Schlechte Stimmung im Konzertsaal (II)

Die sieben letzten Thesen zum musikalischen Kulturpessimismus

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Zunächst danke ich sehr herzlich für die amüsanten, aber vor allem – für mich überraschend – konstruktiven Kommentare zu meinem Ausgangsartikel zum Thema.

Ich begebe mich also jetzt auf die Suche nach dem Grund für die – angeblich – schlechte Stimmung vor klassischen Konzerten. Ich bin verunsichert, denn: handelt es sich dabei vielleicht um ein rein privates Gefühl? Oder kennt ihr das auch? Man selbst freut sich wie ein Kind auf die gleich erklingende Musik, doch in den Gesichtern der Sitznachbarn – womöglich in denen der bald unter noch kargem Applaus einströmenden Orchestermusiker – spiegelt sich die eigene Vorfreude nicht wider. Im Gegenteil. Langeweile, Skepsis, Griesgram. Es folgt ein subjektiver Artikel über die möglichen Gründe – eine größtenteils „lustig überzeichnete“ Suche nach dem „Why?“

These 1: Wir sind traurige Dinosaurier
Warum schauen wir also so missmutig vor einem klassischen Konzert? Weil wir alle bald sterben werden! Und zwar, fürwahr: Aussterben! (An dieser Stelle denken sich bitte alle Whatsapp-Nutzer diesen Edvard Munch-Schreckens-„Smiley“ hin). Orchesterfusionen bedrohen uns jeden Tag existenziell. Wir finden kaum noch Nahrung. Die Hamsterkäufe in Tierhandlungen nehmen zu. Ausverkauf aller Orten. Der Passus, nach dem die Dinosaurer immer trauriger wurden, lässt sich auf uns ach so wissende Klassikhörer nur zu einfach übertragen: Wie die Dinosaurier selbstverständlich ihr Aussterben einige Wochenenden vor dem endgültigen K.O. vorausahnten – den populärsten Theorien zufolge zog sich ihre Extinktion durch Meteoriteneinschläge und Vulkanausbrüche, infolgedessen sich eine Staubwolke vor die Sonne legte und die Photosynthese aller Pflanzen, der Hauptnahrungsquelle für unsere Dino-Freunde, erschwerte, über fast 400 Millionen Jahre hin – so wissen auch wir: Wir Klassikmenschen werden bald nicht mehr sein. Uns pfropft man demnächst post mortem Glasprothesen in die Augenhöhlen und stellt uns liebevoll entweidet und präpariert in einen klimatisierten Museumsraum, so dass der kleine Luca Finn (9 Jahre alt) mit großen Kulleräugchen fragen kann: „Schau mal, ein Philharmonie-Abonnent! Wie lange gibt’s die schon nicht mehr, Papi?“ Warum also sollten wir anhand dieses in jeder Hinsicht feststehenden Todes lächeln oder uns gar freuen, wenn wir in ein klassisches Konzert gehen?

Aber gerade dem Tode Geweihte könnten doch – ob ihres bevorstehenden Ablebens – milde lächeln? Oder nicht?

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.