Bautzen im Winter III
Hier und hier hatte ich bereits ein wenig über meine Reise nach Bautzen vorberichtet.
Nach der Vorführung des Filmes „Lampedusa im Winter“ im Rahmen der von Cinema for Peace neu initiierten Veranstaltungsreihe „Screening gegen Rechts“ gestern im neusanierten Steinhaus Bautzen musste ich eine Podiumsdiskussion mit dem Regisseur und Produzenten des Films, Jakob Brossmann, mit dem parteilosen Oberbürgermeister der Stadt Bautzen, Alexander Ahrens, dem Polizeipräsidenten Conny Stiehl und der Ausländerbeauftragten der Stadt Bautzen, Anna Pientak-Malinowska, moderieren.
Zunächst sei festgestellt, dass es sich bei Brossmanns Dokumentarfilm „Lampedusa im Winter“ um ein Meisterwerk handelt, das jeder gesehen haben sollte. Wer voyeuristische Aufnahmen von auf dieser im Winter sehr ungemütlichen Insel strandenden Flüchtlingen erwartet, wird – Gott sei Dank – enttäuscht. Vielmehr geht es auf völlig unvoyeuristische, nämlich ruhige, authentische und menschliche Weise um die Bewohner der Insel selbst, um ihre besondere Situation da mitten im Mittelmeer, darum, wie die Menschen auf dieser Insel damit klarkommen, dass Menschen vor ihrer Küste in Massen gestorben sind.
Nach der Filmvorführung blieb ein Großteil der vielen Zuschauer noch im Saal, um der Diskussion zu folgen.
Selbstverständlich waren die rassistischen Vorfälle der letzten Zeit in Bautzen ein großes Thema in der Runde – neben den Vergleichen von Lampedusa mit Bautzen und anderen Orten; ein Vergleich, der grotesk erscheint, denn: Lampedusa hat 5.000 Einwohner und wird/wurde mit 8.000 Flüchtlingen konfrontiert; kein Vergleich zu der 40.000-Einwohner-Stadt Bautzen, wo derzeit wohl ca. 800 Flüchtlinge Obdach gefunden haben.
Auf die Vorfälle in der Nacht vom 20. auf den 21. Februar 2016 angesprochen, reagierten vor allem der Oberbürgermeister und der Polizeipräsident sehr emotional. Selbstredend distanzierte man sich nicht nur von diesen Vorfällen, sondern drückte Scham und Entsetzen aus, hob die vielen positiven Reaktionen der Bautzener auf ankommende Flüchtlinge, friedliche Initiativen und Projekte in Bautzen hervor.
Immer wieder gelang auch der Schwenk zu den Themen, die Jakob Brossmanns Film vorgegeben hatte.
Fast unangenehm war es mir jetzt, dass ich tatsächlich ein wenig damit gerechnet hatte, hier in Bautzen – als völlig unwichtiger Moderator einer Diskussionsrunde nach der Präsentation eines Filmes zur Flüchtlingsthematik im Mittelmeer – irgendwie „in Gefahr“ zu geraten.
Ein Politiker der Linken erzählte mir, dass es fast jeden Tag Pro-Flüchtlings- und Anti-Rassismus-Veranstaltungen in Bautzen gäbe und nirgendwo in den letzten Tagen dafür Polizeitschutz nötig gewesen wäre.
Bautzen ist nicht nur eine wunderschöne kleine Stadt, sondern eine Stadt mit einem großartigen Oberbürgermeister, dem man bald (noch) höhere Ämter in der Politik wünschen würde (möge ihm seine Parteilosigkeit da nicht im Wege stehen!).
Es ist ungerecht, dass der Ruf kleiner Städte in Ostdeutschland unter ein paar wenigen Idioten so leidet. Und es ist ebenso unschön, dass die Presse sehr einseitig von den Einwohnern von Städten wie Bautzen berichtet. Für die Medien scheint momentan nur der „wütende Rassisten-Ossi“ interessant zu sein. Dass in Städten wie Bautzen viele kluge Menschen voller Herzlichkeit und Menschlichkeit wohnen und dass man gerade jetzt als Tourist dorthin reisen und die Stadt genießen sollte: das hat mir der gestrige Abend gezeigt. Danke, Bautzen!
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.