Sexualität und Öffentlichkeit II – Angriff und Verletzung
OMG, da verleihe ich meiner Verwunderung über einen Kommentar in der „Welt“ zum BDSM-Outing von Georg Friedrich Haas Ausdruck und nicht einmal eine Woche später scheint sich die Erde in die andere Richtung zu drehen. Verkürzt gesagt, ärgern Blog-Master Moritz die Artikel in VAN und NYT in ihrer Verknüpfung von Werk und Outing Haas‘ und er steht kurz davor, den Austausch des „Slave“, der submissiven Partnerin vorzuschlagen, was ja in der SM-Szene immer wieder vorkommt. Das erzeugt bei Teilen der Leserschaft massive Vorwürfe aus allen Neid- und Rassismuskisten. Und veranlasst die VAN-Redaktion zu einer Replik, in der nicht einmal mehr der Name meines Blog-Masters Erwähnung findet. Olga Neuwirth, die nun nach Haas ein Interview für VAN gab, wird mit sich selbst konfrontiert. Sie wiederum sieht die Darmstadt-Anekdote Haas‘ sehr kritisch als Ausdruck traditionellen Machismus, infolge dieser vor vielen Jahren Haas mit seinem Gesprächspartner auf den Ferienkursen Morton Feldmans Musik als „weiblich“ und die von Olga Neuwirth als „die männlichste bezeichnete“. Moritz ärgert sich wiederum über diesen VAN-Text und mit ihm alle über die Like-Button-Spionage von VAN, dass Neuwirth Moritz‘ Deftigkeiten auf Facebook geliket habe.
Das einzig Positive: VAN und Badblog dürften endlich wieder hohe Aufmerksamkeit im Netz geniessen. Aber darüber und all den Ärger verliert man doch einige Mechanismen aus dem Blickwinkel. Mechanismen, die das Spannungsfeld zwischen Sexualität und Kunstbetrieb bzw. Kunstwerk ausmachen. Kaum outet sich ein wichtiger Komponist wie Haas als BDSM-Anhänger, greifen ungehemmt verbaler Masochismus und Sadismus um sich.
Blickwinkel
Ob man es glaubt oder nicht: Georg Friedrich Haas, Van-Redaktion, Olga Neuwirth und Moritz Eggert beziehen sich jeweils auf den „Freiheitsbegriff“. Aber nicht den erstrangigen konstitutionellen. Sondern den zweitrangigen persönlichen. Den konstitutionellen Freiheitsbegriff kann man klar mit dem Spruch „Was Du nicht willst, das man Dir tu‘, füge keinem andren zu“ zusammenfassen. Uneingeschränkte Freiheit der Person und ihres Handelns, solange sie damit nicht die Rechte anderer Personen verletzt. In unserem Fall ist Rechte mit Wahrnehmung anderer gleichzusetzen.
So formuliert Georg Friedrich Haas im VAN-Interview seine Befreiung durch sein BDSM-Outing, oder besser, durch das endlich erfolgte glückliche Auffinden der für ihn richtigen Partnerin ganz klar aus seiner Perspektive. Und verletzt dabei die Gefühle von Hans Werner Henze Fans. Oder riskiert mit seinem Versuch, die Grenzen zwischen weiblich und männlich aufzuheben, den Rückfall in genau die Denkschemata alter Geschlechterrollen, in dem Mann mit Frau getauscht wird und diese männlicher als testosterongesteuerte Personen sein soll. Ich nehme an, dass er damit eigentlich seine Genderoffenheit zeigen wollte. Kritisch betrachtet könnte man darin aber auch deutlich BDSM-Weltsicht sehen: klare Rollenbilder und Verabredungen, die zum verantwortungsvollen SM-Umgang gehören, die bei entsprechender Abklärung auch vertauscht werden können, die in ihrem Schematismus von Top und Bottom die Partnersuche vereinfachen. Diese Verabredungen sind also Richtlinien, die in geordneten Bahnen bei Anwendung von durchaus physisch wie psychisch gefährlichen Techniken das Ausleben grösster Emotionen erlauben. Vielleicht ein wenig so technizistisch-mathematisch samt Fehlern wie Haas Teile seines Komponierens beschreibt?
Sein Vertauschen von Geschlechterrollen wird nun von Olga Neuwirth politisch kritisiert. Das lässt sich aus ihren Erfahrungen und Verletzungen, die sie als Komponistin erlebte, deuten. Spricht Haas von seiner neuen Freiheit in New York, so musste Neuwirth dort bei ihrem Carnegie-Debut Kritiken einstecken, die in ihrer Frauenfeindlichkeit genau den männlichen Chauvinismus in der Musikwelt bestätigen, den sie in Haas‘ stereotypen Geschlechterrollentausch findet, den sie in seiner ersten Online-Vorstellung gegenüber seiner neuen Partnerin sieht, wo er sich als „sehr erfolgreichen Komponisten“ bezeichnete.
Moritz Eggert wurmt mitunter, dass die Haassche „Lack-und Leder-Erotik“ in ihrer „Offenherzigkeit das gewisse Etwas“ ist, „das der Karriere noch einmal einen Schub gibt.“ Das könnte man so deuten, dass die Interviews und Features mit und über Haas in VAN und NYT auch der PR dienen. Oder wie er meinen ersten Text kommentierte, dass „die Gerüchteküche aber kochte,“ so „hat sich Haas sicherlich entschlossen, lieber die Flucht nach vorne anzutreten, was sicherlich auch der richtige Weg war.“ Ausserdem nervte ihn der heilige Ernst in der Sache, wo doch Haas und seine Frau viel entspannter als wir alle damit umzugehen scheinen.
Allerdings konnte auch ich nicht umhin, diesen Aufruf Moritz‘ zum Recht auf Desinteresse an Haas Outing, wirklich gelungen zu finden. Das hat aber weniger mit ihm als mit mir und meiner Perspektive zu tun. Ich teile mit dem im Kommentar der VAN-Redaktion erwähnten „Jeff“ wohl die sexuelle Orientierung. So weiß ich, was Outing und öffentliches Ausleben der Orientierung bedeuten, wenn sie von der heteronormen Wahrnehmung abweichen. Davon abgesehen bedeutet jede Begegnung mit neuen Menschen eine Wiederholung des ersten Outings. Und manchmal auch die Entscheidung, es zu unterlassen. Mit allen Folgen, wenn die heterosexuelle Person dann über ihr Privatleben spricht, sich zu fragen, ob man es jetzt doch noch tun sollte. Es tun und bei negativer Reaktion diese Person im Regen stehen lassen, geht eben nicht immer. Oder man ist geoutet und wird von den heterosexuellen Bekannten auch ehrlich gemocht. Das dient dann aber in seiner vermeintlichen Normalität um Vorbehalte dieser Bekannten gegen offener ausgelebte sexuelle Orientierung, wie eben schwule BDSM-Anhänger, zu untermauern.
Unterschiede
Ganz kurz: der Begriff des Outings wird in der ganzen Auseinandersetzung unscharf benutzt. Sich zu etwas öffentlich zu bekennen, ist immer mit Risiken verbunden. Das Outing einer Haltung kann genauso schmerzhaft sein, wie das einer sexuellen Spielart oder Orientierung. Nur lassen sich Haltungen verändern, abschwächen, so dass Diskrepanzen irgendwann zu überwinden sind. Das Bekenntnis zu einer sexuellen Spielart kann ein finales Finden sein. Aber doch auch nur eine Episode auf einem Lebensweg, auf dem sich diese Spielart noch ändern kann, durch Experimente neues, extremeres entdeckt wird. Die sexuelle Orientierung kann sich auch ändern, Homosexualität sich als Teil von Bisexualität zeigen, der Körper operativ transformiert werden. Im Gegensatz zu Haltung und Spielart ist sexuelle Orientierung doch eher etwas sich verfestigendes, wenn auch nicht unbedingt absolut. Rollenänderungen im Sinne der Gendertheorie sind immer möglich, die Betonung andersgeschlechtlicher Wesensarten, mit denen man spielt. So ganz aus seiner Haut aber kommt man nicht hinaus.
Kunstwerk
Haas spricht über Analogien von Regelhaftigkeiten seiner Werke wie seiner BDSM-Neigung. Die Selbstbeobachtung ist allerdings ein genereller Wesenszug der Neuen Musik. Der eigenen Wahrnehmung gegenüber von akustischen Materialien bis hin zu politischen Phänomenen oder der anderer Kunstformen wach und selbstkritisch eingestellt zu sein beschränkt sich nicht auf die eigene Sexualität. Wobei die Prozesshaftigkeit eines Werkes, das eins zu eins Ejakulationen abbildet wieder was anderes ist als der Arbeitsprozess, den man vielleicht mal mit Blumengiessen oder Masturbation unterbricht, um wieder Energie zu schöpfen, jeder nach seiner Vorliebe. Die Vertonung eines dem eigenen Erleben nahen Textes ist noch lange nicht unbedingt politisch, sondern eben nur genrehaft ein Liebeslied. Politisch wird dies erst, wenn man Sachen zusammenbringt, die vorher nicht zusammenzubringen waren. Umgekehrt eröffnet es aber einem Wege zu neuen künstlerischen Emotionalitäten, die man vorher nicht erreichen konnte. Manchmal genügt dazu ein besonders strenger oder offener dekonstruktivistischer Materialumgang, mal ist Konsequenz im Werk erst möglich, weil befreiendes Chaos im Leben um sich greift.
Das Problem ist allerdings anzuerkennen, dass jeder für sich den Weg finden muss. Mal verhilft dazu die Sexualität oder das Politische oder der Formalismus. Und allzu gerne gräbt man sich in seinem Weg ein und lässt den anderen nichts gelten, ausser dass man sich alibihaft auf Symposien darüber austauscht. Offenheit wird zwar politisch propagiert. Nur ist sie nicht immer so einfach zu haben. Und darin verbinden sich Sexualität und Kunst wieder: beide sind unglaublich intim. Sind ein Kampf mit sich selbst und mit der Umwelt. Sind schwierig zu erreichen, was zu scheuklappenhafter Verteidigung des Erreichten führt. Da wird zwar über Bedeutungsebenen und Perspektivwechsel räsoniert. Doch sind diese viel schwieriger zu erreichen, als die Welt es möchte.
Betrieb
Offenheit suggeriert der Musikbetrieb. Und wirklich ist heute ästhetisch fast Alles möglich. Aber es gibt auch Abgrenzungen: alte wie neue. Gegen die alten müssen Komponistinnen nach wie vor antreten. Man könnte meinen, dass sich in ihrem Fall Kämpferisches oder Vorsicht jeweils verdoppelt. Olga Neuwirth und Johannes Kreidler könnte man als kämpferisch bezeichnen. Wobei Neuwirth auch heute noch doppelt so „frech“ sein muss wie Kreidler, der einfach nur „wild“ zu sein hat. Auf der anderen die Vorsichtigen: bis auf Brigitta Muntendorf wirken die aktuellen Preisträgerinnen des EvS-Förderpreises der letzten fünf Jahre doch ziemlich zurückhaltend, egal ob Mann oder Frau. Andererseits erfahren die Jüngeren immer mehr Normalität, auch wenn diese erst vor sehr kurzer Zeit erreicht wurde. Um so mehr gilt es, sie aufrecht zu erhalten. Denn Entscheidungsträger agieren nach wie vor doch sehr machohaft. Unter Männern wird nach wie vor manche weibliche Künstlerschaft in Frage gestellt. Oder man wundert sich nur wenig, dass angesichts homosexueller Chefetagen die niedlichsten Männer Aufträge ergattern, obwohl ihnen jegliches Kämpferische fehlt. Oder Komponistinnen werden im Zuge der Auftragsvergabe auch mit deutlichen Schwärmereien, Angeboten konfrontiert.
Es heisst eben zurecht: „sex sells“. Zumindest ein adrettes Image ist gefragt. Ob Outing oder Hungerkur: da wird einerseits das Selbst neu entdeckt. Zugleich aber unterwirft man sich ähnlichen Mechanismen, wie die im Wasser geigende Vanessa Mae oder die blonden pianistischen Brillennerds. Was dabei verloren geht, ist die gute alte Tante „Dringlichkeit“. Denn wenn es wirklich nur dem Selbst geschuldet ist, einem wirklich Karriere und Zustimmung egal sind, dann ist eine Einheit von Werk und Intimität möglich, wenn dies nicht durch Fleiss und Netzwerk ersetzt werden kann, was eine sinnvolle Ergänzung des ersteren durch letzteres ja nicht ausschliessen muss. Allerdings dürfte es sich selbst genügen, es einfach zu tun und es nicht an die große Glocke zu hängen. Das wird Haas ja nun zum Teil vorgeworfen. Mit „Nacht“ und „Bluthaus“ hat er es bereits einfach schon gemacht, jetzt hat er es eben benannt, so wie alle anderen ihre Sichtweisen benannten. Und nun bitte zurück zur Offenherzigkeit!
Komponist*in