„Stalinistische Seilschaften“ verhindern „seriöse handwerkliche Musik“?
Es ist wieder einmal so weit, von der Welt größtenteils unbemerkt findet mal wieder der Wettbewerb „Die Andere Moderne“ beim „Neckar-Musikfestival“ statt. Hier ein Auszug aus dem Werbetext, den der veranstaltende Komponist Martin Münch gerade eben verschickt hat:
„….Der renommierte Dortmunder Pianist Rainer Maria Klaas gestaltet im Festsaal des Klinikums am Weißenhof in Weinsberg ein Konzert, zu dem E-Musik-Komponisten ihre Werke einreichen können. Es sollen Stücke präsentiert werden, die folgenden Kriterien entsprechen:
Ernste Musik, die anstelle der avantgarde-typischen Zwänge zu „Brechung“ oder „Verfremdung“ erweitert tonal, klangzentrenharmonisch oder modal operiert, eingebettet ist in eine persönlich weiterentwickelte Tradition, Wert legt auf klangsinnliche, seriöse Handwerklichkeit und die Kommunikation mit dem Hörer sucht….“
Wem diese anale Beschreibung wie man denn zu komponieren hat nicht abschreckt, darf kurze Klavierstücke einreichen, die dann von einer „5-köpfigen Jury“ (die seltsamerweise anonym bleibt) und dem Publikum beurteilt werden. Was die Frage aufwirft, ob die 5 Personen im Publikum dann auch die Jury sind….egal, das Publikum oder die Jury oder wie auch immer wählt 5 Stücke aus und es wird einen Preis von sagenhaften 500,-EUR geben.
Aber Vorsicht, liebe Kollegen, bevor ihr eure gesammelten Klavierwerke dort einreicht, bedenkt folgendes: „Komponisten, die das Ereignis besuchen wollen, zahlen Anreise, Hotel und Verpflegung selbst, der Eintritt in das Konzert ist frei (sic!). Hinweise auf kostengünstige Übernachtungen können gegeben werden.“. Wenn letzteres nicht die Wohnzimmercouch von Martin Münch ist (die wohl den handwerklich allerseriösesten Komponisten vorbehalten bleibt) muss man also mit ca. 300,-EUR Kosten für Hotel und Anreise rechnen, da bleibt nicht mehr ganz so viel übrig vom Preis. Aber nett, dass wenigstens der Eintritt zur eigenen Uraufführung „frei“ ist.
Nun kam es im Zuge der Werbeaktion von Herrn Münch zu einem skurrilen Emailaustausch – Kollege Benjamin Schweitzer bat, was sein gutes Recht ist, darum, endlich aus dem Emailverteiler der „Anderen Moderne“ genommen zu werden. Hierauf antwortete ihm Münch: „Mit dem allergrößten Vergnügen nehme ich Elemente (sic!) wie Sie aus unserem Verteiler.“ Hierauf erwiderte Schweitzer, dass er ja dann in seinem Leben anscheinend „nicht alles falsch“ gemacht habe, was wiederum ich zum Anlass nahm, ebenfalls um ein „Unsubscribe“ aus dem Münchschen Verteiler zu bitten. Dies wiederum veranlasste Münch, Schweitzer und mir „stalinistische Seilschaften“ zu attestieren, die ja nach wie vor „hervorragend funktionieren“. Sprich: wir sind böse, weil wir unsubscriben.
Nun ist es zwar bekannt, dass Benjamin Schweitzer und ich immer wieder mal gerne dubiose Wettbewerbe und toskanische Machenschaften kritisieren. Aber dass wir deswegen gleich Mitglieder eines Terror-und Unterdrückungskommandos sind, war uns bisher neu.
Nachdem sich Kollege Strauchs Artikel über die „Schwächen tonaler Kunstmusik“ zu unserem meistkommentierten Artikel entwickelt hat, stellt sich mir daher zunehmend die Frage, wovor Komponisten wie (Martin) Münch eigentlich Angst haben. Ausgrenzung? Stalinistische Erschießungskommandos? Dass die Stasi vorfährt und es nach Bautzen geht, wenn sie einen C-Dur-Akkord zu schreiben wagen? Leben wir in einem Land der Unterdrückung und Ausgrenzung all jener, die vielleicht mal Lust haben, „erweitert tonal“ zu komponieren? Oder vom Hörer verstanden zu werden? Dann wären die Gefängnisse wohl voll, und ich und Benjamin Schweitzer wären auch drin und würden uns die Zelle mit Kollegen wie Wolfgang Rihm und Peter Michael Hamel teilen.
Nun wäre es nicht falsch, der ästhetischen Diskussion in Deutschland in der Vergangenheit nicht einen gewissen Hang zu Dogmatismus zu attestieren. Dieser manifestierte sich vor allem in den 50er-70er Jahren, wurde in den 80er Jahren zunehmend aufgeweicht und existiert heute nur noch in den Köpfen einiger frustrierter Jammergestalten, die vereinzelt noch ihr Unwesen treiben, deren Macht über die „Szene“ aber deutlich im Schwinden begriffen ist. Sicherlich war die Situation für einen „melodischen“, „tonalen“ oder „zugänglichen“ Komponisten eine andere damals, und es gab viele Außenseiter oder Querdenker, die darunter zu leiden hatten. Aber nicht nur diese, sogar ein Komponist wie Henze, dem man durchaus dem „Mainstream“ der Avantgarde zuordnen konnte, verließ zu dieser Zeit frustriert die deutschen Gefilde.
Seltsamerweise regte sich damals allerdings aber relativ wenig verbaler Widerstand gegen die herrschende „Ästhetik“, und wenn, so ging es meistens hochemotional auf beiden Seiten zu. Der Grund dafür war einfach: Manch minderbegabte und manchmal auch nicht sehr musikalische Komponisten (die Münchs von damals?) konnten aufgrund irgendeiner kompositorischer „Methodik“ ganz gut in der Menge mitschwimmen und hatten wohl ihr Auskommen. Heute dagegen gibt es viele, viele Komponisten, die lauthals gegen die angebliche Unterdrückung der Avantgarde wettern und unter ihr angeblich wahnsinnig leiden, nur haben sie das massive Problem, dass sich überhaupt niemand über sie aufregt und es gar keine dominante „Avantgarde“ mehr gibt. Gäbe es sie nämlich, würden sie ganz bestimmt dazu gehören wollen, so viel ist sicher. Und obwohl ihnen heute eigentlich alle Türen offen stünden, wenn sie einfach die Musik schrieben nach der es ihnen gelüstet und diese eine gewisse Qualität hätte, müssen sie stattdessen besonders laut schreien und jammern, damit man sie überhaupt wahrnimmt.
Ich möchte hier betonen, dass ich nicht in die Argumentation verfallen möchte „Wer es mit seiner Musik schwer hat, ist auch selber daran schuld“. Mitnichten – es gibt ganz gewiss Musik die aneckt, die nicht in den Fördergremien ankommt, die gerne übersehen oder wenig aufgeführt wird. Und dies kann sehr gute und wahrhaftige Musik sein. Wir müssen stets auf der Hut sein, zu Unrecht Randständiges nicht zu übersehen.
Was mich allein ärgert, ist das Alibi-Argument, dass man angeblich nach wie vor traditionell avantgardistisch zu komponieren hat, um irgendwie akzeptiert zu werden. Dass bestimmte Kompositions-„Methoden“ bevorzugt werden, andere unterdrückt werden. Das ist einfach Quatsch, und die Liste der Namen, deren Musik genau das Gegenteil beweist, ist sehr, sehr lang.
Tatsächlich ist immer mehr eine Art umgekehrter Dogmatismus zu beobachten. Wer die Wettbewerbsausschreibung der „Anderen Moderne“ genau liest, stellt nämlich fest, dass hier – anders als bei seriösen Wettbewerben übrigens – ganz genau vorgeschrieben wird, wie die „andere Moderne“ denn nun zu klingen hat. Nämlich auf jeden Fall ohne „Brechung“ oder „Verfremdung“, auf jeden Fall „klangzentrenharmonisch“ und „modal“. Nichts gegen Melodien und Fasslichkeit, aber wenn ich nach solchen Richtlinien zu komponieren habe, fühle ich mich wesentlich mehr eingeengt und gegängelt als das, was hier vermeintlich kritisiert wird. All dies sind nämlich Schlagworte, die eher nach einer Diktatur des Geschmacks als nach künstlerischer Freiheit klingen. Und dass hier gegen Schweitzer und mich die Stalinkeule ausgepackt wird (die letztlich dasselbe ist wie die Nazikeule) kann auch als präventive Maßnahme verstanden werden, die totalitären Tendenzen eben jener „Anderen Moderne“-Ausschreibung zu vertuschen. Was wäre zum Beispiel ein Schumann ohne „Verfremdung“, ein Beethoven ohne „Brechung“? Ist die spannende Musik der Vergangenheit immer streng „klangzentrenharmonisch“ und „modal“?
Ich kenne nur eine einzige Musik, auf die all diese geforderten Attribute gnadenlos zutrifft, und das ist die Musik, die in einem Supermarkt nervig in den Ohren dudelt. Und wahrscheinlich auch in den Fluren des „Klinikums am Weißenhof im Weinsberg“. Um die Patienten ruhig zu stellen.
Insofern passt die „Andere Moderne“ auch ganz gut dorthin.
Unsubscribe.
Moritz Eggert
Komponist
Lt. diesjährigen Aussendungen/Statements (http://martin-muench.blogspot.de/2014/10/das-neckar-musikfestival-2015-russische.html) aus der Pfalz wurde die Neue Musik ja vom CIA verordnet: „Skrjabin… leidet aber rezeptionsgeschichtlich immer noch unter der – durch die CIA nach dem 2. Weltkrieg verordnete1 – Exklusivdurchsetzung einer auf der Schönberg-Schule basierenden Atonalität.“
Strenggenommen müsste man eigentlich sagen, dass die Musikregeln des Neckarfestivals irgendwie an die stalinistischen Erwartungen an Komponisten in der UDSSR zur Zeit des Komponistenverbandsvorsitz von Tichon Chrennikov erinnern……….
Nachdem mein erster Beitrag leider der Moderation zum Opfer fiel, will ich doch noch einmal etwas sachlicher anmerken, dass ich es jammerschade finde, dass in der Neue-Musik-Szene ein solches Hauen und Stechen herrscht.
Ich finde dieser Blogbeitrag ist leider ein exzellentes Beispiel dafür – und zwar ausdrücklich in Bezug auf beide Seiten. Natürlich ist es verständlich, wenn Diskussionen zuweilen emotional werden; und vielleicht ist es auch ein Erfordernis unserer Zeit, möglichst schrill und laut zu sein — worunter sowohl hämische Blogbeitrage als auch reißerisch-visionäre Wettbewerbe fallen mögen. Es stünde uns aber allen besser, den Ellenbogen hin und wieder nicht auszufahren. Die Nachwelt wird die meisten von uns ohnehin durch Nicht-Beachtung strafen, unabhängig davon, ob oder wie sehr wir uns alle gegenseitig beschimpfen. Beste Grüße von einem jetzt wieder verstummenden Mitleser, der sich sonst an den ja hier durchaus stattfindenden sachlichen Diskussionen erfreut.
Liest man Ihr Zitat im Original-Blog von Herrn Münch nach, so bemerkt man eine Quellenangabe zu der Textstelle, die das Zitat in einem anderen Kontext erscheinen lässt. Diese Quellenangabe fehlt hier aber.
Interessantes Artikel…. um verschiedene Gründe.
Es scheint in Deutschland weniger bekannt zu sein, dass der CIA tatsächlich in der Nachkriegszeit den Modernismus unterstützte, wie auch den abstrakten Expressionismus in der Malerei, als moralischer Beweis für Freiheitsliebe und Demokratie. Die Nachkriegsideologieen schrieben ihre Moralverteidigung in die Musikgeschichte zurück, wo eine Linie projektiert wurde von Wagner’s Tristan, über Mahler und Schönberg hin, zu Webern, der derzeit die Patronheilige der Moderne wurde, ohne Ahnung dass Webern ein fanatischer Anhänger des Faschismus war (inklusive des ganzen Krieges), und seine Musik als ganz geeignet für Hitler’s Träume erdachte. (Er war ziemlich erstaunt, als sich das ganz anders ergab.) Sehe Karen Painter: ‚Symphonic Aspirations, German Music and Politics 1900-1945‘, Harvard University Press 2007.
Dass Herr Münch ziemlich naiv erscheint, nimmt nicht weg dass er recht hat mit seinen Vorbehalten: man braucht kein Avantgardehasser zu sein um diesen Artikel als peinliche Demonstration des ‚Verachten von Nichtmoderner‘ zu lesen, obwohl die Ironie wahrscheinlich nur von der Münchner Ungeschicklichkeit provoziert wurde.
Die neue Musik hat sich nach einem halben Jahrhundert Modernismus ganz von der zentralen Aufführungskultur abgeschieden, und ihre eigene Reservat geschaffen wo die grobste Unsinnigkeiten als Musik angeboten werden:
http://www.youtube.com/watch?v=C3kpvIXG1Qc
Es gibt keine wirkliche Diskussion mehr im praktischen Musikleben, abgesehen von kleinen Inseln wie dieses Blog, der keinen Einfluss auf die Aufführungskultur hat, und das während Deutschland die Musiknation überhaupt ist – nur nicht mit neuer Musik, aber mit der klassischen, regulieren Museumskultur. Die Erben von Bach, Beethoven, Schumann, Mendelssohn, Brahms, Wagner usw usw haben sich aus nachkriegsmoralischen Gründen beiseite gestellt und was noch als etablierte ’neue Musik‘ von der Gesellschaft unterstützt wird, hat sich meistens der Konzeptmusik und Klangkunst gewidmet – man muss blind und taub sein, um das nicht wahr zu nehmen…. wie es auch viele Varietäten gebe. Stimmen, die sich gegen diese Situation wehren – ob sie schlechte oder gute Komponisten oder Aufführenden sind, ist egal, es handelt sich um die Argumentation – werden fast immer mit Verachtung angegriffen…. und das könnte doch mit diesem Artikel nicht wirklich gemeint sein.
Ein sehr talentierter Komponist wie Walter Braunfels hat sich zweimal aus der Musikpraxis ausgegrenzt gesehen, erstmals von dem Faschismus in den dreissigen Jahren, und nach dem Krieg als er aufs neue seine Musik in die Oeffentlichkeit presentieren versuchte, von den Nachkriegsideologieen: tonale, ‚altmodische‘ Musik, möge sie noch so gut und moralisch ‚rein‘ geblieben sein, war unakzeptabel. (Nur rezent wurde Braunfels wieder ausgegraben und haben seine Oper viel Erfolg.)
Es möge zu einem klarer Bewusstsein beitragen, die Ducros-Affaire zu erwähnen die das Pariser Musikleben in 2012 und 2013, bis in 2014, aufgeschüttelt hat. Die Neue Zeitschrift für Musik hat im Nr 4 / 2014 eine Zusammenfassung der Affaire geboten (‚Boulezisme! Atonallahs!‘ Seite 28). In 2012 hatte der neu-tonaler, brillianter Komponist Karol Beffa, damals Glied des Collège de France (Universitäts-Institut), den Pianist Jerome Ducros eingeladen für ein Vortrag, und weil Ducros mit Ironie den in Frankreich ganz etablierten und stark vom Staat unterstützten Modernismus kritisiert hatte, und mit praktischen Demonstrationen auf dem Klavier, entstand einen Sturm von Kommentaren in den Media der die totalitäre Prägung des altmodischen und konventionellen Modernismus glänzlich demonstrierte.
Link zum Vortrag: http://www.youtube.com/watch?v=Yot1zZAUOZ4
Es gibt heute Komponisten die die enge Grenzen der Konventionen sprengen und eine Hoffnung zu Revitalisierung der gegenwärtigen Musik bieten, und ihre Werken und Ideeen provozieren die etablierten jungen/alten Avantgarde mit Protesten die ihren Stalinismus deutlich hervorheben. Also, vorsicht mit Kritik an Avantgardekritiker…!
Hier kann man einen erfreulichen Gegengift entdecken:
Nicolas Bacri:
http://www.youtube.com/watch?v=XPqBK7rvijQ
http://www.youtube.com/watch?v=2q4w_lGXBIg
http://www.youtube.com/watch?v=E68kTgzxqXk
Karol Beffa:
http://www.youtube.com/watch?v=obeWkueDI2M
http://www.youtube.com/watch?v=wWjSJri3NcE
Wir sollten hier wohl alle wieder zur ruhigen, sachbezogenen Diskussion im Sinne der altgriechischen Philosophen zurückfinden. Was ist geschehen? Ein Pianist und Komponist hat einen Wettbewerb für tendenziell an der Tonalität orientierte Komposition ausgerufen. Ein „Produkt“ also, dass es so auf dem „Markt“ noch nicht gab. Was sollte daran so bedenklich sein? Wenn im Artikel oben darauf hingewiesen wird, dass es ja heute nicht mehr „out“ sei, tonal zu komponieren und dass die Institutionen längst dafür offen stünden, so muss man auch fragen dürfen, wo lehrt ein tonal komponierender Komponist an einer deutschen Musikhochschule, wann wurden an den offiziellen Institutionen Donaueschingen oder Darmstadt tonale Werke uraufgeführt, an welchen Wettbewerben für Neue Musik hat eine rein tonale Komposition den 1. Preis erhalten oder wurde überhaupt ernst genommen? Es ist doch nur verständlich, dass die tonal komponierenden Musiker auch Institutionen und Wettbewerbe haben möchten, bei denen sie sich fachlich austauschen können, das muss die andere Seite ja nicht gleich als Angriff auf ihre Macht verstehen. In einem demokratischen System leben nun mal verschiedene Richtungen und Kunstauffassungen miteinander unter einem Dach.
Wenn oben zu Recht darauf verwiesen wird, dass in einer an Stilen orientierten Kompositionsweise auch untalentierte Leute auswendig gelernte „Strickmuster“ rein handwerklich verwendet könnten, so kann man das von nicht – tonaler Musik genauso sagen: Es gibt dort unendlich viele Strickmuster, leere Floskeln und konventionelle „Gags“, die einen Mangel an Einfällen oder Begabung genauso übertünchen können, wie wir es in dem sehr interessanten Vortrag von Ducros in französischer Sprache oben erleben durften.
Viele der französischen Komponisten der jüngeren Generation gehen ohnehin längst schon wieder tonale Wege. Die Atonalität im Sinne Schönbergs, war in Frankreich ohnehin nie sonderlich populär und wurde als deutsch-österreichisches „Diktat“ empfunden. Selbst Messiaen ist mit seinen Modi im Grunde noch tonal – im weitesten Sinne. Die jungen französischen Organisten improvisieren heute auch alle in Richtung Dukas, Debussy, Alain oder Messiaen etc. Atonal macht da keiner mehr…
P.S. Zugegeben der Ausdruck „Stalinistische Seilschaften“ war wohl emotional überzogen – eine Entschuldigung wäre hier angebracht.
P.S. P.S. Zu den Beispielen von J. B. : Karol Beffa ist ein sehr guter Komponist – mit N. Barci habe ich persönlich etwas Mühe:
http://www.youtube.com/watch?v=FV-j3gv291k
Ein einleuchtendes aktuelles Beispiel des Problems:
Das Beethovenfest Bonn, an dem grösstem symphonischen Komponist des Abendlandes gewidmet, bietet für 2015 – neben wirklich interessante Items – auch programmatische Ausweitungen in Jazz und ‚gender-bending‘ Sprachkunst, und auf der Grosse Fuge wird getanzt. Das ‚Jazz Combo‘ von Jan Gabarek wird von Beethoven’s Werke seine ‚cover version‘ geben. Der Italienische Modernist Salvatore Sciarrino wurde vom Beethovenfest beauftragt einen an Beethoven referierendes Werk zu schreiben, und hier wird es interessant: zum Erstaunen der Direktion lauft der Kartenverkauf für dieses Konzert in September gar nicht gut – das Publikum dass in Beethoven, oder zumindest in die ‚Idee‘ Beethoven interessiert sei, bleibt weg, wahrscheinlich auch weil das neue Werk zweimal im Programm gespielt werden soll. Die Leitung des Festivals hofft mit extra Information und Marketing die symphonische Gläubiger immer noch für die Veranstaltung zu gewinnen, aber man fürchtet dass die meisten sich schon auf YouTube informiert haben:
http://www.youtube.com/watch?v=zxKyax9Wfzc
So wird schon einen halben Jahrhundert dieselbe unsinnige Lösung des Problems des ‚konservativen Publikums‘ versucht: klassische Musikliebhaber meiden den Modernismus, aber man versucht immer wieder die alte neue Musik auf die ‚konservatieve Ohren‘ hinein zu pauken. Es KANN nun mal nicht an den künstlerischen Voraussetzungen der Gattung liegen, es MUSS die konservative Hörgewohnheit des Publikums sein die überwunden werden muss. Gegen ein überwältigendes ’nein‘ wird nur unendliche Wiederholung des vergeblichen Versuches gestellt, immer wieder, nun schon seit mehr als fünfzig Jahren.
Richard Wagner hat mal gesagt: ‚Kinder, schafft Neues‘. Das ’neue‘ ist in jeder Zeitalter aber wieder etwas anderes, und das ’neue‘ der fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ist nicht ’neu‘ mehr. Das grösste Erstaunen verdient den Versuch Nike Wagners, die Festivalleiterin, einen Klangkünstler ein zu laden sich an Beethovens Werke zu orientieren und dann sich zu erstaunen dass das Publikum ihren Enthusiasmus nicht teilt. Frau Wagner ist eine kluge, intelligente Frau mit besonders interessante Bücher ihrer Familie und RW auf ihrem Namen. Aber warum gerade den Namen Beethoven an eine Kunstform zu knüpfen die sich drastisch von alles, was das Symbol ‚Beethoven‘ bedeutet, gelöst hat? Die Antwort ist klar: es ist die etablierte Idee des ’neuen Musik‘ in Deutschland die alle Alternative ausgrenzt und sich auf ein datiertes, vom Krieg geprägtes Bild der ’neuen Musik‘ konzentriert. Das gerade Beethoven, das Symbol der Deutschen, humanistische Musik überhaupt, nicht an diesem Missverständniss entfliehen kann, sagt alles über die kollektive Komplexen die noch immer ihren Einfluss ausüben.
Eben ging mit einem Teller
John schon wieder in den Keller,
Daß er von dem Sauerkohle
Eine Portion sich hole,
Wofür er besonders schwärmt,
Wenn er wieder aufgewärmt.
;-) Beste Grüße
vergeten en vergeven
Bester Guntram, meinten Sie mit Buschs altem Sauerkohle, den John B. für uns zum Aufwärmen aus dem Keller geholt hat, den Inhalt des in seinem letzten Beitrag mitgeteilten Videos? Nichts Neues unter der Sonne…
Na, ob es Fausten Recht ist, dass sich Wagner vordrängt?
Danke! Es scheint, dass Sie mein Können als Musiker sehr bewundern, indem Sie mich sogar mit Wagner vergleichen. Für mich allerdings zu viel der Ehre…
Nun also im Ernst, obwohl mir die Angelegenheit eher ein müdes Lächeln entlockt.
Es ist verständlich und zu respektieren, dass John Borstlap z. B. mit Sciarrinos Werken nichts anfangen kann. Und es ist auch verständlich, dass er z. B. Nicolas Bacri als Lösung seines Problemes zu propagieren sich genötigt fühlt.
Garnicht folgen kann ich allerdings, wenn da eine Traditionslinie der Verwerter von “ ‚common material‘ exactly in the way Mozart, Haydn and Beethoven worked [und] after Beethoven: Schumann, Brahms, Strauss, Mahler, Fauré, Ravel, Poulenc, Stravinsky, Britten, Shostakovich“ gezogen wird, die direkt zu Borstlap führt (Bacri muss halt dafür herhalten).
Ok, das sind alles Komponisten, deren Werke Eberhard Klotz auf seiner Orgel spielen kann – und Sciarrino kann ihm da wahrlich nicht dienen –
aber: das Abendland wird halt nicht gerettet, wenn ausschließlich eine Ästhetik alla Borstlap herrschen soll.
Schade, dass ich im September die Konfrontation von Beethovens Chorfantasie mit Sciarrinos Referenzwerk nicht live hören kann.
Es ist komisch… wenn es nicht so traurig wäre: hier haben wir ein sehr grosses Bereich von musikalischer Aktivität: die zentrale Aufführungskultur, mit – besonders in Deutschland, das Herz Europas – einen Vielfalt von Orchestern, Opernhäusern, Musikhochschulen usw, und einen Publikum von hunderttausenden Musikliebhaber, eine globale Musikindustrie wo Millionen umgehen, alles auf einem sehr breiten Musikrepertoire basiert, und dort sehen wir eine kleine Wüste mit sterielen Versuchen, eine andere, anti-traditionelle Musikkunst zu schaffen, von Nachkriegsideologieen und quasi-antibourgeoise Revolutionsidealen geprägt, wo Adoleszenten eine modische Situation von vor einem halben Jahrhundert nachspielen und ihr Terrain als ‚Befreiung‘ einer ‚beschränkten Denkwelt‘ feiern…. Man muss Blind und Taub sein um diese Realität nicht fassen zu können.
Wie könnte man die tiefe, meistens unausgesprochen Verachtung und Gleichgültigkeit, die in der zentralen Aufführungskultur der neuen Musik gegenüber herscht, am besten verstehen? Mit einem Denkmodell wo es nur zwei Sparten gibt: ‚konservativ‘ und ‚progressiv‘? Könnte das nicht ein bisschen zu einfach sein? Gebe es vielleicht eine andere Erklärung? Eine interessantere Exploration als das kindische Angreifen von Andersdenkenden, von Menschen die sich in dem Problem, das doch offenbar da ist, interessieren?
Das Spannende, ggf. mein Privates: Beethovens Chorfantasie ist ein überflüssiges Werk, die Neunte wiederum nicht. Wagners Tristan sagt sogar seinen Skeptikern etwas, derweil seine C-Dur-Sinfonie zum davonlaufen ist, wie schon Clara Wieck ähnlich konstatierte. Oder wie eindringlich ist Schönbergs Streichtrio, wie nicht überall Freunde findend sein Klavierkonzert. Oder wie sensationell sind Rihms Subkontur oder Inschrift 1 und 2, wie zweitrangig Gehege. Wie eindringlicher ist z.B. Schostakowitsch 2. Cellokonzert als das erste. Wie faszinierend sind Ferneyhoughs Orchesterwerke La terre est un homme und Plötzlichkeit, wie gescheitert die Oper Shadowtime. Wie grandios sind Brittens Budd und Grimes, wie glatt seine No-Theater-Opern. Wie fantastisch ist Lachenmanns Klangschatten – mein Saitenspiel, wie seltsam Harmonica oder Concertini. Wie toll ist Quaderno della strada, wie nervig sein Carnaval. Alles sehr persönlich. Aber es zeigt, dass es Wurscht ist, ob was tonal, atonal, alt, neu, lang, kurz, ästhetisch hart o. weich, stringent konstruiert oder freier ist. Es kommt immer darauf an, ob Dramaturgie, die zu hörende, und Inhalt/Anliegen und aus allem resultierender Ausdruck Wirkung/Bewegung/Erhebung erzeugen. Die Mittel bzw. deren soziale Bedeutung stehen einer offeneren Bewertung da nur im Wege, ich sage nicht offen, sd. nehme nur den Richtung andeutenden Komparativ, denn es schwingt ja immer doch eine Bedeutung auch mit, wenn es um Bewertung durch Individuen geht, weshalb ich meine Aufzählung auch nicht ganz verallgemeinert wissen kann, mag hier und auch grosse Übereinstimmung bei älterer Musik möglich sein. Das Problem bei neu-tonaler Musik ist, dass sie sich nicht bemüht in alten Formkorsetten diese bis an den Rand des möglichen, des Überschreitens ausreizen, neu kombinieren, missverstehen, sd. erfüllen und eigentlich ästhetische Faulheit darstellen, recht gelahrt, aber ausser einer Tonsatz Bestnote unbedeutend sind. Höchstwahrscheinlich schütteln jene Herren heute immer noch entsetzt den Kopf über Schumanns Feststellung, dass für ihn Bachs Fugen durchaus Charakterstücke waren. Zuletzt: das schlimme für mich am Beethovenfestprogramm: das Risiko Sciarrino wird quasi durch Beethovens Carmina Burana gepämpert, wobei Orffs Carmina ja grandios sind. Das sagen selbst Menschen wie Milliken und Schulkowsky… Eher haben die Konzertmacher und alten Komponistensäcke wie eben Sciarrino Angst, Orff mit Nono und Co. zu kombinieren…
Zu Guntrams letztem Kommentar:
„Das Abendland wird halt nicht gerettet, wenn ausschließlich eine Ästhetik alla Borstlap herrschen soll.“ Das Abendland wird auch nicht durch eine von Tonalität „gesäuberte“ Ästhetik, in der ausschließlich Stockhausen herrschen darf, gerettet…
Betrachten wir die Situation einmal umgekehrt und phantasieren wir ein wenig:
Die Ästhetik – manche nennen es auch das Dogma – der Neuen Musik nach 1945 hätte sich durchgesetzt: Tonalität im historischen Sinne wäre im Abendland verschwunden und nicht mehr erwünscht. Nach einem Erlass des Bundestags, der Bildungsministerien und der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen, dürfte an Tonalität gebundene Musik nicht mehr aufgeführt, komponiert oder gelehrt werden – und wenn, dann nur noch als Demonstration von etwas historisch Überwundenem. In allen Konzertsälen, in der Kammermusik und in allen Kirchen müsste die Ästhetik der Neuen Musik durchgesetzt werden – egal ob bei Hochzeiten, Taufen, Trauerfeiern, ob an Weihnachten oder zu Ostern: Tonale, auf Dreiklängen aufgebaute Harmonien waren gestern. Das Musizieren an den Schulen und in den Kindergärten müsste auch ganz der neuen Ästhetik verpflichtet sein, damit die Kleinen von Anfang an wissen, was Sache ist – und später nicht in „reaktionäres, vorrevolutionäres Denken“ zurückfallen. In den Medien dürfte nur noch Musik nach 1945 – nach den genannten Kriterien – ausgestrahlt werden; auch in der Unterhaltungsmusik und im Kaufhaus dürfte es keine Ausnahmen mehr geben. Selbst die Blaskapellen – ja ihr Münchner Bierköpfe wisst schon was ich meine – wären angehalten, mikrotonal zu spielen. (Wobei sie es auch ohne diesen Erlass heute oft schon tun…)
Es wäre musikalisch die perfekte, von der alten Tonalität befreite Welt – die Vision der Neuen Musik wäre Wirklichkeit geworden, das Gute hätte gesiegt! So wie Lenin einmal gesagt hat: sobald es in jedem russischen Dorf elektrisches Licht geben wird, werden die Leute schon aufhören an die altmodische Religion zu glauben. Wir bringen euch die Moderne, das Paradies auf Erden…
Was würde in dieser „reinen“ Welt geschehen?
Gäbe es die Tonalität nicht mehr, hätte die Neue Musik das für sie wichtigste Moment verloren: Opposition, Auflehnung, Negation, Verachtung des Vergangenen und Abgrenzung von der Tonalität zu sein. Gäbe es das nicht mehr, wogegen sie sich auflehnt, wird auch ihr eigner Inhalt obsolet. Kämpft sie gegen die Tonalität, sägt sie also am eigenen kleinen Ast am Baum, denn sie braucht diese, wie der Schatten das Licht braucht.
Wunderbar anders-tonale, tonzentrale Musik: Claude Vivier! Hier Orion: https://www.youtube.com/watch?v=UOYOZfDL2As
Vivier’s Orion ist ganz tonale Musik, mit sehr schöne Episoden drin, auch suchend und unsicher (der singende Spieler ist nur ein dummes Effekt). Aber dieses Werk zeigt ganz überzeugend dass expressive Bedeutung nicht ohne das organisierende Prinzip der Tonalität möglich ist. ‚Tonalität‘ ist nicht das Dur-Moll-System, aber die Kraft der von der Natur gegebenen Beziehungsmögichkeiten. Alexander Strauch: Musikalische Bedeutung braucht Tonalität als Basis, aber Tonalität ist keine Garantie für Bedeutung.
@Eberhard Klotz
Zustimmung zu „Das Abendland wird auch nicht durch eine von Tonalität „gesäuberte“ Ästhetik, in der ausschließlich Stockhausen herrschen darf, gerettet…“
Zur Erinnerung:
Als Retter der abendländischen Tradition hat sich John Borstlap durch sein diesbezügliches Buch und durch etliche Postings hier in diesem Blog stilisiert.
@Alexander Strauch:
Zustimmung zu beiden Postings. Allerdings würde ich Sciarrino, der jünger ist als ich, nicht als alten Komponistensack bezeichnen. Wenn man Sciarrino als Person live mitbekommt, stellt sich ein solcher Eindruck auch keinesfalls ein.
@John Borstlap
Einwand zu:
„… dass expressive Bedeutung nicht ohne das organisierende Prinzip der Tonalität möglich ist.“
Schönbergs „A Survivor from Warsaw“ wäre ein Gegenbeispiel. Mich schauderts, wenn ich mir vorstelle, das abschließende „Schma Jisrael“ wäre tonal gesetzt worden.
Das Werk ist übrigens ein gutes Beispiel für Schönbergs zwölftönige Tonalität (das ist kein Widerspruch in sich selbst).
Zum Einwand von Guntram:
Das „Shma Ysroel Adonoy elohenoo“ (Schreibweise Schönbergs) des Männerchors im Survivor ist als Thema für sich genommen fast tonal – wenn auch in eine Reihe eingebunden. Die ganzer Stelle ist aber natürlich im Orchester nicht tonal gesetzt. Meines Erachtens (vielleicht etwas provokant), wirkt das Ergreifende dieser Stelle dadurch, dass hier im Männerchor zum ersten Mal so etwas wie Tonalität als Hoffnung gegenüber dem vorherigen Dunkel durchscheint. Schönberg verwendet hier „Tonaliät“ also fast im Sinne der Alten, wenn etwa bei Bach nach grossen Dissonanzen beim Wort „Licht“ ein E – Dur Akkord erscheint. Habe das Shma Ysroel gerade vor mir. Würde man statt b, ais und statt des, cis verwenden, so würde die erweitert tonale Struktur deutlich: ais-h-e-C1-as-C1-as-g-d-f-cis-fis-a
Ton 1 bis 4 wäre auf e-moll (oder h-moll) bezogen, Ton 4 bis Ton 10 auf c-moll und die letzten drei Töne auf fis-moll.
Eberhard Klotz, der offenbar gründlicher in der Materie eingeführt ist als Guntram Erbe, hat natürlich mit seinen Auseinandersetzung von Schönberg’s Werk ganz recht. Tonalität ist eine natürliche Beziehungskraft und kein menschliches ‚Konstrukt‘. Das Moll-Dur-System ist ein menschliches Konstrukt worin diese Kraft tätig ist.
@Guntram Erbe:
„Als Retter der abendländischen Tradition hat sich John Borstlap durch sein diesbezügliches Buch und durch etliche Postings hier in diesem Blog stilisiert.“ Das ist eine völlig absurde und falsche Darstellung…. Buch und Postings sind Ausdruck einer Observation eines ernsten Problems. Waren Sie SO tief beeindruckt? Danke…
@Eberhard Klotz
Nun ward es offenbar:
Wagner kam dem Faust recht gut zupass.
Nix für ungut! ;-)
Hat weder mit Wagner noch mit Goethes Faust was zu tun. (?)
Ich bin wohl nicht der erste, der darauf hinweist, dass Schönbergs Sh´ma Ysroel an die für traditionelle (tonale) jüdische Gesänge typischen kleinen Sekundschritte melodisch anknüpft. Auch der Schritt e – c1 gleich zu Beginn, ist als aufsteigende kleine Sexte ein uraltes melodisches Symbol für Schmerz oder Leiden. Die Reihentöne 9, 10 und 11 bilden die Brechung eines fis-moll Dreiklangs: des-fis-a. Danach kommt es1 als 12. Ton der Reihe. Dann beginnt eine neue Reihe: Auch hier bilden die Reihentöne der selben Nummern (sic) 9, 10 und 11 wieder melodisch einen Dreiklang: c1, g und e1 – also blankes C-Dur im FF. Die letzten Töne des Chors lauten c, as, e1 und es1. Würde man e1 als fes1 sehen, so würde eine hochromantische melodische Wendung in As-Dur entstehen. (sic) All diese Dreiklänge in der Melodik dürften weder in der freien Atonalität, noch viel weniger in der Reihe erscheinen. Schönberg zeigt hier, dass er „das Gesetz“ verlassen will.
Falls es noch unschuldige Geister gebe die denken, dass ein ‚dominierender Konsenz von Klangkunst‘ nur ein rechtslastiger Hirngespenst sei, wäre das folgende Video möglicherweise aufklärerisch:
http://www.youtube.com/watch?v=jn2a7OPrCYc
Dieser Klangkünstler wurde rezent vom naiven Lucerne Festival angenommen:
„Im Februar 2015 gewann er den renommierten Delz-Preis für junge Komponisten in Basel und durfte sich über ein üppiges Preisgeld in Höhe von rund 48.000 Euro freuen. Nun wird das Gewinnerstück des ehemaligen Weimarer Kompositionsstudenten Ansgar Beste beim namhaften Lucerne Festival uraufgeführt.“
Ohne Zweifel denkt man mit Chancen für junge Klangkünstler die Entwicklungen der Musik nach zu helfen, was alles über die Geistesverfassung der Komitees des Delz-Preises und der Programmierer des Festivals sagt.
@Eberhard Klotz
„Hat weder mit Wagner noch mit Goethes Faust was zu tun. (?) “
Es war Wagner i m Faust gemeint.
Zu Schönberg:
Woher kann man wissen, dass Schoenberg „das Gesetz“ verlassen wollte. Hat er sich in Bezug auf das Shema Yisroel dahingehend geäußert?
Beste Grüße
Zum Video: Nichts Neues unter dem Himmel – solche Sachen gab es schon um 1960.
Möchte aber nochmals auf Schönbergs Sh´ma Ysroel zurückkommen. Die Töne vom Anfang des Chores – in ( ) die Zahlen der Reihe – lauten (ohne die textbedingten Tonrepetitionen):
b (1) h (2) e (3) c1 (4) as (5) – dann kommt eine Wiederholung (sic) der Reihentöne c1 (4) und as (5) – danach g (6) d (7) f (8) des (9) fis (10) a (11) und es1 (12)
Die neue Reihe beginnt mit diesem es1, welches beide Reihen verbindet:
es1 (1) d1(2) a (3) cis1 (4) eis (5) fis (6) h (7) gis (8) c1 (9) g (10) e1 (11) und b (12)
Beide Reihen enden mit einem Tritonus – Im Abstand einer kleinen Sekunde. Der erste: a (11) zu es1 (12) nach oben. Der zweite: e1 (11) zu b (12) nach unten.
Man kann die Dreiklänge jeweils bei den Zahlen (9) (10) und (11) der beiden Reihen deutlich erkennen, was kein Zufall sein kann – wie auch die eigentlich verbotene Wiederholung von Reihentönen: Das pedantische „Abzählen“ der Reihe und das formelhafte Einhalten des Gesetzes, wären hier furchtbar – gegenüber der Liebe des Textes.
Ok,
Schoenberg ist der Vorläufer der „Neutonalen“, sozusagen Borstlaps Opa. ;-)
Entschuldigung, dass ich das erst so spät verstanden habe.
Das ist Ihre Deutung – nicht die meine…
(Nix für ungut)
Einigen wir uns:
Alles ist Deutung,
nichts hat Bedeutung!
‚Ich habe es immer SEHR bedauert, dass es mir mit einemmal versagt war, mich weiter etwa im Stile meiner Kammersinfonie zu bewegen, da ich fand, dass es hier noch unermessliche, ungenützte Möglichkeiten gab.“ Schönberg in einem Interview mit dem Psychologen Julius Bahle in den dreissiger Jahre, in: „Arnold Schönberg, oder der konservative Revolutionär“, Willi Reich, Verlag Fritz Molden 1968, Seite 307. Die erste Kammersymphonie ist tonal, gebraucht verschiedene tonale Strukturfelden (Dur-Moll-Feld, Quartenfeld, chromatisches Feld, Ganztonleiterfeld) und kreiert damit eine grosse Dynamik die er später nicht mehr leisten konnte, und gelegentlich nur als Teil des 12-Tonsystem. Also, Eberhard Klotz hat, denke ich, recht mit seinem Verdacht bezüglich Schönberg’s ‚geheimen‘ Sehnsucht. Schönberg hat auch mehrmals seine musikalische Erfindungen als Schicksalhaft, und nicht triumphierend, empfunden.
Lassen wir doch A. Beste wie die Kirche im Dorf. Sehr typische, fein gestaltete deutsche „music concrete instrumentale“… Wenn vom diesjährigen Luzern Festival gesprochen wird, dann lieber ein Blick auf Samy Moussa im letzten Konzert des „Ein Tag für Pierre Boulez“. Moussa ist ja auf der Suche nach einer dezidierten Tonalität, ebenfalls wie sein Landsmann Vivier es war. Man mag sich über Moussas letzte Oper 2014 streiten, wenn es um die Ausbildung von Metrik und Melos geht, was Vivier ja anno dazumal vortrefflich gelang. Das Thema Tonalität ist aber durch ihn exemplarisch für die jüngere Generation besetzt. Zwar predigen ja einige der gleichen Generation das Ende der Tonhöhe, wird das Konzeptuelle wichtiger genommen. Aber wie man sieht, geht es weniger kategorisch zu, als man in Büchern vorfindet. Ich sage es mal etwas grossspurig: Tonalität, Melos und Konzept sind meine Leib- und Magenthemen, mal das eine mehr, mal weniger, mal zusammen. Und so geht es vielen. Das Auseinanderfallen der Persönlichkeit a la Schönberg in das Alte und das Neue, das noch zu beackernde Tonale, das statistisch interessante Dodekaphone, das spielt heute eher weniger eine Rolle. Man mischt so oder so. Und ich sagte es hier ja schon öfters, s. auch letzte Abschnitte bei in Schönbergs Harmonielehre, wo es weniger um das autodidaktische Zusammenkleben seiner Dur-Moll-Privattheorie geht, sd. um Klangfarbenmelodie, da konstatiert er einerseits die Absenz von zumindest zu benennenden tonalen Wurzeln in atonalen Gebilden, da bestätigt er aber auch, wie eben diese tonale Wurzeln doch wieder alles durchwirken, den künstlerische Tonverbindungsinstinkt mitprägte, der dann ganz individuellen Zusammenhalt im Atonalen erzeugt. Je nachdem wie traditionell verwurzelt heute jemand ist, was ich z.B. von mir behaupte, so hat man sehr wohl auch vier Generationen nach Strauss‘ Tod genau diesen Instinkt parat. Danke für die tonalen Beispiele: aber sagen wir es so: wo dies doch irgendwie Tonsatz ist, sind tonal verwurzelte Komponisten wie Killmayer und Kiesewetter dann doch viel mutiger im Formalen gewesen. Da sollte heute tonale Musik anknüpfen, nicht bei eine Sekunde vor den Gurreliedern…
Langsam aber sicher landen wir also bei Moritz Eggerts atopischer Musik – und das ist gut so.
Abschließend möchte ich bekennen, dass ich nicht nur als Komponist, sondern auch als Maler genötigt war, zum alten Stil zurückzukehren:
http://www.guntramerbe.de/beuys.html
Und auch zum Schreiben und zum Lesen habe ich ein gespaltenes Verhältnis:
http://www.guntramerbe.de/schreiben.html
Noch einen schönen Abend wünscht sich und allen anderen
Guntram Erbe
Doch kommen wir zum Artikel oben zurück:
Hier hat ein Künstler etwas bislang Einmaliges gewagt, nämlich einen Kompositionswettbewerb zu initiieren, in dem tonale Komposition – im weitesten Sinne – nicht nur geduldet, sondern geradezu erwünscht ist. Egal ob er das nun „klangzentriert“ oder wie auch immer nennt – jeder Komponist weiss doch, was hier gemeint ist. Und dieser Künstler hat vergessen – oder wollte es vergessen – die etablierten Institutionen vorher gefälligst um Erlaubnis zu bitten. Das darf er nicht. Und gleich hagelt es Worte wie „unseriöse Wettbewerbe“. Kultur lebt aber, und kann nicht von „oben“ gesteuert werden.
Betrachten wir die Musikgeschichte, so gibt es viele Beispiele von Musikern, die aus Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen ihre eigenen Institutionen oder Richtungen gegründet haben, die zum Teil bis heute existieren: Wagner, Skrjabin, ja die Moderne selbst war zu Beginn ohne Institutionen und musste sie sich erst erschaffen. Hindemith etwa war in den 50 Jahren in Donaueschingen unerwünscht. Er galt als viel zu brav und zu tonal, als viel zu wenig „verrückt“. Worauf Hindemith eine Postkarte an den damaligen Chef Heinrich Strobel schrieb, auf der gross nur ein einziger Satz stand: An das Musikschwein Strobel. Paul Hindemith.
Ich finde es nicht unseriös, wenn ein Kompositionswettbewerb ein klares Profil ausgibt – Bei Münch: für an der Tonalität orientierte Komposition. Was wäre ein Musikwettbewerb, der ausschreiben würde: WETTBEWERB FÜR DIE MUSIK? Es könnte alles gemeint sein: Klavier, Tuba, Pop, Elektronik, Musik des Mittelalters, Gregorianik, Schlager, Neue Musik Etc. Es gibt ja auch Wettbewerbe die konkret ausschreiben „für Jazz“ oder „für Alte Musik“ – und keiner stört sich an dieser Definition. Nur bei tonal liegen die Nerven blank.
Eberhard Klotz hat recht: es gibt ein Riesentabu, und auch ganz absurde Reaktionen. Was ich schon hingeworfen bekam, kann ein hilarisches Buch füllen. Nur ein komisches Beispiel: ein Deutscher Festivalleiter der einer mehr tonalen, humanistischen Musik sympathisch gegenüber stand und der die atonale Arrièregarde wirklich unsinnig fand, schrieb mir als Antwort auf einem Vorschlag meinerseits geärgert, dass es ein Skandal war, ’so viel zurück in die Zeit‘ zu gehen, wäre es 50 Jahr (gemeint war: Hindemith, Bartok, Britten), ja, das hätte er sehr geschätzt aber NOCH früher, nein, das ist wirklich nicht gestattet. (Was sagte man damals von der Madeleine-Kirche in Paris, Anfang 19. Jahrhundert als Römischer Tempel gebaut? Protesten gegen eine Revision von 1800 Jahren?)
https://en.wikipedia.org/wiki/La_Madeleine,_Paris
Nun Guntran Erbe uns so einleuchtend in seine anregende Malerei eingeführt hat (welch ein Talent!), – wie steht es in den bildenden Künsten? Dort gibt es schon seit Jahrzehnten einen Aufschwung figurativer Malerei. In der DDR war figuratives Werk politisch verplicht und als der Mauer fiel, fürchteten die Ostlichen Maler das Ende ihrer Karriere – aber in Gegenteil, sie wurden enthusiast im Westen gefeiert und machten grossen Erfolg: man nennt sie die Leipziger Schule, mit heute verschiedene Generationen. Auch zogen die Akademiestudenten vom Westen nach Leipzig um das Handwerk zu lernen weil im Westen nur Konzeptart gelehrt wurde. Inzwischen werden grosse Beträge für Werke von Michael Triegel bezahlt. Wie armselig sieht dann Darmstadt aus und Donauesschingen.
@John Borstlap
Guten Morgen,
der großartig absahnende Gerhard Richter hat rechtzeitig die DDR und deren Kunstszene verlassen.
Er führte und führt uns vor, was er und man alles kann. Von Stil muss dabei nicht die Rede sein. Alles funzt, was auf ein Rechteck (oder – selten – auf eine anderes Format) passt.
https://www.gerhard-richter.com/de/
Was mir persönlich daran fehlt, ist die kritische und selbstironische Haltung dem Gemachten gegenüber (die sich nach dem Machen einstellen kann oder muss).
Jedenfalls halte ich es so bei meinen eigenen Elaboraten.
Dazu gehört auch mein Lebensmotto:
„O wie ich mir gefalle in meiner stillen Ländlichkeit“
Und so sollten auch Bild, Text und Musik beim folgenden Link aufgenommen werden:
http://www.guntramerbe.de/landmann/
Das ist es, was mir bei Don Quijote Borstlap fehlt und natürlich auch bei seinem Sancho Pansa.
Schönen Tag noch!
Und dabei könnte alles so einfach sein. Wo man keine Probleme sieht, gibt es auch keine, wie bei der Pianistin in diesem Video. Ein wenig Weiterbildung würde uns allen guttun:
Ups!
Gerade wollte ich mir (wieder mal) JohnBorstlaps Homepage ansehen und einiges nachlesen, begann also die Adresse in den Browser einzutippen.
Und was geschah?
Schon nach www. jo entschied der Browser, dass es nach http://www.johann-strauss.at gehen sollte.
Dort wurde ich allerdings maßlos enttäuscht.
Also nochmals, den Vorwitz meines Browsers besiegend, *tippitipp*, und schon blickte mich John Borstlap Composer garnicht verbissen an: mit der linken Gesichtshälfte skeptisch, mit der rechten leicht amüsiert.
Ach, schriebe er auch so!
Nicht nur Walter Braunfels, viele Komponisten, die im „Dritten Reich“ verfolgt oder als „entartet“ diffamiert wurden, komponierten tonal und entwickelten die Tradition des 19. Jahrhunderts – oder noch ältere Stile – weiter. Darunter: Korngold, Eisler, Goldschmidt, Hindemith, Weil, Schreker, Schulhoff, Zemlinsky und, und, und… Dazu viele Jazz – oder U – Komponisten, wie etwa die Comedian harmonists, die natürlich auch alle tonal komponierten. Es wäre also an der Zeit – 70 Jahre danach – die festgefahrenen Positionen und verkrusteten Denkmuster an manchen Institutionen heute neu zu überdenken.