Claus Kühnls Klaviersonaten

Claus Kühnl

Die Natur unseres Betriebs ist das Lärmen und die stete Präsenzpflicht. Wir übertreffen uns gegenseitig mit Ankündigungen, Konzerthinweisen, was wir toll finden, wen wir toll finden, warum wir es toll finden und warum XXX der letzte Schrei ist. Nicht alle sind aber Lärmer und vielleicht sind die bedeutendsten musikalischen Entdeckungen unserer Zeit, nicht unbedingt die, über die man überall liest und die im Feuilleton besprochen werden, ebenso wie vielleicht innigster Ausdruck heutzutage nicht durch shock value oder Übertreibung funktionieren muss, auf dem Markt unserer Eitelkeiten.

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Heute möchte ich mich daher mit der Musik von Claus Kühnl beschäftigen, einem dieser eher Stillen und Sorgfältigen, die sich nicht in den Vordergrund drängen, die nicht ständig das Rampenlicht suchen und dennoch über die Jahre ein faszinierendes Oeuvre geschaffen haben.

Ich muss gleich vorweg schicken, dass ich Claus vieles, wenn nicht sogar fast alles in meinem musikalischen Leben zu verdanken habe, denn er war mein erster Kompositionslehrer, damals, am Dr. Hochs Konservatorium in Frankfurt, in einer Zeit noch ohne Internet und blühendem Musikalienhandel, ohne Urheberrechtsdiskussionen und Piratenparteien, und wie jeder weiß, ist der erste Lehrer im Leben der Wichtigste, denn er kann einen entweder auf den Weg führen oder einem vom Weg abbringen. Ich könnte viel über meine sehr intensive Zeit bei Claus erzählen, seinen stets leidenschaftlichen und von großer Genauigkeit und Gründlichkeit geprägten Unterricht, seine Fähigkeit, sich leidenschaftlich in die skurrilsten musikalischen Universen hineinzuversetzen und jeweils etwas für sich selber darin zu finden und seinen Schülern zu vermitteln, sein aufrichtiges Interesse an anderen Menschen. Aber besonders wichtig für mich war eines, nämlich dass er die allerersten Kompositionen von mir totalem Anfänger und Grünschnabel sofort mit der Begeisterung behandelte, mit der er uns Schülern auch die Musik von z.B. Messiaen, Boulez oder seinem besonderen Liebling Dutilleux vermittelte. So ernst genommen zu werden zerstreute meine Zweifel und gab mir Mut, und dafür werde ich Claus immer dankbar sein.

Doch genug von mir – es geht um Claus Kühnl, einem Komponisten den man ohne Zweifel mehr spielen, mehr kennen und vor allem mehr hören könnte, der aber nichtsdestotrotz über die Jahre eine treue Schar von Fans, Bewunderern und vor allem großartige Musiker um sich herum versammelt hat, die immer wieder denkwürdige Aufführungen ermöglichten; Schüler von Bertold Hummel und Hans-Ulrich Engelmann (zwei Großen, die nicht mehr unter uns weilen), Komponist (aller Genres, von Kammermusik bis zu Orchester und Musiktheater),Pädagoge, Pianist, Dirigent, Autor, Gründer (zusammen mit seinem Kollegen und Freund Gerhard Müller-Hornbach) des bis heute aktiven Frankfurter Mutare-Ensembles und vieles mehr.

Warum ich all dies schreibe? Claus erzählte mir vor ein paar Jahren, dass er begonnen habe, an einem Zyklus von Klaviersonaten zu arbeiten, einfach so, nur für sich, was ohnehin der Weg zu den allerbesten Stücken ist. Und vor ein paar Wochen schickte er mir nun diesen Band, der gerade bei Hofmeister, Leipzig erschienen ist, und wahrscheinlich in diesem Moment schon auf der Musikmesse Frankfurt zu finden ist bzw. war (Kollege Hahn berichtete). 10 Sonaten sind es also geworden, und es sind allesamt Unikate, Manifestationen von lichter Klarheit die den Geist vollkommener Freiheit atmen, Freiheit von Konventionen, Dogmen, Zwängen, ganz so wie die Musik von Scarlatti, Field, Satie…im besten Sinne KLAVIERMUSIK, geschrieben von jemandem, der nicht nur dieses Instrument hervorragend beherrscht und es lebt/liebt, sondern auch um seinen Zauber weiß.

Obwohl Kühnl in seinen Sonaten bewusst eine Brücke zu alter, meist mittelalterlicher Musik schlägt, zu Meistern wie Hans Leo Hassler, Oswald von Wolkenstein und John Dunstable, so ist dieser Bezug weder einem scheuen Konservativismus noch einem nostalgisch verharrenden Rückblick geschuldet, sondern enspricht ganz Claus‘ Denken: für ihn ist die musikalische Tradition so etwas wie ein ständig präsenter ganzheitlicher Kosmos in ständigem Bezug zur Gegenwart, darin ist z.B. ein Wolkenstein durch seine Musik genauso lebendig im hier und jetzt wie z.B. ein Michel van der Aa oder ein David Lang. Oder eben lebendig wie Claus Kühnl selber, der mit dieser alten neuen Musik mit seinen Mitteln liebevoll kommuniziert, sie in ungeahnte Orte führt, stets von einem eigenen Ton geführt.

Schon allein rein vom pianistischen Standpunkt betrachtet sind diese 10 Sonaten absolut meisterhaft.
Wie oft hat man nicht als Interpret neuer Musik mit halbgaren, nicht vollkommen durchdachten Spieltechniken und Notationenzu tun, quält sich durch endlose Girlanden von Tönen deren Sinn sich nie erschließt, die nie ein Ganzes ergeben sondern allein dem Altar der beeindrucken wollenden Komplexität huldigen, einem Altar von trostloser weil letztlich nie musikalisch effektiver Eitelkeit.

Nein, hier kann der/die Pianist/in aufatmen, denn selten war eine Notation ökonomischer, der Klang durchdachter, die Spielanweisungen genauer und klarer als in diesen Sonaten von Claus Kühnl. Hier klingt das Klavier, hier darf es klingen, hier darf es wieder Klavier sein, nicht mehr „Probleminstrument“, befreit von den endlosen Diskussionen über die Überholtheit oder Nichtüberholtheit dieses Instruments, befreit von den öden Diskussionen ob man „heute noch Klaviermusik schreiben darf“, befreit von Dogmen und der Notwendigkeit etwas beweisen zu müssen. Endlich geht es wieder um Musik, und darum, was der Komponist Claus Kühnl uns erzählen will.

Und er hat sehr viel zu erzählen: keine der 10 Sonaten gleicht der anderen, und dennoch durchzieht sie ein strenger aber eben auch nicht zu strenger zyklischer Gedanke, der verbindet und eine abendfüllende Aufführung quasi einfordert. Schon die Titel machen Lust auf mehr: „Faburden Sonata“, „Hassler in Java“.“under lucifers zagel“, wohin man blickt: unendlich weite, aber nie selbstgefällig ausufernde, unendlich phantasievolle Klangreiche, keine Seite gleicht der anderen, ein Fest der Farben und Töne. Hier arbeitet sich nicht ein Komponist an seinen Ideen ab, hier arbeiten die Ideen selber und der Komponist folgt ihnen. Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig das ist und was für einen Unterschied das macht.

Wie soll man die Musik beschreiben? Claus Kühnl ist auf jeden Fall jemand, der um den Zauber des perfekten Moments weiß, und diesen stets auf neue beschwören möchte. Hier steht nichts auf der Stelle, hier gibt es keine Nabelschau von Befindlichkeiten, stattdessen tritt Kühnl in direkte Kommunikation mit seinen Themen, ohne Leichtfertigkeit und vor allem ohne Oberflächlichkeit.

Diese Sonaten sind so frei, so inspiriert, so im besten Sinne spielfreudig, so fernab ermüdender ästhetischer Diskussionen, dass es eine reine Freude ist. Sie sind Preziosen, eine Insel fernab des Betriebes, altmeisterlich ohne Altmeisterlichkeit zu predigen. Man merkt schon: ich bin wirklich zutiefst begeistert von diesen Stücken und kann sie jedem nur von Herzen empfehlen.

Und wenn bei den ganze Jubiläen, dem Abfeiern der Großikonen vielleicht noch ein bisschen Platz ist: führt Kühnl auf, spielt Kühnl! Es gäbe so viel zu entdecken: „La Petite Morte“, seine phantasmagorische Ballettoper (tatsächlich auf CD erhältlich dank dem Deutschen Musikrat), „Musik der Stille“, ein Frühwerk für Kammerensemble, geschrieben lange bevor dieser Begriff vielleicht zum Klischee wurde, seine Lieder nach Gedichten von Michael Krüger, seine wunderbare Kinderoper „Die Geschichte vom Löffelchen“ nach Michael Ende, die jedes Opernhaus in der man sie spielte ehren würde, und, und, und….

Aber fangen wir damit an, dass wir diese Sonaten spielen und sie als das erkennen, was sie sind: eines der schönsten Werke für Klavier der Neuzeit.

Und ich übertreibe nicht.

Moritz Eggert

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