Erlkönig-Unfall bei Tempo 152

Oder: „Again what learned!“

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Ich übte gerade den Klavierpart von Schuberts „Erlkönig“, da dachte ich mir erstmals: „g-Moll zum Metronom – und mach das an!“ „Viertel = 152“ war dann doch überraschend schnell. Schubert hatte sich in seinem Weltenhass sicherlich gedacht: Ein bisschen Spasmus muss sein. Nun ja. Ohne gleich Literatur zur nicht allzu virtuosen, aber doch sehr speziellen Schwierigkeit des Klavierparts zu recherchieren tippte ich „Erlkönig“ und „Tempo“ in das Suchfeld. Ich gedachte damit, in etwaigen Klassiknerd-Foren rege aber auch sehr langweilige Diskussionen zu dieser – von Schubert stammenden? – Metronomangabe vorzufinden. Dem war jedoch nicht so. Auch fand ich keine Ergebnisse aus dem Bereich „Handkrampf-Gefahren beim Spielen von Schuberts ‚Erlkönig'“ – und folglich keine fürchtemachenden Abstracts in amerikanischen Fachzeitschriften für Musikphysiologie und Musikermedizin („Pianist’s Hand Cramp Syndrome in Playing of Schubert’s ‚Erlkonig'“).

Erlkönig-Unfallgefahr

Sondern ich stieß unbremst auf diesen Artikel aus dem Schwarzwälder Boten mit der Überschrift: „Erlkönig-Unfall. Ab Tempo 130 fährt die Schuld mit“. Ich war weniger darüber verwundert, dass es bereits in der Vergangenheit durchaus beim Spielen des Erlkönig-Klavierparts zu Unfällen gekommen war; vielmehr verunsicherte mich, angesichts der wohl offiziellen Tempoangabe 152, dass schon bei 130 „die Schuld mit[fahre]“.

Mir war nämlich völlig neu, dass noch nicht der Öffentlichkeit vorgestellte Automobil-Prototypen in Fachkreisen tatsächlich „Erlkönig“ genannt werden. Eingeführt wurde der Begriff Anfang der 1950er Jahre von der Zeitschrift „auto motor und sport“, die ein Bild des bislang geheimgehaltenen Mercedes-Benz W 120 wie folgt untertitelte: „Wer fährt da so rasch durch Regen und Wind? / Ist es ein Straßenkreuzer von drüben / Der nur im Umfang zurückgeblieben / Oder gar Daimlers jüngstes Kind?“

Genau in die Zeit der unter dem gängigeren Namen bekannten Limousine „Mercedes 180“ fällt auch die „Erlkönig“-Aufnahme von Dietrich Fischer-Dieskau und Gerald „Bin ich zu laut?“ Moore. Und tatsächlich hält Moore in der Einspielung aus dem Jahr 1958 die Tempovorschrift „Viertel = 152“ exakt ein, ja geht sogar dann und wann ein klein wenig darüber hinaus.

Wir stellen somit fest: Die Schuld fuhr bei Fischer-Dieskau und Moore immer mit! Und ich überschreite ab sofort die 130 beim „Erlkönig“ nicht mehr. Japp.

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

Eine Antwort

  1. Guntram Erbe sagt:

    Gerald Moore lässt allerdings die Kupplung schleifen. Das sieht und hört man bereits in der Einleitung. Er hat sich eine erleichterte Fassung geschaffen, die der Verkrampfung vorbeugt.
    Siehe