Queere Wunder und Inkompatibilitäten des bayerischen Musik- und Politiklebens – Kommentar zu Äusserungen von Dr. Thomas Goppel, CSU-Politiker und Präsident des Bayerischen Musikrats
Wie in sich widersprüchlich ist doch immer wieder das Kulturland Bayern! Heimatverbundene und traditionsgemäß ultrakonservative katholische Trachtenvereine und andere typische Verbindungen verehren heiß und innig den heute als Homosexuellen bekannten König Ludwig II., der wiederum ein glühender Förderer der Musik Wagners war.
Im zeitgenössischen Bayern widerfuhr mir selbst wundersames: Wie meine Diplom-Oper „Narrow Rooms“ problemlos im Eröffnungsreigen des Prinzregententheaters uraufgeführt worden ist, obwohl sich in ihr vier junge US-Männer gegenseitig lieben und morden, samt finaler Kreuzigung des Tenors. Oder noch verwunderlicher: Wenn in Baden-Württemberg sich queere Chöre die Mitgliedschaft im dortigen Landeschorverband noch vor gar nicht langer Zeit gerichtlich erstreiten mussten, tauchte in München auf einem süddeutschen Treffen lesbisch-schwuler Chöre ein Funktionär des Bayerischen Sängerbundes auf, der durch den Dreher, dass „die Philharmoniker“ – gemeint und somit falsch gedruckt war mein Chor, die „Philhomoniker“ – dieses kleine Festival namens „Monaccord“ veranstalteten. Und wie positiv überrascht war er, als er eine Chorszene von jungen Frauen und Männern erlebte, die ihm bis dahin gänzlich unbekannt gewesen war. Und wie erschüttert war er, als er diese von Profis geleitet sah, die er gar persönlich aus mehrheitlich heterosexuellen Chorunternehmungen kannte. Er schrieb einen begeisterten Beitrag in seiner Verbandszeitschrift und forderte unsere Chöre auf, dem Münchner Sängerkreis beizutreten. Was die beiden grösseren Chöre auch bereitwillig taten und seitdem von den Förderungen und Vergünstigungen profitieren wie gleichermassen offen bei der Organisation und Teilnahme an Verbandsveranstaltungen begrüsste werden. Über den Bayerischen Sängerbund sind die queeren Chöre nun auch im bayerischen Dachverband aller professionellen wie laienorganisierter Musikvereine Mitglied, dem Bayerischen Musikrat. Und hier beginnt nun der unerfreuliche Teil!
Aktueller Präsident des Bayerischen Musikrats ist seit 2008 Dr. Thomas Goppel, davor zuletzt als bayerischer Wissenschaftsminister bekannt. Sehr entfernt hatte ich Herrn Goppel bereits als Gymnasiast des Münchner Karlsgymnasiums als Politiker realisiert, waren meine Schwester und ich mit Kindern aus jener bayerischen Politikerfamilie in den gleichen Klassenstufen. So begleitete ich Herrn Goppels Kür zum Präsidenten des Bayerischen Musikrats unkritisch mit einigem Wohlwollen. Dieses ist mir die letzten Tage nun endgültig abhanden gekommen, wurmt mich meine Kritiklosigkeit! Wie man die letzten Wochen mit grossem Staunen vernahm, fordern jetzt selbst Bundestagsabgeordnete der Unionsparteien die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften mit heterosexuellen Ehen in steuerrechtlichen Fragen, Stichwort Ehegattensplitting. Soweit kam es, da die höchsten Gerichte Deutschlands in unendlich vielen Letztentscheidungen seit Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft die politisch gewollte Zurücksetzung gegenüber der klassischen Ehe immer weiter eindampften. Natürlich ist der Finanzminister rein sachlich dagegen, positioniert sich die Kanzlerin butterweich zwischen allen Meinungen, sehen einige Unionspolitiker das Abendland gefährdet, begrüssen andere wiederum dies als längst überfällige Modernisierung. Der CSU ist es natürlich reinstes Teufelszeug, wohl aus der pinken Schmiede der FDP mit all ihren queeren Politikern erdacht und in die Köpfe der wohlwollenden Unionspolitiker geträufelt. Ist die FDP nicht Koalitionspartner der CSU in Bayern, ohne deren Hilfe sie nicht mehr an der Macht wäre? Wie ihr Parteichef Seehofer wettern auch weitere mal gemässigter, mal unglücklicher in der Wortwahl CSU-Politiker gegen das Gleichstellungsansinnen aus den Unionsreihen. In die Riege der letzten reiht sich leider nun auch Dr. Thomas Goppel, mein Bayerischer Musikratspräsident ein! Auf seiner öffentlichen Facebook-Seite konnte man zuletzt lesen: „Die Gleichwertigkeit von Lebensgemeinschaften, die Frau L.Sch. in Berlin auf alle möglichen „Paarungen“ ausdehnen will, hat ihre ganz natürlichen Grenzen. Völlig zu Recht weist die Kollegin Reiche darauf hin. wer (sic!) im Unterricht durchgängig die Ohren offen hatte, weiß, dass es Qualitätsunterschiede gibt, die sich schon in der Bestandssicherung zeigen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass jeder leben kann, wie er oder sie will, solange er oder sie nicht andere zwingt, Falsches zu glauben, zu tun oder gar anzuordnen. Gut, dass Frau Reiche daran erinnert.Danke!“
Dr. Goppel weiß also, was richtig und falsch ist? Bin ich also als bekennender Schwuler „falsch“? Mein ehrenamtliches Engagement, meine „schwulen“ Kompositionen wie die oben genannte Oper im Prinzregententheater, meine homosexuelle Liebes-Ode „Adamic Songs“, von der EVS gefördert, dem Münchener Kammerorchester gespielt, dem Bayerischen Rundfunk gesendet? War die Entscheidung meines Chores falsch, in Goppels Musikverbandspyramide einzutreten? Sind nicht die mir bekannten lesbischen wie schwulen LaiensängerInnen und ihre ebenfalls queeren PartnerInnen unglaublich liebevolle Eltern, die unbedingt die gleiche staatliche Unterstützung verdienen wie „klassische“ Familien? Sehe ich in meinem Brotjob an der Anlaufstelle für wohnungslose Menschen, nicht immer nur heterosexuelles Familienleid? Was ist nun falsch, was richtig? Darüber hinaus ist die Infragestellung der „Gleichwertigkeit von Lebensgemeinschaften“ eine düstere Floskel. Ja Herr Goppel, ich hatte im Unterricht an der Schule auch ihrer Kinder sehr wohl die Ohren offen! Und ich habe mich getraut die Strukturen des Musikunterrichts für meine ersten Stücke zu nutzen, hielt mich aber in Beziehungsfragen mehr als zurück, gerade der damaligen bayerischen konservativen Schulpolitik geschuldet, die sich so fundamental von der Kulturpolitik des Freistaats unterschied: Was mir die Schule verweigerte, gab mir die Kultur!
Anlässlich des Amtsantritts als Präsident des Bayerischen Musikrats meldete die NMZ: „Wie das Netzwerk Musik in Bayern in einer Pressemitteilung meldet, betonte Thomas Goppel im Anschluss an die Wahl, er habe sich bewusst um eine Mehrheit im Musikrat bemüht und strebe nun mit den Mitgliedern im Musikrat „als vielstimmige Gemeinschaft eine Abwechslung in der Harmonie an, die wir fest brauchen“. Wie soll diese vielstimmige Gemeinschaft nun aussehen, gerade in Hinblick auf das queere Chorverbandswunder? Wie sollen meine voll und ganz im familiären Leben stehenden queeren Chorsänger ihren Musikratspräsidenten ernst nehmen? Wie soll ich es, der ja auch über den bayerischen Landesverband des Deutschen Komponistenverbandes sowie den Bayerischen Tonkünstlerverband auf professioneller Ebene durch Herrn Dr. Goppel präsidiert werde, wie soll es all meinen lesbisch-schwulen KollegInnen in jener bayerischen Musikverbandspyramide ergehen? Wo bleibt da die Harmonie? Oder hat dann im Falle des Falles auch die bunte Neue Musik zurückzustehen, die man nicht einfach in Dur und Moll unterteilen kann (s. BR-Alpha-Forum mit Herrn Goppel: „ (…) In der Musik geht es höchstens um die Frage “Dur” oder “Moll”. Nein, im Ernst, die zentrale Frage lautet bei der Musik: Wie kann man möglichst viele so faszinieren, dass sie mitmachen? (…)“). Ich bin ein wenig ratlos!
Warum ich überhaupt hier Politik und Musik verbinde? Ist es nicht so, dass z.B. in Fragen von Frauenquoten mancher Komponistenkollege hinter vorgehaltener Hand witzelt, welchen schwulen Kollegen man als Frau präsentieren könnte? Zieht man nicht immer wieder über die „Schwulenmafia“ in Intendantenlogen her? Erklärt man die vornehmsten, fürnehmlich die offen schwulen Komponisten wie z.B. Hans Werner Henze nicht sofort zu „Kinderschänden“ wenn sie für Knabensopran oder Knabenchor komponieren, übrigens nur mögliche Sängerschulen, weil es v.a. heterosexuelle Eltern bisher als förderlich ansahen, ihre Liebsten diesen Instituten zu überlassen! Und gab es nicht neulich höchst schwulenfeindliche Töne, als während der Wahl des bayerische Rundfunkratsvertreters des DKV Landesverbandes der bald scheidende Vertreter Dr. Helmschrott als „auf-den-Tisch-hauen“ Beispiel anführte, wie man einen Bezug zwischen bayerischen Papst und Homosexualität in einer Sendung des BR „gutbayrisch traditionell“ nur als Sauerei bezeichnen müsste. Ich erinnere mich nicht recht an die Sendung, aber es ging wohl um Invektive des ehemaligen höchstkirchlichen Mitarbeiter David Berger, vor seinem Comig-Out ein scharfer Verteidiger des römischen Ultrakonservatismus, gegen die Schwule diskriminierende Politik der katholischen Kirche. Unter der Hand belächelte man den nochmals gewählten Rundfunkratsvertreter, da er sowieso demnächst freiwillig aus dem Amt scheiden mag. So verdient er wie auch Herr Dr. Goppel sich immer wieder in Sachen der klassischen Musik gemacht haben wollen, so aus der Zeit gefallen sind aber ihre überzogenen Äusserungen zum Themenkoplex „Schwule und ihre Gleichstellung“. Damals hielt ich DKV-treudoof meine Klappe, wie ich viel ältere scharfe Geschütze Dr. Goppels gegen meine Lebensform ignorierte. Heute kann ich nicht mehr schweigen!
Man muss nicht meiner Meinung sein, aber man sollte die juristische Realität anerkennen, die dazu führt, dass ohne Untergang des Abendlands sich das Familienbild ganz langsam erweitert. Und um wieviel weiter sind allerorten einfache Menschen und erfahrene Mitarbeiter in den Verbänden, die sich sogar freuen, wenn sie neue lebendige Formen menschlicher, ja bayerischer Existenz, in ihren Reihen wiederfinden. Ich hoffe nur, dass sich deren Vernunft in den nächsten Wahlrunden der bayerischen Musikverbandspyramide freie Bahn bricht!
Komponist*in
Eine Antwort
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