Das Dilemma der Eigeninitiative

Gerade eben war ich in Bonn zu Gast, als Berater des „Netzwerks Ludwig van B.“, das es sich zur ehrenvollen Aufgabe gemacht hat, anspruchsvolle Jugendprojekte mit klassischer (und natürlich auch zeitgenössischer) Musik zu realisieren. Schon seit einigen Jahren hat dieser gemeinnützige Verein unter der Leitung von Solveig Palm und Robert Wittbrodt beachtliches in der Region geleistet, nämlich (um die Homepage zu zitieren): „Workshops . Open Air-Bühnen . Musiktheater . hochkarätige Kammermusik . Singen, Singen für alle! . Künstler in Schulen . Schulen im Konzert . ein Netzwerk zwischen jung und alt . zwischen Laien und Profis . eine Bürgerbewegung für junge Menschen . und … viel Vergnügen!“.

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Bei der Beiratssitzung ging es um die zukünftigen Projekte, und natürlich war die aktuell schwierige Kulturhaushaltsituation in Bonn großes Thema, an dem man letztlich nicht vorbeikam. Und wie immer bei solchen Initiativen: es gibt nicht genug Geld. Unter anderem wurde an dem Abend beschlossen, dass die schon seit Jahren komplett ehrenamtlich arbeitende Solveig Palm vielleicht eine mit ein wenig (nicht viel) Geld bezahlte Hilfskraft zur Seite gestellt bekommt. Und natürlich, dass man trotz der vielen Schwierigkeiten weitermachen würde.

Schon oft saß ich bei solchen Sitzungen, viele davon z.B. für das „ADEvantgarde“-Festival in München, auch gestützt von einem ehrenamtlichen Verein, dem „ADEvantgarde e.V.“. Die Ausgangslage ist immer die selbe: man will eine kulturelle Leerstelle füllen oder etwas verändern – z.B. mehr Zugang zu klassischer Musik bei Jugendlichen erzeugen da dies immer weniger von den Schulen geleistet werden kann (wie beim Netzwerk Ludwig van B.“) oder mehr Aufführungsmöglichkeiten für junge Neue Musik erzeugen (wie beim ADEvantgarde e.V.)… und um dieses Ziel zu verfolgen, beutet man sich daher quasi selber aus – denn natürlich ist NIE genug Geld da, von der Stadt, von Förderern, von Organisationen…auch wenn diese der Sache ebenso gewogen sind.

Grundsätzlich ist ja gegen eine solche Eigeninitiative nichts einzuwenden – gäbe es sie nämlich nicht, würde vieles den Bach runtergehen, ganz von allein. Aber das „Dilemma der Eigeninitiative“ (wie ich es hier nennen will) ist folgendes: Gerade WEIL man sich engagiert, gerade WEIL man sich selbst ausbeutet, leistet man den Tendenzen unabsichtlich Hilfestellung, die eigentlich die Fördermittel noch mehr kürzen wollen.

Um dies zu verdeutlichen, hier ein Beispiel. Nehmen wir einmal an, in der Stadt X gibt es nicht genügend Musikinstrumente für öffentliche Schulen und Kindergärten. Aus Geldmnangel und Verschuldung kann die Kommune diesen Missstand nicht beheben. Nun gründet sich der Verein Y, der es sich zum Ziel macht, diesem Zustand Abhilfe zu schaffen. Man gründet einen Förderverein, sammelt Geld und geht bei Sponsoren hausieren. Und die Initiative hat Erfolg: bald können zahllose neue Instrumente angeschafft werden, sehr zur Freude der Schulen und natürlich auch der Kinder. Die Kommune ist hocherfreut – und kürzt die Fördermittel im nächsten Jahr erneut. Wieder legt sich der Verein Y ins Zeug, und ja, es gelingt sogar NOCH mehr Geld für die Musikinstrumentenbeschaffung zusammenzubekommen. Resultat? Die Kommune kürzt erneut die Mittel. Und zwar gerade weil die Arbeit des Vereins so erfolgreich war – hätte es den Verein nämlich nicht gegeben, hätten sich eventuell die Beschwerden der Lehrer und Eltern so gehäuft, dass die Kommune irgendwann hätte aktiv werden müssen. So haben die Verantwortung andere übernommen – und die Kommune kann sich selbst aus der Verantwortung ziehen.

Dieses nicht allzu an den Haaren herbeigezogene Beispiel begegnet uns im Kulturbetrieb quasi an jeder Ecke. Und da der deutsche Staat sich ganz unmerklich immer mehr aus der Kulturverantwortung zieht, ist die Tendenz dieser Entwicklung ganz sicher steigend. Wohin das führt, kann man zum Beispiel in den USA sehen, wo quasi alles was an Kultur geschieht auf Eigeninitiative und mit privaten Spendern ermöglicht wird. Diese meistens reiche Klientel hat natürlich dann ganz bestimmte (und meistens sehr konservative) Vorstellungen davon, was mit ihrem Geld geschehen soll, und so wird sehr oft Kultur von gestern und nicht von morgen gefördert, sowie die Klassenunterschiede eher bestärkt als überwunden.

Wo bleibt dann die grundsätzlich richtige Idee des Rechts auf kulturelle Allgemeinbildung und der gleichen Chancen für alle, woher sie auch kommen mögen?
Genau das ist sie nämlich, die Crux mit dem Dilemma der Eigeninitiative. Und nu?

Moritz Eggert

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2 Antworten

  1. @Moritz: Es ist ein wenig manipulativ, wie du die Forderungen nach „Musikinstrumenten für öffentliche Schulen und Kindergärten“ und die nach mehr „Aufführungsmöglichkeiten für junge Neue Musik“ in einem Atemzug nennst. Bei der ersten Sache handelt es sich um eine Art gesellschaftlicher Grundversorgung, bei der zweiten um die Unterstützung einer hochspezifischen, zudem elitären Kunstform. Wohl nur wenige Menschen würden, um mal Beispiele aus anderen Gesellschaftsbereichen zu nehmen, die Privatisierung der allgemeinen Trinkwasserversorgung als gesellschaftlichen Fortschritt begrüßen, vielen wäre es aber egal, wenn die Kirchensteuer nicht, wie bisher, vom Staat, sondern von den Religionsgemeinschaften selbst eingefordert werden müsste.

    Das von dir konstatierte „Dilemma der Eigeninitiative“ trifft zu, wenn die Menschen anfangen, in nachbarschaftlicher Eigeninitiative die Schlaglöcher in ihrer Straße selber auszubessern und die Kommune sich dann freut, dies nicht selber tun zu müssen. Es trifft aber nicht zu, wenn E-Komponisten statt, wie bisher, von Stipendien und Preisen, nun von Instrumentalunterricht oder gar einer, horribile dictu, „fachfremden“ Tätigkeit (wie das bei mir seit je der Fall ist) zu leben gezwungen werden.

    @alle: Gehören „Aufführungsmöglichkeiten für junge Neue Musik“ zur kulturellen Grundversorgung wie Trinkwasser zur zivilisatorischen und, wenn ja, warum? Zu diesem Thema würde ich sehr gerne einmal ein paar brillante, hervorragend begründete Argumente aus den Reihen der intellektuell ja sonst nicht eben anspruchslosen E-Komponisten hören.

    Und bevor hier wieder der shitstorm losgeht: Nein, ich bin nicht „prinzipiell“ gegen irgendeine „avancierte“ Ästhetik (obwohl ich als Komponist natürlich meine eigene habe, die, vom Mainstream der „Neuen Musik“ aus betrachetet, wohl durchaus als „reaktionär“ qualifiziert werden kann. (Und das ist, frei nach Wowereit, „auch gut so“.)), ich bin nur dafür, dass sich jede Komponistin, bevor sie über den Entzug bisheriger öffentlicher Subventionen zu jammern anfängt, fragt, ob dieser Entzug evtl. ja auch eine Folge Ihrer jeweiligen Ästhetik sein könnte.

    So, und jetzt dürft ihr auf mich einprügeln. Oder traut sich wieder keiner? Hallo? – – – Haaaalo?

  2. Alexander Strauch sagt:

    mh – wie antworten! gute frage. versuch’s mal absolut trocken kommunalrechtlich, was alles als abschliessend sein wird. nehmen wir die bayerische gemeindeordnung zum eigenen wirkungskreis der gemeinden. art 57 abs 2 satz 1 go verpflichtet explizit zur trinkwasserversorgung. die kultur, das kulturelle wohl findet in art 57 abs 1 platz. abs 1 wird viel weicher formuliert, eine verpflichtung ist wenn nur in weiteren gesetzen zu finden. in bezug auf kultur, im spezifischen musik, im besonderen die neue musik wird man auf landesebene in der form nichts finden. es ist eine rein freiwillige leistung, was aber auch nicht zu vollkommen freien verfahren ermächtigt. fördert zb eine gemeinde explizit neue musik oder wohl eher im kontext von experimentelleren kulturformaten, formuliert sie selbstverpflichtungen und kann so auch diese förderung nicht vollkommen willkürlich ändern, solange zb die finanzierung nicht komplett eingestellt werden müsste, um bspw. die feuerwehr überhaupt noch finanzieren zu können. allerdings könnte die gemeinde jederzeit beschliessen den begriff neue musik offener als bisher zu sehen, sie aufgrund von forderung nach gleichberechtigung anderer sparten dem anpassen, etc. andererseits steht es den komponisten wiederum offen, sich politisch zu organisieren und ggf. auf missverständnisse in begrifflichkeiten hinzuweisen. d.h., dass sich ein komponist eben auch mal demokratisch zu wort melden kann und muss, wenn es ihm zu sehr an den kragen gehen sollte. sinnvoll wäre da wohl zu verlangen, entscheidungen der kommune transparenter zu gestalten, übergangsregelungen bei neugewichtungen anzubieten, mittelvergaben nicht auf sachbearbeiterebene zu belassen, usf. wobei dies alles bereits rückzugsgefechte sind…

    doch eine künstlerische antwort? vielleicht es eine frage des müssens: der rockmusiker muss, der volksliedsänger muss, der filmkomponist muss, der e-musik-schreiber muss. was? seinen gedanken einen künstlerischen rahmen verleihen. also erstmal notieren, üben, abhören – je nach seinen medien. interessant und kulturpolitisch wird es dann bei der aufführungsfrage! im idealfall wird er einen antrag stellen können und dann irgendwann mit seinen verbündeten musikern eine aufführung zustande bringen. und dies sollte letztlich allen gleich möglich sein, egal ob besonders abgedreht oder eher populär angelegt. wenn es in einem bereich dazu eine entsprechende kleine oder grössere szene gibt, betrifft sofort mehrere. ist es in einem netten dorf nur eine einzige person, wird das dorf natürlich nur dann der kunst rechnung tragen, wenn die person damit geld in die kommune bringt. die person wird sich also v.a. in der nächst grösseren kommune verwirklichen. das heisst aber nicht, dass man ggf. sein schaffen in jenem netten dorf doch genauso schätzt wie das der erfolgreicheren band. sehen wir auf münchen, so ermöglicht zb die stadt kulturellen antragstellern innerhalb des s-bahnbereichs wohnhaft zu sein und nicht zwingend im burgfrieden der stadt zu leben.

    wie soll man es nur sagen? es geht im prinzip um wertschätzung! wie schätzt die kommune ihre künstler, wie schätzen diese sich gegenseitig und wie stellt natürlich jeder sein schaffen, seine bedeutung nach aussen besser dar. in diesem spannungsfeld wird jeder dann wohl seinen platz finden. stampft die kommune nur eine ihrer vorhandenen kultursparten ein, also kein reines umgewichten, so kann man an einer hand abzählen, dass es den anderen bald auch mehr oder weniger an den kragen gehen wird.

    anders: schätzt ein ort seine durchgeknallteren künstler, wird das klima allgemein für innovation und kreativität besser sein, als wenn sie nur verhindert, auf ruhe setzt. natürlich kann das eine wirtschaftlich starke kommune eher als eine schwächere. strengen sich alle seiten allerdings an, bringen doch möglichkeiten für das ungewöhnliche, nischenhafte zustande, hat auch das wirtschaftlich abseitige, innovative eher eine chance. so bedingen sich ökonomische wie künstlerische seiten. nehmen wir berlin und münchen wieder: in berlin leben etlich mehr künstler als in meiner stadt. dass berlin künstlerisch gut da steht, liegt allerdings schlichtweg nur am hauptstadtcharakter und den reiz, den diese grosse szene bietet, die die leute auswärts als berliner künstler labelt und erfolg haben lässt, in der stadt aber alles andere als wertschätzt und fördert. münchen wiederum stösst künstler eher ab aufgrund der hohen existenzkosten. dennoch werden hier anwesende und neu hinzu kommende gefördert, in neue konzepte eingebunden, als innovationsfaktor wahrgenommen. allerdings verschiebt sich das auch hier von experimentelleren formaten leicht weg hin eher zu einer noch undefinierten art von mainstream. dennoch wird immer noch und auch immer wieder versucht, ungreifbaren genauso einen platz wie verkäuflicheren einzuräumen, da ökonomische wie künstlerische innovation geschätzt wird. – – – noch nicht wirklich befriedigend und das beispiel muc/berlin hinkt dann auch wieder mächtig: im süden mag die öffentliche wertschätzung grds. besser sein, auch wenn die kunst weniger experimentell als in berlin sein mag. berlin macht dies wett durch die einzigartige grösse als riesenkünstlerhaus. ich wage allerdings die these, dass im allgemeinen wachstum münchens bewusstsein und masse des innovativen auch im musikbereich wichtiger zu all den eher unterhaltsameren formaten werden wird.

    letztlich: die ästhetik muss nicht nach fragen der förderungswürdigkeit betastet werden, wenn der künstler selbst die frage stellt. er sollte sich fragen, ob er zum spirituellen und geistigen fortschritt einen beitrag leisten möchte und dies auch in seinem kleinen kreis erreichen kann und nicht, ob er unbedingt massenerfolg haben wird. leistet er einen echten spirituellen und geistigen beitrag wie ein wissenschaftler in seinem metier, wird er schon seinen weg finden. stellt er diese frage nicht richtig, bleibt ihm auf dauer nur die neid- oder erfolgsfrage, was auch nicht glücklicher macht. aber dies ist eben auch eine typfrage: wie man eben eine gewisse kunst „muss“, braucht der eine den massenerfolg, freut sich der andere über zustimmung kleinerer kreise. oder anders: wir freuen uns doch genauso über antike aquädukte wie das seikiloslied. manchmal wäre man über noch mehr antike musik erfreuter als über noch mehr alte zivilisationsreste wie mauer- und wasserleitungsreste…