Über Hörer-Typen – Folge 1

Nein, die „Einleitung in die Musiksoziologie“ muss nicht neu geschrieben werden.

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Es ist eine private Beobachtung. Es gibt doch diese Zeitgenossen, die keine andere Musik zulassen, als die, die sie entweder selbst machen und/oder selbst hören. Diese ganz dogmatischen, apodiktischen Zeitgenossen, die, wenn sie beispielsweise ganz versteifte Klassikmenschen sind, jegliche Unterhaltungsmusik – ja selbst Operette – brüsk ablehnen. Als sei alles andere niemals wert, darüber – selbst bei einem guten Bier in einer gemütlichen Kneipe mit netter Bedienung – zu diskutieren. Und ich muss gestehen: Ich mag diese Hörer-Typen nicht so gerne.

Mit diesen apodiktischen brüsk-Ablehner-Hörer-Typen (ABAHT) sitze ich nicht unbedingt gerne in der Kneipe. Ständig muss man aufpassen, was man sagt, wen man lobend erwähnt – beispielsweise den Intendanten der Komischen Oper Berlin – Barrie Kosky – und seine Liebe zur Operette; häufig sind diese ABAHTs übrigens auch homophob und – „Nein, ich bin nicht intolerant, aber in meinem Haus wohnt ja kaum noch ein Deutscher!“ – politisch irgendwo rechts angesiedelt. Okay, wenn man das jetzt so überzeichnet: Mit solchen Leuten sitze ich natürlich nicht nur ungerne, sondern nie am Tisch. Und schon gar nicht in der Kneipe.

Ich habe übertrieben. Nicht alle ABAHTs sind Homophobiker und Rassisten. Aber ich bin selbst eben von der Sorte, dass ich – fast – jedwede Musik schätzen kann. Ich muss sie ja nicht Zuhause oder unterwegs – wie meist – hören. Aber, wenn beispielsweise der Text eines neuen Songs von Samy Deluxe richtig gut gelungen, der Beat und alle Soundeffekte drumherum dazu richtig schön fett und auf den Punkt produziert sind: Mich kann das sogar begeistern – und dann höre ich das auch mal gerne auf Zugfahrten.

Wichtig ist mir auch die Performance. Wenn eine Singersongwriterin mit schöner – am liebsten etwas mädchenhaft-zerbrechlicher – Stimme irgendwo in Kreuzberg mit ganzem Herzen bei der Sache ist und wir – die Zuhörer – den Eindruck gewinnen, sie singt jetzt wirklich nur für uns und schüttet uns ihr Herz aus: Ich mag das. Auch, wenn ich gar nicht der Singersongwritermusikhörertyp bin.

Was ich sagen will: Ich habe gern Respekt vor etwas. Vor Udo Jürgens zum Beispiel. Udo Jürgens ist Klassik. Geschichte. Groß. Darüber müssen wir nicht diskutieren. Und ich mag beispielsweise in der gesellschaftlich völlig randständigen zeitgenössischen ernsten Musik – die wir „Neue Musik“ nennen – all jene Kollegen am liebsten, mit denen ich neben Fußball auch über jedwede Musik sprechen kann, Leute also, mit denen ich mich noch in Donaueschingen über die besten Udo-Jürgens-Song austauschen kann. Auch, wenn ich noch niemals auf einem Udo-Jürgens-Konzert war – und das auch nicht unbedingt brauche.

Ich mag also alles, was meines Erachtens gut gemacht und authentisch ist. Ist wahrscheinlich gar nichts besonderes. Aber ich beobachte an mir selbst, dass ich für einen Klassikmenschen – der darüber hinaus beruflich höchstens mal mit Jazz zu tun hatte – doch sehr offen bin. Und vielleicht wollte ich bloß sagen, dass ich diese Eigenschaft an mir mag. Weil sie das Leben so schön macht und man so viele Freunde mehr hat.

Es gibt aber auch Musik, die ich nicht gut vertrage. Dazu gehört Mittelalter-Rock mit so Schicksalstexten und Klassik-Pop, insbesondere die ekelhafte Scheiße die dieser Ludovico Einaudi macht. Das ist so widerlich und wer das gut findet, ist für immer doof.

So. Urlaub. Tschüss.

Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.