Not in my name: Bayerischer Musikrat, Tonkünstlerverband – Freunde der Klassik?

Es ist unfassbar wie in Bayern, im bayerischen Musikleben, im Bereich der klassischen Musik Bayerns, auf die man stolz von Orlando di Lasso bis zum heutigen Wirken all der Orchester, Festivals und BR Klassik mit Welle, Klangkörpern und Konzertreihen blickt, das Vertrauen all der Profis und Amateure mit einem Wimpernschlag zu verspielen droht. Es sind nicht allein die 2/3-Mehrheiten im BR-Rundfunkrat zur Verbannung von BR Klassik ab 2018 weg von der eigenen UKW-Welle zugunsten des bisherigen jugendlichen Digitalsenders PULS. Es ist das Präsidium des bayerischen Musikrats, in Gestalt des aktuellen Präsidenten Dr. Thomas Goppel. Es ist nun auch in unverständlicher Nibelungentreue der Vorstand des bayerischen Tonkünstlerverbandes. Als in Bayern wirkender Komponist, Festivalmacher, Verbandsengagierter, Tätiger in der Erwachsenenbildung, ja, einfacher Klassikhörer bin ich zutiefst entsetzt!

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Statt nach der BR-Rundfunkratssitzung vor knapp zwei Wochen zur Resignation zu stehen, trotz der bisher erfolgreichsten Petition zum Erhalt von BR Klassik auf seiner jetzigen UKW-Welle, werden hastig die Pro-Argumente für PULS auf UKW zu klassikeigenen Zukunftskonzepten von Musikrat und Tonkünstlerverband schön formuliert. Dr. Goppel hat seine Rolle als Landesmusikratschef und damit „geborenes Mitglied“ des Rundfunkrats, vergessen und mit seinen CSU-Landtagskollegen, er selbst Landtagsabgeordneter, gegen den BR-Klassik-Wellenerhalt votiert. Das führte dazu, dass Herr Prof. Helmschrott, nicht geborener sondern gewählter Komponistenverbandsdelegierter im Rundfunkrat, der die Monate zuvor mit Dr. Goppel und vielen anderen für den Wellenerhalt focht, sowie die Redaktion der NMZ deutlich seinen Rücktritt einforderten.

Das Verhalten von Dr. Goppel hat mich eine andere Gelegenheit erinnert. Als Politiker mag er für seine Ansichten einstehen, was zu akzeptieren ist. Als Verbandspräsident ist er aber nicht nur seinem Gewissen, sondern den Tausenden Menschen verpflichtet, die er qua Musikratsamt zu vertreten hat. 2012 nahm er Phrasen sprach er über „ganz natürliche Grenzen“ bei der Gleichwertigkeit von Lebensgemeinschaften, welche sich aus den „Qualitätsunterschieden bei der Bestandssicherung“ ergäben. Das sein Invektiv als CSU-Mitglied gegen die Gleichstellung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft. Damit vergass er damals seine vielen sehr wohl im Musikrat vertretenen homosexuellen MusikerInnen, damit verletzte er empfindlich das Vertrauen der schwulen und lesbischen Laiensänger des Bayerischen Sängerbundes – letztere wurden dezidiert durch den Sängerbund in seine Reihen eingeladen, womit diese riesige Musikratuntergruppierung eine unvergleichliche Fortschrittlichkeit entgegen der anderer Bundesländer bewies. Als ich ihn dafür hier im Badblog kritisierte, berief er sich auf sein Gewissen, hatte kein Verständnis für die Unvereinbarkeiten, die solch ein Rollenwechsel von Verbandschef zu Politiker auslöste. Legt man 2012 in 2014 psychologisch aus, so hat er vor zwei Wochen wiederum nicht als Chef des Musikrats sondern als Freund seiner CSU-KollegInnen gegen den Inhalt seiner eigenen Petition gestimmt.

Dieses Verhalten wird mit umformulierten Argumenten der BR-Klassik-UKW-Gegner verbrämt. 1.) Die Gegner sagen: „Gut die Hälfte der BR-Klassik-Hörer schalten nicht das UKW-Radio ein, sondern hören die Musik im Netz oder auf DAB, wo sie von besserer Klangqualität profitieren.“ Mit dem Musikrat sagt der Tonkünstlerverband: „Die Netzabdeckung von DAB+ entspricht der Netzabdeckung von BR-Klassik. Sie wird von einem unabhängigen Gutachten verifiziert.“ Es wird vergessen, dass die meisten BR-Klassik-Hörer gerade z.B. im Autoradio bisher UKW treu blieben, um auch andere Sender zu empfangen. Und wenn ein Hörer anderer UKW-Sender per Zufall oder bewusst auf BR Klassik schaltet, wird er es 2018 nicht mehr tun können.
2.) Die Gegner sagen: „Der Bayerische Rundfunk intensiviert seine Bemühungen, um gemeinsam mit der Automobilindustrie eine bessere DAB+-Geräteausstattung in Autos zu erreichen. Hierbei soll auch die Ministerpräsidentenkonferenz entsprechend eingebunden werden.“ Musikrat/TKV: „Mit der Autoindustrie wird daran gearbeitet, dass Neuwagen mit digitalen Radios ausgerüstet werden.“ Das klingt ambitioniert. Ob die Ministerpräsidenten sich aber genauso für die Nische „mehr in Deutschland produzierte Musik in unserem Rundfunk“ wie für „DAB+ taugliche Autoradios in Neuwägen vor allem für BR Klassik“ stark machen wird? Im Falle der ersten Nische geschah: nichts. So wird auch im Falle von BR Klassik nichts passieren. Im Gegenteil ist das Wasser auf die Mühlen der Prediger einer nicht mehr staatlich oder rundfunkgebührenfinanzierten Klassikpflege, da dies mehr als deutlich das angeblich Elitäre der Klassik unfreiwillig unterstreicht. Oder verkürzt: PULS-Hörer fahren Gebrauchtwägen oder Fahrrad.
3.) Gegner: „Der Bayerische Rundfunk (BR) ist die einzige regionale Sendeanstalt der ARD, die ihren Jugendsender ausschließlich digital verbreitet.“ Musikrat/TKV: „Der Bayerische Rundfunk leitet eine Informationskampagne ein, deren Ziel es ist, dass möglichst alle BR-Klassik Hörer über die Umstellung informiert werden und in die Lage versetzt werden, digitales Radioprogramm zu empfangen.“ Die Jungen sind die digitale Erreichbarkeit von PULS gewohnt, es gibt sogar eine PULS-App, also ist da noch viel Pixelluft nach oben. Allen das Wort „möglichst“ im Satz des Musikrat/TKV beinhaltet die Tatsache, dass eben nicht alle Klassikhörer digital erreicht werden können, dass solch eine Kampagne es sehr, sehr schwer haben wird. Oder wird der BR allen Klassikfans Digitalradios schenken? Aber bitte nicht vergessen: war der digitale Satellitenempfang Ende des letzten Jahrhunderts, jetzt längst aufgrund der damals viel zu hohen Investitionen eingestellt, eine Qualitätsverbesserung wird die Datenkomprimierung bei DAB+ sogar geringer als die auf UKW sein, also auf alle Fälle eine Verschlechterung eintreten. Autofahrer werden dahingehend eher neue Adapter für ihren mp3-Stick mit der selbst gewählten Komprimierung von 320 kBit/sec. statt nach heutigem Standard nur 128 kBit/sec. Kaufen.
4.) Gegner: „PULS ist werbefrei.“ Musikrat/TKV: „Das Programm Puls ist nicht kommerziell und hat einen hohen Wortanteil.“ Nur: gut abgeschrieben!
5.) Gegner: sagen nichts, aber Fakt ist, dass PULS relativ kompakt am Wochenende die ganze Nacht hindurch zu Gast auf der UKW-Welle von Bayern 3 ist. Musikrat/TKV: „Programme mit Klassik werden als „Links“ zum digitalen BR-Klassik nicht nur über Bayern 2, sondern bei Jugendsendungen auch über „Puls“ oder bei Sendungen mit populärer Klassik über Bayern 1 gesendet.“ Bisher hat BR Klassik seine eigene UKW-Welle, ist zudem per Kabel, DAB+ und Internet zu empfangen: kompakte Präsenz als ein Label auf vielen Verbreitungswegen als beste Eigenwerbung. Wie kann es der Ernst eines Musikratspräsidenten und seines Tonkünstlerverbandsvorstandskollegen sein, die Zerfledderung der kompakten Welle im Rundfunkleitmedium UKW-Welle auf viele Sender als Zukunftsbonus aufzufassen, wo sich der absolute Malus verbirgt, was jeder des Lesens und Verstehens mächtige Mensch sofort begreifen dürfte?
6.) Die Gegner sagen: „Für den Ausbau von BR-Klassik im Netz („virtuelle Concerthall“) und auf DAB stellt der BR übrigens extra Geld zur Verfügung. Live-Konzerte sollen außerdem weiterhin auch auf UKW empfangbar sein (auf Bayern 2)“. Mit dem Musikrat sagt der Tonkünstlerverband: „–“. Ist laut Rundfunkstaatsvertrag und bayerischen Rundfunkgesetz ein Wellentausch vom digitalen ins analoge und umgekehrt nur dann möglich, wenn keine Mehrkosten entstehen? Das sagen klar die Gegner, wobei es nur die der PULS-PRO-Petition klar ausdrücken, nicht die Wellentauschbefürworter im Rundfunkrat, die Kostenneutralität versprechen. Dazu sagen die Privatradios einiges. Bayerischer Musikrat und Tonkünstlerverband schweigen sich dazu aus, erwägen nicht einmal eine Klage aufgrund dieser sich höchstwahrscheinlich abzeichnenden Kostenfrage auf Einhaltung von Recht und Gesetz, was BR Klassik zumindest auf UKW erhalten würde.

Statt in aller Ruhe in die Zukunft ganz im Sinne ihrer Mitglieder zu planen, geben die Verbandschefs auf oder lassen sich vom Musikratspräsident vor ihren Karren spannen statt zumindest erst mal ein wenig schlau abzuwarten. So heisst es in der Pressemitteilung vom 28.07.14 des Bayerischen Tonkünstlerverbandes: „Der Tonkünstlerverband Bayern dankt dem Bayerischen Musikrat und seinem Präsidenten Dr. Thomas Goppel für den großen Einsatz zum Erhalt von BR-Klassik. Er genießt das volle Vertrauen des Tonkünstlerverbandes Bayern, der sich deshalb von Rücktrittsforderungen distanziert und dem Bayerischen Musikrat seine volle Unterstützung zusagt.“ Dazu fällt mir nur ein: Not in my name! Und genauso nicht im Namen einer Vielzahl Ihrer Verbandsmitglieder. Der einzige mögliche Weg: Wenn schon nur noch DAB+, dann für ALLE Wellen des BR Rundfunkprogramms!

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Komponist*in

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Eine Antwort

  1. 30. Juli 2014

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