des Konzepts, der Musik. Ist diese fertig, folgen ein weiteres Jahr die anderen Gewerke wie Regie, Bühne, die Einstudierung. Sind Musik, Text, Regie und Bühne von Anfang an in engen Austausch, ist vielleicht nur eine kürzere Anpassungsphase nötig. Drei, eher vier Jahre sind aber für ein sinnvolles Arbeiten bei einer Produktion für ein Werk im grossen Kammeropernformat durchaus einzukalkulieren. Die Apparate erzeugen entsprechende Kosten und koproduzierende Musiktheatersparten von Stadt- und Staatstheatern stellen ihre eigenen Bedingungen, die Zeit und Geld bedeuten.
Zudem ist es für den Bestand und Weiterentwicklung des Musiktheaters wichtig, dass junge MusikurheberInnen Erfahrungen im Umgang mit diesen Institutionen gewinnen, die sich ihrerseits wiederum aufgrund der Besonderheit eines Festivals wie der Biennale auch in ihren Produktionsweisen öffnen. Mit den beiden ersten Stücken von David Fenessey und Simon Steen-Andersen geschah dies in der Kooperation mit den Theatern von Osnabrück und Mainz, sowie in einer weiteren Produktion mit dem Theater Augsburg.
Das Gros der weiteren über zehn Produktionen waren Stücke, die eigentlich nur Kammermusik enthielten, die meist nicht einmal ein Drittel bis zu einer Hälfte in ihrem musikalischen Kern die Zeit füllten. Kritisch ausgedrückt wurde der Kern improvisatorisch oder in fast subauktorialer Art und Weise ausgewalzt, so dass es doch etwas mehr Musik gab. Die Plots waren meist so einfach heruntergefahren, dass man fast immer nur von einer ausgedehnten Traumsequenz sprechen kann. Das Ergebnis waren Installationen mit Musik. Nähert man sich dem von Seiten der Musik, dann warf es insgesamt Unzufriedenheit auf. So stellt sich die Frage, ob man sich nicht eher mit Kategorien der Bildenden Kunst, des Tanzes und des Schauspiels sowie der Performance dem gerecht werden kann.
Dem wirkte man entgegen, in dem die Veranstaltungen an für die Biennale ungewöhnlichen Orten stattfanden wie den städtischen Kunstateliers in der Lothringer Strasse mit der sechsstündigen Installation „Navidson Records“. Deren Geisterhausatmosphäre funktionierte nur, wenn man sich mehrere Stunden dort aufhielt. Nachdem man ein Labyrinth von Türen durch hatte und eine Wand eintreten sollte, die allerdings immer wieder eher vom Guide als vom schüchternen Musiktheaterpublikum zerstört wurde, sah man in verschiedenen Räumen immer wieder blasse Gestalten vorbeihuschen, wurde man von düsteren Gestalten gespiegelt, liessen sich kleine Teams von ihren Verrichtungen zuerst nicht ablenken und drückten einem dann gar Noten in die Hand. Plötzlich geisterte ein Chor durch die Räume und sang Ätherisches von Rosalba Quindici, von der auch ein verführerisches Kammermusikwerk für Oboe, Harfe und zwei Countertenöre erklang. Ole Hübner ließ auch Chöre singen, verführte selbst mit quietschenden Stiefeln in Vollgummimontur und ließ eine Oboistin japsend baumeln. Ein rosa Kanninchen, als sei es Harvey, versuchte sich an der Harfe, immer wieder erzeugte der Soundscape von Benedikt Schiefer Gänsehaut. Auch wenn man sich über manche Unentschlossenheit wie eben der Einführung oder mancher Zeitspanne mokieren könnte, war es insgesamt die gelungenste Performance, wenn man über seinen Schatten sprang und selbst quasi mitspielte. Genau dies hätte noch mehr Anleitung erfordert.
Perfekt wie eine schweizerische Kuckucksuhr gab sich „Mnemo/scene: Echos“. In räumlicher Hinsicht verwandelte es die Einsteinkellerhallen in ein supersauberes Bellevue. In einem Raum blitzende Stahlgerüste, auf denen immer wieder herumgeklöppelt wurde, sauber hübsch-adrett gekleidete Musiker, dazwischen, ein Raum mit bequemen Liegesäcken und dehnfreudigen Gummibanderolen, Letters in the Sand im Vorraum, Isarkiesel in der ehemaligen t-u-be, Konzertantes frei nach Schumann-Nocturnes vor Gipsabstraktionen in einem der Mittelräume. Die Musik von Stephanie Haensler auch sehr akkurat ausgearbeitet, aber eben auch nur ein kurzes Stück, mit Improvisation und Installation auf die ganze Zeit ausgedehnt, das ähnlich wie Brigitta Muntendorfs Musik zu „Für immer ganz oben“ mit zauberhaften Badeknaben im Volksbadjugendstil, wo mehr Text gesprochen wurde als im Einstein, aber letztlich genauso wenig zu verstehen war wie die Fetzen in den Bierhallen. Eigentlich kann man sagen, dass der Text auf dieser Biennale das meist störendste Element war. Verdruckst rezitierende Performer waren bei Haensler eigentlich vollkommen unnötig, bei Muntendorf auch nicht vorantreibend. Letztlich also Konzerte in anderen Räumen als sonst, gar im Gewächshaus.
Das mag nun Externe begeistern. Als Münchner kennt man, wie ich schon einmal sagte, all diese Orte aus Produktionen der freien Szene, der beiden anderen Festivals. Damit sind die ungewöhnlichen, aber doch theaterüblichen Orte abgefrühstückt. Wird man 2018 radikalere Lösungen dafür finden? Oder wieder die selben Orte mit gleichartigen Installationen? Oder einfach mal radikalere Inhalte?
Genoël von Liliensterns „Speere Stein Klavier“ war neben Steen-Andersens das radikalste Musiktheater, wenn auch im konventionellen Theaterraum des Carl-Orff-Saals. Ob man den Saal noch so nennen mag nach dieser Koproduktion mit einem kleinen Instrumentalensemble unter Domonkos Héja, dem Chor und sehr, sehr guten Sängern und Schauspielern und Gästen des Theater Augsburgs (Kerstin Descher, Georg Festl, Samantha Gaul, Gerd Lohmeyer und Florian Innerebner)? Denn nach der wunderbar ätzenden Kombination von Orffs Ersatzmusik zu Mendelssohns Sommernachtstraummusik im Dritten Reich auf hier unterlegte Texte aus Wagners „Das Judentum in der Musik“ kann einem das Eintongeraune Orffs bei aller archaischen Begeisterung für dessen Griechendramen nicht mehr unschuldig daherkommen. Sehr gut auch, dass man Werner Egks Begabungsverrat aufzeigte: in perfekter Eislerscher und Weillscher Manier ließ der ja zum HJ-Film „Jungens“ den Marsch der deutschen Jugend mit Textfetzen wie „HJ“ und „Grossdeutschland“ seinem Talent freien Lauf. Unzensiert ließ Lilienstern das singen. Im weiteren wie besonderen wurden sonst Analogien zwischen etlichen Künstlerkarrieren zwischen Nazizeit und früher BRD und deren Ungebrochenheit vorgeführt, mit mancher Wissensüberraschung. Vielleicht wäre eine Konzentration auf je einen E und U Komponisten mit diesen Persilscheinkarrieren vorteilhafter, Musik immanenter gewesen, der Egksche Einsatz gegen Ligeti, seine Weißwaschung durch den frühen Neue-Musik-Papst Heinrich Strobel – da könnte die Neue-Musik-Szene auch heute noch ein wenig über ihr irgendwie immer mal wieder protodiktatorisches Entscheidungsträgersystem nachdenken, dem ja Münchens ältere Kulturwelt gerade auf anderen Spielwiesen huldigt.
Nun könnte man auch noch nachfragen, wo den die von den städtischen Kulturentscheidern verlangte Beteiligung der Münchner Szene ist? Denn bis auf Teilnahme als Dienstleister war kein Projekt originär Münchnerisch. Genauso aber war und ist kein Komponist der aktuellen und vergangenen Plattformen, die die nächsten Künstler der Biennale generieren „münchnerisch“. Selbst die Mundry-Studierenden sind nicht in München, wo sie ja wirkt, sondern in Zürich eingeschrieben. Zwar hat Samy Moussa, der 2014 dabei war, in München studiert, war aber bis auf das Dirigat des inzwischen eingeschlafenen Index-Ensembles kein in München wirkender Künstler. Sollte man vielleicht diesen München-Bezug rauswerfen? Oder sollte endlich ein Dialog jenseits der Volkshochschule zwischen Biennale und Münchner Szene stattfinden. Immerhin ist 1918 ja auch das hundertste Jahr der Münchner Räterepublik. Ich hätte da eine Münchner Rosa Luxemburg im Angebot, ein Stoff, der sehr wohl performative und installative Öffnung im Stadtgebiet über die Innenstadt hinaus vertragen könnte… Soviel zur Eigenwerbung. Klar ist: ein neuer Diskurs hat begonnen, selbst die Premierenreden, die ich ja bemäkelte, haben sich deutlich verbessert. Das Schreiben über Oper in München sollte sich vielleicht mutiger ändern, aber auch das Substantielle und Entschlossene, damit es noch echte Gründe für eine autonome Biennale gibt, der Biennale selbst dürfte mehr Kontur als im Ungefährenen der Künstler-Innenschau dieser Ausgabe wagen sollen dürfen müssen! Und eine Bitte noch: nicht zu böse auf mich sein. Aber ein wenig „bad“ muss eben im „Badblog“ mit seiner Muh-Sickness sein.
Komponist*in