Ich glaub‘, mich tritt ein Pferd – B.A. Zimmermanns „Die Soldaten“, Salzburger Festspiele 2012

„Wanderer kommst Du nach Salzburg, pflege Deine Rituale!“ So gedacht und gehandelt habe ich vor zwei Tagen, nachdem ich meine sündteure Billigplatzkarte für die Aufführung der Oper „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann abgeholt hatte: Im Toscaninihof hinter dem Festspielhauskomplex verzehrte ich wie immer, wenn ich in einem August mal zu einer Generalprobe oder Aufführung der Festspiele in die Nachbarstadt flitzte, meine „Frankfurter mit Kren“ gefolgt von einem Stück Marillenkuchen. Überhaupt „flitzen“: ja „früher war Alles besser“ – so denke ich jetzt auch schon! Vor gut 5 Jahren konnte man Salzburg gegen 23 Uhr noch mit dem Regionalticket für Bayern und einem D-Zug-Aufschlag für den sog. „Orientexpress“ am gleichen Abend verlassen. Jahre später gab es noch einen Nachtzug zur selben Zeit mit nun 20 Euro Nachtzugaufschlag, heute gibt es nicht einmal mehr diesen, so dass man rechtzeitig eine Übernachtung buchen muss. Ich kann von Glück reden, dass ich nach der erstandenen Eintrittskarte noch ein Zimmer fand, Dank eines Geheimtipps. Sonst hätte ich bis halb fünf Uhr morgens im Salzburger Nachtleben durchmachen müssen. Wo war ich? Ach, im Toscaninihof. Dort riecht es immer so schön nach salziger Luft, die aus dem Berg strömt. Plötzlich roch man gar nichts mehr, raunten die Gäste eine Stufe leiser: „Da kommen sie“! Ich sass mit dem Gesicht zu Berg, so dass ich nur das Warnsignal eines rückwärtsfahrenden Transporters hörte. Was interessiert mich dies überhaupt, gibt es doch all die herrlichen Bühnenarbeiter, Sänger und Sängerinnen und Statisten durchzuforsten, die in dieser heimlichen Kantine sitzen. Nun änderte sich auch noch die Luft, der Salzgeruch war weg. Es roch nach Mist! Und da hörte man sie schon, die Stars des Abends: die Pferde, die an diesem Abend noch permanent in der Felsenreitschule herumgeführt werden sollten. Vergeblich wartete nun der Tourist in mir, der Foto knipsend dabei sein wollte, wenn die Viecher zur Bühne geführt würden. Aber ich musste ja noch flugs mein Zimmer einnehmen.Auf dem Rückweg zum Festspielhaus benutzte ich einen Bus, der seltsame Umwege fuhr. Wohin man nun blickte war abendliches, feierlich aufgedonnertes Festspielpublikum unterwegs: Die Männer in dunklen Anzügen, die Weiber mit seltsamen Roben, etlichen Klunkern und haarspraygefestigten Frisuren, dass der Kapuzinerberg dagegen wie Schaumstoff wirkte. Wollten die alle zu den „Soldaten“? Ich mit schwarzer Jeans und grob gelb-grau-kariertem weissem Sommerhemd mal war mal wieder vollkommen unter Niveau gekleidet. Aber bei der Hitze doch angenehmer als all die anderen Herrschaften gekleidet. Ich kam mir also vor, als pilgerte das Publikum in eine österreichische hochherrschaftliche Operette oder Schnitzleraufführung oder Raimundwiederentdeckung oder Klimtgedenkveranstaltung. Das wird später noch eine Rolle spielen!

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Als einer der Ersten im Saal, der Felsenreitschule, hatte ich genügend Zeit mich ein wenig umzuschauen: vor dem Parkett, der Orchestergraben, den der Dirigent nur über eine Türe betreten kann, nachdem er erst auf glühenden Kohlen direkt vor den ersten Reihen im Parkett seinen Weg dorthin genommen hat. Auf der rechten Seite zwischen Bühne, Graben und Parkett zwängten sich etliche Schlagzeuger, Harfen, eine Gitarre, zwei Orgeln. Links eine Jazzcombo und noch mehr Schlagzeug wie Bläser. Auf der Bühne trennten Kulissen-Torbögen mit mal geöffneten oder jalousienverhüllten Fenstern die enge Vorderfront von der originalen Tiefe der Bühne ab, die im Hintergrund durch natürlichen Fels begrenzt wird, in dem immer schon Bögen für die Erzbischöfe und ihre Entourage eingelassen waren, als die den Reitspektakeln in jener Felsenreitschule zusahen. Ach, denkt man da nicht sogleich an die Lippizaner-Vorführungen der Wiener Neujahrskonzerte mit den Wiener Philharmonikern, die an diesem Abend ebenfalls aufspielen sollten? Das ließ wohl den Regisseur Alvis Hermanis genauso ähnlich denken. Wie gesagt, ihn interessierte wohl, unbedingt im alten Pferderevuepalast die Gaule wieder mal einzulassen. So thronte in der Mitte der Kulissenbögen das dreiköpfige Pferdegesicht des Felsenreitschulwappens, das wiederum schnell an die Pferde der Quadriga des Brandenburger Tors denken liess. Vor der Kulisse links und rechts Stühle, ein Stockbett, ein, zwei in die Jahre gekommene Sofas samt Sesseln und in der Mitte ein drehbarer Glaskasten, der an Dusche oder Peepshow erinnerte. Also wohl ein Einheitsbühnenbild. Na ja. Die Musik dafür zu grössten Teilen endlich mal komplett live statt wie so oft in Opernhäusern von aussen eingespielt.

Das Publikum plauderte fröhlich über das Wetter, wurde auch nicht wirklich ruhig, als das Orchester bei bereits anwesenden Dirigenten Ingo Metzmacher stimmte. Ruhig wurde es erst mit dem ersten Paukenschlag und der Totalattacke des Präludiums, das immer noch schockieren kann. Ich erinnere mich, wie ich als Zwölfjähriger daheim zum ersten Male die Schallplatte der Kölner Uraufführungsproduktion auflegte, als meine Eltern mal ausser Hause waren. Bis dahin war mir diese Schallplatte mit den merkwürdigen schwarzweiss Bildern von verdrehten Frauen und Galgenseilen auf dem Cover immer ein wenig suspekt gewesen. Sie stand wohl deshalb daheim, weil mein Vater damals in Köln mitgewirkt hatte. Als ich sie also das erste Mal startete, ganz vorsichtig den Tonarm aufsetzen liess, Alles quasi heimlich und mit Bedacht. Was für ein krasser Moment, als das Präludium einsetzte! Als ob man die Gläser der Wohnzimmervitrine in einem zerschlagen würde und sofort immer wieder eine neue Vitrine bereit stünde. Ich machte den Plattenspieler sofort wieder aus. Ich traute mich erst wieder, als ich alle Türen und Fenster fest verschlossen hatte und auf dem Hausgang auch wirklich keiner zu hören war, nochmals und dann in ganzer Länge diese vollkommen andersartige Musik abzuspielen, die ich bis dahin kannte. Seitdem hat sich die Faszination für dieses Werk gehalten. Und so war dieser Salzburgbesuch mein erstes Liveerlebnis dieser Oper.

Musikalisch wurde dieses auch erstmal ein Ereignis. Man merkte schon zu Beginn, dass Metzmacher daran gelegen war, das Stück so präzise und konsequent und darin gewaltig umzusetzen, wie es die Noten einfordern. So herrschte ein Riesenklangrausch, besonders wenn Orgeln, Schlagzeug, Blech und Streicher zwölftönig wie polystilistisch die Felsenreitschule erbeben ließen. Wie verrückt dreht sich der Kopf dann in der Flamenco, Tassen und Jazzcombo-Szene. Das ist von jeder Tonkonserve her nie befriedigend erlebbar. Das war in Salzburg in den ersten drei Akten der reine Wahnsinn. Im Gegensatz dazu dann immer wieder diese extrem zarten Concerti von Harfen, Gitarre und tonalem Schlagzeug, die dann so richtig pervertiert werden, wenn die Gräfin La Roche mit ihrem Diener sich über den verspäteten Sohn unterhält, was jede Sopranistin extrem schneidende Töne gegen das Gezirpe der Musiker setzen lässt. Der gesangliche Hammer, kräfteeinteilend wie auch wieder lyrisch dann das Terzett jener Gräfin und der Töchter Wesener, Marie und Charlotte, wo man immer an das Rosenkavalierterzett denken muss. Wenn Gabriela Benackova als Gräfin ihr „Werden sie meine Gesellschafterin“ förmlich herausschreit, sind der Faszination für die Sängerinnen keine Grenzen mehr gesetzt. Überhaupt verdienen die Marie von Laura Aikin, die Charlotte von Tanja A. Baumgartner, die alte Mutter Wesener von Cornelia Kallisch und Stolzius Mutter Renée Morloc grösste Hochachtung. Wie sie die traditionellen Teile dieser Oper singen, also all die Kammerspiele, zeigt die Qualitäten Zimmermanns als Komponisten, der tatsächlich Strauss und Berg nachfolgte. Ist es da nicht bemerkenswert, wie Christian Thielemann für diese Traditionslinie in seinem Zeit-Interview, nur wieder Henze in dieser Nachfolge sah und vergeblich nach jungen Komponisten in seiner Linie Ausschau hielt – wenn man ihm das recht glauben darf? Die Salzburger Produktion wiederum proklamierte den Glaubenssatz, dass das Stück letztlich über die Strauss-Berg-Linie nicht hinausgehen muss!

Für ihre Version besonders des vierten Aktes berufen sich Hermanis und Metzmacher auf den immer wieder selbstzweifelnden Komponisten Zimmermann, der die Handlungspluralität in der ersten Szene dieses Aktes wie die Schlussszene mit dem Atompilzbild immer wieder hinterfragte. Dies führte in Salzburg nun nicht zu einer neuen Materialgenese, die über die atomare Katastrophenangst hinausgehen würde. Man entschied sich, lieber diese Problemfelder wegzulassen. Das führte dann aber gnadenlos in den Orkus der Inhaltsleere! Grundsätzlich problematisch war es, das Stück, welches Jakob Lenz ganz aus den zu durchbrechenden Konventionen des späten 18. Jahrhunderts moralisch wie sprachlich aufbaute, in die Zeit zwischen 1850 bis 1920 anzusiedeln. Gerade der soziale Verfall Maries durch die Soldatenhierarchie als Hure und die gerade noch versuchte Rettung durch die Gräfin La Roche war eher im 18. als im 19. Jahrhundert denkbar, wo im Zeitalter nach den ersten Revolutionen gerade der Adel sich nie die Blösse gegeben hätte, eine gesellschaftlich Gefallene derartig prominent in ihre Familie aufzunehmen. Da war das 18. Jahrhundert moralisch beweglicher als das 19.! Im Vergleich zu Zimmermanns atomarer Endzeitstimmung ist die Giftgasreduktion wiederum der falsche Schritt in die Vergangenheit. Wenn der Stolzius von Tomasz Koniecny seinen Konkurrenten Desportes (Daniel Brenna) beim Mahl mit Haudy (Matjaz Robavs) und sich selbst mit der Suppe vergiftet, die Musik beide drastisch Abschied von der Welt nehmen lässt, befiehlt der Regisseur dem gesamten Männerensemble – das übrigens genauso hervorragend wie die Frauen sang – tot umzufallen und nimmt sich damit die Möglichkeit, Zimmermann gemäß die Soldaten alle in den Tod marschieren zu lassen, was in seiner kompositorischen Originalität drastischer gewesen wäre, als jener Suppenkasperlmoment.

Den inhaltlichen wie musikalischen Untergang erlebt die Produktion aber bereits mit Beginn des Vierten Aktes. Statt Filmisch oder szenisch all die Lenzschen Miniszenen, die Zimmermann zu einer einzigen Hpyertrophie kompilierte, auf das Publikum einstürzen zu lassen, passiert nichts. Das Ensemble sitzt ruhig auf der Bühne und führt diese Szene rein konzertant auf. So wurden „Die Soldaten“ auf eine adrett zusammengekürzte Literaturoper heruntergedimmt. Zwischen der Aufnahme Maries im Hause der Gräfin und ihrem endgültigen Abstieg klafft ein Loch. Wie oben beschrieben, kommen die Männer noch schnell zu Tode, um dann gleich in den Schluss einzuschwenken: Dieser ist auf das Nichterkennen seiner eigenen, gefallenen Tochter Weseners (Alfred Muff) reduziert. Der gebetrezitierende Eisenhardt (Boaz Daniel) steht in den fürstbischöflichen, hohen Säulengängen der Felsenreitschule, Marie sitzt auf der Pseudoquadriga, nachdem sie sich aus einem Heuhaufen herausgearbeitet hat, und der Papa versinkt seinerseits in Starre. Kein apokalyptisches Endzeitspiel, einfach das Ende eines Familiendramas, das bei Lenz noch als Komödie enden würde. Die tragische Überhöhung dieses Stoffes durch Zimmermann, seine zeitlose Gültigkeit, wird reduziert auf ein Kammerspiel mit herumgeführten Pferden, ungeklärter Psychologie und gedeckten Farben der vorletzten Jahrhundertwende, die so an die gedeckten Farben des Festspielpublikums anknüpfte. So musste dieses nicht weiter nachdenken, feierte einen „gelungenen Festspielabend“, konnte sich bei der Pizza danach in Floskeln von „beeindruckende Sängerleistung“, „endlich Pferde in der Felsenreitschule“ und „gewöhnungsbedürftige Musik“ einlullen. Statt Endzeitspiel wurde eine Nettigkeit zwischen Raimundtheater, Schnitzlerdrama, Klimtgedanken und sogar Hanni und Nanni aus dem gewaltigen Werk des Pluralisten Zimmermann. Wie hervorragend hätte man all die viel einfacheren heutigen Techniken einsetzen können, stattdessen gab es nur verschämte pornografische Darstellungen aus der Frühzeit der Fotografie zu sehen, wurde dieser Vitrinenkiller auf ein Hors d’oeuvre für das post-performative Schnitzel beim Tomaselli reduziert.

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Eine Antwort

  1. Schöner Text, danke :-)