Was nicht gespielt werden darf?
Gleich von mehreren Seiten wurde ich auf folgende Ausschreibung Aufführungsmöglichkeit beim Neckar-Musikfestival 120804 aufmerksam gemacht. „Die andere Moderne – E-Musik für Hörer“ heißt es da, und:
Komponisten der E-Musik, deren Werke tonale oder traditionelle Elemente enthalten, haben es auch ein Zweidritteljahrhundert nach Kriegsende noch immer schwer. Auf der einen Seite
ist ihre Musik für ein U-Musik-Publikum zu individualistisch und ernst, kann sich daher auf keinem Massenmarkt platzieren, auf der anderen Seite fällt sie durch das Raster sämtlicher
Fördertöpfe für „Neue Musik“, da sie angeblich zu konservativ, nicht avantgardistisch genug oder vermeintlich nicht gegenwartsadäquat sei. Hier setzt das Projekt „Die andere Moderne – E-Musik für Hörer“ an. Es möchte die Definitionshoheit darüber, was mit handwerklicher Meisterschaft verfaßte zeitgenössische ernste Musik alles sein kann und welches Maß an Wohlklang, Traditionsbezug, Sinnlichkeit, Verständlichkeit und Kommunikation sie enthalten darf, nicht den Vertretern einer politischen Richtung überlassen, die nach dem zweiten Weltkrieg speziell in deutschen Musikinstitutionen eine unangemessene Dominanz erreicht hat. Milimeterweise wollen die Initiatoren des Projektes „Die andere Moderne – Musik für Hörer“ verlorengegangenes Terrain nun zurückgewinnen, avantgardeferne und hörerzugewandte E-Musik-Komponisten vernetzen, ihrer Musik Podien erschaffen und Ihren berechtigten Teil an der Deutungshoheit darüber erlangen, wie zeitgenössische Musik ebenfalls klingen kann.
Die Initiative wurde vom Heidelberger Komponisten und Pianisten Martin Münch ins Leben gerufen. In den Ausschreibungsbedingungen formuliert er:
„Teilnehmen können E-Musik-Komponisten jeden Alters, die Mitglied in der Gema sind, Komposition studiert haben, und deren Stücke der Werkausschuß der Gema in wenigstens einem Fall als U-Musik eingestuft hat, wogegen der Komponist Widerspruch einlegte.“
Das schränkt übrigens die Zahl der Teilnehmer keineswegs ein, denn ich kenne durchaus viele Kollegen, die mit dieser Kommission zu tun hatten und erbitterte Diskussionen mit ihr darüber führen, ob ihre Musik nun U-Musik ist oder nicht. Mal abgesehen davon, dass diese Unterscheidung immer schwieriger zu fällen ist und es wohl eher heißen sollte „eher kommerziell orientierte Musik“ und „eher nicht kommerziell orientierte Musik“ (wenn das nicht viel zu vage wäre, um es in allen Fällen unterscheiden zu können) wird bei der GEMA manchmal auch Musik als U eingestuft, wenn sie in einem vermeintlichen „U“-Kontext erklang, ganz unabhängig davon, ob die Musik nun selber U ist oder nicht. Wenn es aber um viel Geld geht auch wieder manchmal nicht – so spielte Michael Jackson zum Beispiel zu Lebzeiten Ausschnitte aus „Carmina Burana“ bei seinen Stadionkonzerten (als Aufwärmer fürs Publikum) – als Schott ihn zu Recht zur Kasse bat, behauptete er gar, er hätte die Musik selber komponiert (laut Peter Hanser-Strecker, der mir dies einmal erzählte).
Aber das ist noch einmal eine ganz andere Debatte – bleiben wir beim Thema: natürlich könnte ich es mir leicht machen, und hier eine zutiefst satirische Replik auf Martin Münchs Initiative machen, der natürlich schon ein bisschen die Aura des Aufbegehrens der „Zu-Kurz-Gekommenen“ anhaftet, und das ist immer leicht demontierbar. Stattdessen möchte ich hier aber einmal versuchshalber ernsthaft die Frage diskutieren, ob es so etwas wie „unterdrückte moderne Musik“ gibt, also Musik, die aus Gründen den Nicht-Konformität mit herrschenden ästhetischen Meinungen tatsächlich relativ wenig bis gar nicht zur Aufführung kommt, „totgeschwiegen“ wird.
Nun ist es keine Frage, dass in der Geschichte der Musik immer Trends beobachtbar waren, zu denen sich die Komponisten jeweils positionierten. Man war auf der Seite von Gluck, oder eben nicht, auf der Seite von Wagner oder eben nicht, auf der Seite von Schönberg oder eben nicht. Was zu Lebzeiten dieser Komponisten und der von ihnen repräsentierten Trends tatsächlich vielleicht eine existentielle Frage war (vor allem, ob man sich dem gerade dominierenden Trend unterwarf oder sich dagegen positionierte), relativiert sich im Rückblick sehr oft, wenn plötzlich sowohl die eine wie auch die andere Position künstlerisch nebeneinander bestehen kann. So kann man mühelos im 20. Jahrhundert großartige Komponisten aufzählen, die entweder sehr nahe oder extrem entfernte Positionen gegenüber den Ideen der Schönberg-Schule vertraten, ja, man meint sogar, dass das letztlich auch überhaupt keine Rolle spielt, sondern eher wie prägnant und ideenreich die jeweiligen Personalstile waren. Letztlich ist Stil ja nur eine vage Vereinbarung unter Zeitgenossen – im Rückblick zählen Inhalte und Ideen wesentlich mehr, als die Erfüllung von oberflächlichen Stilmerkmalen. So kommt man der Musik von z.B. Haydn letztlich nicht bei, wenn man nur über ihre Stilelemente redet, der Musik von Bach nicht, wenn man nur über Kontrapunkt redet.
Nun evoziert Martin Münch aber das Bild einer „unterdrückten“ modernen Musik – also einer Musik, die allein aus ästhetischen (also oberflächlichen) Gründen (z.B. wegen ihrer Tonalität) geächtet wäre, aber künstlerisch genauso ambitioniert und würdig ist. Schnell sind da Bilder von ominösen Radioredakteuren und Festivalleitern im Kopf, die in dunklen Kammern sitzen, und über die Ästhetik der Nation bestimmen und dabei alles Fremdartige aussortieren. Aber ist tonale, wohlklingende Musik wirklich so unterdrückt?
Es fallen einem natürlich zahllose Gegenbeispiele ein: Was ist dann mit Steve Reich, Philip Glass, Arvo Pärt, Louis Andriessen? Alles ganz unterschiedlich denkende Komponisten, die einerseits offen und unverkrampft Tonalität benutzen und andererseits zwar als vielleicht umstritten aber keineswegs als zu „wenig aufgeführte“ oder „geächtete“ Komponisten bezeichnet werden können, ganz im Gegenteil sogar. Auch Komponisten aus dem Darmstädter Umfeld, teilweise auch dezidiert als Avantgarde-Komponisten geltende Namen wie Walter Zimmermann, Nikolaus Huber, ja sogar John Cage und Wolfgang Rihm, haben sich immer wieder ganz bewusst der Tonalität zugewandt und dies auch in keiner Weise verkrampft oder unwohlklingend und unsinnlich.
Und schreiben nicht auch sie „für Hörer“? Für anspruchsvolle Hörer, zweifellos, aber ist das ein Makel? Ganz sicher nicht.
Die ominösen „Fördertöpfe“ sind also den tonal arbeitenden Komponisten keineswegs unzugänglich, soviel ist sicher.
Dennoch: spontan fallen einem schon Historien der „Ächtung“ und des Ausschlusses ein. Mein Lehrer Wilhelm Killmayer, aus der selben Generation wie Hans-Werner Henze und in jungen Jahren mindestens genauso viel aufgeführt wie dieser, schrieb in den 60er und 70er Jahren sehr eigene und der damals gängigen Ästhetik sehr fremde Musik, oftmals tonal, wenig komplex, von äußerer Sparsamkeit der Mittel, Musik die dann auch dementsprechend verlacht und nicht aufgeführt wurde (bis in den 80er und 90er Jahren eine Neuentdeckung und Neubewertung seines Schaffens begann und sich junge Kollegen wie Rihm öffentlich zu ihm bekannten). Auch ein Bernd Alois Zimmermann wurde teilweise als „Popularkomponist“ denunziert, was angesichts seiner hochkomplexen und ambitionierten Partituren fast unglaublich erscheint, aber er schrieb eben auch Musik fürs Radio, angewandte Musik, stand dem Jazz nicht fern, etc.
Gibt es vielleicht also doch eine „Ächtung“? Die Frage lässt sich sicherlich nicht pauschal beantworten, zu individuell sind die Schicksale und Lebenswege, und sicherlich kann etwas Sperriges, Interessantes und Gutes sich in den meisten Fällen gegen solche Mechanismen durchsetzen, ohne dafür einen Spartenwettbewerb zu bemühen wie in diesem Falle. Oder anders gesagt: „Kompositionswettbewerbe für Komponistinnen“ haben der Sache der Frauen in der Neuen Musik eher wenig gedient, gute Komponistinnen wie u.v.a. Adriana Hölzsky, Isabel Mundry oder Carola Bauckholt aber ganz sicher. Jeder Wettbewerb für angeblich „Ausgegrenzte“ erzeugt genau diese Ausgrenzung selber, per eigener Definition.
Interessant dennoch: Der Deutsche Komponistenverband (nun wahrlich kein besonders avantgardistisch ausgerichteter Verband) hat sich geweigert, den Aufruf in seinen Vereinsnachrichten zu veröffentlichen. Und betreibt damit genau die Form von Zensur, die Martin Münch hier beklagt.
Die Diskussion ist eröffnet. Muss die „angenehme“ und hörerfreundliche Moderne „Millimeterweise“ (Martin Münch) Hörer und Fördergelder zurückerobern?
Moritz Eggert
Komponist
Reinster WAHNSINN! Die Kundenorientierung als alleiniger Maßstab und ausschlaggebendes Kriterium für Kunst……?
Da würde mich mal interessieren, warum der DKV sich „weigerte“ … vielleicht aus triftigen Gründen (man sollte sich mal mutig durch Herrn Münchs Website klicken, v.a. die rechte Seite … nicht immer eindeutig was da klickbar ist! Doch vorsicht, einige der Seiten versuchen durch Hypnose zum Kauf zu animieren!)
Ich habe auch noch nie einen Wettbewerb gesehen, der so restriktiv ist!
Zur eigentlichen Frage am Schluss des Artikels: Ich denke, das Problem ist einfach nur jenes, das jede Form von Kunst schon immer hatte. Wenn etwas „tonal“ und „einfach“ ist, ist es eben schwer zu entscheiden ob es sich um Kunst handelt, wie bei der berühmten Fettecke.
Mit Begriffen wie „hörerfreundlich“, „tonal“ und „atonal“ zu operieren halte ich für sinnlos, da jeder Mensch auf der Welt etwas anderes darunter versteht.
Interessantes Thema! Ein kurzer Kommentar zu einer Formulierung von Ihnen, sehr geehrter Herr Eggert: Sie schreiben „Es fallen einem natürlich zahllose Gegenbeispiele ein: Was ist dann mit Steve Reich, Philip Glass, Arvo Pärt, Louis Andriessen? Alles ganz unterschiedlich denkende Komponisten, die einerseits offen und unverkrampft Tonalität benutzen„.
Gerade dieses Wort „benutzen“ trifft es bei einigen dieser von Seiten der Avantgarde oft belächelten Komponisten nicht wirklich. Und daran krankt auch meines Erachtens immer wieder die Diskussion über diejenige neue Musik, die eher selten bis nie in Darmstadt oder Donaueschingen zu hören ist. Das Wort impliziert, dass Komponisten, die an Tonalität interessiert sind, sich meist einfach nur irgendwelcher vorgefertigter und tausendfach erprobter tonaler Effekte und Wirkungen bequem bedienen und sich so unter Umständen schmarotzerhaft an Errungenschaften der Vergangenheit lediglich beteiligen würden.
Es mag einige solcher Fälle geben. Doch wenn ich beispielsweise an Arvo Pärt denke oder auch an den von mir sehr geschätzten Benjamin Britten (wohl auch Killmayer, doch kenne ich von ihm zu wenig), so ist tonale Klangwirkung bei ihnen oft nicht etwas, dessen sich einfach bedient wird, sondern sie resultiert bei guten Komponisten nicht selten aus kompositorischen Problemstellungen, die vor den „Wohlklang“ erst einmal einiges an Mühe gesetzt haben, traditionelle Hörerfahrung durch kompositionstechnische Verfahren quasi neu und erst über Umwege entstehen zu lassen, die eben nicht auf das Benutzen irgendwelcher Bekanntheiten abzielen. Einige dieser Komponisten sehen für sich die Notwendigkeit, ihren Wunsch nach Traditionsbezug nicht billig zu erschleichen, sondern durch mitunter komplexe oder bewusst reduzierte und von der Moderne geschulte Denkaufgaben zu legitimieren, da so im auf ungewohnte Weisen enstandenen Vertrauten neue Erfahrungsmöglichkeiten eröffnet werden.
Pärt ist hier für mich ein immer wieder faszinierendes Beispiel, obwohl ich, das muss ich zugeben, selten mehr als eine CD seiner Musik am Stück anhören kann. Aber wann immer ein einzelnes Werk in einem Konzert zur Aufführung kommt (etwa sein Stabat Mater…), nimmt mich diese Musik gefangen, und zwar, weil ich spüre, wie asketisch und selbstlos sie ist, ja unter welchem ungeheuren Verzicht auf persönliche Eitelkeit und unter welcher Anstrengung einer größtmöglichen Objektivität sie geschrieben wurde. Nur Tonleitern und Dreiklänge… Das einfachste Material, das man sich vorstellen kann. Das kann nicht funktionieren, wenn man damit gefühlig vertraute schöne Melodien schreiben will. Alles, was melodisch schön klingt, ist nicht subjektiv erfunden (da so sofort die Gefahr bestünde, tausenden traditionell bekannten Mustern zu verfallen), sondern entspringt dort mathematischen Prinzipien. Die Dissonanzbehandlung, die einem vertraut erscheint, ist Ergebnis einer völlig abstrakten Kompositionstechnik genannt Tintinnabuli (ich denke, jeder hier kennt deren Grundbedingungen) und hat mit traditionell tonaler Dissonanzbehandlung nichts zu tun. Und doch ist es Pärt gelungen, mit einer völlig objektivierten und unter weitgehendem Verzicht auf subjektive Setzungen entstandenen Musik einen sehr prägnanten Personalstil zu kreieren, der einerseits viele Menschen anspricht und aufgrund seines Wiedererkennungswertes durchaus vermarktbar ist und vermarktet wurde (was wahrscheinlich Pärt selbst auch etwas unheimlich ist), andererseits aber in keinem Moment verleugnet, aktuelle, zeitgenössische Musik zu sein, die eines heutigen Denkens bedarf, um überhaupt entstehen zu können.
Doch Pärt ist nicht der einzige, von dem man solches sagen kann. Mir fällt auch der Franzose Pascal Dusapin ein, dessen Musik ich sehr liebe. Etwa seine Klavieretüden oder das Klavierkonzert “ … a quia … “ bieten viele vertraute Anklänge, doch zeigen Versuche, diese Musik zu analysieren, wie wenig zur Hervorbringung dieser Wirkungen Traditionalismen einfach platt benutzt werden, sondern wie sie durch das Nachdenken etwa über Klaviertechnik auf eine ungewohntere Weise entstehen und neue Zusammenhänge schaffen. Auch Ligeti in seiner Spätphase mit all den Inspirationsquellen aus fraktaler Geometrie, afrikanischer und javanesischer Musik fällt mir da ein.
Das ist alles ein höchst inspirierendes Feld, und ich für meinen Teil meine in den Werken solcher Komponisten häufiger Individualität und Anti-Stereotypie zu vernehmen als in der Musik mancher in Darmstadt oder Donaueschingen vertretenen Komponisten, deren Partituren sich oft auf so anonyme Weise ähneln.
@Franz Kaern: Ich stimme Ihnen absolut zu – das Wort „benutzen“ mag ich eigentlich auch nicht wirklich, aber manchmal schreibt man das ausversehen so, weil es dem Jargon der ästhetischen Diskussion entspricht, und da geht es eben leider oft um „Material“ bzw. „Benutzung desselben“. Ich mag das ehrlich gesagt auch nicht sehr…
Die Fragen des Laien:
Wenn es eine Forderung nach „hörerfreundlicher Moderne“ gibt, muss es ja offensichtlich „nicht-hörerfreundliche moderne Musik“ geben.
Nur was soll die, wenn sie nicht für den Hörer geschrieben ist? Für wen ist sie dann geschrieben? Und warum?
Besteht nicht die Kunst des Musik schreibens darin, dem Hörer eine Art Kommunikationsangebot zu machen, ihn damit bestenfalls zu erreichen und ihn so zu einer subjektiven Antwort auf das Angebot zu zwingen (die man sich als Hörer ja bilden, aber sie nicht äußern muss)?
Wie der Komponist das schafft, ist für den Laien als Zuhörer doch erst in zweiter Linie, wenn überhaupt, interessant.
Aber wenn Musik nur noch an irgendwelchen ästhetischen Richtlinien, die eben als state of the art gelten, gemessen werden will und nicht mehr am Urteil des Hörers, dann hat sie doch diesen Kommunikationsauftrag verfehlt.
@Christoph: „nicht-hörerfreundlich“ ist schlicht ein Wort das ausdrückt, das einem eine Musik nicht gefällt. Genauso wie Schlager für viele Techno-Fans „nicht-hörerfreundlich“ ist und umgekehrt.
was soll diese öde diskussion? hörerfreundlich/ hörerunfreundlich? es geht nur um die frage irgendeines geschmacks. und nicht mal dies! es geht um quantität, um quote. und dies wird umgemünzt in ästhetik. wie geschmacklos!
spannend, wie das „zurück zur tonalität“ immer von den heinis losgetreten wird, die gar nicht kapiert haben oder es schlicht aus informations-, ja vllt. sogar begabungsmangel nicht können, es verpasst haben, wie verschiedenste neue musik wieder bei einfacheren tonhöhenkonstruktionen angelangt, gar nicht mal nur im zuge von reduktion oder postmoderne. man denke an die bsp. pärt, ligeti. man denke an minimal music. man denke aber auch an den ganzen wust von spektralismus. an den stockhausen.
ja, und man denke an die neue wiener schule! einerseits wurden die dur-moll-regeln, vereinfacht gesagt, über den haufen geworfen. man suchte nach neuen klängen, nicht nur aus terzen bestehend, ähnlich wie scrjabin, etliche andere russen, die in der blödheit der debatte auch immer vergessen werden. oder die terzüberschichtungen der impressionisten. und was kommt dabei heraus? oftmals eine rein in den mittleren 2stelligen bereich verschobene anreicherung im obertonbereich. oder eine loslösung des 7-13ers, den dann andere ob seiner beliebtheit qua webernrezeption zum kranichsteinerakkord, eben jenes tritonus-quart-känglein.
wer seine ohren wirklich einzusetzen vermag, der hört doch sofort, wie tonal eigentlich diese musik doch ist, wie man selbst in den webernschen bagatellen oder mandolinen seiner orchesterstückl den heurigen hören kann. oder wie tonal ist denn ein berg? wie ein schönberg? und wer formulierte einerseits seinen 12ton, focht unschön gegen hauer, ließ aber seine schüler sehr wohl weiterhin tonal anfangen, weiterkomponieren (mag auch das geld eine rolle als lehrer gespielt haben…)? und warum beten wir bornierten deutschen eigentlich immer diese killmayer-rihm-elogen? kennt hier denn niemand das österreichische liederbuch (reisebuch aus den österreichischen alpen) kreneks? beide deutsche längst vom alten johnny-spielt-auf-bürgerschreck überholt. nicht dass man mir jetzt killmayer-borniertheit vorwerfe! das war zu meinen schülerzeiten durchaus eine stütze, eben einen anderen weg zu wissen. aber es reduziert diese debatte so unendlich öde auf null-interesse, kalten cafe – wie eben schon 1910.
es gibt so viel musik. da nimmt die neue musik und deren totalkonstrukteure einen doch wiederum sehr kleinen rahmen ein. liest man die theoretiker der neuen musik, dann könnte man glatt meinen, sie sei nur ein ding von technik oder methode. aber anders gefragt? ist tonale musik mit all ihren formen, wenn man sie konservativ begreift, nicht noch viel methoden- und techniklastiger als die neue musik? in dieser sind die beiden durchaus kurzlebigen moden unterworfen. als komponist hat man aber immer die freiheit, sie anzuwenden, weiterzuentwickeln oder eben sein zu lassen. all diese chopin- und strausskopierer sind doch dazu gar nicht in der lage und sind eben engstirniger als ihre vorbilder. diese bewegten sich nämlich durchaus im neuen ihrer zeit oder übertrieben das alte (bach!) so in die meisterschaft, das es hintenrum wieder neu wurde.
und wie schlecht killmayer und pärt als beispiele für tonales komponieren taugen, sieht man eben an ihren techniken: reduktion, reduktion, reduktion. und bei pärt: methode, methode, methode. also schweigt mir von diesem hörerfreundlichen tonalitätsschmarrn. es gibt menschen, denen ist mozarts harmonik schon das ende der tonalität. also, was soll dieses pseudo-abstrahieren eines quantitativen hörergeschmacks? sagen wir es mal so: wer nur weichgespülte klassik hört, meint sowieso nur romantik und kippt schon aus den schuhen, wenn er den tristanakkord wahrnimmt.
aber bleiben wir ernst und polemisieren nicht nur: der wahre komponist schreibt heute ohne probleme sog. tonales wie anders tönendes oder wieder neutonales mit links. das kann nebeneinander bestehen, oder zerfällt ganz bewusst in e und u oder profi- bzw. schülermusik. oder was auch immer. der weitere wahre komponist vereint dies dann gar wieder in seinen als kunst deklarierten werken. und schaut man genauer hin, ja, hört hin – was aber, das muss man leider sagen, die meisten nicht wollen oder nicht können – es gibt eben unter uns auch etlich unbegabte… – ist jede von den tonhöhen ernsthaft ausgehende musik irgendwie in sich den eigenen tönen gehorchend, also tonal! bleiben wir beim quantitativen: wie reichhaltig tonal kann eine ferneyhough-partitur doch sein, ja wie unglaublich wunderbar kann darin diese musik sein. wie tonal sind die genau gehörten partituren aller phasen nonos. wie wunderbar in tonhöhen ausziseliert sind grisey und vivier. wie krass und hart kann andriessen sein. wie fast schon simpel ist stockhausen. wie packend können henze-harmonien sein. wie tonal kreisend sind zb lachenmanns concertini. oder wie merkwürdig tonbewusst seine frühen werke, wenn diese zerstäubt werden und wieder auftauchen. wie intelligent kurvt walter zimmermann durch seine tonhöhen. und wie egal sind sie manchmal gerade in wie auch immer postmodernen zusammenhängen. tja, und wie schwingt tonales substrat überhaupt in gut gemachter musik immer mit, sei es ein organum oder explosionen eines xenakis. wer schreibt, sollte dies hören, wer dies nicht kann, lieber heizungsbauer werden und sonst seine klappe halten!
Die Frage ist doch, ob ein solches Festival tatsächlich im Interesse des Publikums liegt. Ich unterstelle, dass die teilnehmenden Komponisten sich nicht der Programmidee „zeitgenössisch tonal Komponieren“ unterwerfen, um zur Teilnahme zugelassen zu werden, sondern ein Forum suchen, in dem ihre Werke auf ein Publikum treffen, das zu ihren Werken „passt“. Der Wunsch, ein Stückchen vom Kuchen der öffentlichen Förderung zu bekommen, erscheint mir dann legitim, wenn es darum geht, die real existierende heute komponierte tonale Musik an den Ort zu bringen, wo bereits Publikum vorhanden ist. Dahin zu gelangen ist für jeden heutigen Komponisten schwer, aber können wir es uns wirklich leisten, einem weniger an avantgardistischer Musik interessierten Publikum zu zeigen, dass wir es nur dulden, es aber im Grunde für seinen Musikgeschmack verachten?
@ Alexander,
bravo, vor allem für Deinen ersten Absatz eben, dem ich mich nur anschließen kann. Da wird immer viel von „Die Musik-muss-hörerfreundlicher-werden“ gefaselt, ohne dass dann – wenn man kritisch nachftagt – irgendeiner bestimmen könnte, wie im Einzelnen das zu verstehen sei. Oder was etwa „hörer-FEINDLICH“ denn genau sei. Und das ist auch schwierig zu definieren und: SOLL es überhaupt „definiert“ WERDEN? Gegenfrage (bzgl. Kommunikation Komponist-Hörer z.B. an Christoph oder Franz K.): Heißt denn „Kommunikationsauftrag erfüllen“ (immer), dass der Komponist immer so schreiben soll, dass dem Hörer das vermeintliche „Verstehen“ oder die „Eingänglichkeit“ der Musik möglichst einfach gemacht werde? Und bei Pärt z.B. – ich habe auch einige CDs und habe das früher mal lieber gehört, als ich noch keine bis wenig Neue Musik kannte (inzwischen verstauben die Pärt-CDs in meinem Regal): ich kann mich doch des Eindruckes nicht erwehren, dass bei Pärt diese „Askese“ dieses „Sich-Zurücknehmen“ doch eine zur Schau gestellte, sich mittlerweile gut vermarkten lassende Art von Einfachheit/Askese oder wie auch immer ist. Ein Bicinium oder ein klares Stück von Leonin oder Perotin beispielsweise höre ich da inzwischen lieber und denke: Wozu muss Pärt nochmal alles nach komponieren, was es schon gab? Es ist leider so, dass insgesamt die Hörerwartungen aber auch das was gesendet wird etc. wieder tendenziell immer mehr in Richtung Verflachung bzw. in Richtung einfache Eingängigkeit/Fasslichkeit geht, was nicht ALLES schlecht sein muss. Aber die Bereitschaften zum Nachdenken, zum Sich-Auseinandersetzen mit Musik, die schwinden wieder. Und das ist sicher nur die Spitze des zukünftigen Anti-Neue Musik – Eisberges, den wir in der (breiten Gesellschaft) immer mehr erleben werden…
Und, woran es FEHLT ist weniger die „Schönheit“ die Einfachheit oder das Harmonische oder dergl., sondern es fehlt einfach an Sinnlichkeit, Formgefühl in individuellen Werkgestaltungen. Und auch das pauschale Reden davon, dass
sich nun „Darmstadt“- oder „Donaueschingen“-Komponisten an manchem (z.B. Pärt oder Glass) ein Beispiel nehmen sollten o.ä., das verfehlt m.E. das worum es geht und das ist so pauschal und versimplifiziert, dass es in der Diskussion nicht so wirklich weiter bringt.
Matthias von Seeck,
also, mich Alexander Strauchs Tonfall anschließend, erscheint mir Ihre Bemerkung, unsereiner oder die Neue Musik Festivals würden
doch recht überzogen und unterstellend.
Was sollen diese Polarisierungen?
Die Wahrheit ist: die jüngere Generation (aber auch immer mehr Ältere) z.B. die hört heute GAR KEINE KLASSIK mehr fast (egal ob nun tonal oder atonal, ob SChönberg oder Pärt!) ja kaum noch Radio etc. sondern nur noch Konserve meist irgendwie, und lebt in einer permanenten CLICK-Kultur und in einer puren Unterhaltungskultur und Häppchenkultur. Wir reden an unserer Kulturkrise vorbei und an dem, was noch auf uns zukommt, und je schneller – behaupte ich – WIR uns auch immer weiter anbiedern an Massengeshmack und allgemeine Hörererwartungen/Massenmedienerwartungen, Quoten etc. und das ewige „Harmonie“-Gesülze weiter singen, dass DIES der Grund für unsere „Krise“ sei. Desto schneller geht alles den Bach runter. Die Vielfalt verschwindet dann. Das ist also – behaupte ich – bei der Analyse unseres Hörerproblems blanker Unsinn, eine so einseitige Sichtweise.
Es liegt schlichtweg wesentlich daran dass die allgemeine Bildung (nicht nur die Musikalische) immer mehr verflacht und dass , womit Kinder/Leute nicht aufwachsen, was sie nicht mehr angeboten bekommen, dass sie dies auch nicht wahrnehmen (auch dann als Erwachsene als 2034, 30er, 40er nicht mehr). Denn was Leute nicht mehr „gewohnt“ sind, was irgendwann z.B. kaum mehr/nicht mehr gesendet wird (z.B. Spartenprogramme, Schrilles, von mir aus auch „atonales“, wenn Ihr wollt…) das wird schließlich verschwinden oder schlimmsten ablehnen.
Ich kann nur Alexander Strauch und Erik Janson vollkommen und mit jeder Faser meines kleinen Komponistenherzens zustimmen. Wer sich ans Werk macht mit der gezielten Absicht, „hörerfreundlich“ (oder auch „hörerunfreundlich“, das ist in dem Fall kommutativ) zu komponieren (zu schreiben, zu malen, zu filmen), der hat seinen Beruf verfehlt, oder, noch schlimmer, nicht kapiert, worum es beim Kunst-Machen geht, oder, am allerschlimmsten, kein Gewissen. Ich glaub ehrlich gesagt noch nicht mal, daß das in der Popmusik genau so funktioniert, wenn es auch vielleicht aufgrund der weniger komplexen Erwartungen einfacher scheinen mag, einen „Hit“ am Reißbrett zu entwerfen.
Und das ewige Darmstadt-Bashing finde ich erstens langweilig und zweitens völlig verfehlt. Wer offenen Auges durch die Ferienkurse spaziert, kann (auch als vermeintlicher oder selbstinszenierter oder tatsächlicher Aussenseiter) eine ganze Menge mitnehmen. Auch wenn viele Stücke nicht unbedingt den Geist der Frische atmen …
Goljadkin
P.S.: Off-Topic, aber es brennt mir auf der Seele: habe ich doch neulich tatsächlich behauptet, Lachenmann würde sich nicht zu den Orchesterschließungsplänen äußern. Und wurde prompt Lügen gestraft durch einen kleinen Leserbrief des verehrten Prof. Lachenmann in der Zeit. Rhetorisch vielleicht nicht unbedingt erste Güte (möglicherweise durch redaktionelle Kürzungen), aber immerhin. Ich leiste hiermit Abbitte …
Hiermit bezeuge auch ich dem Kommentar von Alexander Strauch meinen Beifall ^_^ Das ist alles so schön treffend gesagt …
Unter anderem auch das „engstirniger als ihre Vorbilder“ … die zweite Wiener Schule hat sich ja u.a. deshalb als Bewahrer der klassisch-romantischen Tradition begriffen, weil sie eben das taten, was die Klassiker und Romantiker auch taten: Etwas neues schaffen!
Ich fürchte, in den Diskussionsbeiträgen nach meinem eigenen spiegeln sich einige Missverständnisse und Beißreflexe wider, die in meinen Kommentar Dinge hineininterpretieren, die ich so nicht sagen will. Der Einfachheit halber integriere ich ein paar Antworten in Zitate von Herrn Jansen:
Ich habe in meinem Kommentar zum Blog von Herrn Eggert eigentlich überhaupt nicht auf diesen Wettbewerb Bezug genommen oder auf eine ominöse Forderung nach Erfüllung eines wie auch immer gearteten „Kommunikationsauftrages“. Mir ging es lediglich um das eine Wörtchen „benutzen“ im Zusammenhang mit Traditionalismen, tonalen Allusionen etc., welches in der Diskussion über unterschiedliche Ästhetische Positionen oft verwendet wird und einen pejorativen Geschmack nicht leugnen kann. Es geht mir lediglich darum, bei solchen Komponisten nicht von vornherein anzunehmen, dass sie es sich mit ihrer Kompositionsweise, mit ihrer Art, sich und ihre Weltsicht auszudrücken, immer nur leicht machen würden, dass dahinter lediglich schnelles und billiges Erkaufen von Vermarktungsmöglichkeiten und Profit stünden. Ich plädiere bei ihnen auch dazu, nicht gleich abzuwinken und zu sagen: „Kenn ich schon!“, sondern wahrzunehmen, welche Hintergründigkeiten sich hinter dem vermeintlich Vertrauten verstecken können und wo doch überraschende und auch neue Farben zu entdecken sind (so geht es mir selbst immer wieder bei Benjamin Britten, der zugegebenermaßen mein Lieblingskomponist ist. Aber bevor mir daraus ein Strick gedreht wird: Ich weiß, dass auch er mittlerweile Geschichte ist, und ich höre auch ganz andere Musik, die mit ihm nichts gemein hat (s.u.). Dennoch bin ich immer wieder davon überrascht, wie persönlich und eigen und auch aktuell seine Klangsprache klingt, wie wenig die Traditionalitätsbezüge bei ihm etwas Vorhandenes einfach nur benutzen und wie originell alles stattdessen ist.
Wie ich selbst schon andeutete, bin ich nun kein Pärt-Jünger, der diesen bedingungslos anhimmeln würde. Aber so viel scheint mir klar: Ich finde eben nicht, dass Pärt alles nachkomponiert, was es schon gab. Wie viele Komponisten gibt es im 20. Jahrhundert, bei denen man nach wenigen Klängen weiß, um wen es sich handelt? Man kann zu Pärt stehen, wie man will, ich verstehe jede Kritik an ihm und kann sie auch teilweise nachvollziehen und teilen. Aber einen so erkennbaren Personalstil fußend auf derartig grundlegend simplen Elementen zu entwickeln, das nötigt mir ehrlichen Respekt ab. Ich weiß nicht, ob er es auf den Erfolg, den er mit seiner Musik feiert (und von dem er sicherlich nicht schlecht profitiert), selbst so unmittelbar anlegt und ob ich dazu berechtigt wäre, ihm diesen vorzuwerfen. Ich glaube ihm zunächst einmal sein quasi mönchisch asketisches Anliegen und seinen religiös motivierten Schaffenswillen.
Da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Jansen. Ich unterrichte ja selbst Musiktheorie und teilweise auch Komposition an verschiedenen Instituten. An nichts habe ich größeres Interesse, als meine Schüler_innen und Studierenden zum Nachdenken über Musik anzuregen, dazu, keine Musik als selbstverständlich hinzunehmen, sondern jedes auch noch so vertraute Stück, jede Stilistik ernst zu nehmen und auf Überraschendes und mitunter auch Verstörendes hin abzuklopfen.
Auch hier haben Sie meine vollste Unterstützung. Ich propagiere in keinster Weise irgendein ästhetisches Ideal oder einen Schönheitsbegriff, der nur auf Wohlfühlen abhebt. Ich bin im höchsten Maße daran interessiert, in der Musik all das wiederzufinden, was unser Leben ausmacht, vom banal Sentimentalen bis hin zum abgrundtief Hässlichsten. Ich habe im Laufe meiner musikalischen Sozialisation gelernt, dass die Wahrnehmung von etwas als etwas Schönem sich mit dem Wissen und Verstehen verschiebt, dass man Dinge als schön wahrzunehmen lernen kann, die einem früher einmal nichts sagten oder gar hässlich erschienen. Das ist bereichernd. Eine erste Erfahrung diesbezüglich war für mich, als ich im Musikstudium im Klavierunterricht Guero von Lachenmann spielte und mich in die subtilen Klangnuancen der verschiedenen Geräusche, in das konstruktive Spiel mit diesen verliebte.
Die Musik von Brian Ferneyhough lernte ich in einem Seminar bei Claus Steffen Mahnkopf kennen. Ich blickte im Carceri-Zyklus erst einmal nicht durch, nahm nur Brei wahr. Es war toll, zu erleben, wie mit dem Analysieren, mit dem bewussten Durchdringen der verschiedenen Ebenen und ihrer Zusammenhänge, auch die akustische Wahrnehmung sich lichtete und strukturierte, um eine energetischen Prozess spüren zu lassen, der soghaften Rausch auslöste.
Den paar Kompositionsschülern, die ich bisher hatte und momentan auch habe, will ich keinerlei ästhetische Grenze setzen oder sie in irgendeine Richtung drängen, nur weil sie eventuell meiner eigenen Haltung folgen sollten. Es interessiert mich, ihre Persönlichkeit, ihre Individualität sich entwickeln zu sehen und sie dabei zu unterstützen, zu sich selbst zu finden, auch wenn ich nicht immer sofort verstehe, wo es die Schüler hintreibt und nicht alles nachvollzihen kann, was ihnen wichtig ist.
Das ist zum Beispiel etwas, was ich nie behauptet habe. Jeder Komponist sollte sich vor Augen halten, was er selbst will, sollte das schreiben, was ihm wichtig ist, womit er authentisch und ehrlich ist, egal, ob es irgendeinem Kritiker gefällt oder bei einem Neue-Musik-Festival oder einem Schlagerpublikum oder wer weiß sonst noch, wo, Erfolg haben könnte.
Ich finde es wunderbar, dass es Komponisten wie Ferneyhough, Enno Poppe, Grisey, C. J. Walter gibt, genauso wie ich Britten, Dutilleux, Dusapin, Claus Kühnl (ich war 10 jahre lang einer seiner Kollegen an der Musikhochschule in Frankfurt) und viele mehr liebe, weil sie alle starke, individuelle, wichtige, ehrliche Musik schrieben und schreiben in ihrer ganz unterschiedlichen Stilistik. Was ich schade finde ist eben, wenn diese zweite Kategorie von Komponisten herabgestuft wird, indem man ihr vorwirft, sie würde den bequemeren Weg gehen und es lediglich auf schnellen Erfolg absehen. Natürlich gibt es solche. Genauso wie es Komponisten gibt, die virtuos ein Ferneyhough-Partiturbild malen können, ohne es zu schaffen, diesem in ebensolcher Weise wie Ferneyhough selbst auch Sinn, Sinnlichkeit, Gehalt einzuimpfen.
Ich hoffe, meinen ersten Kommentar hierdurch ein wenig präzisiert und Missverständnisse ausgeräumt zu haben.
Als ich weiß nicht, Alexander, öde finde ich diese Diskussion überhaupt nicht….
(siehe die vielen guten Kommentare oben)
Werter Herr Franz KAERN,
Was Sie hier so alles hinein interpretieren, nur weil ich Ihren Nachnamen in der Eile nicht ausschrieb (denn mein abendlicher Klavierschüler schellte gerade an der Türe, deswegen), das scheint mir doch ziemlich weit hergeholt:
Also, wenn schon so penibel und so mit Gewalt konstruiert, dann bestehe ich nun auch darauf, dass Sie meinen Nachnamen hier richtig mit „o“ (JanSON) schreiben und nicht in seiner Deutschen Biedermeier- und Allerwelts-Tonalitäts-Version (JanSEN), So! Und: Wissen Sie, das OOOO, das klingt auch harmonischer, schöner am Ende, denn dahinter verbirgt sich auch mehr Tiefgang als hinter dem plumpen e im Nachnamensausklang.
Das meiste andere, was Sie nun im letzten Beitrag schreiben, da gehe ich durchaus in einigen Teilen d´accord. Sie scheinen ja doch auch offen für vermeintlich „avandgardistischere“ oder landläufig zu Unrecht als „hörer-unfreundlich“ vorverurteiltere Klänge/Stile zu sein als ich auf den ersten Blick vermutete. Vor allem, was Sie dann darüber schrieben, dass man eine Musik erst dann als „schön“ bzw, fasslich empfindet(sie ansprechend/nachvollziehbar findet), wenn man sich mehrfach und näher damit beschäftigte (Ihr Lachenmannbeispiel etc.) das ist ja eher die Richtung auf die wir hinaus sollten als Komponisten und Musiktheoretiker. (Und es wäre schön, wenn auch immer mehr Musikpädagogen/Lehrer in Schulen und Bildungspolitiker (mal wieder, wo sich dieses Denken mehr und mehr zurückzieht) so denken würden, was aber leider immer weniger der Fall ist. DAS meinte ich mit „Schwund“ und meiner o.g. Andeutung…Dieses dauernde und sich breit machende vorschnelle Resignieren vor Pragmatismen (mal der schnelle Hörerzuspruch/Erfolg, mal der schnelle Konsenz etc.) dann wieder das Resignieren vor: Quoten, Geschmack in Verbindung mit vermeintlichen Neue Musik-Einsparzwängen, wo dann als erstes auf die vermeintlich „Atonalen“ oder die „Schrillen“ als „Überflüssige“ eingedroschen wird).
Und zu folgendem Zitat von Ihnen:
Dazu möchte ich bemerken: WER bildet denn schussendlich zwei „Kategorien“ zwischen den von Ihnen nun hier genannten Komponisten? Und von welchen Komponisten ist jetzt plötzlich die Rede (nicht mehr von Pärt auf einmal sondern wieder ganz andere Namen/Personalstile werden plötzlich an Stelle von Pärt der vermeintlichen „Avantgarde“ gegenüber gestellt):
Nie würde ich z.B. behaupten oder wurde hier von irgendeinem behauptet, z.B. Enno Poppe oder Grisey (über dessen Quatre Chants ich z.B. meine Analyse-Diplomarbeit schrieb im Fach Komposition an der HfmdK in Frankfurt)oder über Claus Kühnl oder Dusaupin, sie würden Musik nur des schnellen Erfolges wegen schreiben und schon gar nicht einfache Musik o.ä. Ich kenne Enno Poppe und Grisey sehr gut, und letzterer ist leider viel zu früh verstorben.
So kann man ja nicht ernsthaft diskutieren, wenn hier immer wieder neue Namen von Komponisten und Stilen herum geworfen werden. Da möchte ich Goljadkin bei pflichten:
Komponieren sollte erst mal im Kompositionsprozess nicht a priori und schon gar nicht in erster Linie auf „Hörergeschmack-treffen“ o.ä. abheben und es sollte auch nicht primär auf den Rezipienten zugeschnitten sein. Es ist immer AUCH (und zu einem wichtigen Teil) AUSDRUCK, Schöpfung, Eigenart des Schaffenden, der mit seiner Musik ein KommunikationsANGEBOT macht an die Hörer (welches auch scheintern kann, darf und ab und zu mal „muss“, das ist doch auch Teil unseres Lebens). Ein Musikwerk, jedes ästhetische Werk ist doch eben jenes MEHR als normale „Kommunikation“ es hat doch so viel vom niemals aufgehenden Rest, von Abgründen etc. Das macht gerade den Reiz der Kunst aus und das gerade legitimiert doch weiterhin das Experimentieren, das „Sich um den Hörer oder seine Geige (siehe Beethoven) auch mal „den Teufel scheren“ etc. Immer mehr schwindet für diese Aspekte das Bewusstsein! In unserer heutigen immer pragmatistischeren und ökonomistischeren, schnelllebigeren Zeit werden wir sonst nie mehr den Hebel wieder zum Positiveren umlegen zu genau DEM, was Ihnen selbst, Herr Kaern ja auch, wie sie zeigten, am Herzen liegt (nämlich Musik LIEBEN LERNEN durch längere Auseinandersetzung und wieder mehr geistige Offenheit). Dies meinte ich im Kern meiner Aussagen.
Und dafür müssen wir Komponisten, die Musiktheoretiker, Darmaturgen, Redakteure etc., und wer auch immer sich mitverantwortlich fühlt, ja doch wieder mehr eintreten in der Gesellschaft. Und das muss doch mal gesagt werden, auch mal vermeintlich „pauschal“, mit Übertreibungen, grundlegend. Ja, und (an Eggy) der Alexander darf doch hier auch mal was „öde“ finden….
Allen eine gute Nacht und ein ausdrucksstarkes Notturno
zum Nachdenken (Tipp des Abends: hört mal Rihnms Nachtstudie 1992/93).
Lieber F.Kaern! Britten ist ein LÖWE!! Leider beschränkt sich seine Wahrnehmung in unserer Öffentlichkeit auf diese, ich zitiere wohl falsch, „Christmas Carols“. Seine echte Pranke, die zeigt er uns bzw. mir in seinen Opern. Grimes: Das Chorende der 1. Szene des 2. Akts, das anschliessende Frauenquartett, das Ende der Rolle Grimes selbst. Billy Budd, Turn of the Screw, Spring Symphony, mit einigen Abstand auch die Kirchenspiele.
Aber warum mag ich das? Ich will gar nicht über Geschmack sprechen… Ich ent-abonnierte schon diesen Thread… Ja, weil es tonal ist!? Drauf gesch…. ! Dies ist das uninteressanteste Kriterium, um Musik, die zwischen Alaska und Kamtschatka in unserem Sinne „komponiert“ worden ist, nach welchen Regeln oder Nicht-Regeln auch immer. Diese Musik IST grundlegend tonhöhengerichtet, wie auch immer akkordisch arbeitend. Und wenn nicht, dann mit diesem vollen Bewusstsein im Rücken, gegen dass sich aufgelehnt wird, das einen so oder so auf Dauer schlucken wird, solange uns nicht die Luft zum Atmen wegbleibt oder wir sonst wie kapitulieren, verschwinden… Es ist Brittens Pranke, die mich heiss macht. Es ist Sciarrinos Assistentenohr, das mich reizt. Es ist der Zimmermänner Pranke oder bewusster Merkwürdigkeiten. Und so fort. Gerade wenn Musik nicht in meine o.g. Hemisphäre passt oder mir anders fremd ist: Hat sie einen mitreissenden, anreissenden, aufreissenden, durchreissenden oder auch unglaublich hermetischen Charakter, unergründliche Techniken oder überhaupt keine, nur musikantische Kraft – auch so ein diffuses Unding, kann sie mich anspringen, mich anziehen oder so abstossen, dass ich doch in sie hinein möchte. Und ich werden sie wohl nie verstehen, nur in einem winzigen Aspekt nach ihr greifen können, mich höchstwahrscheinlich vergreifen.
Neulich lieferte ich mir wüste Beschimpfungen mit Andre Rieu Fans auf Youtube – wie unsinnig! Ich regte mich über die totale oberflächliche szenische Zurschaustellung von „Komik“ eines dicklichen, zu spät kommenden, einschlafenden Zitheristen bei einer Bearbeitung der G’schichten aus dem Wiener Wald auf, wie das Publikum besonders darauf abfuhr, der Musik nur über diesen Spassweg was abgewinnen konnte. Zum im Grabe umdrehen! Nach einigem Geplänkel endete es wohl darin, was für ein trauriges Leben ich führen müsste. Na, als Komponist Neuer Musik kann da an ökonomistischen Akzidenzien gemessen schon etwas dran sein. Aber, aber… wie spannend ist doch das Hermetische, wie hermetisch scheinen selbst Wiener Walzer zu sein, dass sie massentauglich, „hörerfreundlich“, besser „zuseherfreundlich“ aufgepeppt werden müssen. Wie wollen diese Leute je diese durch alle Zeiten und Kulturen kreisende Pranke verspüren? Will man sie überhaupt noch an sich ranlassen? Man könnte sachte fragen, ob wir mit all unserem Distanzgerede und Brechungsgehabe diese noch mehr aus der Wahrnehmung schaffen.
Aber das ist eine andere Frage. Das schrammt nahe am Pathos vorbei, das jeden hier sofort an Tchaikovsky oder Rachmaninov denken läßt, Wagner heraufbeschwört. Dennoch gibt es dieses andere Pathos, dass nicht pastos verdickt, sondern Musik als Sprache, aber jenseits all der geläufigen Grammatik, in die Köpfe halbwegs offener Menschen aller Orte fliessen lässt. Letztlich wird dieses auch im wie auch immer noch übrigen authentischen Strauss-Rieu-Walzer stecken, wie es erstaunlicherweise bei so konträren Menschen wie Kühnl und Ferneyhough auch von Fall zu Fall um die Ecke schwappt. Das ist nun sehr antropophiles Geschwafel.
Zu Kollegen, also denen, die sich Komponisten der Kunstmusik nennen, muss man strenger sein, sollte man manchmal auch zu sich strenger sein. Bei jenem Martin Münch habe ich persönlich den Eindruck, dass er irgendwann der Selbstbefragerei überdrüssig wurde oder dem sprühenden Spüren nach zumindest für sich selbst neuartigen Facetten abschwor und sich nun in GEMA-Scharmützeln aufreibt wie den Schutzraum der konservativen Harmonie- und Formenlehre aufsucht. Ich selbst lechze zur Zeit mal wieder nach neuer Neuer Musik – was für eine dumme Formulierung… Das hält mich aber genauso wenig ab, mich ab und an in die Fesseln der Vergangenheit zu ketten: Das führt dann zu dem Paradoxon, dass ich Händels Piangero und Va tacito, Schmerzens- wie Bravourarie, genauso intensiv erlebe wie Schönbergs „Frau Gänsekraut“ oder „Du Wort das mir fehlt“, Belcanto und Melodram, selbst in Tonarten schreibe, sie sprenge, kitte. Oder wieder sinnlose Spektralketten skizziere.
Also, es geht wohl schon darum, Harmonikales, Tonikales zu ergründen, zu erspüren. Aber das ist eine der vornehmsten Aufgaben eines „Komponisten“, der Kunstmusik machen möchte. Und so windet man sich durch, benutzt tatsächlich vorhandene Gebäude, versucht die für sich geschmeidig zu bekommen, andersartig weiterzuführen, mal in Regeln formuliert, mal freier. Ich suche nach der Formel, die Alles wieder fügt, mag es mir auch noch so um die Ohren fliegen. Und eher nicht gelingen. Was allerdings nicht immer so wichtig ist, denn es geht natürlich noch um mehr: um Dekonstruktion, Rekonstruktion, Form oder eben Un-Form, freie oder genau definierte Metren, Artikulationen, Reduktion oder Ausbau. Und dann wieder dem Überprüfen der Tonhöhen, doch eine Regel zu finden, die für mich selbst ein neues Tor aufstösst. Ja, und irgendwann komme ich dann auch mal zur Frage des Menschenfreundlichen oder gerade besonders Hermetischen, vereinfacht zugespitzt. Gelingt mir mal ein Pränkchen, dann erledigt sich diese Frage von allein. Um wieviel weiter mag da mancher andere kommen als ich es je vermag.
Aber es sich verbieten lassen, von Auftraggeberseite oder Hörerseite? Oder gar von Komponisten, die wohl schlichtweg Angst vor sich selbst haben. Von all diesen Hübners und Martin Münchs? Alt-antiatomar: NEIN DANKE!! Eher sollte es heissen: ja, springt in den alten Kanon hinein, springt wieder heraus und wieder hinein. So lasst uns zu Britten zurückkehren: Der mag wirklich einige Entwicklungen verschlafen haben, konnte sie kriegs-/kulturbedingt nicht lernen (wollte er nicht zu Berg in die Lehre?!), hat sich manchmal auch kreuzbrav an sog. „Tonales“ gehalten, manchmal aber, und gerade in den Werken mit der Pranke, dieses wild und einfallsreich, genau einsetzend, die gewohnte Konvention durchspielend hinterfragend verwirbelt und nach seinen persönlichsten Gusto verarbeitet. Niemand würde ihn unbedingt mit dem 19. Jahrhundert vergleichen, vielleicht die Hohlköpfe der Neuen Musik, die es ja genauso gibt. Reicht aber ein Vergleich von Musik, die ihren Rahmen nicht selbst setzt, nur zu Chopin (was man mir verzeihe – ich möchte aber bewusst den Unterschied zwischen „tonalen“ Komponieren im 19. wie 20. Jahrhundert aufzeigen!), wie ein Kritiker zu Martin Münch, dann sollte man sich schleunigst doch mal getrauen zu fragen, ob man auf dem richtigen Planeten lebt. Oder will so ein Nostalgiker wirklich zur Lebenserwartung, den verrusten Städten und miesen Arbeitsbedingungen des 19. Jahrhunderts zurück? Lieber an Cholera, Syphillis und Co zugrunde gehen als mit den heutigen, wenn auch schmaler werdenden Alternativen, zugrunde gehen? Kein Klo besitzen? Keine GEMA, keine Radiosender? Oder sich wirklich mit Chopin in Echtzeit messen wollen? Einfach mal so in den Raum gestellt! Dazu reicht aber wohl die Imaginations- und Hinterfragungskraft nicht aus. Und das stösst mich ab. Wenn wenigstens irgendeine Art von anderer tonhöhengebundener, tonikaler Musik dabei herauskäme. Ich frage mich nur, warum Rihm als Lehrer da nicht strenger war, bzw. das totale Selbstbekenntnis einforderte. Aber dies ist eine andere Frage, und ich will mich jetzt nicht mit Allen in die Haare bekommen…
Es bleibt die Suche, der Weg nach den Wirkungen und Windungen von Tonhöhen oder eben nach deren Negation. Man mag in der Konvention, auch in der der Neuen Musik schürfen, ja mein Programm, aber man muss eine eigene Setzung versuchen. Ich höre gerade den finalen Horntritonus in Peter Grimes, bevor der sich im Meer versinkt. Und jetzt ein Streichertremolo, sich steigernd, als sei Ligeti 2. Straichquartett am Werk – jene merkwürdige Tristanstelle. Dann Holzbläser, als sei Grisey irgendwo in den Soffitten. Ich stelle mal mich selbst zum Zerreissen, eine Suche nach Tonalität, irgendwo an Konvention und Neue-Musik-Anstand entlanggeschrammt: „11“, die Zahl sagt Alles…
Gute Nacht,
Euer nicht mehr so angeödeter Strauch, man verzeihe mir diese Arroganz. Aber meine Galle…
Da ich gleich zum Unterrichten nach Weimar muss auf die Schnelle nur meine herzliche Entschuldigung an Herrn JansOn wegen des Falschschreibens seines Namens. Da hatte ich leider nicht genau genug hingeschaut.
Ich möchte gern heute Abend noch ein paar Kleinigkeiten zu den neuen Kommentaren hier sagen. Jetzt nur soviel:
Danke, Herr Strauch, für Ihren wunderbaren neuen Kommentar mit dem Bild der Löwenpranke! Gefällt mir gut und ist durch und durch sympathisch.
@ Alexander Strauch, Franz Kaern et al.
Dieses Namedropping ist vielleicht eher was für ein gemütliches Beisammensein nach nem Konzert bei einem schönen kühlen Pils, hier führt es irgendwie nicht weiter. Hat auch was beamtenhaft-musikwissenschaftliches, dieses Expertengetue, von wegen: ach, und dieser verminderte Quartsextakkord in den Streichern mit hintergehaltener None und Terzschaukel im Bass bei absteigendem Fauxbourdon, während die Flöte in einer oktatonischen Zwölftonreihe seriell organisierte Quintolen-Seufzermotive mit Organumscharakter spielt, herrlich diese Stelle, da geht mir das Herz auf. Mir ist das alles zu technizistisch, auch die Überlegungen von Alexander Strauch scheinen mir viel zu sehr von solchen rein handwerklich-technischen Zäunen umstellt zu sein. Konzepte sind ja schön und gut, und jeder muss sehen, wie er seine Einfälle generiert, beim Ausrechnen von spektralen Verhältnissen oder beim Spazierengehen oder auf’m Klo, aber beim Komponieren muss man doch darüber hinausgehen. Wenn ich mich an mein harmonikales oder spektrales oder serielles oder motorisches oder expressives Konzept klammere wie der Affe an den abbrechenden Ast, dann kommt bestenfalls ein handwerklich ordentliches Stück dabei raus, nie und nimmer aber Kunst. Interessant wird’s für mich immer dann, wenn jemand über den ganzen Salat hinausgeht, dort wo ein Stück seinen eigenen Rahmen verläßt. Das läßt sich aber nicht theoretisch herbeikomponieren, das geschieht erst dann, wenn man losläßt. Wenn man sich fallenlässt und eine sehr harte Landung in Kauf nimmt. Klingt vielleicht altmodisch oder pathetisch, aber ohne geht’s finde ich nicht. Alles andere bleibt langweiliges Gesülze, wie auch das Geschwafel von Martin Münch von der „verfemten“ tonalen „neuen“ Musik. Hört man sich, wie ich es mir angetan habe, z.B. seine Klaviersonate op. 6 an, dann bleibt nicht viel außer festzustellen, daß er seine eigenen Vorgaben ganz ordentlich erfüllt hat. N’bißchen Chopin, ein wenig mehr Debussy und Ravel, ein ganz winziger Schuss Skrjabin, aber nicht zu viel, könnte ja schon zu pfeffrig werden, und fertig ist die Münch-Sauce. Was das alles mit Münch zu tun hat, weiß ich nicht, außer daß er die Stilmerkmale kompiliert hat, ohne die jeweils innewohnenden Brechungen selbstverständlich, die die Musik eines Debussy oder Ravel erst zur Kunst werden lassen. Solche Musik hat weder in Darmstadt noch in Witten noch in Donaueschingen etwas verloren, sie hat auch im gesamten 21. Jh. nix verloren, sie gehört an den Anfang des 20. Jh. und da bleibt sie auch. Könnte eins zu eins in einem Pariser Salon der 1910er Jahre gespielt werden und keinem würde es auffallen. Martin Münch steht in der Verantwortung, mir zu erklären, was seine Musik mit unserer heutigen Zeit zu tun haben soll.
Goljadkin
Nachtrag:
Es kommt noch schlimmer: Beim Klavierkonzert op. 3 von Martin Münch tauchen bei mir ernsthafte Plagiatsverdachtsmomente auf (Satie zu Beginn, Ravel bei 2:38). Daß dieses Stück bei der GEMA nicht anders als Bearbeitung eines bereits bestehenden Werks geführt wird, kann ich mir nicht vorstellen. Ansonsten haben die dort ihren Job nicht gemacht …
@ Goljadkin,
Du wirst mir immer sympathischer, NICHT wegen des kleinen „Bashings“ gegen Münch (es hätte auch jeden anderen treffen können) sondern deswegen, weil die Substanz dessen, was Du schreibst, was so wichtiges enthält:
Wir unterhalten uns hier oft und viel zu viel über pure Technik, Handwerk, das „Funktionieren“ von Musik (zwischen Komponiertechnik und Publikum), Warum, Weshalb, Wie etc. …? Oder darüber, wie man am besten kompiliert, kopiert, zitiert mal wieder (wie dieses ekelhafte Buch „Mashup-Lob der Kopie“, das nun so gehypt wird; aber der Autor und Suhrkamp verlangen ja auch Geld dafür und rufen nicht offiziell zum Massenkopieren und Verbreiten auf!). Und: Was ist mit dem Grenzen-Sprengen? Genau! Was ist mit dem Außer-Kontrolle-Geraten mit dem Unberechenbaren, mit den Spannungsmomenten? Was ist mit der Frage: für WAS/WEN komponieren wir noch, außer nur für das Publikum?
Schönen tag, Erik
@ Nachtrag an Goljadkin:
Allerdings, z.B. vor allem Alexander kann auch ANTI-Technizistisch. Besser gesagt: wir sollten den Blog – auch für Nicht-Experten – unterhaltsam, humorvoll und „sexy“ erhalten. Buon giorno. So, jetzt wollen auch meine Schüler unterhalten werden, ich muss los ;-)
@ Goljadkin: Sie haben mal wieder meine Unterscheidung nicht begriffen! Wir können hier gerne menschenfreundlich über Musik diskutieren, sagen wir mal ätzend leserfreundlich. Nur beim Thema „Tonal“ sind allerdings härtere Waffen angesagt. Ehrlich: Ihr Satz, das Münch nicht nach Witten und Co gehören mag, das ist zu menschenfreundlich. Das ist somit nicht musikanalytisch sondern musikideologisch. Damit öffnen Sie den „hörerfreundlichen Tonalitätsfuzzies“ wie Münch Tür und Tor. Im Zweifelsfall wird er sich dann sein Geld erklagen. Soll er ruhig! Es geht aber auch um Verantwortlichkeit, gerade wenn Menschen wie Martin Münch Kunstmusik betreiben wollen. Wie geht man heute brandaktuell mit Tonalität um? Ein viel zu heisses Eisen, als wie bisher von welcher Seite auch immer ideologisch anzufassen. So war sie entweder tabuisiert oder gedankenlos zugelassen. Eigentlich dürfte ich selbstbezeichnender Komponist Neuer Musik gar nicht auf das Beispiel Britten eingehen! Aber dieses Tabu ist eben auch wieder ideologisch. So wollte ich mit meinen oben abschliessenden Hörbetrachtungen den Rahmen sprengen und zeigen, was dieser vorgeblich so simple „nur tonale“, manchen „hörerfreundliche“ Komponist Britten so abdeckt, zumindest wie bewusst auch immer anreisst. Ehrlich gesagt sind diese Streitereien um Britten und Ferneyhough – um bei den Engländern zu bleiben – alter Toback! So wie der Streit Bruckner gegen Brahms doch relativ schnell auf Seiten der nachfolgenden Komponisten synthetisch geklärt war, sollte man über eine solche Synthese heute nachdenken. Das Ergebnis wäre vielleicht wirklich wieder noch mehr Tonales als früher. Aber es müsste ganz anders notiert werden! Wer immer noch vom Klavier ausgehend nur chromatisch Dur/Moll notieren würde, dem sollte man die Finger abschneiden. Es gehört aufgrund der erweiterten Stimmungs- und Schwebungserfahrungen eine einigermassen mikrotonale Notierung angewandt oder diese exakt ausschliessend in der Legende notiert.
Wie gesagt: Sobald das Tot „Tonalität“, altes Schreiben, Reduktion geöffnet wird, machen es sich all zu Viele all zu einfach, wird nur noch soft ideologisch und kaum noch technisch formuliert. Zum letzten Mal ehrlich: Meinen obigen Kommentar empfand ich weniger technisch denn viel zu menschenfreundlich! Und das hier ist auch noch zu nett…
Also: Britten könnte ein Weg sein, sich tonales Komponieren zu überlegen. Allerdings steht Britten für die Situation um 1930-50, eine sehr spezielle Generation, als die Errungenschaften der Moderne plötzlich politisch verboten worden sind, dies natürlich auch in freieren Ländern wie Grossbritannien zur weiteren Stabilisierung der alten Schulen führte. Heute „tonal“ schreiben heisst, nicht einfach zurück zu irgendwelchen Wurzeln zu gehen, sondern sich das Tonale neu zu erdenken, erkämpfen.
Wie könnte man zum Beispiel Zarzuela und Eskimomusik zusammenkriegen? Fängt man nur schon auf Seiten der Zarzuela an gewohnt chromatisch zu notieren, ist es eigentlich schon vorbei, es sei denn, man trifft eine dezidierte Entscheidung und sagt zum Beispiel Stimmungsvielfalt als Rechenweg bei beibehaltener chromatischer Notation. Da werden viele ideologisch tabuisieren, dennoch wäre es ein Weg. Kollege Samy Moussa geht den zum Beispiel. Wie man die Eskimomusik einfängt, notiert. Ich würde mich vielleicht für eine besondere rhythmische Schicht entscheiden, vielleicht schlichtweg Eis evozieren und Inuitmusik per Zuspielung benutzen (böses Wort!). Dies ist jetzt vollkommen hypothetisch.
Konkreter: Ich befasse mich derzeit mit bairischer politischer traditioneller Musik wie zum Beispiel dem Hiaslied, dessen aufgerauter Interpretation durch Volksmusiker, die statistische Ordnung des Materials, eine andere Musik daraus zu destillieren, die vielleicht sogar am Ende wieder zum Original findet, zumindest was ich mir als „original“ ausmale. Aber nun einfach das Stück in Dur/Moll setzen. Mag ich nicht, kann ich solala, interessiert nicht als Kunstmusik (auch so ein blöder Begriff, bevorzuge ich aber jetzt vor E und U und Neuer Musik und und und). Und zugegeben: natürlich hoffe ich, etwas von der dieser Musik mal innewohnenden Pranke nutzen zu können, um meine Tatze schwingen zu können. Aber so muss ich sie erstmal zu Wurst verarbeiten, ausscheiden und dann mal sehen, ob noch was gehen wird. Das nenne ich dann tonales Komponieren, wobei letztlich all unser Tonhöhenschreiben tonal enthält, und sei es in dessen Negation. Aber dies ist schon wieder verallgemeinernde Nettigkeit. Macht es Euch nicht so einfach!!
Alexander Strauch
@Goldjadkin: Die Unterstellung mit der Technizität … Entschuldigung, war das jetzt der Pawlow-Effekt, bloss weil einer so furchtbar technische Wörter wie „Quarte“ oder „Tremolo“ gebraucht hat?
Ausserdem finde ich, das Namedropping doch gar wichtig ist (und mir hier oft in den Comments fehlt), denn da es eher selten ist, das Menschen unter dem gleichen Wort auch dasselbe meinen, ist ein Namedropping das Mindeste (im Sinne des Aufwands), was man zur Verständigung tun kann.
Hätte Franz Kaern nicht Dusapin und Ligeti erwähnt, hätte ich seinen Comment anders aufgefasst, denn unter „tonal“ [als Gegensatz zu „atonal“!] hätte ich die nicht abgelegt.
Ich garantiere, das die ca. 10 hier kommentierenden unter diesen beiden Wörtern alle etwas anderes verstehen.
@ Alexander Strauch
Komisch, dabei halte ich mir zugute, Ihre „Absonderungen“ (was macht eigentlich Koeszeghy?) immer besonders gut verstehen zu wollen. Das fällt mir aber, das gebe ich zu, nicht immer einfach, geschuldet der möglicherweise für mich etwas zu rhizomatischen Struktur Ihrer Texte.
Ich hangele mich also an Ihrer Argumentation entlang, um nichts zu übersehen:
Daß Münch nicht in ein Festival mit wie auch immer gearteter „zeitgenössischer“ Musik gehört, ist vielleicht eine ideologische Feststellung, die sich aber (wozu ich keine Lust verspüre) bei Bedarf mit Sicherheit musikanalytisch untermauern ließe. Da ich nicht der Festivalleiter einer dieser Leuchtturmveranstaltungen bin, sehe ich mich auch nicht in der Verantwortung, eine Oberfläche satzanalytisch zu durchdringen, die so offensichtlich und auch laut eigener Aussage des Komponisten an ein musikhistorisches Modell angelehnt, ja schlichtweg draufgepappt ist. Insofern hat mein Verdikt auch nichts mit der Tatsache zu tun, daß Münch sich nun ausgerechnet an der Tonalität der vorigen Jahrhundertwende bedient, sondern lediglich mit dem Umstand, daß er dem nichts, aber auch gar nichts Eigenes hinzufügt. Ich kenne noch so einen Typen, der sich vom Hardcore-Serialisten zum Brahmsimitator umorientiert hat; wenn man die Sachen hört, denkt man unentweg daran, aus welchem Klaviertrio diese Wendung kommt und welche melodische Floskel hier Pate gestanden hat. Das könnte man beim Wer wird Millionär-Special für Komponisten als 500-Euro Frage mal einspielen, aber was das ganze soll, das erschließt sich mir nicht. Ich kann auch nicht verstehen, daß ausgerechnet solche Typen für sich in Anspruch nehmen, „hörerfreundlich“ zu schreiben. Ich bin als Hörer von solchem Zuckerbäckerwerk immer tendenziell beleidigt, weil ich offensichtlich nicht ernst genommen werde. Wie gesagt, das hat mit dem Umstand, daß auf Tonalität (in welchem Sinn auch immer, siehe weiter unten) zurückgegriffen wird, erstmal nichts zu tun. Genauso sinnlos finde ich es, wie es ja doch auch häufigst anzutreffen ist, im Stil von Ferneyhough, Sciarrino oder Rihm zu komponieren. Als Jugendlicher vielleicht, klar, um überhaupt mal irgendwo anzufangen. Aber als jemand mit der Selbstsicht „ernsthafter Komponist“ doch wohl nicht.
Weiter geht’s mit dem Thema „Tonalität“. Wie Strieder ganz richtig anmerkte, versteht da nun jeder was vollkommen anderes drunter. Einen so weit gefaßten Begriffsrahmen wie Sie, Herr Strauch, würde ich z.B. wohl kaum ziehen. So gefaßt verliert der Begriff der „Tonalität“ seinen Sinn. Man müßte dann wohl konsequenter von „tonhöhenzentriert“ oder so reden, wobei mich solche übergeordneten Begrifflichkeiten generell nicht so besonders anmachen. Sie dienen letztlich nur dem von Ihnen angeprangerten ideologisch gefärbten Sprachgebrauch, da darunter immer alles mögliche subsumierbar ist. Da hilft auch die strengste Begriffsdefinition nichts, weil dann gleich der nächste kommt und die Definition in Frage stellt (so wie ich es grade mit Ihrer gemacht habe). Aber mal von solchen grundsätzlichen Einwänden abgesehen: Gebraucht man den Begriff „Tonalität“ als musiktheoretische Bezeichnung einer kompositorischen Grundstruktur, die spätestens in den 1920er Jahren historisch geworden ist, bleibt immer noch die Frage, zu welcher Tonalität die ganzen „Tonalitätsheinis“ denn eigentlich zurück wollen. Meistens zur (spät-)romantischen, wie mir vorkommt, aber logisch ist das natürlich nicht. Man könnte ja auch zur Bach’schen Tonalität zurückkehren oder zur Haydn’schen und für jeden Rück-Schritt würden sich genügend Gründe finden. Also, welches Schweinderl hättn’s denn gern? Ich finde allerdings auch nicht, daß die Tonalität jetzt, wie ich Ihren Ausführungen zu entnehmen glaube, auf der aktuellen Agenda ganz vorne steht. Damit ist nicht gesagt, daß es nicht lohnend wäre, sich mit tonaler Musik jeglicher Art auseinanderzusetzen. Aber auch der Rückgriff auf die Tonalität, so wie Sie ihn beschreiben und obwohl Sie ihn mit den Vokabeln „erkämpfen“ und „neu erdenken“ ausschmücken, bleibt ein Rückgriff, da helfen auch die Euphemismen nichts. Wozu denn eigentlich das „neu Erkämpfen“? Was bringt’s? Warum nicht einfach „benutzen“? Ohne Absicherung, ohne Netz und doppelten Boden? Ihre mikrotonal genaue Notation von Dur-/Mollakkorden ist mir einfach zu sehr auf Sicherheit gedacht. Daß einem ja bloß keiner vorwerfen kann, man hätte etwas bloß benutzt. Das ist wissenschaftlich vielleicht lobenswert, aber eben in dem von mir gemeinten Sinne „technizistisch“. Es ist, wie ich finde, zu ergebnisorientiert, und zwar auch noch am falschen Ergebnis: irgendeiner Art von „Tonalität“ (ich verstehe das bei Ihnen als „tonhöhenorientiertes“ Denken) wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Dabei bin ich als Komponist nicht dazu da, irgendwem oder irgendetwas zu seinem Recht zu verhelfen, höchstens und eigentlich ausschließlich einem guten Stück eigener Musik. Ob da nun die Durakkorde mikrotonal korrekt notiert sind, das ist, um es mal nett zu sagen, peripher.
Wahrscheinlich habe ich aber nur wieder alles gaaanz falsch verstanden und Sie hauen mir meine Ergüsse um die Ohren. Naja, was bliebe denn noch, um gegen das Absterben der Kommunikation anzukämpfen außer mit dem Missverstandenen zu hantieren und es wieder zurückzugeben.
Goljadkin
@Goldjakin:
Das hat zwar alles was für sich, aber ich fürchte, die Beurteilung was den nun so ist und was nicht, wird wieder höchst subjektiv …
@ Strieder:
Das wiederum glaube ich nicht. Ich bediene mich mal eines historisch abgesicherten wenn auch über die Maßen klischeebeladenen Beispiels: War Salieri ein guter Komponist? Klar, da hat alles Hand und Fuß, die Formteile sind wohlproportioniert, es ist alles ordentlich instrumentiert, die Opern sind wirkungsvoll, ’n paar schöne Arien hat’s auch und tolle Chöre und alles wie es sich gehört. „Handwerklich meisterhaft“, wie man früher vielleicht gesagt hätte. Und dann kommt Mozart. Und da ist alles nicht nur handwerklich meisterhaft (Stimmführung, Dissonanzenbehandlung, Instrumentierung, formaler Bau etc.) sondern es kommt das hinzu, was ich gerne das fremde Dritte nenne. Der Extra-Clou, der das Ganze erst so richtig sahnig macht. Das kann man in jedem in Frage kommenden Stück (auch von Mozart gibt’s Meterware) analytisch benennen, es ist also keineswegs so, daß ich hier subjektiv irgendwelchen metaphysischen Kram behaupte. F-Dur-Sonate, d-moll-Klavierkonzert, Klarinettenquintett und -konzert, Dissonanzenquartett usw. usw. In jedem dieser Stücke kann man ganz genau und „objektiv“ zeigen, was es über den Salieri-Schnitt hinaushebt, welche kleine Wendung, welcher Schritt über das Konzept „Klassik“ hinausgeht und ihm so eine Facette abgewinnt, die ins Konzept eigentlich gar nicht reinpaßt. Und wenn dann das Wiedergeentdecke losgeht und überall die Salieri-Jünger aus dem Boden sprießen und das Unrecht beklagen, das ihrem vereehrten Meister zugefügt wurde, von der Nachwelt, von wem auch immer, dann kann ich eigentlich nur immer erwidern, ja schön und gut, ein schlechter Komponist war er sicher nicht, vielleicht sogar ein besonders guter, aber wir haben doch Mozart und dessen mittelmäßige Stücke. Da ist doch schon alles abgedeckt, das Konzept selbst und seine Transzendierung. Außerdem haben wir ja auch noch Haydn und den frühen bis mittleren Beethoven, allesamt mit ihren tollen und nicht ganz so tollen Stücken. Für mich ist die Sache damit abgehakt.
Das hat auch mit dem Umstand zu tun, daß es einfach so viel aktuelle Musik zu entdecken gibt, daß mir schlicht die Zeit fehlt, mich mit den Wiener Meistern der zweiten bis siebten Reihe auseinanderzusetzen. Das sollen mal die Musikwissenschaftler machen, vielleicht entdecken sie auch noch einen zweiten Mozart, dann kann ich mir den ja immer noch reinziehen. Aber jetzt die Augen offenzuhalten, z.B. in Darmstadt, in Donaueschingen, im Internet, im Radio, das ist doch viel wichtiger als solche rein historischen Fragen.
Ich bin etwas abgeschwiffen, zurück zum Ausgangspunkt: Die Bewertung, ob ein Stück seinen eigenen Rahmen bloß ausfüllt (was ja noch nicht mal das Schlechteste ist, denkt man an die Myriaden von Stücken, die noch nicht mal das zustande bringen) oder darüber hinausgeht, die läßt sich nach meinem Dafürhalten in jedem einzelnen Fall analytisch grundieren. Wir können gerne ins Detail gehen und über Stille und Umkehr, Sinfonia, Photoptosis, La terre est un homme, Firecycle Beta, Hamburgisches Konzert, Horntrio, DW 8, Carceri, Metastasis usw. usw. usw. reden (womit auch ich meinen Teil zum Namedropping beigetragen hätte), und jedes einzelne Mal würden wir (=ich) „objektiv“ benennen können, worin die Grenzüberschreitung und somit das fremde Dritte, das das Stück über den Einheitsbrei (teilweise derselben Komponisten) raushebt besteht. Wenn man das Gegenteil behauptet, also daß letztendlich nur subjektive Geschmacksurteile fällbar seien, dann können wir uns die ganze Diskussion gleich sparen und E- und U- bei der GEMA zusammenlegen und überhaupt aufhören, uns so viel Mühe beim Komponieren zu geben.
Goljadkin
@Goldjadkin: Danke für das hilfreiche Namedropping ;) [Und das mit dem „jetzt die Augen offenzuhalten“ halte ich nicht anders, fällt mir allerdings auch ziemlich leicht, da mir keine Musik vor ~1900 auch nur ansatzweise so sehr gefällt wie meine Lieblinge nach ~1900 bis heute …]
Mir scheint hier doch ein Widerspruch vor zu liegen, wenn es kein Missverständnis meinerseits ist: Erst sagen sie, man solle nicht von Technik reden, und ich fragte mich tatsächlich schon: „soll man nur noch ‚metaphyisch‘ reden?“ ;) Und nun schreiben sie, das wäre nicht metaphyisch und sie könnten es analytisch beweisen – aber wie, ohne von Technik zu sprechen?
Aber doch, ich bleibe dabei, das man so ein Urteil in diese oder jene Richtung drücken *kann* (bzw. könnte!), je nachdem, welchen Geschmack man hat.
Wie ist es zum Beispiel mit A. Schönberg? Es gab wohl kaum einen zweiten Komponisten, der so sehr in ungesichertes Terrain sich begab, ganz ohne Astwerk und ganz auf die Intuition gestellt.
Und wie ist es dann mit seinen zwölftönigen Werken. Wenn man die entspr. Werke (sinnloserweise) auf ihre „Zwölftonstruktur“ hin analysiert, bricht fast jeder Takt jene Regeln, die man in diversen Lehren (der olle Eimert und Co.), Lexika usw. usf. nachliest (ganz zu Schweigen von Webern, der seine Reihen von vorneherein falsch gebaut hat!). Allerdings war das System selbst von ihm erfunden, und fusste nicht zuletzt im harmonischen nach wie vor rein auf Intuition. Usw. usf. … da würde mich Ihre Meinung interessieren!
Viele Grüsse
Nachtrag:
Ich finde, das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Eigentlich ist es doch so, das die U-Musik (also die aus rein kommerziellen Erwägungen entstehende, wohlgemerkt!) objektiv zu sein versucht, sie versucht möglichst vielen Menschen zu gefallen (natürlich erzieht sie auch ihr Publikum durchs ununterbrochene entgegenplärren des immer gleichen, vor dem man sich in den eigenen vier Wänden (noch!?) schützen kann), und dabei zu produzieren, was möglichst vielen Menschen gefallen könnte. Dabei kann aber logischerweise nur Durchschnitt herauskommen, etwas, das möglichst wenig Leuten missfällt = /dem/ Durchschnitt gefällt.
Die E-Musik hingegen ist subjektiv: man schreib das, was man am besten kann, oder vielmehr: man versucht besser zu schreiben als man es kann, und seine Botschaft [oder was auch immer] auf die Beste Weise auszudrücken (je nachdem was die eigenen subjektiven Ziele sind!). So entsteht „überdurchschnittliches“ ;)
Genau das trifft natürlich auch auf viele U-Musik zu (jene, welche überhaupt nicht aus kommerziellen Erwägungen entsteht): Nicht wenige Musiker dort pfeifen auf den Mainstream und wollen etwas eigenes entwickeln. Und wenn dann eine Band ihre Musik verändert von etwas, das „der Durchschnitt“ für Krach hält, in etwas, das „der Durchschnitt“ immer noch für Krach halten, dann schreien einige „Igitt, jetzt werden die kommerziell!“ … genau wie in der E-Musik ;)
[alles vorgesagte natürlich verallgemeinert, da sehr vielfältig, es sei nur am Rande angemerkt, das aus dem Non-Mainstream immer wieder Elemente in den Mainstream hineinschwappen, um die Klientel zu erweitern (damit nicht am Ende zu viele Kunden in den Underground „wegbrechen“) – aber immer auf eine glattgeschliffene Weise, damit weiterhin möglicht viele „zufrieden“ sind … Es ist leider so, das von der U-Musik nur 1% ununterbrochen propagiert wird, und die interessanten restlichen 99% werden genauso wie die E-Musik totgeschwiegen. Ich mache mal schluss, damit mein Comment nicht ausufert…]
Schlussendlich bin ich hiermit auch wieder gut beim Ursprungsthema … den was ist denn eine „hörerfreundliche“ Musik? Eine „durschchnittliche“ Musik! [Gleichwohl ich denke, dass das Interesse ausgerechnet an nachgemachten Debusatieravel tatsächlich verschwindend gering ist … sowohl beim Hörer als auch bei Unternehmen: Wäre doch blöd Geld für eine Kopie auszugeben, statt das Original kostenlos (Urheberrecht erloschen!) zu verbraten, um Heizdecken und Wackelarmdroiden zu verkaufen …]
Nachtrag zum Nachtrag – Und jetzt ist mir erst aufgefallen, das *ich* missverstanden wurde. Ich habe nur das gemeint, was ich auch schrieb: Die Beurteilung ob ein Werk den von Ihnen genannten Kriterien entspricht, kann, je nach dem wer die Beurteilung vornimmt (!), subjektiv „verfälscht“ sein – Das sollte aber nicht bedeuten, das eine objektive Feststellbarkeit nicht doch *theoretisch* möglich wäre! Aber beispielsweise, es fällt doch schwer ein Werk objektiv zu beurteilen, wenn es einem höchst zuwieder ist oder sonstwie gar nicht in die eigenen subjektiven Vorstellungen passt, oder einem das Vokabular fremd ist, und und und … [was gäb ich jetzt um eine längere edit-zeit im BadBlog!]
@ strieder:
Ich könnte ja noch warten, ob noch ein Nachtragsnachtrag zum Nachtrag kommt und irgendwann gar nix mehr übrig ist, auf das ich eingehen könnte …
Ich glaube nicht, daß ich Sie missverstanden habe, aber doch, daß Sie mich missverstanden haben. Nirgendwo habe ich gesagt, daß ich ein Werk „beurteilen“ will. Und ich habe auch auf gar keinen Fall behauptet, ich würde irgendwelche selbsterdachten Kriterien an ein Werk anlegen. Und ich habe ganz sicher nie gesagt, ich könnte auf musikalischem Gebiet irgendetwas „beweisen“. Das wäre ja grotesk, so was anzukündigen. Ich habe lediglich darauf abgehoben, daß ich ein Stück auf seine selbst (also von seinem Schöpfer vermeintlich oder tatsächlich zugrunde-) gelegten Prämissen hin untersuche(n will). Daher auch das „objektiv“ in “ „. Will heißen: Ich kann unter Umständen Ihnen oder sonstwem, der einigermaßen vernünftig ist und willens, sich darauf einzulassen, am Notentext zeigen oder mir von Ihnen oder sonstwem zeigen lassen, was wie und warum gemacht worden ist. Darüber kann man dann reden und streiten und einander entzweien, aber die Debatte findet nicht im luftleer-metaphysischen Raum statt. Das ist dann nach meinem Ermessen schon noch mal was anderes als bloße Subjektivität. Natürlich auch keine Objektivität im wissenschaftlichen Sinne (wir könnten hier auch eine Diskussion über Sinn und Unsinn der Musikwissenschaft führen), vielleicht ist es noch nicht mal so eine Art Intersubjektivität. Oder doch. Aber mehr als ein beliebig wendbares Geschmacksurteil allemal.
Weiter oben (vor den Nachträgen) haben Sie mich nochmal missverstanden, aber das nehme ich mal, menschenfreundlich wie ich bin, auf meine Kappe, weil ich mich wohl nicht klar ausgedrückt habe. Mit „technizistisch“ meinte ich nicht ein musiktheoretisches Vokabular, das natürlich vorhanden sein muß, wenn wir nicht mit abstrakten Symbolen Analyse betreiben wollen (vielleicht aber ginge das ja sogar, so nach Art der Prädikatenlogik?), sondern den Miß- oder Unbrauch dieses Vokabulars, um damit ästhetische Debatten zu führen. Die musiktheoretisch „korrekte“ Anwendung von Techniken führt eben nicht zu einem ästhetisch diskutablen Ergebnis. Das ist ein Denken vom falschen Ende her, wie ich es Alexander Strauch ja auch weiter oben in Bezug auf die „Tonalität“ unterstellt habe. Umgekehrt generieren ästhetische Objekte überhaupt erst die Techniken, die im nachhinein von den Theoretikern kanonisiert, korsettiert, historisiert werden. So erübrigt sich für mich auch die Diskussion um „fehlerhaft“ angewendete Zwölftonreihen usw. Ein ästhetisches Objekt, das diesen Namen verdient, kann nur im theoretischen Blickwinkel fehlerhaft sein, weil es den technischen Kanon notwendigerweise erweitert, sprengt, ins Unrecht setzt. Was passiert denn, wenn ich einfach nur das Lehrbuch von Eimert „vertone“? Oder wenn ich die Hindemith’sche Harmonielehre eins zu eins umsetze? Oder den Kontrapunkt von Jeppesen? Da kommt doch nie und nimmer Musik dabei raus.
Übrigens ist doch eine gewisse Aufnahmebereitschaft Voraussetzung für jegliche Art Analyse, auch im wissenschaftlichen Bereich. Auch da gibt’s ja Leute, die Sachen besser durchdringen als andere. Und Leute, die einfach bessere Theorien haben als andere. Und natürlich auch Leute, die so gar keinen Bock auf Teilchenphysik haben und stattdessen lieber bei Schimpansen im Urwald mitleben. Jedes Töpfchen hat sein Deckelchen …
Goljadkin
Also wie denn nun? Konzepte seien zwar „schön und gut“, man solle aber darüber hinausgehen, denn sonst entstünde keine Musik … doch dann „erübrigt“ sich plötzlich die Diskussion darüber, ob über ein Konzept hinausgegangen wurde oder nicht …
Wo erfahren wir überhaupt, was das Konzept ist … sicherlich nicht vom Eimert oder aus einem x-beliebigen Lexikon, obwohl dort ja irgendein Konsens beschreiben wird, den anzuwenden es durchaus legitim scheinen könnte (und [leider] für die meisten wohl auch ist … bzw., das machen sie ja auch nicht mal, die Werke werden gar nicht erst angesehen … aber das ist ein anderes Thema). Extrahieren wir das aus dem jeweiligen Stück? Aber dann schwebt es ja auch nur im „luftleeren Raum“, wir haben das Konzept festgestellt oder Regeln extrahiert, und ein wunderbar geschlossenes Stück ist dann natürlich Müll, weil es über das extrahierte Konzept nicht hinaus geht … usw. usf.
Also werr’n mer doch amol konkret, mach ma’s amol ganz konkret:
Die Anwendung der Zwölftontechnik ist ja nun nicht so schwierig, ich sortiere die Töne, wie ich sie brauche, mache meine Transpositionen und die Umkehrungen und Krebse und Krebsumkehrungen und dann fange ich an zu komponieren und lasse sich die ganze Sache entwickeln, verdichte hier, dünne da aus, dann kommt der Höhepunkt und irgendwann ist Schluß. Zwischendurch achte ich noch drauf, daß keine Oktaven auftauchen und keine funktionsharmonischen Wendungen, weil die sind ja vom Meister verboten. Dann habe ich das Konzept der Zwölftontechnik vollkommen korrekt angewendet. Und jeder Theoretiker kann, ohne daß irgendwer ihm das sagen muss (am allerwenigsten der Komponist selber) später die Partitur auseinanderklamüsern und feststellen, aha, hier wurde eine Reihe aus zwölf Tönen zugrundegelegt, die nach folgenden Regeln permutiert und abgespult wurde. Formal ist das Ganze so und so aufgebaut, alles klar. Jetzt kommt aber Alban Berg und sagt, jaja Zwölftontechnik muß ich schon machen, weil sonst der Arnold mich im Unterricht wieder so schief anguckt, aber irgendwie ist mir das zu doof, einfach irgendwelche zwölf Töne abzuzählen, das reicht mir nicht. Und dann geht er her und sortiert die Töne so, daß er im Violinkonzert plötzlich doch funktionsharmonische Fetzen rausdestillieren kann. Und am Anfang macht er einfach leere Geigensaiten, also ganz und gar „falsche“ Quinten. Und zwischendurch kommt noch ein Ländler und hintendrauf noch ein Choral. Da wird der Arnold aber Augen machen. Und er kann noch nicht mal was dagegen sagen, weil es ist ja zwölftönig. Jeder Theoretiker kann im Violinkonzert auch ohne Einflüsterung die Sortierung der Töne im Zwölftonmodus nachvollziehen, aber ein tolles Stück ist es nicht deswegen, sondern weil Berg über die bloß technische Anwendung des Konzepts hinausgeht. Das steht natürlich nicht beim Eimert, daß man das darf. Das muß man sich dann eben rausnehmen. Und das kann man sich auch nicht vorher zurechtlegen und theoretisch grundieren, das passiert dann beim „Loslassen“. Bei allen tollen Stücken gibt es dieses Zusätzliche. F-Dur-Sonate von Mozart: Ein Sonatenhauptsatz hat bei Salieri nur zwei Themen, aber bei Mozart sind’s plötzlich vier oder fünf, je nach Zählung. Und alles fügt sich auf wundersame Weise zusammen und ergibt ein Stück Kunst. Natürlich ist das Konzept „Sonatenhauptsatz“ eine Setzung, die sozusagen auf empirischen Erfahrungswerten beruht. In 90% aller Fälle sind’s eben zwei Themen. Aber die Stücke schwirren ja auch nicht im „luftleeren Raum“ herum, sie haben Vor- und Mit- und Nachgänger und erst im intertextuellen Vergleich macht die Auffindung eines Konzepts Sinn. Oder Stille und Umkehr (eines meiner Lieblingsstücke): Das ist alles seriell im weitesten Sinne organisiert, da überlappen sich verschiedene Dauernstränge, die verschiedenen Klangwolken sind auch schön sauber permutiert, damit sich nix wiederholt und dann ist da aber noch dieses d, das die ganze Zeit klingt und durchs Orchester wandert, sich zum Geräusch aufrauht, wieder konkretisiert zum klingenden Ton usw. Das sprengt den Rahmen des „Serialismus“, das ist so nicht vorgesehen, das paßt nicht ins Konzept. Und auch dieses Konzept habe ich dem Stück nicht etwa aufgepreßt oder mir irgendwie aus den Fingern gesaugt, das kann jeder aus der Partitur mit etwas Geduld rausfiltern, man muss halt Töne zählen und Dauern zählen und Pausen zählen und dann kristallisiert sich die serielle Struktur raus. Aber das d, das bleibt als unkürzbarer Rest übrig. Da brauchen wir natürlich all die schönen theoretischen Werkzeuge, um all die Geheimnisse rauszufinden. Sobald ich aber komponiere, dann bin ich dieser Werkzeuge ledig. Ich kann mir eine serielle Struktur zurechtbasteln, ich kann Takte ausrechnen, spektrale Verläufe, weiß der Teufel was. Das ist alles berechtigt, vielleicht sinnvoll, vielleicht auch nicht. Ich kann mir auch, wie Rihm, vornehmen, daß ich mir nichts vornehme, weil ich aus dem immerwährenden Strom der Musik in meinem Inneren Blöcke haue, das ist auch ein Konzept, das ich nach stundenlanger Analyse ganz alleine rausfinden kann, wenn ich nämlich gar nix rausfinde außer einem irgendwie gearteten Formverlauf. Und auch bei Rihm wird es immer dann interessant, wenn er sein eigenes Konzept unterläuft, wenn er die Sache mal nicht so laufen läßt, wenn er nicht der Süffigkeit hinterherschnüffelt sondern karg oder spröde wird.
Ich beanspruche hier nicht, ein sorgfältig ausgearbeitetes System für das Verstehen von Musik auszubreiten, im Gegenteil, ich beschreibe lediglich, wie ich selbst mit Musik umgehe. Es gibt zwei Seiten, die des theoretisierenden Hörers, wenn ich bereits bestehende Musik sortiere, einordne, vielleicht auch doch ab und zu mal aburteile (man ist ja Mensch und will’s auch bleiben); dann gibt es mich ja aber auch noch als Komponisten und da ist mir das ganze theoretische Zeugs eher hinderlich, zwängt es mich zu sehr ein, habe ich große Mühe, das abzustreifen und loszulassen. Vielleicht ist das alles also nur ein Pfeifen im Walde.
Gute Nacht
Goljadkin
Goljadkin, Strieder – sorry, dass ich mich Stunden später erst wieder melde! Ich versuche mich noch immer im Wust von Technik, Ideologie und Menschenfreundlichkeit zurecht zu finden. Mein erstes Gefühl bricht sich wieder Bahn: Eine Tonalitätsdiskussion ist heute einfach noch nicht angebracht. Das klingt jetzt wie ein Lehrer zwischen 1970/80. Dabei wäre ein Nachdenken schon angebracht. Mein Problem ist, dass es sofort die Softies der „Wir dürfen wieder“ Fraktion weckt. Auch wenn die hier bislang eher redundant auftraten. Jede Erwähnung Brittens werden die wie Manna in sich aufsaugen. Natürlich ist dies auch schon durch, sind ja etliche dieser Leute solide Theoretiker, durchaus auch offen für „Neueres“, was dann bei Rihm/Glanert/Jost endet. Diese Kollegen in allen Ehren! Für eine Harmonikdiskussion taugen die mir aber nicht. Da schwingt dann sofort wieder die Postmoderne mit. Wenn es wenigstens der Pluralismus Zenderscher oder wie auch immer von mir höchstwahrscheinlich komplexistischer Natur wäre.
Aber die Diskussion von der Warte der Letzteren aus zu führen, halte ich auch nicht für sinnvoll. Denn dann erübrigt sich angesichts der Tonalitätssofties sofort die Kontroverse. Das läßt jetzt manchen das Blut im Hirn erstarren. Dennoch will ich bei solch einer Auseinandersetzung über Tonalität, Harmonik diese Zustände der Diskussion der letzten 20, 30 Jahre hinter mir lassen. Dann könnte reden über Tonales wieder Sinn machen. Insofern, Herr Goljadkin, gebe ich Ihnen zu hundert Prozent Recht, dass dieses antik-schicke „name-dropping“ zu nichts führt. Es sollte von einer aktuellen Bestandsaufnahme ausgehen, sagen wir mal zwischen 2005 und 2012, am Liebsten noch dichter, nur 2010 bis 2012. Die zu besprechenden Komponisten sollten U 60 sein, wenn tot, dann Leute wie Grisey, aber auch schon zu lange weg, gerade noch Romitelli, wenn es Sinn macht, auch so jemand wie Bertrand. Es wird höchstwahrscheinlich auch um Leute gehen, die noch nicht „der/die Große“ genannt werden können. Aber wichtig ist ja, was machen die Jüngeren. Und davon ausgehend kann man vielleicht sehen, ob Tonalität in welcher Denkweise auch immer eine Rolle spielt. Oder ob es doch eher um tonzentrales, sehr tonhöhenorientiertes Material geht, das Hörerfahrungen kunstgewerblicher Musik oder älterer Kunstmusik evoziert. Oder ob diesen Hören nahes Material doch letztlich nicht parametrisch organisiert wird anstatt einer tonikalen Hierarchisierung zu folgen. Oder dieser Letzteren auch so nicht folgt, ganz anderes „tonales“ Erleben hervorruft, sei es exotisch, dem Jazz verhaftet oder populärer Musik verpflichtet. Letzen Endes dann wieder ein wenig name-dropping, ob man es z.B. eher Haas, Smolka, Romitelli oder B. Lang zuordnen könnte. Oder es was Neuartiges ist? Aber vielleicht ist das ja noch öder, als das Rufen totgeglaubter Geister zuletzt für mich…
Gruß,
A. Strauch
@ Alexander Strauch:
Also ich widerspreche mir hiermit selbst und droppe nun doch names, aus Not und um der Sache willen:
Also was machen sie denn, die „Jungen“? Was macht ein Schüttler, ein Kreidler, ein Marcoll, ein Beil, ein Smolka, ein Lang (K. und B.), Staudt, Widmann, Jost, Schubert, Seidl, Thomalla, Finnendahl, Hechtle, Poppe, Joneleit, Eggert, Steen-Andersen, Prins, Bang, Mainka, Mitterer, Smutny, um nur mal einige der Namen zu nennen, die im Augenblick so kursieren (danke übrigens für das dropping des Namen Romitelli, den ich bisher nicht kannte). Also, was ist da los in der Welt der Jugend-und-Männer-im-besten-Alter-komponiert-Neuen Musik? Ehrlich gesagt, es fällt mir schwer, da irgendeine Tendenz zu erkennen. Die einen benutzen im besten Wortsinne das bisher historisch angehäufte Material, collagieren, kleben, schneiden, loopen, verschmutzen es; die anderen tüfteln immer noch am Klang, kitzeln hier und da noch mal eine neue Spieltechnik raus, noch ein Fiepen, das sich aber doch ein bißchen anders anhört als das Fiepen vom letzten Jahr; wieder andere komponieren einfach so vor sich hin, hauen Blöcke aus dem Musikstrom, geben sich ihrem Genie hin, pressen das letzte Restchen Expressivität aus dem ausgelutschten Material (jaja, an der ideologisch gefärbten Wortwahl kann man schon merken, wem meine Sympathien gehören); mit Tonalität im engeren Sinne beschäftigen sich, wie ich festzustellen vermeine, beinahe alle der oben aufgezählten (für Ergänzungen der Liste bin ich übrigens in Anbetracht meiner Neugier auf neueste Musik sehr dankbar), die einen im negativ ausschließenden Sinne, die anderen im Strauch’schen Sinne des „neu erkämpfens“, die dritten schließlich, indem sie einfach die Brocken benutzen, die rumliegen. Die Übergänge sind selbstverständlich fliessend, da lasse ich mich jetzt nicht festnageln. Und was gibt es nicht schon für Konzepte, mit Tonalität umzugehen, reine Stimmungen, pythagoreische Stimmungen, mitteltönige Stimmungen, neunzehntönige Stimmungen, Sechsteltöne, exotische Stimmungen aus Thailand, aus Bhutan, aus Algerien, aus Mali, aus den Anden, von den Eskimos (Vierteltöne sind ja nun schon das Allerbanalste, was man hinschreiben kann), die Regale sind bestens gefüllt, ich sehe da keine Notwendigkeit, mich hinzusetzen und lang über irgendwelchen mikrotonal korrekten Durterzen zu grübeln. Der Mehrwert ist mir einfach zu gering. Und wie schon gesagt, auf die wissenschaftliche Absicherung kann oder vielmehr will ich verzichten. Viel mehr Gewinn scheint mir eine oder zwei Ebenen drüber zu winken, auf der Ebene der Klein- oder Großformen, bzw. der formalen Anlage. Da tut sich nach meiner Ansicht erschreckend wenig, die Stücke haben alle einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende. Immer noch viel zu wenig wird dieses Schema aufgebrochen. Viel zu oft wird im Saal das Licht gedimmt, die letzten Huster verstummen und dann geht die Kunst los. Und hört halt irgendwann wieder auf. Und hat mittendrin einen Höhepunkt. Das sind doch alles keine Naturgesetzmäßigkeiten, das sind doch Setzungen. Und Setzungen (das impliziert der Name) können um-gesetzt werden. Und müssen sogar umgesetzt werden. Im Bereich der Töne ist dies schon so erschöpfend geschehen, daß da nichts (Entscheidendes) mehr zu holen ist. Da muss man sich für etwas entscheiden, dann „benutzt“ man es eben. Der Clou ist nach wie vor, mein Material in Zusammenklang mit meiner Form zu bringen. Da bin ich Klassizist, wenn Sie so wollen, aber gleichzeitig auch Anti-Klassizist, wenn das Material so gar nichts mit der Form zu tun hat, kann das auch funktionieren. Was aber nicht funktioniert, und woran die ganze Sache im Moment krankt, ist, wenn Material und Form in einem indifferenten, unentschlossenen, unbedachten Verhältnis zueinander stehen. Wenn Bernhard Lang loopt und loopt und loopt und am Ende kommt aber ein sinfonieartiges Gebilde mit entsprechendem Formverlauf dabei raus, dann stimmt irgendwas nicht. Wenn Finnendahl seine Instrumentalisten in die graphischen Balken auf den Laptops spielen läßt und das dann weiterverwurstet und am Ende war’s halt ein Stück mit Live-Elektronik, dann stimmt irgendetwas nicht. Wenn Kreidler sampelt und dazu Instrumente Neue Musik spielen läßt, dann stimmt etwas nicht. Erst recht nichts stimmt eben, wenn Münch Debussy nachkomponiert und nachher behauptet, er werde zu Unrecht „unterdrückt“. Den Aufwand für die Mittel mit dem klingenden Ergebnis in Einklang zu bringen, das ist eine Baustelle, auf der zu graben ich für sinnvoll halte. Ein Formgefühl für die vielen disparaten Mittel, die einem zur Verfügung stehen zu entwickeln, das ist für mich eine viel wichtigere Frage als die, ob ich nun Tonales verwende(n darf) oder nicht. Wenn mein Stück das verlangt, dann ja. Wenn nicht, dann nicht. Für mich ist diese Sache (zu?) einfach.
Goljadkin
@Goljadkin: Ich stimme zwar vielem zu was sie so geschrieben haben, und was sie zuletzt über Formen geschrieben haben, mag ich auch.
Aber was das „amol konkret werden“ hervor gebracht hat, ist ja sogar noch schlimmer als das, was ich als Befürchtung in den Raum gestellt habe!? :\ Sie beschreiben die Nach-Theoretisiert-Korsettierte Form der Zwölftontechnik á la Eimert (Baujahr 1950!), wechseln aber den Namen „Eimert“ mit dem Namen Schönberg aus (!!!) (das noch vermengt mit Räuberpistolen) und setzen das dann in Beziehung zu einem Werk von 1935!? Da ist doch ihr ganzes, doch eigentlich gut gedachtes und durchaus sympathisches Werkzeug dank Fehlbedienung gerade zu Boden gefallen und zerdeppert.
Also mal abgesehen davon, das ihre Beschreibung der Zwölftontechnik mit den Kompositionen Schönbergs aber auch gar nichts zu tun hat, sind einige als Besonderheiten (als das „hinausgehende“) in Bergs Werk von Ihnen angebenen Details schon von Schönberg vorgemacht worden. Zum Beispiel, so wie Berg im Violinkonzert sein „Vögelchen auf dem Zwetschgenbaum“ quasi bitonal im Tritonusabstand harmonisiert (Ges und C-Dur beim ersten auftreten), tat es Schönberg schon ca. 10 Jahre zuvor in der „Tanzszene“ der Serenade, wo ebenfalls ein Ländler in ähnlicher Weise (dort G-Dur und Cis-Dur) harmonisiert wird.
Auch in Schönbergs Suite op. 29, dessen Reihe ebenfalls die Bildung tonaler Dreiklänge begünstigt (wobei allerdings ohnehin mit jeder beliebigen Reihe tonale Klänge möglich sind, und wenn es die chromatische Skala als Reihe ist!), wird ein Volkslied („Ännchen von Tharau“) verwendet, auch findet man Walzerbegleitung usw. usf. … ein Vergleich von op. 24, op. 29 und dem Violinkonzert hätte sich gelohnt … Zufälligerweise habe ich sogar zu „Stille und Umkehr“ etwas: In der Musette aus Schönbergs op. 25 ertönt das ganze Stück hindurch der Ton „g“ … da könnt‘ ich ja auch ne Räuberpistole erfinden so à la „Und dann hat der Bazi sich gedacht, ich nehm mal das d statt das g damit’s keiner merkt“ harharhar :D :D :D :D
Übrigens möchte ich keines der genannten Werke schlecht machen, insbesondere liebe das Violinkonzert Bergs (das Adagio!!!) sehr, aber aus ganz anderen Gründen ;)
Viele Grüsse
Tja, wie Sie selbst beschreiben: Tonalität ist gar nicht so wichtig als Thema. Sie spielt eine Rolle, technisch, konzeptuell, etc. Und sie wird individuell gebraucht, benutzt, eingesetzt. Wie gesagt, eine öde Diskussion, wenn man Ihrer Argumentationslinie folgt. Denn was will man damit Aufwärmen? Geht es doch v.a. um eine Einsatzbeschreibung von Fall zu Fall. Nett für Seminärchen, Promotiönchen, etc. Für mich stellt sich da auch die Ödnisfrage, sie oben meinen letzten Einwurf dazu.
Sie verfolgen eher die Frage nach der grösseren Form, nach dem Inhalt, ja nach der Meta-Bedeutung, der Hermeneutik, des Pathos – wobei Sie jetzt hoffentlich beim letzten Wort nicht aufschreien. Pathos ist ja verboten!! Pathos meint aber nicht das, was Neue-Musik-Oberschlau-Lieschen-Müller damit verbindet: Russische Romantik, Bayreuther Wurstmotive, Wiener Opernschlamperei. Wie wäre es mal mit dem Ligetischen Weltuntergangspathos, dem Bernhard Langschen Extremlooppathos, dem Kreidlerschen Stellungsnahmepathos (das hört er jetzt nicht gerne…), dem Poppeschen Auswalz- bis Steigerungspathos, etc. Stillepathos. Eben immer dort, wo ein Komponist doch was mitteilen möchte, kann sich durchaus ein Pathos herauskristallisieren.
Wenn Sie mir das jetzt ankreiden, dann sind wir schon wieder in der Klischeekiste. Und dem Kaernschen „benutzen“. Dem Abwenden. Im Prinzip beschreiben sie in jedem Ihrer aufgeführten Fälle eine Benutzung von vorhandenen tonalen Techniken. Da sind auch durchaus „Personalstile“ dabei im Einsatz, wie bei Poppe das spektral offen oder gestauchte Umfeld, manchmal auch was Amderes, bei Lang vorzüglich der zugang über das kompositorische Sampeln. Schön und gut. Aber irgendwie auch uninteressant. So gucken Sie lieber auf das Formale. Auch gut. Und schon die Abwendung.
Denn ich behaupte: Wenn Sie in jenen Fällen ein Formproblem haben, dann haben diese Fälle ein Tonhöhenproblem. Denn die Hauptkonstruktionen der klassischen Neuen Musik gingen ja von diesen aus: Das Ableiten weiterer Parameter aus der dodekaphonen Tonhöhenorganisation, der Formverlauf von massierten Tonaggregaten bei Xenakis, die Millimeterpapierkontrapunkte Ligetis, die Bezugnahmen und durchaus ausgehörten, also tonhöhengebundenen postmodernen Zitatschlachten, der Spektralismus sowieso, der Alles zusammenfassende Komplexismus, die einfachen Tonräume der Minimal Music. Eben Alles, was wir hier schon rauf und runter ge-name-dropt haben. Ich behaupte nun, wenn die Tonhöhen stimmen, stimmt die Form! Die meisten Werke Rihms z.B. stimmen nur dann, wenn es in den Tonhöhen nicht wabert, sondern die Setzung mal eiskalt präzise ist wie in In-Schrift, im Gegensatz zum grusligen Requiem oder dem reinen hinterher beten der Spätromantik. Oder ganz heikel, da quasi perfekt: Ligetis Atmosphere und Lontano. Da sind Zweifel eigentlich unangebracht! So funktioniert Atmosphere für mich besser als Lontano, da es doch weniger alten Modalitäten hinterherlauscht, sondern eher mit gut kalkulierten Klangbergen, Massierungen, Steigerungen, Abbrüchen hantiert. Lontano passt schon, natürlich sehr gut. Aber irgendwie hat es „nur“ einen ähnlichen Charme wie Cages Number Pieces. Oder nehmen wir Haas, bei dem ich gerade ein wenig andersherum wahrnehme: sein Sechs-Klaviere-Konzert klanglich sehr beeindruckend, pastoses Geraune. Wirklich begeistert bin ich aber von seinem ersten Quartett, was dies viel gnadenloser durchzieht. Nun, Pathosbeschreibungen, Pathos meinerseits. Die Auflistung und Wertung liesse sich trefflich fortsetzen.
Ich möchte aber woanders hin! Ich möchte NICHT über Benutzung der alten und neuen Modelle mir Gedanken machen, sondern: Lässt sich allem realen wie propagierten Individualismus zum Trotz so was wie eine „Grundtendenz harmonischen Gestaltens“ feststellen? Ein anderes Gestalten als 1900 noch, 1910 und 1920. Eine vermeintliche Aufgabe dessen 1950/55, Re-Zitierung und andererseits Spektralisierung ab 1965/70. Hören Komponisten heute wirklich anders als ihre Lehrer? Gibt es Weiterentwickler oder sind sie in harmonischer Hinsicht nur Wiederholer? Im letzteren Falle: Wie sieht es dann mit Synthesen aus, die weiterentwickeln würden? Der Spektralismus hat ja zumind. bei Grisey/Murail den Anspruch Scelsi-Messiaen-Ligeti zu synthetisieren! Heute hört man aus jungen Mündern: „Ich will eine Synthese aus Lachenmann und Ferneyhough“. „Ich kann mit Neuer Musik nix anfangen, ich will wieder tonal sein.“ „Ich will nur Technik.“ „Ich will nur Emotion.“ Die Helmut-Brian-Synthese klingt da noch am ambitioniertesten. Der Rest ist „nur“ retrospektives Entscheiden, Benutzen! Und zurecht: Das Feld der letzten 50/100 Jahre abzugrasen ist wahrlich eine reiche Kiste
Dennoch: Gibt es einen besonderen Klang unserer Tage, jenseits von Zitat alles Bekannten, Mikrotönen, Zuspielung und Laptop? Ist dieser Klang harmonisch? Bevorzugen wir Quinten oder Sexten, dumm gefragt? Hören wir im Sinne von „aushören“ rein parametrisch organisiert oder spielt uns die Kadenzprägung immer wieder dazwischen, ohne dass wir es zugeben? Unterscheiden wir nur zwischen Dichte und Leere oder spielt in einem sehr weiten Sinne konsonante Etablierung, dissonante Hinterfragung und der überraschende Umgang damit nicht doch latent, wie latent dann, eine Rolle? Oder darf man dies einfach nicht sagen, da es zu intim würde? Und lässt sich dann aus solchen Nachfragen ein spezifisches Harmonikdenken konstatieren, das anders als das der Wiener Schule, der Nono und Boulez ist, anders als das Ligetis und der Spektralisten, anders als das eines Lachenmanns, eines Rihms, eines Zenders, anders als vor 10 Jahren? Das mag Sie nun anöden! Es ist ja auch viel schöner über „Grösse“ zu räsonnieren. Aber was ist mit dem vornehmsten Material darunter, den Tönen? Ich bitte Sie, wenn darauf einzugehen und die oberen Absätze dann weitestgehend zu ignorieren, denn meine Ligeti, Rihm und Hass-Einlassungen sind ja durchaus auch nur Geschmacksfragen. Und beantworten bis auf Haas die Fragestellungen in der Art vor 20, 30 Jahren! Aber was ist heute? Was ist mit der Harmonik Schüttlers, Seidls, Arneckes, der vielen jungen Hübners, eines Kampes, eines Kreidlers, eines Goljadkins, eines Strieders und meinetwegen auch meinerselbst? Aber das interessiert Sie ja gar nicht. Also, Ende, Aus, Amen! Wie betrachtet: Für mich und vielleicht auch genügend Andere wichtige Fragen. Da man aber als Badblogger eins immer noch auf die Mütze bekommt, als Feststeller und Befrager nach Tonalem nur Beutzungsantworten oder gleich den Reaktionärsstempel, wird das wieder nicht beantwortet. Und wie Sie ja schon virulent durchschimmern liessen, ist meine Tonhöhenvermutung sowieso der letzte Scheiss. Also: Tonalitäts, Harmonikdiskussionen bringen nix! Denn wir drei schlagen uns, der Kaern und Janson sind raus, der Blogautor macht sich dazu auch keine Gedanken und der Rest der Leserbagage kriegt die Finger nicht in die Tasten! Es kotzt an, es ist einfach nur öde.
Darauf bitte auch nicht eingehen, bitte nur auf die Fragestellungen!! Nix ist einfacher als über Beiwerk zu reden und mache ich hiermit auch. Also, habt Ihr Mumm oder lesen hier nur Luschen?!?
Gruß,
A.S.
Sorry, ich bin nicht wirklich raus. Ich habe nur eine Woche, die mit zwei Lehraufträgen und einer halben Festanstellung dicht bepackt mit Unterrichten ist, wo ich mir jeden Tag bis abends den Mund fusselig rede und versuche, ansonsten noch Zeit dafür zu finden, dieses Jahr endlich meine Dissertation fertig zu bekommen. Ich staune darüber, wie opulent und rasant sich dieser Thread und die Diskussion darin entwickeln und bin momentan abends nur dabei, erst einmal zu lesen, was da den lieben langen Tag an neuen Beiträgen entstanden ist. Ich finde viele davon sehr spannend und bedenkenswert und denke darüber tatsächlich auch nach. Ich merke ja immer wieder, dass dieser Blog ein ziemliches Niveau postuliert und man sehr schnell um die Ohren gehauen bekommt, wenn man etwas zu unbedacht hier hineinschreibt. Nun, ich will, wenn, dann doch etwas überlegter schreiben, und dafür sind hier mittlerweile so viele gute, provokative, inspirierende, manchmal auch verärgernde Argumente ausgetauscht worden, dass es mir schwer fällt, all die Gedanken, die ich dazu habe, zu ordnen und hier zu posten.
Soviel scheint mir in der ganzen Diskussion Konsens zu sein:
Eine künstlerische Haltung, die in irgendeiner Weise im emphatischen Sinne „zurück zu …!“ postuliert, kann nicht das Ziel kompositorischer Arbeit sein. Herr Münch scheint in diesem Sinne ein abschreckendes Beispiel zu sein. Ich selbst schreibe ganz gerne gelegentlich Stilkopien in verschiedenen traditionellen Epochen- oder Personalstilen, aber eben im Bewusstsein, das sind jetzt eben Stilkopien, Tonsatzaufgaben, ohne mich als Komponist in irgendeiner Weise zu repräsentieren. Ich unterrichte schließlich Musiktheorie, habe also u.a. auch die Aufgabe, Musikstudierenden satztechnische Fähigkeiten zu vermitteln. Da schadet es nicht, wenn ich mich dem immer wieder selbst aussetze, um die Klippen und Kanten dabei besser antizipieren zu können, die den Studioses begegnen könnten. Aber klar: Aus den Stilkopien spreche nicht ich, da spricht höchsten eine Vergangenheit durch mich.
Als Komponist im eigentlichen Sinne bin ich selbst aber an Tonhöhen, an Harmonik, an Tonalität interessiert. Es wurde weiter oben bereits gesagt, dass hier jeder wohl etwas anderes darunter versteht. Für mich ist Tonalität eine ziemlich dehnbare Angelegenheit, die sich nuanciert zwischen sehr extremen Polen bewegen kann. Vom Wahrnehmen eines reinen, ungebrochen konsonanten Klangs bis zur Kehrseite einer mikrotonal clusterartig vollgestopften Ballung oder einem Geräusch, das seit Lachenmann ja die Kehrseite des schönen Instrumentalklanges darstellt, kann vieles passieren. Ich stelle mir die Aufgabe, dass eine Auswahl von Graden auf dieser Skala nicht beliebig erscheint, sondern eine klangliche Logik spüren lässt, inneren Zusammenhang besitzt.
Wenn ich weiter sagen sollte, was für mich Tonalität darstellt, dann ist es noch dieses, dass es mir wichtig erscheint, zwischen Konsonanz und Dissonanz zu unterscheiden und nicht alle Klänge als austauschbar und gleichrangig zu erachten(was aber jetzt bitte nicht einfach nur im klassischen Sinne von Sekundreibung = dissonant und große Terz = konsonant verstanden werden sollte). Wenn Klänge – wie auch immer geartet – eine Entspannung oder Anspannung spürbar werden lassen, wenn zwischen beidem vermittelt wird, dann entsteht für mich Tonalität. Und ich kann nur sagen, dass mir das als musikalischer Ausdruck wichtig ist, dass ich mich damit persönlich identifiziere, mir darin authentisch vorkomme, und dass mir vor allem auf diesem Gebiet immer wieder etwas einfällt (auf anderen kompositorischen Gebieten fällt mir dafür eben nichts ein, sie scheinen nicht in meiner Persönlichkeit angelegt zu sein – was vielleicht banalerweise auch eine Frage meines Hintergrundes ist, aus dem ich erwachsen bin. So kann ich zwar intellektuell und analytisch verstehen, was Ferneyhough technisch macht, wie er Module formt und strukturell verwebt, prozesshaft permutiert etc. Ich kann so etwas vielleicht auch in gewisser Weise als Stilkopie nachzumachen versuchen, aber mir fällt solch eine Musik nunmal nicht ein, ich könnte solche Etüden nicht mit einer Persönlichkeit füllen, die damit etwas Wichtiges zu sagen hätte). Das heißt nicht, dass ich alles, was ich in diesem Sinne schreibe, für gleichermaßen gelungen oder in irgendeiner Weise relevant erachte. Aber manchmal habe ich durchaus das Gefühl, dass mir die konzeptionelle Idee zur Hervorbringung einer Komposition und einer eben auch irgendwie tonalen Wirkung geglückt ist, dass sich ein Mehrwert einstellt, ein tieferer Sinn, der die entstehenden Klänge als unverbraucht und überraschend erlebbar macht, frei von traditionellen Bindungen, neue Zusammenhänge bildend.
Wichtig ist jedenfalls, dass ich beim Komponieren nie daran denke, was irgendjemand dazu meinen könnte, sondern ich versuche zu erspüren, was das individuelle Werk eben braucht. Natürlich wünsche ich mir auch ein Publikum, das verstehen möchte, was ich ausdrücken will. Aber ich habe das ehrliche Gefühl, erst einmal danach zu schauen, was ich denn ausdrücken möchte, dann welche kompositorischen Mittel, welches Material, welche strukturellen Überlegungen etc. zu dessen Verwirklichung nötig sind. Ich habe noch nie gedacht: Was kann ich machen, damit ich irgendwo Erfolg habe.
Es gibt Situationen, in denen mir bewusst ist, dass ich in gewisser Weise die Ausführenden im Blick haben muss, wenn ich will, dass das Werk überhaupt aufgeführt werden soll. Als ich den Auftrag erhielt, ein Oratorium für eine evangelische Gemeinde in der Nähe von Heidelberg zu komponieren, bei dem alle Ensembles der Gemeinde mitwirken sollten, war mir klar, dass ich einem Durchschnitts-Feld-Wald-Wiesen-Kirchenchor mit Durchschnittsalter 70 und einem ähnlich gearteten Posaunenchor nicht so viel zumuten konnte, wenn die das Ganze aufführen sollten. Die ambitionierteren Teile bekamen dann die etwas leistungsfähigere Kantorei, die (Profi-)Streicher und der Baritonsolist. Dennoch war es mir ein Anliegen, dieser Gemeinde nicht einfach nur eine Festmusik in D-Dur zu servieren, sondern sie zu neuen Erfahrungen herauszufordern, sie sich in ungewohnteren Klängen bewegen zu lassen, die zwar immer irgendwie tonale Zentren haben, aber dennoch durch die Art ihrer Inszenierung (Raummusikkonzeption, Klangflächenkomposition mit Space-Notations etc.) für diese Laien eine ungeheure Herausforderung darstellten. Keiner hat es sich bei diesem Oratorium leicht gemacht, keinem wurde es leicht gemacht. Aber da sich alle Beteiligten in einer dreivierteljährigen Probenphase peu a peu darauf einließen, entstand nach einer längeren Phase der Ablehnung und der Skepsis langsam so etwas wie Verständnis und auch Zuneigung zu dem Ganzen, worin – so wurde mir nach der Uraufführung einige Male versichert – ein großer Lerneffekt und auch schließlich Identifikation mit dem ganzen Projekt lag. Im Sinne irgendeiner Avantgarde ist das Stück sicher nicht zu katalogisieren, und es gibt darin auch Teile, die – schon allein aus probentechnischen Gründen, als „Belohnung“ für die schwierigeren, ungewohnteren Teile – einen größeren Traditionsbezug aufweisen. Aber eben auch Sätze, in denen ich meinen eigenen Ansprüchen gerecht werden konnte, eine zeitgemäße, nicht verbrauchte, sinnhafte, intelligente und originelle Art von Tonalität zu entwickeln, strukturelles Denken zu praktizieren, welches mein Zeitgenossentum nicht verleugnet und so tut, als wären 110 Jahre Musikgeschichtsentwicklung nicht geschehen. Ich bin mir dieser Verantwortung eines zeitgenössischen Komponisten bewusst. Es macht keinen Sinn, Stilkopien als eigene Neuschöpfung zu verkaufen (in einem Beitrag weiter oben wurde ein Komponist namentlich nicht genannt, der heute nur noch brahmsische oder dvorakeske Klaviertrios und dergleichen schreibt. War der mal Professor in Hannover? Zumindest habe ich genau solche Klaviertrios mal auf CD gehört und fühlte mich irgendwie peinlich berührt von eben dem Umstand, dass jemand solche Stilkopien – ob gut gemacht oder nicht – als genuine Eigenschöpfung verkaufte).
Letztendlich ist die Frage nach einer wie auch immer gearteten Tonalität in der neuen Musik aber – und so viel entnehme ich auch einigen Beiträgen der Diskussion hier – eine Materialfrage. Abstrakt gesagt ist es nicht entscheidend, mit welchem Material ein Komponist arbeitet. Es gibt hier viele verschiedene persönliche Prägungen, Beweggründe oder Vorlieben, psychologische Dispositionen etc., weshalb ein Komponist sich eher mit diesem Material wohlfühlt, ein anderer mit jenem. Er muss etwas damit auszudrücken haben, was klar als Nachricht eines heutigen Menschen aus einer heutigen Zeit verstanden werden kann. Er muss im besten Falle sein Handwerk verstehen und es aber als Hilfsmittel anwenden können, um mehr als nur etwas technisch Interessantes, gut Gemachtes zu präsentieren. Wenn er sich für traditionsbehaftetes Material interessiert, sollte er es entweder – im Collagensinne – als fremdes Objekt, das vie Strandgut aufgelesen wird, kennzeichnen, oder es zu etwas Eigenem, Neuen amalgamieren können, zumindest versuchen, es nicht einfach nur – da sind wir wieder bei dem Wörtchen – zu benutzen, schon gar nicht, um sich damit irgendjemandem anzubiedern.
Dass es aber immer wieder gelingt, Anregungen aus der Vergangenheit zu nehmen und umzuformen, ihnen neue Frische und Kraft abzuringen, dafür wurden hier schon einige Beispiele genannt. Ich möchte – aus der Tradition – noch Brahms anführen, der von Schönberg ja so gern – ein wenig im eigenen Interesse – als „the progressive“ geadelt wurde. Wieviel Anregung erhielt Brahms aber aus der Beschäftigung mit Renaissance und Frühbarock, mit Palestrina, Schütz, modaler früher deutscher Volksmusik! Nicht nur seine Chorwerke sind voll davon, auch die Instrumentalmusik (man denke etwa an den langsamen Satz der e-Moll-Sinfonie). Und trotz allen Aufgreifens von Renaissancemusiktheorie, trotz aller Rückbezüge, Brahms ist durch und durch Brahms, in jeder seiner Noten.
Und so etwas sollte auch heute noch der Maßstab sein.
Gibt oder gab es Komponisten, die das tun oder getan haben?
Nunja, zumindest hieß es mal, wenn auch sicher etwas schulmäßig vereinfachend, dass in Schönbergs Zwölftonlehre der Unterschied zwischen Konsonanz und Dissonanz aufgehoben wurde.
Wer auch immer das geheissen hat, hatte keinen blassen Schimmer und noch nie ein Werk Schönbergs gehört, oder da ist etwas falsch verstanden worden. Falls Lektüre nötig, würde ich „Serial Composition“ von Smith Brindle empfehlen – ein paar Ohren reicht aber auch ;)
@ Strieder:
Meine „Räuberpistole“ oben ist natürlich vollkommen daneben, da haben Sie recht. Ich wollte ja eigentlich gar nicht Berg gegen Schönberg ausspielen oder behaupten, Schönberg würde nun so dumpf seiner eigenen „Methode“ hinterherkomponieren, daß nur dröger Unsinn dabei rauskommt. Im Gegenteil, wie Sie richtig ausgeführt haben tut er genau das nicht (in den meisten Stücken und im Gegensatz zu einigen seiner eifrigen Nachahmer). Da sind die Pferde mit mir durchgegangen, als ich mir so eine Unterrichtsstunde beim Arnold vorgestellt habe, wie er mit finsterem Blick den empfindsamen Berg durchbohrt. Wie ich schon gesagt habe, Form und Inhalt …
@ Alexander Strauch:
Ja, das hätten Sie wohl gerne, daß Sie hier einfach so Ihren eigenen Text im Hinblick auf die Reaktionen vorzensieren können. Pustekuchen. Zur Strafe gehe ich nur auf Ihr „Beiwerk“ ein. Wenn’s Ihnen zu öde ist oder der Brechreiz überhand nimmt, dann kann ich’s auch nicht ändern.
Mit dem Reizwort „Pathos“ kriegen Sie mich nicht, Pathos gehört dazu, Pathos muß sein. Kunst ohne Pathos ist Kunsthandwerk (Pathos ohne Kunst ist Kitsch).
Interessanter finde ich aber Ihren Satz, daß die von mir gesehenen Formprobleme eigentlich Tonhöhenprobleme seien. Das kann sogar sein, da muss ich mal drüber nachdenken. Aber in welchem Sinne denn eigentlich? Schlampige Tonhöhenorganisation? Hm, ich weiß nicht, ich sehe da denn Schritt zur schlampigen Formorganisation noch nicht, außer daß der Komponist vielleicht grundsätzlich zur Schlampigkeit neigt. Vertiefende Anmerkungen Ihrerseits wären da hilfreich.
Na gut, ich gehe doch noch auf Ihre Fragen ein, aber gefallen wird’s Ihnen nicht: Ihre erste Frage („besondere Klang unserer Tage“) würde ich mit einem klaren Nein beantworten. Das, was Sie da aufzählen, das ist der Klang unserer Tage. Jenseits dessen ist die Musikhistorie. Der Spektralismus ist für mich ein historisch gewordenes Konzept, dessen ich mich eigentlich nur noch genauso wie der Tonalität bedienen kann, oder ich muß es mir „neu erkämpfen“, aber dazu habe ich ja weiter oben schon was geschrieben. Ich wiederhole mich, und wir werden einander wohl unverstanden zurücklassen müssen, aber ich glaube, daß diese Art des tonhöhenorientierten Denkens, das parametrische Organisieren von Tönen, die Forschung am und im „Ton“, im Grunde nostalgisch ist. Ich verspüre da immer diese Sehnsucht nach den „alten Zeiten“, als man Stücke noch konstruiert hat, als man Obertonreihen seziert hat, als Harmonik im weitesten Sinne noch erweiterungsfähig war. Da gibt es für mich (als Komponist, nicht als Hörer/Analysator!) nichts zu holen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe die größte Sympathie für diese mich etwas altmodisch anwehende Herangehensweise, aber es geht halt nicht um Sympathien, sondern um „Fortschritt“ (um Gottes Willen, hab‘ ich sie noch alle, so ein Wort hinzuschreiben, wo wir doch alle wissen, daß wir schon längst im Post-Alles-Zeitalter leben). Und nein, ich propagiere hier keinen postmodernen Relativismus, so als wäre alles Material gleich gut verwendbar oder als wäre eine schlampige Tonhöhenorganisation von nun nicht nur nicht schlimm, sondern geradezu Voraussetzung. Schlampigkeit, Unbedachtheit, Indifferenz, Denkfaulheit, Prahlerei usw. beim Komponieren sind und bleiben ein für alle Mal verboten.
Naja, jetzt bin ich schon wieder beim Schwadronieren über „Größe“, aber für detaillierte Analysen der Harmonik der zuhauf nun angeführten Kollegen ist dieser Blog mit Sicherheit nicht der richtige Ort. Oder Sie schreiben mal eine Analyse als Artikel. Ihre bisherigen analytischen Sachen mochte ich eigentlich immer ganz gerne lesen …
@ Franz Kaern:
Ich will Ihnen ernsthaft nicht zu nahe treten, aber das ist mir einfach zu, mir fällt kein treffenderes Wort ein, nett. Das läuft doch nur wieder auf Entwicklung, Übergänge schaffen, pipapo hinaus. Ich glaube nicht mehr daran. Zumindest nicht auf dieser kleinteiligen Ebene. Mag ja sein, daß man hin und wieder auf eine tonale oder atonale oder mikrotonale Wendung stößt, die einem unverbraucht vorkommt, aber in welchem Verhältnis stehen Aufwand und Ergebnis zueinander? Bevor jetzt das Gezetere losgeht, ich würde einem Effektivitätswahn das Wort reden: Dem ist nicht so. Es geht nicht um Effektivität (wie kriege ich schneller ein Stück hin, wie komme ich schneller ans Ziel), nö, es geht um den zu beschreitenden Weg. Ich empfinde einfach den Entwicklungs-Tonhöhen-Tonalitätserkämpfungsweg als viel zu breitgetreten. Und den Formteile-aneinanderkloppen-und-mal-sehen-was-dabei-rauskommt-Weg als viel zu schmal. Größere „Fundstücke“, vielleicht sollte man besser von Objekten oder, in Anlehnung an die Linguistik, von musikalischen Morphemen reden, in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen, das halte ich allemal für eine mindestens genau so schwere Angelegenheit (wenn man es denn gescheit machen will), wie irgendein spektrales oder tonales Konzept mit neuem Leben zu erfüllen. Mein Material wandert nur eine Ebene weiter rauf. Und dort ist noch viel unbestelltes Ackerland vorzufinden. Ziehen Menschen nicht immer dahin, wo es noch unbestelltes Ackerland gibt? Ach nein, sie knödeln sich doch lieber dort, wo sowieso schon jeder gräbt.
Form ist die neue Tonhöhe. So.
Goljadkin
Hier die Antwort: https://blogs.nmz.de/badblog/2012/04/19/harmonik-und-neue-musik-kein-problem/