Über Hörer-Typen – Folge 2

Ende Oktober 2014 begann ich hier eine – nicht als eine weltumstürzlerische neue Musiksoziologie gedachte – kleine Serie über Hörer-Typen, die ich tatsächlich fortsetzen will.

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Gestern besuchte ich die Premiere von Goethes „Faust I und II“ am Berliner Ensemble, inszeniert von Robert Wilson – mit Musik von Herbert Grönemeyer.

Ich bewahre mir das Geheimnis seit mehr als 20 Jahren auf, was „Faust II“ überhaupt soll. Kein Scherz. Ich werde mich irgendwann einmal damit ausführlich befassen. Ich habe damals auf 3Sat beide Faust-Teile in der 22-stündigen Fassung von Peter Stein bei der Expo 2000 in Hannover gesehen. Mit Textbuch in der Hand. Ich wohnte noch Zuhause bei meinen Eltern – und meine Eltern waren im Urlaub. Meine Aufgaben für diesen „Faust“-Tag bestanden darin, die unzähligen Blumen meiner Mutter auf der großen Terasse zu gießen, mir Pizza und Tiramisu ins Haus zu bestellen – und eben „Faust“ mit Textbuch mitzuvollziehen. Ich erinnere mich mit einem Lächeln im Gesicht an diese Stunden. Denn es war ein sehr schöner Tag. Damals wohnte ich noch in der Nähe von Hannover, hätte also möglicherweise durch ein gewisses Bemühen Steins „Faust“ damals live erleben können.

Aber ich habe vor allem als Bub, damals, nie verstanden, warum Goethe nach dem großen Erfolg von „Faust I“ noch einen zweiten Teil gedreht geschrieben hat. Wie bei fast allen großen Filmen Kunstwerken ist der zweite Teil halt nicht mehr so dolle. Außer – und wir fassen uns jetzt imaginär an den Händen, ja, auch Sie da! – natürlich: „Der Pate II“, der ist noch ein bisschen geiler als Teil I. Es war vermutlich schlichtweg Goethes Geldgeilheit und der Umstand, dass ihm lange kein Erfolg mehr gelungen war, was ihn dazu bewog, nach dem fraglos genialen Gag „Faust I“ eine Fortsetzung anzugehen.

Das Ganze endete halt nur mit dem Desaster von „American Pie II“. Über „American Pie I“ lachten wir damals. Aber Teil II war halt nur ein müder Aufguß. Anders bei Goethe. Keine Story, krude Charaktere, Bildungshuberei aller Orten – und vor allem: Hey, ich will keinen plötzlich nachdenklichen Mephisto. Mephisto muss Spaß machen!

Ach. Egal. Nicht lustig genug.

In jedem Fall hätte es „Faust II“ im Berliner Ensemble gestern auch nicht unbedingt geben müssen. Der Saal schlief kollektiv. Mehr als 4 1/2 Stunden der Abend… Und danach kam man nur noch kompliziert nach Hause, weil ja die Bahn, also auch die S-Bahn hier in Berlin, streikt.

Natürlich hatte auch „Faust II“ noch schöne Grönemeyer-Songs zu bieten. Und die Inszenierung von Robert Wilson hat großartige Momente, Szenen, Lichtstimmungen, Zaubereien – und beispielsweise Vervier- und Verdreifachungen einiger Charaktere zu bieten.

Vor vielen Jahren noch hätte ich – damals viel zu ernst und adornitisch – die Nase gerümpft. Grönemeyer macht ein Faust-Musical. Aber seien wir ehrlich: Es funktioniert in weiten Teilen einfach! Natürlich auch dank der wie immer magischen Inszenierung Wilsons. Und ich mag pathetische Songs. Also mag ich Grönemeyer. Das funktioniert einfach! Wer das schon immer doof fand und immer doof finden wird, wer Musicals verachtet, der verpasst erstens was – und zweitens sollte er nicht zu Grönemeyers „Faust“ gehen.

Kein Spaß. Ich mag vor allem überraschende Musical-Szenen, die auch immer liebevoll den Pathos von Musical-Szenen mitdenken. In der Serie „How I Met Your Mother“ gibt es eine solche Szene, in der Barnie darüber singt, wie schön es ist, einen Anzug zu tragen. Die Musik wird bombastisch, irgendwann formieren sich Menschen auf der Straße zu einem Chor – alle machen die gleichen Bewegungen und singen einen sinnlosen Text. Es tut mir leid, aber inzwischen lechze ich danach.

Vieles, ja, fast alles in bestimmten Kontexten gut finden zu können: Das macht das Leben unglaublich schön und entspannend, weil man nicht mehr darüber nachdenken muss, was okay ist und was nicht… Alles ist okay, solange du einen schönen Abend hattest.

Und? Welcher Hörer-Typ sind Sie?

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.