Belgisches Arbeitstagebuch „The Tragedy Of A Friendship“ (Teil 2): Nietzsche und der Verdauungstrakt Wagners

(Achtung: Im Video unten gibt es anderen Text als diesen)

Werbung

Ich bin nervös. 95% der Musik sind fertig, aber nach wie vor ist eigentlich nicht klar, wann meine Musik in unserem Stück kommt, und zu was die Musik kommt. Alles was ich anbiete, sind Puzzleteile, aber wir wissen noch nicht, wie diese zusammengesetzt werden.

Jan Fabre ist immer noch in der so genannten „Improvisationsphase“. Wie das funktioniert, muss ich erklären, da es typisch für seine Arbeit ist. Er teilt seine Schauspieler und Sänger in verschiedene Gruppen, die zu bestimmten Stichwörtern (als ich am Montag da war, waren dies zum Beispiel „Hautkrankheit“ oder „Selbstmord“) kurze Improvisationsszenen entwickeln. Diese werden dann am laufenden Meter vorgestellt, wobei Jan sehr schnell entscheidet, ob er das mag oder nicht. Manche Szenen laufen endlos lang, länger als sie funktionieren, manche wiederum, die zum Teil stundenlang mit Kostümen und Musik vorbereitet wurden, bricht er sofort ab, was zum Teil sehr traurige Gesichter der Darsteller mit sich bringt. Seine Kommentare sind sehr kurz und knapp: „Next!“. „Good, guys!“. „Thank you“. „Next“ ist am häufigsten.

Aber es ist ein sinnvoller Prozess: Nach und nach verwachsen die Darsteller mit ihren Rollen, da sie deren Aspekte selber mitbestimmen. In gewisser Weise ist das Ganze eine Synthese aus Method Acting und moderner Kunstperformance.

Der Level der Improvisationen ist schon sehr hoch. Leider darf ich sie nicht zeigen, da ich Troubleyn (der Produktionskompanie von Fabre) schon versprochen habe, nichts davon als Video zu verbreiten, da sie noch nicht das eigentliche Stück sind, sondern eine Vorform, die die Öffentlichkeit noch nichts angeht.

Am nächsten Tag gingen Jan, Miet und ich in die Premiere von „Parsifal“ in der Oper. Jan kannte so ziemlich jede Person, und so ziemlich jeder kennt ihn. Regie führte Tatjana Gürbaca, Dramaturgie machte die liebe Bettina Auer. Es war sehr schön – mal ein ganz anderer Ansatz als dieses überfrachtete Symboltheater, dass stets bei „Parsifal“ angeboten wird. Und vor allem ein weiblicher Ansatz – Kundry kommt zu ihrem Recht, die Blumenmädchen-Szene ganz großartig.

Aus irgendeinem Grund lande ich immer  wenn ich eine Wagner-Oper anschauen muss in „Parsifal“, der für mich mit Abstand langweiligsten Oper, die Wagner je geschrieben hat. Natürlich ist diese Langeweile unendlich faszinierend gestaltet mit genau 3 Einfällen, die beliebig transponiert und endlos weitergeschraubt werden können. Besonders das Gralsthema ist so eine Art Perpetuum Mobile – wahrscheinlich könnte es ein Raumschiff, das von immer wieder neuen Transpositionen dieses Themas angetrieben wird, locker bis zum Mars schaffen. Wo es wahrscheinlich eine Wurst in Form von Nietzsche antreffen würde.

Ganz besonders faszinierend finde ich die Rolle des „Gurnemanz“. Der ist als Figur in der Handlung ungefähr so interessant wie ein vergessener Regenschirm, aber er hat die mit Abstand größte und längste Rolle von allen. Das liegt daran, dass er so wahnsinnig viel erklären muss, was in „Parsifal“ eigentlich los ist (kleiner Tipp: Es hat meistens was mit blutenden Wunden zu tun). Er ist quasi das vertonte „voiceover“ eines Films, ungefähr so willkommen wie das doofe Voiceover von Harrison Ford über den Anfang von „Blade Runner“ (alte Fassung), das brauchte auch keine Sau. Aber potzblitz: Toll gesungen von Georg Zeppenfeld wird Gurnemanz in Antwerpen der absolute Abräumer der Produktion, standing ovations für das voiceover!

In der Pause kommt ein freundlicher glatzköpfiger Herr auf Jan zu und begrüßt ihn herzlich. Ich frage Lies (unsere Sängerin) wer das denn war. Sie meint: „Helmut Lotti.“. Was, der Schnulzensänger? Tatsächlich: Lotti hat sein Image gewechselt und macht jetzt anspruchsvolle Projekte, vor dem belgischen Publikum hat er (Skandal!) sein Toupet abgenommen und erklärt, fortan nur noch künstlerisch wertvolles zu machen. Eigentlich sehr sympathisch! Alle sind voll des Lobes über ihn, aber die Konzerte sind leer. Man stelle sich vor: Heino nimmt die Sonnenbrille ab und singt plötzlich Winterreise! Lotti wirft mir den ganzen Abend freundliche Blicke zu, ich glaube er hält mich für jemand wichtigen. Ich überlege ernsthaft, ihn in einem meiner nächsten Stücke zu engagieren.

Am nächsten Morgen dann Pressekonferenz. „Opera XXI“ heißt das Festival, in dessen Rahmen unsere Aufführung stattfinden wird. Das ist eine tolle Sache: quasi die belgische Musiktheaterbiennale mit ausschließlich großen und interessanten Aufführungen, die dann in Gent und Antwerpen laufen. In München bekommt man ja immer gesagt, dass es sich bei der Münchener Biennale um das weltweit einzige Festival für zeitgenössisches Musiktheater handelt. Ist natürlich Quatsch, die Belgier machen das auch, und zwar sehr gut. Was mir allerdings Angst macht: Aus irgendeinem Grund hat man sich entschlossen, ausgerechnet mein Konterfei auf das Plakat zu nehmen. Noch schlimmer: Beim Holland-Festival ist unser Stück als „Oper von Moritz Eggert“ angekündigt. Das ist natürlich völliger Blödsinn: Weder ist es eine Oper noch „mein“ Musiktheater, es ist eine echte Gemeinschaftsarbeit eines Regisseurs, Autoren und Musiker.  Meine Musik tritt ja sehr oft in den Hintergrund, um Raum für Szene, Text und Würste zu schaffen.

Daher meine größte Angst: falsche Erwartungshaltungen.

Man soll eigentlich gar nichts erwarten, das ist meistens am Besten.

Moritz Eggert

Videotagebuch Teil 2

 

Liste(n) auswählen:
Unsere Newsletter informieren Sie über Neuigkeiten im Badblog Of Musick. Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzbestimmungen.

Eine Antwort

  1. @Moritz: Leider ist das Video wieder nicht korrekt verlinkt (Stand: 2013-03-28, 08:41), ich hab’s aber auf YouTube geunden. Was mir gefällt, ist dein sozusagen „ethnologischer“ Blick auf das Geschehen (einfühlsam, aber trotzdem ganz von außen).

    Zum Blog-Artikel: Die von dir beschriebene Arbeitsweise Fabres kommt mir reichlich Dieter-Bohlen-haft vor: Die eigentliche kreative Arbeit erledigt der Angestellte, dann werden die Mitarbeiter systematisch gegeneinander ausgespielt, am Ende bekommt der Chef den ganzen Ruhm. Ziemlich trist eigentlich.

    Aus irgendeinem Grund hat man sich entschlossen, ausgerechnet mein Konterfei auf das Plakat zu nehmen.

    Hätt’st halt nicht so stark abgenommen – jetzt siehst du einfach zu gut aus, das konnten sich die Plakatgestalter dann wohl nicht entgehen lassen ;-)