Olgas Verweigerung

Und wieder einmal ist Trauriges um die Uraufführung einer neuen Oper zu berichten: Olga Neuwirth hat sich öffentlich von der Inszenierung ihrer neuen Oper „The Outcast“ distanziert, die gerade eben in Mannheim stattfand und heute in den Tageszeitungen besprochen wird. Die Komponistin erschien dann auch – konsequent – nicht zur Uraufführung.

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Als Kollege der Olgas Arbeit sehr schätzt finde ich es wichtig, hier ihr komplettes Statement dazu (von ihr gepostet auf Facebook) zu bringen:

„Der Grund meiner Abwesenheit bei der Premiere meiner neuen Oper THE OUTCAST nach Herman Melvilles Leben und Werk in Mannheim gestern. Die Misshandlung auf allen Ebenen ist schwer zu verkraften. An dem Stück habe ich 5 Jahre gearbeitet. Und auch wieder: armer Herman Melville!

Hier mein offizielles statement:

„Da ich, wie ich glaube, eine professionelle Komponistin bin, die seit 25 Jahren in diesem Business international tätig bin, habe ich auch erwartet, daß meine Wünsche zumindest angehört werden und mir eine kooperative Zusammenarbeit ermöglicht wird. Darunter verstehe ich, dass ich gerade bei einer Uraufführung ein Mitspracherecht bzw. Mitüberlegen habe was Regisseur, Bühnenbild, Sänger, Chöre und Tontechnik betrifft, damit die Bedingungen für ein neues Musiktheater zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst werden können.
Ich wurde aber in die meisten Entscheidungen nicht eingebunden und auf Einwände und Vorschläge – auch während der Probenzeit – wurde nicht gehört bzw. ich wurde nie nur ein einziges Mal vom Regisseur gefragt, was wir uns bei THE OUTCAST gedacht haben. Die beiden Librettisten (Anna Mitgutsch und Barry Gifford) und ich, die dieses neue Musiktheater kreiert habe, wurden einfach mißachtet. Ich bin nicht nur empört über den Umgang mit Künstlern, sondern auch enttäuscht. Natürlich ist Oper eine gemeinsame Kunstform und ich möchte auch die Freiheit der Anderen nicht einschränken, da ich für jede Diskussion offen bin. Ich bin aber gegen die Missachtung und Entmachtung unseres Werkes. Stillschweigende Enteignung finde ich unmoralisch. Wir fühlen uns um unseren Beitrag betrogen.
Man hat unsere Ideen so lange verdreht, bis die Handlung und Aussage des Dramaturgen und des Regisseurs so über unsere gestülpt wurde, bis sie ihrer geistigen Augenhöhe entspricht, und das sehe ich als Falschmünzerei an. Das ist für mich die reine Verachtung des Schöpferischen.
Ich behaupte nicht, dass alle nicht fleißig und engagiert gearbeitet haben, aber besänftigen kann mich das kaum, versöhnen schon gar nicht.
Obwohl auf meine Bitten und Einwände so gut wie nie reagiert wurde, weiß ich aber, daß ich juristisch leider machtlos bin und daher sah ich keine andere Möglichkeit mehr, als mich nach der Generalprobe zurück zu ziehen.“

( Olga Neuwirth, Berlin den 25.Mai 2012)

Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas vorkommt, und auch nicht das erste Mal, dass eine Komponistin beteiligt ist. Manch einer erinnert sich vielleicht an die nach allen Regeln der Kunst missratene Inszenierung des sonst so verlässlichen Achim Freyers von Unsuk Chins „Alice in Wonderland“ (die sich ähnlich wie Olga äußerte, sich dann aber doch zum Verbeugen überreden ließ).
Und es fallen einem spontan mehrere Beispiele ein, bei denen sich die Zusammenarbeit zwischen Regie und Komposition äußerst schwierig gestaltete und es entweder zu einem richtigen Eklat oder zumindest zu großen Verstimmungen innerhalb des gesamten Teams kam. Mir selber ist das auch schon einige Male passiert, keine Frage.

Dass so etwas passieren kann überrascht nicht unbedingt. Oper ist einerseits eine hochartifizielle wie auch emotionale (im Idealfall) Kunstform, die von allen Beteiligten alles abverlangt sowie unbedingte Hingabe und große Disziplin erfordert. Da liegen die Nerven oft blank, und Sänger werden nicht selten auf der Bühne ohnmächtig (wie bei Enno Poppes „Robinson“-Oper vor kurzem in München) oder kurz vor der Premiere krank. Die Zahl der Einspringer und der „Last-Minute-von-der-Seitenbühne-Einsinglösungen“ ist bei Uraufführungen übrigens nachweislich viel höher als bei normalen Premieren. Komponisten und Librettisten sind dabei in diesem Arbeitsprozess oft so beliebt wie Architekten auf der Baustelle, sprich: eher gar nicht.

Dennoch ist es wie ich finde sehr ärgerlich, wie Komponisten im Zusammenhang solcher Eklats dann später von der Presse dargestellt werden, die sich meistens automatisch – warum eigentlich? – auf die Seite der Regie, also der Interpreten, nicht Schöpfer stellen. So las man kurz nach Olgas Statement Überschriften wie „In der Schmollecke“, eine ganz und gar unpassende Zustandsbeschreibung einer Komponistin, die über der Verhunzung eines Werkes verzweifelt, an dem sie 5 Jahre hart gearbeitet hat. „Schmollecke“, das klingt nach Grundschule und Kindergeburtstag, das hat eine erfahrene und seriöse Komponistin wie Olga nicht verdient, es ist unwürdig.

Gerhard Koch wiederum rätselt in der FAZ darüber, was die Regie (Michael Simon) denn nun eigentlich falsch gemacht hätte. Er beschreibt, wie in manchen Szenen von „The Outcast“ Schilder mit Anti-Wall-Street-Parolen hochgehalten werden, und dass das doch irgendwie zu Melville passen würde. Nein, lieber Gerhard Koch, ich kann mir allein schon von der Beschreibung ganz gut vorstellen, dass das nicht gepasst hat, und auch die Überschrift „Wal, Wahn, Wallstreet“ (höhö, hüstel) möchte ich als Olga Neuwirth nicht lesen, wenn es mir eigentlich um etwas ganz anderes ging, und dies wahrscheinlich nur eine Regieidee darstellte, die man bei irgendeiner Kantinensitzung mal ganz lustig fand.

Aber es wäre unangemessen, wenn ich hier jetzt – aus der Ferne, denn ich habe die Premiere nicht gesehen – die Regie anschwärze. Olga wäre ein detailliertes und kleinliches Auflisten der „Regievergehen“ gegen die Ideen von ihr und ihren Librettisten nicht unbedingt gut zu Gesicht gestanden (deswegen hat sie es unterlassen), aber nur nach einer solchen Auflistung könnte man die Problematik wirklich beurteilen. Ich finde es nicht problematisch, dass das Regieteam eigene Ideen entwickelt, die sich dann auch von denen Olgas unterscheiden können. Das kann ja – im Idealfall – auch eine positive Überraschung sein. Ich finde es aber sehr problematisch, wenn Olga hierbei nicht einbezogen wurde (und ich möchte ihr hier jetzt einmal glauben, dass dies so war).

Es fällt in solchen Situationen immer wieder auf, dass die Komponisten (und – man muss es fairerweise sagen: auch die Librettisten) hier in der Rangordnung ganz hinten erscheinen: definitiv hinter dem Intendanten, Regisseur und Dirigenten, hinter den Sängern, hinter den Wünschen des Chores, der Orchestermitglieder usw…. ja wahrscheinlich hat jeder Opernpförtner mehr tatsächlichen Einfluss auf eine Inszenierung als die Schöpfer des Werkes – wenn es schlecht läuft, wohlgemerkt.

Wenn es gut läuft ist – und das hat Olga in ihrem Text ganz richtig beschrieben – Oper eine dezidierte Gemeinschaftsarbeit, in der sich jeder ein Stück weit zurücknehmen muss, damit etwas Wunderbares herauskommt. Und das kann gelingen.

Leider wird diese einfache Wahrheit der Notwendigkeit eines guten „Teams“ – obwohl so einleuchtend, so klar, so zwingend – immer wieder vergessen. Und immer wieder kommt es vor, dass Regisseure das Gefühl haben, sie müssten sich durch das Gegenteil dessen behaupten, was eigentlich mal intendiert war.

Moritz Eggert

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3 Antworten

  1. Stefan Drees sagt:

    Lieber Moritz,

    ich bin froh, dass du dich dieser Sache so differenziert annimmist. Da ich die Partitur genau studiert habe – ich musste einen einführenden Text für das Programmbuch schreiben – und die Uraufführung gesehen habe, kann ich vielleicht die eine oder andere Beobachtung dazu beisteuern.

    Zunächst einmal schien es mir, als habe der Regisseur sich überhaupt nicht mit der Musik befasst. Hätte Michael Simon sich – wie ich dies tat – die Samples angehört und die dazu gehörenden Passagen angeschaut (was man von einem Regisseur eigentlich erwarten sollte), hätte er beispielsweise bemerkt, dass die Oper mit einem akustischen Zoom beginnt: Der elektronische Klang entwickelt sich im Außenraum zu einem stimmähnlichen Moment, geht in den ersten Einsatz des Knabenchores über, der – so die Anweisung – sich ÜBER der Bühne befinden soll und endet im ersten Auftritt der Protagonistin, zentriert AUF der Bühne. Eine grundsätzliche Entscheidung des Regieteams war es jedoch, die vorgesehene Platzierung des Knabenchores zu ignorieren, was zur Folge hatte, dass man solche klangräumlichen Elemente – sie spielen immer wieder eine Rolle – nicht mehr wahrnehmen konnte und die klangliche Präsenz dieser Vokalgruppe zu einem permanenten Problem wurde. Denn die Knaben sagen häufig hinter der Bühne, so dass sie verstärkt werden mussten, was klanglich nicht funktionierte, weil der Gesangt über die Lautsprecher kam, die eigentlich anderen Klängen vorbehalten waren, woraus eine oft diffuse Wirkung resultierte. Diese Lösung wählte man – so meine Vermutung – wahrscheinlich auch, weil die Ausführung, obgleich von den Anforderungen nicht übermäßig schwer, extrem schlecht war, so schlecht, dass man, wie ich zu hören glaubte, statt Knabenchor gelegentlich sogar Stimmensamples einspielen musste – eine Lösung, die mit Sicherheit nicht im Sinne der Komponistin gewesen ist, die den Knabenchor permanent visuell präsent haben wollte. (Wie Kehr übrigens während seine Premierenfeieransprache feierlich verkündete, war der Knabenchor erst für diese Produktion „gegründet“ worden; für mich klang es eher wie zusammengewürfelt – die Kriterien bleiben unklar.)

    Die Missachtung dieser zoomähnlichen Wirkungen war für mich um so erstaunlicher, als man ja im Vorfeld in den Pressetexten damit geworben hatte, dass Olga Neuwirth vom Film beeinflusst ist. Dann muss man jedoch auch damit rechnen, dass solche Elemente eine Rolle spielen und darf sie nicht ignorieren. In der Praxis wurden jedoch genau solche Momente wegretouchiert, und zwar auch dort, wo es um die (mit dem Orchestersatz verschränkte) visuelle Abgrenzung von der an Moby Dick angelehnten Handlung und der zweiten, mit der Gestalt des Old Melville verbundenen Ebene ging. Anstatt diese beiden visuell voneinander abzugrenzen, war die Bühne fast ständig voll ausgeleuchtet, was es schwierig machte, die unterschiedlichen Realitätsräume von der Inszenierung her auseinanderzuhalten. Simons Lesart der Melville-Sprechrolle, bei Neuwirth mit einer zusätzlichen installativen Komponente versehen – dem verstärkten Kratzen einer Schreibfeder auf Papier – machte den alternden Schriftsteller zu einer eher ziellos auf der Bühne herumtollenden Figur, so dass der bei Neuwirth klanglich einbezogene Schreibakt als eigene Klangschicht völlig entfiel. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass die Sprechpassagen durch Konzentration auf die Sprache und weniger Aktion gewonnen hätte; stattdessen wirkten sie oft nur peinlich.

    Andere Probleme resultierte aus den üblichen Regiespielereien: Da drehten sich beispielsweise die Bühnenaufbauten, während die Sänger in eine Richtung sangen, d.h. es änderte sich ständig die Abstrahlrichtung der Schallquelle, was zu wirklich seltsamen Wirkungen führte. Und schließlich wurden die Anspielungen an Wallstreet und Kapitalismus, die lediglich einmal kurz anklingen, von der Regie zum Grundthema des Stückes ausgewälzt: Da prangten überall politische Parolen, Spruchbänder wurden hochgehalten und der agitatorische Holzhammer geschwungen. Und dass schließlich – unabhängig von der Regie – der 24-stimmige Männerchor nicht so recht überzeugte, war dann noch das i-Tüpfelchen.

    Soweit in Kürze wenigstens einige Punkte zur Klärung des Sachverhalts aus der Sicht eines Musikwissenschaftlers, der die Partitur sehr gut kennt.

    Beste Grüße
    Stefan

  2. Alexander Strauch sagt:

    Lieber Stefan Drees, Danke der Infos für uns Nicht-Dagewesene! Wie Moritz – Danke für den Artikel – andeutete, kommen beim Musiktheater immer wieder zwei unvereinbar erscheinende Elemente zusammen: Der gesamte Opernapparat, die Ansprüche eines lebenden komponierenden Menschen an sein in oft jahrelanger Arbeit entwickeltem Stück. Das ist künstlerisch beidseitig ungeheuer mächtig, manchmal auch von Komponistenseite sehr dick aufgetragen. Dazu tritt aber noch der administrative, hierarchische Betrieb „Opernhaus“. Wenn dieses System nicht kooperieren möchte, ist die oder der Komponierende ziemlich aufgeschmissen. Irrlichtert dann das Regieteam noch eigenmächtig, förmlich unmusikalisch durch das Stück, bar jeglichen Gedankens an Zusammenarbeit besonders WÄHREND des Probenprozesses und nicht trennend argumentierend in „Musik“ und „Szene“, oder „mag zwar erst komponiert sein, dann komme aber ‚ich‘, die Pompadour Regie“: Hopfen und Malz verloren!

    Wie blöd, dumm, ignorant, unprofessionell, nachlässig, überheblich, borniert, einfältig, maßlos die Riesen-Häuschen immer wieder sind!! Als ob man die Probleme bei Uraufführungen und die gesamte Reaktionsmusterkiste nicht aus der einschlägigen Operngeschichte der letzten hundert Jahre heraus studieren könnte: Man denke an Henzes Probleme, an Nonos Schwierigkeiten, an B.A. Zimmermanns Umarbeitungen, an die causa x, an den Fall y. Nichts Neues! So wankt der gesamte Apparat, wenn man nicht Leichenfledderei an verstorbenen, gemeinfreien Autoren betreiben kann, da versteckt sich das Haus wie das Regieteam gegenüber den Komponierenden hinter Hierarchie, Eingriffsklauseln, nebulösen Meetingabsprachen, etc.

    Das Stück MUSS ja ein kleiner Erfolg werden, sonst kann man den Rest der Intendanz weitere finanzielle Unterstützung für solche Ambitionen seitens der Politik vergessen, ist die eigene Karriere als „zu riskante Besetzung“ gefährdet. So stolpert man in ein Ergebnis, dass dann vom Feuilleton noch schöngeredet wird, die Komponierenden als „schwierig“ abgestempelt werden, auf dass weitere Opernhäuser gar nicht erst das Risiko einer mustergültigen Zweitaufführung wagen. Man denke da z.B. an zarte Versuche des Operndirektors Feuchtner ein paar Kilometer neckaraufwärts in Heidelberg mit den Zweitaufführungen z.B. von Zenders Chief Joseph, die zumindest musikalisch unter Meister mehr überzeugte denn die UA in Berlin (damals auch Kalitzke…). Eigentlich bleibt den Opernhäusern gar nichts anderes übrig, als bei Uraufführungen generell Kompositions-Text-Inszenierungs-Bühnenbildteams zu casten oder bewusst verantwortungsvoll zusammenzustellen, gerade wenn auch am Anfang ungewöhnlicherweise (sic!) die Musik, vulgo Komposition stehen sollte. Die Musik mag manchmal auch erst zum Ende einer Teamzusammenstellung erfolgen. Dennoch sollte es zusammenpassen und ausgewogen sein und, soweit nur möglich, zusammenarbeiten können – für Risiken und Nebenwirkungen kann man niemals eine 100% finanziell sichere Aussage treffen.

    Die Unglücksquote dürfte aber doch erheblich gesenkt sein und die Zufriedenheit – arbeitsrechtlich durchaus ein wichtiger weicher Faktor – allseits einigermassen versöhnlich gestimmt sein. Wenn Operndirektoren und Regie aber wild herrschen, als sei es ein Metastasio-Hasse-Epitaph. In Mannheim wünscht man sich aber nicht einmal eine Urne… Verstreut die Asche, besonders auf Euer Haupt und geht mit Würde von Bord!

    Gute Nacht,
    A. Strauch

  3. wechselstrom sagt:

    Bei den verschiedenen Kunstgattungen ist zunächst die Frage zu beantworten, wer/was die Hauptrolle spielt:
    Beim Roman ist es die Sprache, beim Film ist es die Kamera, in der Architektur ist es der Raum, bei Installationen ist es das Konzept, im Theater ist es das Schauspiel, in der Oper ist es die Musik …
    Fast überall ist ein Regisseur dabei – – was machen diese Leute eigentlich ?