Auf der Suche nach dem Klang – Theater und Tanz auf rodeomünchen 2012

„Wie schön ist doch die Musik, aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist!“ fabulierte Stefan Zweig einmal für Richard Strauss. Man möchte hinzuschreiben, dass dies besonders komponierte Musik meinen sollte. Der Kampf ums Tonsetzen ist gerne so hypertroph inhaltlich wie technisch aufgeladen, dass man manchmal ins Grübeln kommt, ob das nicht am Klassenziel brauchbare Musik in die Welt zu setzen gnadenlos vorbeischrammt, wenn man reinen Klang zwingt, als gelte es den Ring der Nibelungen selbst in Flötensolostücken zu schmieden. Auf der anderen Seite strotzen die öffentlichen Institutionen des Musiklebens immer wieder mit Umsetzungsproblemen, wenn es um die haargenaue Realisierung kompositorischen Willens geht. So dümpelt man lieber manchmal in freien Projekten vor sich hin. Immerhin kommt man eher mit anderen Kunstformen wie dem freien Tanz und Theater in Berührung, die sich auch mit Zeit und deren Gestaltung befassen. Was liegt näher, als einen Ausflug in fremde Gefilde zu unternehmen, gerade wenn diese auf einem lokalen Festival der entsprechenden Szenen wie rodeomünchen 2012 gebündelt werden und musikalisch gestaltete bzw. Produktionen mit Musik einen direkteren und vielleicht darin erst recht dem kompositorischen ähnlich und doch freier strengen Blick auf das Faszinosum Klang wagen.

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Musikgeschichte ins Bühnengewand zu stecken, bemühten sich Autor Andreas Ammer und Musiker Martin Gretschmann alias Console, den manche von The Notwist kennen könnten, mit ihrem Stück „Die Vögel nach Oskar Sala“ (Ausschnitt). Als Material wurden Originalsounds Salas in Wort und Musik aus dem Archiv des Deutschen Museums sowie Interviews mit Alfred Hitchcock zu seiner Motivation Sala mit seinem Trautonium einzusetzen und mit seiner während der Dreharbeiten arg zugerichteten Hauptdarstellerin Tippi Hedren benutzt. Man freute sich auf eine anschauliche Physikstunde in Musikelektronik! Am meisten beeindruckten die Trickfilmsequenzen Anton Kauns, der via Bluescreen-Technik eine Daniels ähnliche Live-Schauspielerin durch zeichnerisch animierte Sets stolpern ließ, die den Originaldrehorten Hitchcocks mit Augenzwinkern nachempfunden waren. Sonst stülpte man dem Originalmaterial eine Lovestory zwischen den Archivmitarbeitern Hitch und Tippi über, ließ die Band lässig leise dazu wummern und verlor sich in Unterhaltungsansprüchen einer öffentlich-rechtlichen Vorabendanstalt. Schade, hätte man das Trautonium auf der Bühne nicht exemplarischer einsetzen können? Es blieb bei ewig geigengleichen Sounds und den Sala-Aufnahmen.

Evelyn Hribersek beauftragte für O.R.pheus – Eine musikalisch-theatrale Rauminstallation“ Ludger Brümmer mit der elektronischen Komposition. Um überhaupt dort hinein zu dürfen, muss man einen eigenen Besuchstermin im Tiefbunker am namenlosen Platz zwischen Elisen-, Luisen- und Sophienstraße vereinbaren. Bevor man allein auf fünfundzwanzig Minuten limitiert eintritt, erhält man ein Smartphone mit Scan-Funktion, das man im Verlauf der Zeit auf bestimmte Muster halten soll, um auf dem kleinen Display eine optische und akustische Veränderung des Raumes auszulösen. Hat man die erste Folienwand durchschritten wird erstmal die Nase gekitzelt: In allen erdenklichen Töpfen, Gläsern, Wannen, ja sogar Spritzen, sieht man eine pinke Flüssigkeit, die kräftig nach Seifenparfüm riecht, besser duftet und zugleich stinkt. Das ist wohl das olfaktorische Versprechen nach ewiger Schönheit der fiktiven Firma „Hermes“, die immer wieder in dieser Installation für ewige Jugend wirbt, wenn man entsprechende Einspieler auslöst. Man bewegt sich durch ein Labyrinth mit medizinischen Mobiliar der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts, kann sich auf einen OP-Tisch legen und in einen Zahnarztstuhl setzen. An manchen Stationen raunt ein Junge im Ohrstöpsel Texte von Verlusten, die Hermessprüche werden von gespielten und gesungenen Swingfetzen zitathaft untermalt, von Brümmer immer wieder in einen unendlichen Hörraum absaufend verfremdet. Aus pinken Raumanzügen blicken plötzlich riesenhafte Augen, tote Gänge erscheinen ad infinitum verlängert. Im Hintergrund immer eine bedrohliche Klangkulisse, als würde gleich was losbrechen, im Ohrstöpsel immer wieder die Hermes-Seditative. Man kommt sich wie ein Eindringling im Hades, auf den elysischen Feldern vor, weiß aber nicht so recht, was los ist, soll verweilen, muss aber weiter. Wo ist Orpheus? Doch da ist die Zeit um und man muß wieder ans Tageslicht. Eine beunruhigende Suche nach ewiger Jugend, perfekt mit einfachen Mitteln durchgestylt. An der wolkenverhangenen Oberfläche scannt man die Passanten immerhin im Kopf weiter, sucht nach Realität und denkt noch ein wenig an das Absaufen des Swings, die einzige erträgliche Präsentation dieses Jazzstils…

In „Abdrücke/Abdrücke folgen“ der Choreografin Anna Konjetzky, die wohl aus Sparsamkeit des Festivals auch Licht, Ton und Video selbst fahren musste, ist im ersten Teil die Tänzerin Sahra Huby in einem Kasten eingesperrt, der von Aussen voyeuristisch einsehbar ist wie eine Peepshow. Die Tänzerin kann aber nicht hinausblicken, sondern sieht nur ihr Spiegelbild. Dieses malt sie zuerst auf weisse und schwarze Papiere, die sie immer öfters durch Schlitze aus dem Kasten ins Publikum wirft. Allmählich zeichnet sie auch im engen Raum weiter, umreisst mit den Händen in allen erdenklichen Stellungen ihre Silhouette in Luft und am Boden. Je aufgeregter sie tanzt, um so mehr beschlagen die Wände und werden nur noch schemenhaft transparent. Schliesslich zeichnet sie in ihre kondensierte Transpiration ihre Umrisse. Das alles ohne Musik. Der einzige Klang ist ihr Körperklang, die Resonanz des Kastens. Diese Sounds werden von Anna Konjetzky simpel gesampelt und geloopt, so dass plötzlich doch eine Ahnung von Musik entsteht, streng dem Klang der Form der Choreografie folgend. Für den zweiten Teil begibt man sich in einen weiteren Raum. Nach einer Umziehpause tanzt Sahra Huby hier nun im offenen Carré eines Tanzbodenrechtecks, misst wieder ihren Körper ab. Wieder der reine Klang der Körperbewegungen, dazu anfangs Einspielungen sich unterhaltender Menschen, ein sich steigender Schlussklang, am Ende statt Körperzeichnungen Pass- und Kontoauszugskopien der Tänzerin auf den sie umgebenden Leinwänden, so dass der Zuseher nun mit ihr in derselben Kiste steckt. Eine besondere Form von Intimität. Dennoch wirkte der erste Teil existentieller, der Klang klarer, so dass man sich einerseits zwar mehr Gedanken über die Nähe im zweiten Teil machte, der erste aber ästhetischer wirkte, gerade wegen der Grenzüberschreitung zur Musik, die rein aus dem Geiste des Tanzes entstand. Wie auch immer, man empfindet Dankbarkeit für diesen Tanz an der Grenzen der Genres.

Der Grenzgänger qua Selbstdefinition ist Alexeij Sagerer. Mit „Weisses Fleisch“ bewegt er sich zwischen heiliger Handlung, Schlachtfest und öffentlicher Exekution. Äusserst klar im formalen Ablauf gegliedert, ohne Worteinlagen, nur der Maschinenklang eines Gabelstaplers, die oft extrem laut verstärkten Schritte, Schnitte und Weißel-Aktionen der beiden Exekutoren auf der schafottähnlichen Holzbühne und deren Loops und Delays sind der Klang, die Musik der Performance, gesteuert von Philipp Kolb. Zuerst wird ein bereits ausgenommenes, hufloses Pferd mit dem Stapler an die Holzbühne herangefahren, zu oberst baumelt der abgetrennte Kopf. Der leblose rote Körper wird sägend und schlagend gesechstelt, die einzelnen Teile an Seilen und Flaschen über der Bühne aufgehangen, wobei der Stapler immer komplett herumfährt, denn es geht nicht der Reihe nach sondern wie auch im weiteren Verlauf diagonal vonstatten. Man staunt und ekelt sich, man holt Luft und denkt an eigene Sägeversuche mit Kalbshaxen im Biergarten. Parallel ist eine nackte Frau auf einer Leinwand zu sehen, die ihren Körper mit weissen Obladen bedeckt. In ähnlicher Reihenfolge werden die Fleischteile nun in grosse Bottiche getaucht, mit weisser Farbe übergossen und gepinselt. Das dauert seine Zeit. Die fertigen Teile werden schaukelnd zurückgelassen, damit die Farbe besser abtropft, das Schlagen von Ketten und Seilen als bleibender Klang, allmählich klar hervortretende Strukturen der weissen Muskeln, manchmal rinnt ein noch ein wenig rotes Blut das Fleisch hinab. Die nackte Frau steigt nun in eine Wanne mit roter Farbe, was wiederum ihren Körper irgendwie klarer werden lässt. Zu guter Letzt wird noch der Kopf des Pferdes weiss. Warum musste nur dieser siebenjährige Traber dran glauben? Wohl zu oft galoppiert, schleicht sich als Gedanke ein. Also ein Ritual, so sehr auch Klarheit herrscht und eigentlich nur ein reiner Ablauf gezeigt wird. Dennoch erhält das ganze eine Ahnung von Archaik und Monstrosität des Tötens und Teilens besonders durch die verstärkten Aktionsklänge, die durch die klare Form kein Soundtrack ist, sondern in ihrer Perkussivität hier Musik aus dem Geist des Opfers entstehen lässt. Man ist in Ruhe gelassen, kein kompositorisches Konstrukt, mehr eine Gebrauchsanweisung der Abfolge der Performanceteile. Und dennoch klingt auch hier etwas nach, entsteht Musikalisches schlichtweg aus Körperlichkeit und denkendem Bewusstsein.

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