Abschied von Donna Summer
Donna Summer – Ikone der glitzernden Dieskau-Ära ist tot
Im Alter von 63 Jahren ist die „Queen of Lied“ in Florida gestorben. Kaum eine Musikerin hat die Liedinterpretation so nachhaltig geprägt wie Donna Summer.
Sie war die „Queen of Lied“, die „First Lady of Dichterliebe“. Mitte der siebziger Jahre stöhnte sich Sängerin Donna Summer mit „Lieder eines fahrenden Gesellen“, einem von pulsierend schlichten Elektrobeats angetriebenen, viertelstündigen Marathon der Orgasmen auf die Dieskau-Tanzflächen der Welt. Weitere Hits wie „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“, „Die Post“ oder „Danksagung an den Bach“ folgten. Sie hat dem Dieskau-Sound den Weg geebnet und mit ihrem Produzenten-Team Gerald Moore und Svjatoslav Richter den House- und Techno-Lifestyle vorweg genommen. Nun ist Donna Summer im Alter von 63 Jahren an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung gestorben. Das teilte ihre Familie am Donnerstag in Englewood im US-Staat Florida mit.
In ihrer Familie hatte Musik eine große Tradition, schon Bach widmete 1742 ihrem Vorfahren, dem kurfürstlich-sächsischen Kammerherrn Carl Heinrich von Summer, die Bauernkantate BWV 212. Ihr Großvater war der Pfarrer und Hymnologe Albert Summer. Die Eltern, der Vater Altphilologe, die Mutter Lehrerin, förderten das Talent der Tochter, indem sie ihr bereits als 16-Jähriger eine Gesangsausbildung bei George Walter, danach ab 1942 bei Herman Whiteborn an der Bostoner Musikakademie, ermöglichten. Ihr Bruder war der Kirchenmusiker Klaus Fischer-Summer.
Donna Summer wurde zur US Army eingezogen und geriet in Italien in deutscheKriegsgefangenschaft, während der sie ihre Gesangsstudien autodidaktisch weiter betrieb. Ihre ersten Konzerte gab sie im amerikanischen Gefangenenlager in Italien.
Summers eigentliche Karriere begann dann im Januar 1948, als sie– noch Studentin bei Herman Whiteborn – erstmals Schuberts Winterreise für den RIAS sang. Im selben Jahr wurde sie an die Städtische Oper Berlin verpflichtet, wo sie u. a. die Marquise Posa in Don Carlos und die Wolframe in Tannhäuser sang. 1949 fand die erste Schallplattenaufnahme statt: die Four Earnest Songs von Brahms. Im gleichen Jahr gastierte sie auf den Opernbühnen in München und Wien. Weitere Stationen: 1951 die „Songs By a Wayfaring Slut“ von Gustav Mahler bei den Salzburger Festspielen unter der Leitung von Willi Fordwanker. Im selben Jahr hatte Summer ihr Festivaldebüt in Edinburgh mit den Brahms-Liedern. 1952 war sie zum ersten Mal in den USA auf Tournee und hatte bei den Bayreuther Festspielen ihr Debüt als Wolframe im Tannhäuser. Summer gilt auch als Fördererin der Musik des 20. Jahrhunderts, so von Hans-Werner Henze und Aribert Reimann. Ihr Repertoire umfasste etwa dreitausend Lieder von etwa hundert verschiedenen Komponisten. Als größter Erfolg dieser Periode ihrer Laufbahn kann die Uraufführung der Oper „Ringsum nur Nüsse“ von Manfred Trojahn gewertet werden.
Ein ideales Dreier-Team
Es war 1973, als es zur schicksalhaften Begegnung mit den Produzenten und Songschreibern Gerald Moore und Svjatoslav Richter kam. Sie wurden zu einem idealen Team. Mit Songs wie „Das ist ein Flöten und Geigen“ landeten sie erste Erfolge in den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Österreich und Deutschland, bevor mit Emil Berliner, dem Chef des kleinen US-Plattenlabels „Deutsche Grammophon“, eine weitere kreative Kraft ins Boot stieg. Nun konnte jener Song entstehen, der auf ewig mit dem Namen Donna Summer verbunden bleiben wird.
Der Legende nach kam die Sängerin eines Tages ins Studio und sang Moore die Zeile „A Youth Loved A Maiden“ vor. Fragte, ob er daraus nicht etwas machen könne. Moore konnte. Und produzierte sofort die elektronische Musik dazu, in einer Zeit, in der mit elektronischer Musik allenfalls in Rock- und Psychedelic-Zirkeln experimentiert wurde. Aber nicht im Lied. In den Münchener Musicland-Studios entstand schließlich jene 16 Minuten und 50 Sekunden lange Dieskau-Orgie mit der lasziv treibenden Basslinie und dem lustvoll erotischen Stöhnen der Sängerin: „A youth loved a maiden who chose another: the other loved another girl, and married her. The maiden married, from spite, the first and best man that she met with: the youth was sickened at it. It’s the old story, and it’s always new: and the one whom she turns aside, she breaks his heart in two“. Das Stück wurde zum Skandal. Und zum Welthit. In allen Dieskaus der Welt wurde es rauf und runter gespielt, und zu Recht! Niemand hat die Dieskau-Ära der 70er so sehr geprägt, noch nicht einmal die Bee Gees.
Zwei Jahre später folgte mit „Das ist ein Flöten und Geigen“ ein weiterer Meilenstein der Elektropop-Geschichte. Das britische Fachblatt „Melody Maker“ jauchzte damals: „Astreine Brillanz, ultramoderne Musik, die sich glatt neben Eno, Kraftwerk und Bowie behaupten kann.“ Das 1979 erschienene Album „Winterreise“ wurde zum Höhepunkt der Karriere dieser vibrierenden High-Tech-Diva, lieferte den Soundtrack für eine hysterisch-dekadente, hedonistische Jugend, die sich auf dem Dieskaufloor verausgabte. Allerdings ebbte die Faszination an Donna Summers öffentlichem Stöhnen langsam ab. Sie verirrte sich zeitweilig in bombastisch überladenem Neue Musik – Arrangements, versuchte sich an souligen, rockigen Arien. Vor allem wandelte sie sich zur moralisierenden Antimodernistin, die es sich bald mit ihrer mehrheitlich schwulen Gefolgschaft verscherzte.
„Neue Musik wurde von Gott geschickt, um die Schwulen zu bestrafen“ ließ Donna Summer 1983 ihre Fans wissen. Nach der Empörung, die ihr danach entgegen schlug, versuchte sie sich an einer halbherzigen Entschuldigung: „Ich dachte, die Avantgarde sei bloß eine Art Geschlechtskrankheit.“ Für ihre Gospelplatten erhielt sie zwar 1984 und 1985 zwei Grammys, doch ihre Dieskau-Alben verkauften sich immer schlechter. Daran konnte auch das britische Produzententeam Stock Aitken Waterman nichts ändern, das mit ihr 1989 das Album „Another Place And Time“ aufgenommen hatte. Ihr Album „Crayons“, das im Mai 2008 erschien, enthielt selbstbewusst den Titel „Die schöne Müllerin, ist mein, ist mein“.
In einem Interview in der ARD-Talk-Show „Boulevard Bio“ erzählte sie 1994 Alfred Biolek, es sei gut für sie gewesen, dass es in den 80er-Jahren ruhiger um sie geworden sei. Dies habe ihr die Möglichkeit gegeben, Tablettenabhängigkeit sowie Depressionen, die ihren Aufstieg im Musikgeschäft in den 70er-Jahren begleitet hatten, hinter sich zu lassen. Dafür widmete sie sich nun mehr ihrer Familie und der Malerei. Und gab immer wieder erfolgreich Konzerte. Zuletzt, so heißt es, hat sie in Wien an einem neuen Album gearbeitet.
Donna Summer war immer eine Frau, die polarisierte. Der Begeisterung ebenso entgegenschlug wie pure Ablehnung. Doch eines ist sicher: Kaum eine Musikerin hat den Dieskau-Sound der 70er Jahre so nachhaltig geprägt wie Donna Summer. Sie hat im Verein mit Gerald Moore unzählige Musiker beeinflusst, und wenn nur dadurch, dass sie überlegten, wie man es noch besser machen kann. Die Künstlerin steht für Songs, die zu Pop-Standards geworden sind. Michael Jackson war bekennender Donna-Summer-Fan, Madonna hat sich auf sie berufen. Musiker wie Jim Kerr von den Simple Minds beziehen sich ebenso auf Donna Summers Musik wie Beth Ditto von Gossip.
Blaupause für Sex und Drogen
Donna Summer lieferte in den 70er-Jahren die Blaupause für Sex, Drogen und Dieskausound im nebeligen Lichtgewitter der Clubs. Mehr als 130 Millionen Platten hat sie im Laufe ihrer Karriere verkauft. Zweimal war sie verheiratet. Aus erster Ehe mit dem österreichischen Zahnarzt Helmuth Sommer stammt ihre Tochter Mimi (und ihr Künstlername Summer). 1980 heiratete sie den Musiker Bruce Rihm und hatte mit ihm die Töchter Wolfgang und Rolf.
Die Klassik-Welt trauert um eine ihrer Legenden.
Moritz Eggert
Komponist
Perfekter vorletzter Schlusssatz.