B.A. Zimmermann vs. Stockhausen (Sommerlochtagebuch 4)

Alfred Jarry (Quelle: public domain, Rechteanspruch erloschen, lieber Hufi!)

Es ist eines meiner absoluten Lieblingsstücke von einem meiner Lieblingskomponisten: „Musique pour le soupers de Roi Ubu“ von Bernd Alois Zimmermann, hier zu hören in einer schönen Aufnahme mit Michael-„Warum habt ihr mir den Siemens Preis erst JETZT gegeben?“-Gielen und dem „Kölner Rundfunk Symphonieorchester“ (so hießen die damals). Großartig z.B. die kaputte Renaissance-Spieluhrenmusik bei 9:00 ff., die mit den verrücktesten Zitaten verwoben wird, bis sich Zeitlichkeit komplett auflöst und endgültig die „Kugelgestalt“ erreicht ist. Großartig!

Meine Bewunderung für Zimmermann steigt eigentlich täglich. Wie radikal dieses Stück 1966 war, nämlich ein Stück, das KOMPLETT und bis ins letzte Detail aus Zitaten besteht, mag unserer sampleverwöhnten und postmodernemüden Generation vielleicht nicht mehr so klar sein, aber damals war es auf jeden Fall höchst kontrovers und Wasser auf die Mühlen der oft fanatisierten Stockhausenanhänger, die B.A. Zimmermann als Komponisten gerne nicht ganz so ernst nahmen. Er vewendet Popularmusik! Er macht Hörspiel-und Theatermusik! Igitt! Dass Zimmermann es hier gelingt, die Zitate zu einem höchst schlüssigen und packenden Werk zusammenzufügen, dem jegliche Zeigementalität a la „schaut wie toll ich hier kollagiert habe!“ abgeht, sondern stattdessen den Geist Alfred Jarrys (dem Schöpfer von Ubu) in perfekt anarchischer und höchst frecher Weise umsetzt, wurde dabei geflissentlich übersehen. Dass das Ganze auch noch Schmiss und Humor hat muss den musikalischen Sittenwächtern der Zeit besonders sauer aufgestoßen sein.

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Es ist seltsam wie sich die Beurteilung verschiebt – gilt heute B.A. Zimmermann als einer der wichtigsten Komponisten der Nachkriegszeit, Schöpfer der vielleicht wichtigsten Oper der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts („Die Soldaten“), stand er doch zu Lebzeiten stets im Schatten des allseits bewunderten Genies Stockhausen. Interessant ist, wie beide Komponisten ganz unterschiedliche Entwicklungslinien verfolgten: Stockhausen erscheint von Anfang an als Lichtbringer und Hoffnungsträger, driftet dann im Laufe der Jahre immer mehr in einen eigenen Privatkosmos ab, der vor allem um sich selber kreist. Zimmermanns Anfänge sind dagegen stark von der manchmal muffigen Ästhetik der 50er Jahre geprägt und wirken heute latent harmlos, dann gibt es aber eine stetige Entwicklung zu immer erstaunlicheren und spannenderen Entwürfen, die ihrer Zeit weit voraus sind. All dies unvermindert anhaltend bis zu seinem tragischen Selbstmord.

Das endgültige Urteil über die beiden so unterschiedlichen und oft in einen ungesunden Antagonismus getriebenen Meister steht vielleicht noch aus, aber müsste ich eine Performance wie jüngst „Wagner vs. Verdi“ schreiben, wüsste ich ehrlich gesagt, auf welcher Seite meine Sympathien lägen.
Vielleicht ist ein solches Riesenspektakel in 100 Jahren auf dem Max-Joseph-Platz zu bewundern, allerdings höchstwahrscheinlich ohne Musik von mir.

Übrigens wäre „Roi Ubu“ heute für die GEMA ein Alptraum, fast so wie Johannes Kreidlers Performance. Damals ließ man es so einfach durchgehen und erkannte sofort den künstlerischen Wert an, heute müsste ein Komponist Berge von Aktenordnern anschleppen und jedes einzelne Zitat genau ausweisen. Zimmermann verwendete auch viele Zitate von lebenden Kollegen – erkennt ihr zum Beispiel den Komponisten, der bei 13:12 ff. mit Wagners Walkürenritt kollagiert wird? Schon sehr frech von Zimmermann – gefällt mir!

In diesem Sinne

Moritz Eggert

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6 Antworten

  1. Teleskop sagt:

    In welcher Weise, bitte sehr, ist denn eine Kreidler-Performance ein Alptraum für die GEMA?

  2. Ich meinte nur eine bestimmte Aktion von Johannes, die als Parodie der Stückanmeldungsformalitäten sowie der Zitatenbehandlung intendiert war:

  3. Teleskop sagt:

    Das ist mir schon klar. Aber die GEMA hat sich ja, zurecht, ganz lässig auf die Position stellen können: „Ja, dankeschön für die Mühe, aber dafür sind wir schlicht nicht zuständig.“

  4. Stroboskop sagt:

    Die Kreidler-Performance war schon ganz berechtigt, denn auf den GEMA-Anmeldebögen steht ja ausdrücklich:

    „Originaltitel von verwendeten Volksweisen oder anderer im Original urheberrechtlich freier Werke sind hier zu nennen. Wurden urheberrechtlich geschützte Werke verwendet, ist generell die Genehmigung der Rechteinhaber der geschützten Werke in Kopie beizufügen. Die immer noch weit verbreitete Ansicht, daß 8 oder auch 4 Takte ohne Zustimmung benutzt werden dürfen, ist falsch.
    Ohne Vorlage einer Bearbeitungsgenehmigung kann keine Verrechnung erfolgen.“

    Dass die dann gegen ihre eigenen Regularien verstoßen haben, um sich das Problem vom Hals zu schaffen, zeigt ja, dass sie das in einigen Trouble brachte. Es fragt sich ja nun gerade, ob durch Kreidler oder eben schon Zimmermann nicht Präzendenzfälle geschaffen wurden.

  5. Kultur Freund sagt:

    Unvergesslich, wie die „Musique“ am 14. September 1986 zur Eröffnung der Kölner Philharmonie unter strömenden Regengüssen als Klangwolke über dem Rhein dröhnend, in schier unendlichen Bruitismus gesteigert. Wie sich die farbigen Wasserkaskaden des Feuerwehrschiffes mit den Lichtkaskaden des detailliert (und damit analytisch nicht nachvollziehbar) auf die Komposition gestellten Feuerwerks (grellweiß zur „Marche au supplice“, „hellgrün zur „Pastorale“, rosa zu „morgendlich leuchtend“, rotlodernde Feuer auf dem Lufthansa-Hochhaus zum „Klavierstück IX“, emporberstende Funken-Fontänen zu den Walküre-Aufschwüngen…) am Himmel (ganz im Sinne der Père Ubu’schen Hirnzermantschungs-„Decervelage“: „Merdre!!!“) zu einem gewaltigen nächtlichen Kunstcluster verdichteten… Und zehntausende Zuhörer/-schauer – darunter Willy Millowitsch und „Ben Wisch“ Wischnewski – zollten dem großen, zu Lebzeiten nicht nur dort oft verachteten Kölner Komponisten 16 Jahre nach seinem tragischen Ende begeistert Referenz („Drum sag ich von jedem Komponisten: Erst nachdem er tot ist, ist er gut!“). Eine späte Genugtuung!

  6. Kultur Freund sagt:

    Welch apokalyptisches „Ballet Noir“ am Nachthimmel über der Domstadt… …es wurde dann sogar in der Sendung mit der Maus darüber berichtet…